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Die internationale Protestwelle auf den Straßen

Reihum Massenproteste, Massenstreiks, Blockaden. Ein ansteckendes Fieber scheint wieder einmal von Frankreich bis Israel durch die Welt der Demokratien zu laufen. Schon fühlt man sich an die Jahre 1789, 1848, 1968 oder 1989 erinnert. Wenn man den Berichten vieler Medien trauen darf, findet derzeit – neuerlich – eine notwendige und legitime Erhebung vieler Völker zur Rettung der Demokratie statt. Jedoch: Man darf ihnen nicht trauen.

Denn Medien lieben prinzipiell einmal Unruhe, Erregung, Aufruhr – sie tun dies schon aus medialer Lust an Action und Konfrontation. Das vergrößert, so hoffen sie, Interesse, Auflage und Einschaltquoten. Zusätzlich liebt die massive Mehrheit der Journalisten aber auch aus ideologischen Gründen alles, was irgendwie einer linken Revolution ähnelt. Vor allem jüngere Journalisten agieren nach der Grundstimmung: Es muss anders werden, es muss was Neues her. Egal was. Hauptsache links.

Die Durchschnittsbürger lieben hingegen, sobald sie der Pubertät entwachsen sind, Unruhe, Erregung, Aufruhr mehrheitlich gar nicht. Selbst wenn sie am Anfang Sympathien für die Massenaktionen entwickelt haben sollten, schlägt das Pendel nach den ersten Exzessen bald in die Gegenrichtung aus. Sie spüren - und auch die historische Erfahrung lehrt sie: Am Schluss gehen Unruhe, Erregung, Aufruhr immer auf ihrem Rücken aus. Lediglich in Frankreich wird "die" Revolution – nämlich jene von 1789 – bis heute von einem ganzen Volk sehr emotional idolisiert, sodass die Herzen der Franzosen gleich immer höher schlagen, wenn auf den Champs-Élysées Tränengas-Schwaden ziehen.

In Österreich sind die einstigen Revolutionen heute offenbar wenig beliebt. Selbst jene von 1848, die den Bürgern – wenn auch mit fast zwanzigjähriger Vorlaufzeit – die bis heute geltenden liberalen Grund- und Freiheitsrechte gebracht hatte, erfreut sich keines sonderlich hohen Ansehens – offenbar, weil es eine zu sehr bürgerlich-liberale und kaum eine sozialistische Revolution gewesen ist.

Persönlicher Einschub: Für mich ist diese Märzrevolution des Jahres 1848 eng mit meinem beruflichen Lebenslauf verbunden. 1973 bin ich  in einer großen Nachwuchs-Aktion nach einem strengen Auslesewettbewerb mit etlichen anderen Kollegen in die Redaktion der Zeitung "Die Presse" aufgenommen worden; dieser Wettbewerb fand ebenso zum 125. Jahrestag jener Revolution und der in engem Zusammenhang mit ihr erfolgten Gründung der "Presse" statt, wie es damals auch noch einen großen Festakt im Theater in der Josefstadt und Sonderausgaben der Zeitung gegeben hat. 1998 durfte ich dann als Chefredakteur den 150. Jahrestag der Gründung mit vielen Aktionen selbst begehen (mehrere aufwendige Bücher, eine große Sonderausstellung im Historischen Museum und ein Festakt im Belvedere in Anwesenheit fast der ganzen Republik und sogar ein Bundesheer-Aufmarsch samt eigenem "Presse"-Marsch).

Im heurigen März jedoch, wo sich diese Revolution zum 175. Mal jährt, bin ich noch auf keine einzige Gedenkaktion gestoßen. Solche gibt es offenbar nur in Deutschland. In Österreich, wo man sonst so jubiläumssüchtig ist, wird das Datum hingegen ignoriert. Weder jene Zeitung, noch die Stadt, noch das Land tun etwas, obwohl für sie alle das Jahr 1848 ganz wichtig gewesen ist, noch rührt sich eine der zahllosen und sich gerne so wichtig machenden Institutionen, die ständig das Wort "Menschenrechte!" im Mund führen, zu denen die damals erkämpften "Grundrechte" inzwischen umgewandelt und reduziert worden sind.

Offenbar hängt das heutige Desinteresse an 1848 auch damit zusammen, dass damals Grund- und Freiheitsrechte für alle Bürger verlangt worden waren, während es bei den heutigen Menschenrechten, die für alle Welt gelten sollen, in Realität fast nur noch um jene der moslemischen und afrikanischen Immigranten und der deutschen Gewalttäter zu gehen scheint, die in Wien gerade eine internationale Konferenz zu verhindern suchen. Wer will da noch daran erinnert werden, dass der Liberalismus einst etwas ganz anderes bedeutet hatte als das, was jene im Schild führen, die sich heute als liberal bezeichnen? Wer will da noch der Bürgerrechte, der Freiheitsrechte gedenken?

Wie sind nun vor diesem Hintergrund die gegenwärtigen Unruhen und Proteste zu beurteilen, die von so vielen Menschen sehr skeptisch gesehen werden? Ein rein formal- und positiv-juristischer Maßstab ist da wohl nicht ausreichend. Denn rechtswidrig sind sie im Grund alle. Die damaligen wie die heutigen Unruhen.

Letztlich kann der einzige Maßstab für eine ethisch saubere Beurteilung solcher Aktionen, die ja fast immer schwere Sach- und sehr oft auch leibliche Schäden nach sich ziehen, immer nur in folgenden Fragen bestehen: Hätte es gelindere, hätte es demokratische Alternativen gegeben? Wird mit Blockaden und Stürmen von Gebäuden etwa gar das durchzusetzen versucht, wofür demokratisch an der Wahlurne keine Mehrheit gefunden worden ist?

Wendet man diesen Lackmus-Test an, dann wird sehr rasch klar: 1789 oder 1848 oder 1989 in Osteuropa hat es keinen demokratischen Weg gegeben, mit denen das damals jeweils gleichzeitig in mehreren Ländern auflodernde und auf mehr Freiheit gerichtete Verlangen der Bürger durchsetzbar gewesen wäre. Daher waren die Aktionen der Bürger in jenen Jahren eindeutig moralisch legitim, auch wenn sie nach den damaligen Gesetzen nicht legal waren. Heute hingegen sind zumindest Israel und Frankreich, wo die Unruhen zur Stunde am heftigsten auflodern, eindeutige Demokratien, wo die Straße gegen Beschlüsse demokratisch gewählter Parlamente aufbegehrt.

Und daher sind in diesen Ländern gewaltsame Aktionen zum Druckausüben auf demokratische Parlamente moralisch inakzeptabel. Das muss für als links geltende Straßenaktionen genauso gelten wie für rechte, wie zum Beispiel in den USA der Sturm auf das Kapitol vor etwas mehr als zwei Jahren eine gewesen ist.

Von Frankreich bis Israel kann zur Verteidigung der revolutionsartigen Umtriebe auch nicht die Behauptung aufgestellt werden, dass eine (etwa ethnische oder religiöse) Minderheit von der Mehrheit in ihren Grundrechten beschnitten würde. Es geht dort überall nur um politische und legislative Intentionen der demonstrierenden Gruppe, die sie der demokratischen Mehrheit aufzwingen will. Diese Ziele durch illegale und gewaltaffine Aktionen zu verfolgen, sollte aber in demokratischen Rechtsstaaten generell als inakzeptabel angesehen werden. Denn dort gibt es Wahlen zur Verfolgung solcher Ziele.

Eine Katastrophe bedeutet ein Sieg der Straße in Demokratien vor allem wegen der mit hoher Wahrscheinlichkeit drohenden  katastrophalen Folgewirkungen. In Israel hat die Straße in den letzten Stunden – weitgehend – gesiegt, die Regierung hat einen Rückzieher gemacht. Zahllose andere Gruppen in aller Welt werden darin jetzt eine Ermutigung sehen, auch für ihre Anliegen und Wünsche den undemokratischen Weg der Straße und der Gewalt zu gehen, statt um Überzeugung und demokratische Mehrheiten zu ringen. Weit über die Grenzen Frankreichs und Israels hinaus.

Völlig inakzeptabel ist aber auch, wenn eine Minderheit behauptet, ihre Ansichten hätten eine höhere Qualität als die der Mehrheit und dürfen daher mit Gewalt durchgesetzt werden. Etwa weil die Minderheit den Planeten retten will, weil sie die wahre Religion durchsetzen will, weil ihre Meinungen "wissenschaftlich" seien. Letzteres erinnert an Bruno Kreiskys groteske Weltsicht, der regelmäßig die Überlegenheit des marxistischen Sozialismus behauptet hatte, weil dieser "wissenschaftlich" sei. So, wie halt heute die Klimakleber behaupten, "die" Wissenschaft stünde hinter ihnen, oder wie einst die Nazis die Herrschaftsansprüche der "germanischen Rasse" als "wissenschaftlich" begründet dargestellt haben.

Was aber ist, wenn sich eine parlamentarische Mehrheit vom Willen der Mehrheit des Volkes abwendet, irreparablen Schaden anrichtet oder gar die Demokratie abschafft? Das ist der einzige Fall, der moralisch eine Rechtfertigung für rechtswidrige Gegenaktionen darstellt. Die Anwendung dieser Ausnahmeregel vom Gewaltverbot verlangt aber eine sehr gute und restriktive Begründung, warum irgendein Beschluss "irreparabel" sei. Das ist jedenfalls bei den aktuellen Unruhen ganz eindeutig weder in Frankreich noch Israel bei jenen Materien der Fall, wegen derer vor allem Linksparteien die Millionen auf die Straße treiben.

Dabei könnte beispielsweise die Justizreform in Israel ja schon bei der nächsten Wahl wieder umgedreht werden. Und auch jede Erhöhung des Pensionsantrittsalters in Frankreich kann bei der nächsten Wahl wieder rückgängig gemacht werden. Da ist nirgendwo irreversibler Schaden zu erkennen, der drohen würde und umgehend abgestellt werden müsste.

In Israel geht es dabei auch um etwas, was wir in Österreich wie in Europa immer öfter sehen müssen: Es geht darum, dass dort eine Kaste der obersten Richter immer mehr, wenn auch "nur" Schritt um Schritt, die gesetzgebende Macht an sich gerissen hat und immer weiter reißt. Bei einer rechtlichen Eindämmung der richterlichen Allmacht auf demokratischem Weg geht es also in Wahrheit eindeutig um ein Vorhaben zur Erhöhung der demokratischen Qualität eines Landes, und nicht, wie von der Linken und manchen Journalisten gerne behauptet, um einen Abbau der Demokratie.

Das ist in Israel umso mehr der Fall, als es dort zwar viele Gesetze, aber gar keine Verfassung im europäischen oder amerikanischen Sinn gibt. Stattdessen haben sich in Israel die Richter selbst freihändig aus dieser Fülle jene Gesetze herausgeholt, die sie als Quasi-Verfassung sehen wollen.

Aber jeder Versuch von Richtern, sich nicht nur auf die Beurteilung von Einzelfällen und Prüfung, ob das Gesetz auf sie anzuwenden ist, zu beschränken, sondern selbst zu Gesetzesmachern zu werden, ist in Wahrheit ein massiver Angriff auf die Demokratie und die bürgerlichen Freiheiten (auch wenn man die subjektive Lust mancher Höchstrichter an der persönlichen Machterweiterung psychologisch gut nachvollziehen kann). Dies auch deshalb, weil Richter ja nicht wie Abgeordnete bei der nächsten Wahl abgewählt werden können – obwohl das in Europa immer mehr Bürger gerne täten, die über die Öffnung der Tore Europas durch die Höchstrichter für Millionen Immigranten empört sind.

Besonders unglaubwürdig sind jene Parteien und "Menschenrechts"-Organisationen, die die Randalmacher auf den Straßen unterstützen, die aber zugleich immer die direkte Demokratie ablehnen. Denn die direkte Demokratie wäre die beste, ja einzige Methode für die Bürger, um Abgeordnete zu überstimmen, die sich vom Willen der Bürger-Mehrheit abgewendet haben.

Das ist aber bei all den Unruhen nie Thema – ganz offensichtlich, weil hinter den quasirevolutionären Umtrieben ja gar keine Mehrheit steht. Das hat etwa jetzt der in Berlin möglich gewordene "Volksentscheid" der Bürger gezeigt, die sich nicht einmal zu einem Viertel für eine Verschärfung sogenannter Klimaziele eingesetzt haben. Drei Viertel der Berliner fangen damit nichts an. Obwohl Berlin heute eine der linkesten Hauptstädte Europas ist. Obwohl sich in Österreich und anderswo viele Bürger fast täglich durch irgendwelche Aktionen der Klebeterroristen quälen lassen müssen. Obwohl die Strafjustiz in Österreich und einigen anderen Ländern absolut nichts unternimmt, um die Freiheit der Bürger gegen die grünen Geiselnehmer zu schützen.

Dabei ist diese Untätigkeit der Justiz geradezu als Anstiftung dazu zu werten, undemokratische Wege, Wege der Gewalt, Wege am Rechtsstaat vorbei zu ergreifen.

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