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Die Justiz der Naivität

Mit entsetzlicher Naivität gehen derzeit internationale Staatsanwälte fast völlig gleichzeitig gegen den russischen Präsidenten Putin wie auch den amerikanischen Ex-Präsidenten Trump vor. In beiden Fällen kann man sich über die Hirnlosigkeit der Strafankläger aber nur an den Kopf greifen. Gewiss, dass überdurchschnittlich viele Menschen offenbar dann von Hirnlosigkeit befallen werden, wenn sie den Beruf eines Staatsanwalts ergreifen, ist gerade Österreichern seit etlicher Zeit schon schmerzlich vertraut. Aber dennoch erstaunt das immer wieder neu. Dabei ist im Unterschied zu den allermeisten österreichischen Opfern, die von der WKStA trotz Unschuld aus ideologischen Motiven oder juristischer Unfähigkeit oft jahrelang verfolgt werden, die Lage bei den russischen und amerikanischen Spitzenmännern durchaus anders. Wladimir Putin ist mit 99,99-prozentiger Sicherheit schwerster Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Bei Donald Trump gibt es zumindest eine 50 Prozent übersteigende Wahrscheinlichkeit, dass er Gesetze verletzt hat. Und dennoch ist in beiden Fällen das Vorgehen der Staatsanwälte hirnrissig und dumm.

Aus mehreren Gründen:

Die Jagd auf Trump

Bei Donald Trump fällt erstens die Tatsache ungut auf, dass der ihn verfolgende Staatsanwalt ein demokratisches Parteimitglied ist. Das alleine stinkt schon zehn Kilometer gegen den Wind. Und erinnert lebhaft an die WKStA, die ebenfalls die Spuren nicht aus der Welt schaffen kann, dass sie eine rotgrüne Missgeburt ist, deren erster, die Mannschaft zusammenstellender Chef ein grüner Ex-Parlamentarier gewesen ist, und von der es enge Verbindungen zu SPÖ-Intrigen gibt, die Justiz sozialistischer zu machen.

Das zweite ist die Tatsache, dass eine halbseidene Frau ihren – wahrscheinlichen, möglichen, behaupteten – Ex-Liebhaber Trump einst wegen einer früheren Beziehung im Wahlkampf offensichtlich zu erpressen versucht hat. Trump hat sie dann offensichtlich über einen Anwalt verbotenerweise mit falsch deklarierten Wahlkampfmitteln ruhigzustellen versucht. Er hat damit also wahrscheinlich auch ein Delikt gesetzt, ist aber in erster Linie eindeutig ein Opfer der Dame. Die Staatsanwälte machen aber aus dem Opfer einen Täter.

Und drittens ist der Zeitpunkt anrüchig: Diese seit langem bekannte Affäre nach fast acht Jahren ausgerechnet zum Beginn eines neuen Wahlkampfes wieder anzuheizen, stinkt hundert Kilometer gegen den Wind nach einem parteipolitischen Manöver.

Ganz offen gesagt würde ich mich ja für Amerika sehr freuen, würde Trump keine Rolle mehr in der amerikanischen Politik spielen, würden die Republikaner einen anderen Kandidaten ins Präsidentenrennen schicken. Etwa den Florida-Gouverneur Ronald DeSantis, etwa Ex-Vizepräsident Mike Pence oder (meine Wunschkandidatin) die Ex-Gouverneurin Nikki Haley.

Aber so, wie die Demokraten gegen Trump vorgehen, werden sie einen wahrscheinlich nicht wirklich beabsichtigten Erfolg haben: Trump wird jetzt dank einer Welle der Sympathie und des Mitleids mit einem Opfer dubios wirkender Machenschaften zumindest bei den diversen Vorwahlen entscheidend punkten können. Nicht zuletzt wird dabei auch eine Rolle spielen, dass der auf einem demokratischen Ticket gewählte Chef der Staatsanwaltschaft ein Schwarzamerikaner ist, den Trump prompt auch schon als "Rassist" bezeichnet hat.

Man könnte gar kein besseres Drehbuch dafür schreiben, wie man Amerika in neue schwere  Unruhen hinein treibt. Wie hat Christoph Schönborn einst (über die Impfgegner) gebetet: Lieber Gott, lass Hirn regnen!

Nicht ganz ausschließen kann man freilich auch einen sehr zynischen Gedankengang, der den Vorwurf der Naivität "entkräften" würde – aber der im Grund noch viel schlimmer ist: Hat der Staatsanwalt die Folgen vielleicht durchaus begriffen und sogar gewollt, dass Trump für die innerrepublikanischen Vorwahlen durch ihn einen Treibsatz bekommt – weil er auch gleich die weitere Folge einkalkuliert hat, dass nämlich Joe Biden oder ein anderer Demokrat dann bei der eigentlichen Wahl gegen Trump weit bessere Chancen hat, als er sie gegen einen der anderen Kandidaten der Republikaner hätte?

Die Jagd auf Putin

Noch hirnloser – wenn eine Steigerung möglich ist – geht der Internationale Strafgerichtshof gegen den russischen Kriegstreiber Putin vor. Er hat einen globalen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt, der lebenslang – selbst nach Ende des Krieges! - gültig bleibt.

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Zweifellos ist der ohne jeden Grund in Hitlerscher Manier begonnene und über Jahre geführte Angriffskrieg gegen die Ukraine ein schweres Verbrechen. Das sind auch viele einzelne Teilaktionen in diesem Krieg, wie etwa die Folterung und Ermordung von Gefangenen.

Man kann gewiss einwenden, dass diese Aktionen von russischen Soldaten und Milizen wahrscheinlich ohne konkreten Auftrag aus dem Kreml durchgeführt worden sind. Aber Tatsache ist, dass keine einzige Bestrafung eines russischen Kriegsverbrechers erfolgt ist, dass manche identifizierte Täter wie der gefilmte Mörder eines Gefangenen sogar ausdrücklich ausgezeichnet worden sind. Und damit fallen diese Taten juristisch ganz eindeutig in die Verantwortung des obersten Kriegsherrn.

Die Strafverfolger des IStGH scheinen aber nicht zu begreifen, dass auch sie sich mit der scheinbar der Gerechtigkeit dienenden Anklageerhebung eines fast ebenso schweren moralischen Verbrechens schuldig gemacht haben: einer absichtlichen Verringerung der Chancen auf ein baldiges Kriegsende. Ein verlängerter Krieg kann noch Hunderttausende Menschenleben kosten.

Gewiss: Die Chancen, dass Putin einen gerechten Friedensschluss akzeptiert, also eine Rückkehr zu den alten Staatsgrenzen, sind derzeit nicht sonderlich groß. Aber ebenso gewiss ist auch, dass die IStGH-Aktion diese Chancen nicht erhöht, sondern noch weiter signifikant verringert hat. Denn ganz natürlich hat (auch) ein Typ wie der an Hitler erinnernde Kriegsverbrecher Putin primäres Interesse an der eigenen persönlichen Sicherheit. Er scheint sogar ausgesprochen feig zu sein. Was man auch daran ablesen kann, dass er sich im Gegensatz zu seinem ukrainischen Gegenspieler praktisch nie an die Front getraut hat.

Selbst die Verhandlungen über einen Kompromissfrieden werden naturgemäß dadurch erschwert, dass es Putin durch den IStGH unmöglich gemacht wird, irgendwo an einem Ort, der nicht in Russland (oder Belarus oder China oder Nordkorea oder Iran oder Nikaragua) liegt, an Verhandlungen teilzunehmen, weil er sonst ja überall mit der Möglichkeit einer Verhaftung rechnen müsste. Damit kommt kein neutraler Ort für eventuelle Friedensverhandlungen in Frage. Nach Russland wiederum wird sich ein ukrainischer Präsident wohl auch nicht wagen.

Auch wenn es schmerzt, dass einer wie Putin straflos bleiben sollte, so muss die moralische Abwägung zum jetzigen Zeitpunkt ganz eindeutig zu dem Schluss kommen: Wenn man damit weiteres Massenleid, den Tod weiterer Hunderttausender Menschen, weitere Zerstörungen verhindern kann, dann ist das eindeutig wichtiger als die Frage, ob Putin hinter Gitter kommt oder nicht. Wichtig ist nur, dass erstens seine Kriegsführung nicht belohnt wird, indem er die eroberten Teile der Ukraine ganz oder zum Teil behalten kann. Und dass damit, zweitens, an Russland, aber auch an alle Welt das Signal ausgeht: Eroberungskriege lohnen sich nicht.

Ein interessanter – wenn auch nur zum Teil passender – historischer Vergleich: Es ist zweifellos richtig gewesen, Napoleon 1815 nach seinen fürchterlichen und Millionen Opfer fordernden Angriffskriegen nicht vor Gericht zu stellen, sondern auf eine ferne Insel zu verbannen und Frankreich nicht zu demütigen. Der das beschließende Wiener Kongress hat auf ziemlich genau hundert Jahre weltweit die Lust auf große Eroberungskriege erlahmen lassen – sehr im Unterschied zu den hundert Jahren davor, wo fast ununterbrochen solche Kriege geführt worden sind. Diese lange Friedensperiode war zweifellos ein Verdienst des – von vielen freilich aus anderen Gründen geringgeschätzten – Klemens Wenzel Lothar Metternich. Aber zumindest ein Henry Kissinger hat diese Leistung Metternichs sehr gut erkannt.

Auch Südafrika ist übrigens in bestimmter Hinsicht ein positives Beispiel, wie man Konflikte unter Umgehung der Strafjustiz gut und rasch beendet: Dort sind sowohl von der weißen Apartheid-Regierung wie vom schwarzen ANC eindeutig schwere Verbrechen begangen worden. Aber im Interesse des Landes hat man sich beim Übergang zu Frieden und Demokratie darauf geeinigt, keines dieser Verbrechen zu bestrafen, sondern nur durch eine "Wahrheitskommission" aufarbeiten zu lassen. Nur diese kluge Formel hat ein Konfliktende ermöglicht. Die Einschaltung von Gerichten hätte es hingegen unmöglich gemacht.

Frieden durch Klugheit und gleichzeitige Sicherung der Freiheit souveräner Staaten zu schaffen, ist freilich etwas, was heutigen Staatsanwälten völlig fremd ist. Sind sie doch selbst Akteure eines infamen Kampfes, den Richterstaat an Stelle des demokratischen Staates voranzutreiben.

Ihr Motto ist ganz offensichtlich: Fiat iustitia, pereat mundus. Was wohl am besten zu übersetzen ist mit: Wichtig ist, der Justiz zur Herrschaft zu verhelfen, auch wenn die Welt darob untergeht.

In Zeiten, als Staatsanwälte noch Latein und die in dieser Sprache zu findende Weisheit kannten, hätte man ihnen auch Seneca vorhalten können: "Quidquid agis, prudenter agas et respice finem!" Was auch immer du tust, tue es klug und bedenke das Ergebnis. 

Aber, zugegeben, wird ein Staatsanwalt halt nicht medial berühmt, würde er diese Weisheiten beachten und demütiger werden.

PS: Letztlich erfüllt der Internationale Strafgerichtshof eine ähnliche Rolle wie China: Auch dieses sorgt – wie gerade der Xi-Besuch bei Putin zeigt – für ein längeres Anhalten des Krieges. China tut dies zweifellos zum eigenen Vorteil, der etwa in billiger Energieversorgung aus Russland besteht, aber auch um Russland zunehmend auf den zweiten Platz in der Rangordnung der Diktaturen zu verweisen.

PPS: Wer noch Zweifel hat, dass rund um den internationalen Haftbefehl gegen Putin alles vor Juristen-Hirnlosigkeit strotzt, sei darauf verwiesen, dass ausgerechnet die österreichische Justizministerin Zadic ihn begrüßt hat. Jetzt stelle man sich nur einen Augenblick vor, dass Putin etwa nach Österreich kommt, was Frau Zadic dann tut .... 

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