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Wer kommt für die Rendi-Nachfolge wirklich in Frage?

Das intrigante Abschlachten eines Parteivorsitzenden, der heuchlerische Wechsel zwischen dem Abschicken vergifteter Pfeile aus dem Hintergrund und dem Singen verlogener Solidaritätsschwüre auf der Vorderbühne gehört zu den beliebtesten und zugleich widerlichsten Schauspielen im politischen Theater. Und es ist doch ein Vorgang, der mehr begeistertes Publikum anlockt als jede Sachfrage.

Gewiss, es ist schwierig, einem an sich netten Parteivorsitzenden, bei dem man aber ziemlich sicher ist, dass er der falsche ist, dass er es nicht mehr schaffen wird, auch ins Gesicht zu sagen: "Bitte, geh!", wenn dieser selbst weiterhin überzeugt zu sein scheint, der Richtige zu sein. Wie bringt man ihm das bei? Noch dazu, da man ihm ja am Anfang seiner Vorsitzzeit zusammen mit dem Rest der Partei geschlossen und lautstark zugejubelt hat. Noch dazu, wo innerparteiliche Kritik, die an die Öffentlichkeit getragen wird, für Funktionäre eigentlich eine Todsünde ist.

Aber was soll man nur machen, wenn der Parteichef an seinem Sessel klebt, jammern dann viele. Das Problem ist offenbar ziemlich gleich, ob der Parteichef ein Mann oder eine Frau ist.

Die Tragödie Rendi

Tatsache ist jedenfalls, dass die Spekulationen, dass Pamela Rendi-Wagner gehen müsse, und wer ihr denn nachfolgen könnte, in den letzten Tagen primär von roten Kulissenschiebern auf Twitter aufgebracht worden sind. Öffentlich war es hingegen nur ein eher einsamer SPÖ-Landeshauptmann eines kleinen Bundeslandes, der schon seit Jahr und Tag seine massiven Zweifel an Rendi unhöflich äußert, der damit aber allzu offensichtlich Eigenambitionen verbunden hat. Jedenfalls wird es ziemlich schwerfallen, wie üblich auch die SPÖ-Obmanndiskussion als Erfindung irgendwelcher "politischer Gegner" oder Journalisten abzutun.

Tatsache ist, dass die SPÖ unter Rendi-Wagner, nett formuliert, völlig glücklos unterwegs ist. Bis auf wenige Wochen im vergangenen Sommer ist es ihr nie geglückt, die Schlappe der letzten Wahl 2019 wenigstens bei den Umfragen wiedergutzumachen, als sie um 6 Prozentpunkte auf 21 Prozent gestürzt ist. Sie grundelt derzeit nur noch knapp über diesen 21 Prozent herum, und das seit August mit abnehmender Tendenz.

Und das:

  • obwohl die schwarz-grüne Koalition mit 32 Prozent zusammen längst nicht mehr die Mehrheit der Wähler hinter sich hat;
  • obwohl Rendi von den vielen Regierungsproblemen durch Inflation, Krieg und Corona als Führerin der größten Oppositionspartei eigentlich enorm profitieren müsste;
  • obwohl es den Genossen aus der Staatsanwaltschaft gelungen ist, die Wunderwaffe der ÖVP namens Sebastian Kurz zumindest vorübergehend lahmzulegen;
  • obwohl der jetzige ÖVP-Chef Nehammer mehr den Eindruck braver Bemühtheit statt souveräner Führungsfähigkeit erweckt;
  • obwohl die Grünen – geistige Halbschwester der SPÖ – durch die Mühen der Regierungsbeteiligung viele linke Illusionisten verlieren;
  • und obwohl auch FPÖ-Chef Herbert Kickl – trotz aller Erfolge seiner Partei – persönlich recht schwache Persönlichkeitswerte hat.

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Werte von Rendi genauso schwach sind. Es war in der zweiten Republik noch nie da, dass lediglich 14 Prozent der Österreicher den aktuellen SPÖ-Vorsitzenden als ihren Wunschkanzler genannt haben. Und bei den Persönlichkeitswerten führt auf einmal wieder Nehammer, der Unverdrossene.

Da ist es kein Wunder, dass alle auf eine gute Zukunft für die SPÖ Hoffenden hinter der öffentlichen Absonderung von Loyalitätsschwüren zu Rendi intensiv über bessere Zeiten nachdenken. Und man kann davon ausgehen, dass auch sie selber das tut, wenn sie keinen völligen Realitätsverlust hat.

Was stört die Öffentlichkeit an Rendi-Wagner? Eigentlich nichts. Es gibt aber auch nichts, was den Menschen an ihr sonderlich gefällt außer ihr adrettes Äußeres. In der Corona-Krise hat sie als Medizinerin noch gewisse Sachkompetenz ausgestrahlt. Aber diese Krise gibt’s halt nimmer mehr. Außenpolitisch, wirtschaftspolitisch hat sie keine Sekunde inhaltliche Statur errungen. Es gelang ihr immer nur, die üblichen Stehsätze abzusondern, die lediglich Gähnreiz auslösen – oder Gelächter, weil sie fast täglich für einen anderen Zweck noch mehr Steuergeld fordert. Rendi ist inhaltlich abgestandener Sozialdemokratismus aus früheren Jahrhunderten.

Alternative Strategien

Wo haben sich Sozialdemokraten überhaupt in den letzten Jahren erfolgreich positionieren können? Ihre Tragik ist, dass immer wieder die innerparteiliche Begeisterung für linskradikale Typen wie einen Jeremy Corbyn in Großbritannien oder Bernie Sanders in den USA überschäumt, dass die Sozialdemokratie aber bei den Wählern immer mit einem gemäßigten Kurs der Mitte Erfolg hat.

Das ist jetzt bei den Briten Keir Starmer, der sogar den Brexit unangetastet lassen will.

Das war bei den Deutschen Gerhard Schröder, bei den Briten Tony Blair, aber auch bei einigen einstigen SPÖ-Exponenten von Vranitzky bis Ruttenstorfer und Androsch die Wirtschaftskompetenz.

Ein sozialdemokratisches Erfolgsrezept kann auch in einem ehrlichen und mutigen Agieren gegen die Asylantenflut bestehen, ist doch dieses Thema zum Wichtigsten für viele Wähler geworden: Siehe etwa Dänemark, siehe aber auch den Burgenländer Doskozil. Dieser wird ja von den Medien immer als böswilliger Intrigant hingestellt, der nur eines im Sinn hat: Rendi zu stürzen. Und niemand ist auch nur eine Sekunde bereit, davon auszugehen, dass es auch ihm primär um die Sache gehen könnte, dass er erkannt haben könnte: eine total andere – an Law and Order und nicht gutmenschlicher Weichherzigkeit orientierte – Asylantenpolitik wäre gut für die Partei (und Österreich).

Aber in keine dieser Richtungen hat sich Rendi zu gehen getraut. Sie hat geglaubt, dass die uralten und erkennbar unfinanzierbaren Soziallizitations-Forderungen als ihr einziger Inhalt noch irgendwen für die SPÖ begeistern könnten.

Zusätzlich hat sie in ihrer gesamten Körpersprache wie eine langweilige Oberschicht-Barbie gewirkt, die fast ständig auf Dauerlächeln eingestellt ist (lediglich, wenn sie über die Regierung schimpft, schaltet sie als zweiten verfügbaren Gesichtsausdruck den empörten ein).

In der SPÖ weiß heute jeder: Es war ein Fehler, sie an die Spitze zu stellen. Sie hatte keinerlei Parteierfahrung. Sie war aus einem Beamtenjob heraus für kurze Zeit in ein damals eher unbedeutendes Ministeramt geraten. Sie hat keinerlei Kompetenz in Wirtschaft oder Außenpolitik gezeigt oder entwickelt. Aber ihr sympathisches Gesicht hat viele Männer überzeugt; andere Genossen meinten wiederum damals, es müsse jedenfalls jetzt eine Frau sein, die SPÖ-Chefin wird. Hilfreich war auch: Rendi hatte es sich mit niemandem verscherzt. Dazu war sie zu kurz in der Politik. Dazu hat sie ein zu nettes Wesen. 

Die Rolle des Christian Kern

Was aber im Rückblick auf ihren einstigen Sprung an die Spitze heute am meisten auffällt: Sie war einst von Vorgänger Christian Kern vorgeschlagen worden. Und ausgerechnet dieser Kern scharrt jetzt schon wieder heftig an den Toren der Partei. Vieles deutet darauf hin, dass er es offensichtlich gerne noch einmal versuchen will. Das lässt massiv einen düsteren Verdacht aufkommen: Hat er damals ganz bewusst eine schwache Nachfolgerin ausgesucht? Die nur als Platzhalterin fungieren sollte? Die während der tristen und für ihn zu langweiligen Oppositionszeit den Laden brav schupfen sollte, da nach dem fulminanten Wahlsieg von Sebastian Kurz 2017 der Weg zur Macht auf längere Zeit versperrt schien?

Kaum scheint es jedoch nach Abschuss von Kurz und auf Grund der Schwächen der anderen wieder Chancen für die SPÖ – unter irgendeiner neuen Führung – zu geben, ist Kern sofort wieder da. Das könnte freilich etlichen Genossen doch auch recht kritisch als ziemlich opportunistisch auffallen. Sie könnten sich auch erinnern, dass es eigentlich schon zum zweiten Mal ist, dass Kern aus einer bequemen Position in der Privatwirtschaft heraus am Sessel des amtierenden SPÖ-Chefs sägt.

Anderen könnte wiederum etwas noch viel Schlimmeres auffallen: Soll ausgerechnet in einer Zeit, da überall nach mehr Sauberkeit in der Politik gerufen wird, jener Mann an die Spitze kommen, der einst einen halb oder ganz kriminellen Schmutzkübel-Mann in die Politik geholt hat?

Noch viel dramatischer ist aber ein zeitliches Zusammenfallen der damaligen Kern-Amtszeit mit einem zweiten Ereignis, von dem man damals noch gar nichts gewusst hat: Das ist der ebenfalls kriminelle Lauschangriff auf H.C. Strache, der vehement an das amerikanische Watergate erinnert. Und bei dem bis heute nicht offengelegt ist, wer da dahintersteckt. Jedenfalls können höchstens Staatsanwälte sich damit begnügen, dass es ein Anwalt und ein Privatdetektiv im Alleingang gewesen sein sollen. Ohne dass ich einen Beweis kennen würde: Aber jemand, der die Aktionen eines Herrn Silberstein gedeckt und bezahlt hat, der wäre charakterlich auch durchaus imstande, die Lauschattacke gegen Strache zu beauftragen oder decken.

Zeiler und Wrabetz

Neben Kern wird auch noch ein zweiter Mann genannt, der ebenfalls kein SPÖ-Mandat, sondern anderswo gut verdient hat: Alexander Wrabetz. Mit ihm ist nun auch schon zum zweiten Mal ein ehemaliger ORF-Chef im intensiven Rennen um die SPÖ-Spitze. So wie einst Gerhard Zeiler legt Wrabetz zwar seine Karten nicht offen. Aber er wird sich gewiss nicht wehren, "wenn er gefragt wird" (wie man das üblicherweise umschreibt).

Dieser Umstand macht ein bezeichnendes Bild vom ORF. Er ist endgültig zur Reserve der SPÖ degeneriert (beim Blick in seine Programme bekommt man freilich immer öfter schon den Eindruck, dass der Gebührenfunk nicht nur die Reserve ist, sondern der Partei überhaupt besser dient, als deren Spitzenleute es können). Zwar gibt es wenig Zweifel, dass Zeiler die weit interessantere Figur – auch mit internationaler Dimension – gewesen ist als Wrabetz, der sogar oft Probleme hat, seinem Gesprächspartner ins Auge – oder der Kamera ins Objektiv zu schauen. Aber Wrabetz kann immerhin einen Lebenslauf vorweisen, in dem er nie in Verdacht geraten ist, sich die Finger sonderlich schmutzig gemacht zu haben.

Und aus der Parteimaschine selber? Da gibt es niemanden, der in Frage käme? Es wäre jedenfalls ziemlich ungewöhnlich, wenn sich die SPÖ nun schon zum dritten Mal einen Chef gäbe, der de facto als Quereinsteiger direkt an die Parteispitze kommt.

Aus der Parlaments- oder EU-Fraktion scheint allerdings tatsächlich keiner auch nur annähernd in Frage zu kommen. Dort hat sich wirklich niemand profilieren können.

Drei Landeshauptleute und ein Stadtrat

In Frage kommen hingegen alle drei SPÖ-Landeshauptleute. Da ist als Erstes natürlich an den Wiener Bürgermeister zu denken. Er sitzt im wahren Zentrum, wo seit hundert Jahren die wahre SPÖ-Macht liegt. Er finanziert mit Inseraten wichtige Medien und Organisationen. Sein Veto hat in der Partei Gesetzeskraft.

Wenn daher Michael Ludwig sagen würde: "Ich will", dann wäre er es morgen. Aber er scheint nicht zu wollen, vom Ersten in Wien zum Zweiten im Bund zu werden. Noch dazu ist ein Wettbewerb mit Herbert Kickl, wer der bessere Oppositionsführer ist, so ziemlich das Letzte, was ihn treibt. Die Allmacht im Rathaus ist für sein persönliches Lebensgefühl auch dem Bundeskanzler-Sessel vorzuziehen, wo man tausend ernstere Probleme hat, die nicht lösbar sind.

Ebenso in Frage kommt der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser, der am Sonntag mangels geeigneter Spitzenkandidaten bei den anderen Parteien einem sicheren Wahlsieg zusteuert. Nur: Es ist geradezu unmöglich, den Kärntnern Ade zu sagen, kaum dass sie ihn gewählt haben. Es wäre auch etwas ungewöhnlich, im Alter des gesetzlich spätesten Pensionsantritts den Sprung in ein neues und völlig anderes Haifischbecken zu wagen. Andererseits ist Kaiser noch immer deutlich jünger als die Präsidenten Amerikas oder Österreichs. Seine Nominierung wäre jedenfalls ein Kompromiss zwischen den Parteiflügeln und würde daher innerparteilich vieles beruhigen.

Mit Sicherheit Ja würde hingegen der Burgenländer Hans Peter Doskozil sagen. Da würden sich auch die Burgenländer geehrt fühlen, wenn nach Sinowatz schon wieder einer der Ihrigen drankäme. Doskozil hätte mit einem klaren Akzent auf die Asylpolitik auch gute Wahlchancen. Aber es scheint sehr unwahrscheinlich zu sein, dass das ohne einen riesigen innerparteilichen Aufstand möglich wäre. Dieser Aufstand könnte hin bis zu einer Spaltung der Partei gehen.

Im Grunde hat diese Spaltung eigentlich schon stattgefunden. Sogar doppelt und dreifach. Denn sowohl die Grünen wie die Neos haben der SPÖ zentrale Wählergruppen weggenommen (obwohl die Neos eigentlich dazu geschaffen worden sind, der ÖVP zu schaden). Noch viel mehr an den Kern der sozialdemokratischen Identität geht aber die neue Bierpartei: Diese ist zur Lieblingspartei der linken Bobos geworden, der städtischen, sich für intellektuell haltenden Szene. Ohne in irgendeiner Weise seit der Präsidentenwahl Aktivitäten gezeigt zu haben, kommt die Bierpartei bei allen Umfragen, wo sie abgefragt wird, kontinuierlich auf rund 5 Prozent. Bei einem Doskozil an der SPÖ-Spitze würde sich dieser Wert wohl verdoppeln. Da müsste der Expolizist schon sehr viel Erfolg in den blauen Jagdgründen haben, um das kompensieren zu können.

Daher scheint fast am wahrscheinlichsten, dass Wiens Ludwig seinen Finanzstadtrat Hanke aus der dritten Reihe an die SPÖ-Spitze hieven wird. Dieser ist zwar recht farblos. Er wäre aber eine Ansage, mit der die SPÖ etwas für sich reklamieren könnte, was sie schon sehr lange verloren hat: nämlich Wirtschaftskompetenz. Und wie die Geschichte zeigt, haben Sozialdemokraten mit dieser Kompetenz meist sehr gut abgeschnitten.

Das SPÖ-Match dürfte jedenfalls noch spannend werden.

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