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Regierenden, Politikern, Beamten erscheint immer wieder das Durchsetzen von Entscheidungen viel zu mühsam, viel zu kompliziert, insbesondere wenn eine Krise ausbricht. Aus diesem Frust ist der Entwurf für ein neues "Bundes-Krisensicherheitsgesetz" entstanden. Das Ergebnis ist aber nicht, dass Österreich künftig besser auf die wirklichen Krisen reagieren kann. Das Ergebnis erinnert vielmehr beklemmend an einst ebenfalls für kritische Situationen geschaffene "Ermächtigungsgesetze", die beim vermeintlichen Ziel versagen, mit großen Herausforderungen gut umzugehen, die aber zur Aushebelung von Demokratie und Rechtsstaat genutzt werden.
Wie bei all solchen Gesetzen ist die allerwichtigste Frage jene, die von klugen Köpfen überhaupt als die Kernfrage der Demokratie bezeichnet wird: Wer bestimmt überhaupt, wann der Notstand, der Ausnahmezustand, die Krise gegeben ist, und wann die rechtlichen Folgen in Kraft treten? Nicht zu Unrecht gilt jener Mensch, jene Institution als der eigentliche Souverän, der diese Kompetenz hat.
Solange das nicht als erstes extrem sauber, restriktiv, demokratisch und ständig (durch Parlament wie auch Verfassungsgericht) überprüfbar geregelt ist, ist es ein untragbarer Skandal, an so ein Gesetz auch nur zu denken. Denn da auch nur die kleinste Ungenauigkeit zuzulassen kann wirklich demokratiegefährdend sein. Denn die Regierung alleine kann es nicht sein, die plötzlich eine Krise mit einem ganz neuen rechtlichen Rahmen ausrufen darf.
Natürlich hätten es die politischen Akteure gerne oft einfacher. Mühsame Begutachtungen, Lesungen, Debatten, Proteste, Expertenmeinungen, Medien-Querschüsse, Kompetenzkonflikte, Föderalismusstreitigkeiten oder Gerichts-Einmischungen sind oft frustrierend. Nur sind sie halt Teil des Wesens von Demokratie und Rechtsstaat.
Demokratie und Rechtsstaat sind ja nicht für die Mächtigen da, die diese Säulen insgeheim oft sogar gerne aus dem Weg hätten, sondern für die Bürger, die in den Checks and balances, in der Verfassungsordnung einen Schutz gegen Machtmissbrauch erhoffen. Und vor allem sollten sie letztlich bessere Regeln produzieren als jedes noch so gut gemeinte Schnellverfahren – was freilich nicht bedeuten darf, dass notwendige Regelungen auf der langen Bank verrecken dürfen.
Die Regierung macht es sich auch oft selbst zu kompliziert. Man denke etwa an die Corona-Krise. Politisch war man zwar ganz geschickt aufgestellt. Siehe das sogenannte Corona-Quartett. In der Kommunikation hat man sich hingegen vor allem lächerlich gemacht und die Bürger verärgert. Zum Glück haben die meisten die vielen grotesken, peinlichen Plakate und Inserate inzwischen schon wieder vergessen, die eine ernsthafte Krankheitswelle zum Karneval gemacht haben.
Die größte Schwachstelle lag aber im Juristischen: Die Regierung war legistisch, also beim Formulieren von Verordnungen und Regeln, grottenschlecht aufgestellt. Immer wieder waren die Verordnungen widersprüchlich, unklar und bisweilen auch verfassungswidrig. Viel zu oft mussten sie geändert werden, noch bevor sich die Menschen an irgendwelche Verbotsregeln gewöhnen konnten. An solchen Schwächen kann aber ein Krisensicherheitsgesetz gar nichts ändern. Ein neuer Super-Lageraum tief im Keller ist sicher nett und eindrucksvoll, aber nicht das Entscheidende, keine Hilfe gegen die echten Problemzonen der Republik.
Bei Corona traten freilich auch Konfliktlinien auf, die unvermeidbar sind: Das waren die oft total widerstreitenden Interessen, Bedürfnisse und Notwendigkeiten. Die Hauptkampflinie sah auf der einen Seite den verständlichen Wunsch der Virologen: Sie wollten den Kontakt zwischen den Menschen möglichst gegen Null reduzieren. Auf der anderen Seite standen aber die genauso wichtigen urmenschlichen Bedürfnisse nach Kontakt zu anderen ihrer Art, die über die Kleinfamilie hinausgehen:
Das sind alles einfach für uns Menschen wichtige Dinge, die aber zugleich schädlich sind, wenn man das Überspringen von Viren vermeiden will. Die Corona-Praxis hat meist nur das zweite Ziel gekannt. Die zwischenmenschlichen Notwendigkeiten werden von Virologen oft nicht begriffen oder als unwichtiger Überbau abgetan.
Es mag zwar für Politiker und Juristen verlockend sein, zu versprechen, es das "nächste Mal" besser und konfliktfreier machen zu wollen. Aber das geht nicht. Wird doch jede Krise anders sein. Jedes Mal sind ganz andere Notwendigkeiten zu koordinieren.
Daher muss auch auf jede Krise anders reagiert werden. Es muss immer wieder um einen raschen und souverän wirkenden Kompromiss zwischen den ganz unterschiedlichen Bedürfnissen, im Fall einer Pandemie zwischen den medizinischen, den menschlichen, den sozialen, den wirtschaftlichen "Musts" gerungen werden. Das ist zwar immer wieder versucht worden, aber in Summe oft nicht gut geglückt. Allzu oft wurden die Richtungen gewechselt, wurden wichtige Aspekte einer menschlichen Gesellschaft übersehen.
Das tritt im Rückblick auch auf den Komplexkreis "Impfungen und Impfpflicht" zu, wo heute am häufigsten von Fehlern die Rede ist. In Wahrheit gab es in diesem Bereich nur einen, freilich zentralen Fehler: Die Entscheidungsträger haben nämlich viel zu spät begriffen, dass die Corona-Impfungen (leider) nicht so wirksam sind wie andere Impfungen: Sie haben zwar vor schweren Krankheitsverläufen geschützt, aber nicht wie sonstige Impfungen davor, sich mit dem Virus zu infizieren und dadurch für Dritte ansteckend zu werden.
Das rückt die Corona-Impfungen, so empfehlenswert sie auch waren und sind, in eine ganz andere Qualitätsklasse. Bei einer Impfung dieser reduzierten Qualität ist es ethisch und juristisch falsch, wenn die Regierung Druck ausübt, dass sich Menschen impfen lassen. So sehr die Pflicht zu Impfungen bei schweren Krankheiten durchaus vertretbar und oft notwendig ist, sofern diese Impfungen eben überhaupt verhindern, dass man ansteckend wird, so sehr muss man eingestehen, dass bei Impfungen der Corona-Art eine echte Pflicht ethisch nicht vertretbar ist. Die Freiheit der Bürger darf in solchen Fällen nicht beeinträchtigt werden, wo gar kein echter Ansteckungsschutz für Dritte hergestellt werden kann. Und nur deren Schutz kann ethisch begründen, dass es zur Pflicht wird, sich impfen zu lassen.
Diese Fehler der Regierung sollte man bei der versprochenen Aufarbeitung und auch bei der Vorbereitung auf eventuelle neue Pandemie-Krisen offen zugeben. Zwar hat das Argument des Verfassungsgerichshofs durchaus Gewicht, dass man die Spitäler vor Überlastung schützen muss. Nur: Überlastungen drohen in allen möglichen Situationen. Sie als Begründung für Zwangsmaßnahmen zu akzeptieren, gibt Regierenden gefährlich freie Hand für allzu Vieles.
Genauso offen sollten aber auch all jene Selbstkritik üben, die aus der Katastrophe einer Pandemie mit üblen Methoden Konflikte zu rein parteipolitischen Zwecken zu machen versucht haben. Dabei ragen der Wiener SPÖ-Gesundheitsstadtrat Hacker und FPÖ-Chef Kickl heraus. Beide sind – wenn auch mit ganz unterschiedlichen Strategien – in jede Phase der Krise nur mit einer einzigen Motivation hineingegangen: Wie kann ich sie parteipolitisch möglichst effizient nutzen?
Hacker wollte und will ganz offensichtlich schon aus Prinzip und zur Selbstdarstellung immer das Gegenteil von dem, was der Bund beschlossen hat. In Wahrheit ist aber keine seiner Regeln besser als die vom Bund erlassenen Regeln oder gar der Stein des Weisen gewesen. Statt dessen haben sie für enorme Verwirrung gesorgt und durch die Uneinheitlichkeit die Menschen schwer verunsichert. Sie haben den Corona-Maßnahmen die Glaubwürdigkeit genommen. Der Gipfelpunkt war die skurrile Pflicht, in ÖBB-Zügen bei Erreichung der Wiener Landesgrenzen eine Maske aufzusetzen.
Noch weniger Krisensicherheit hat Kickl bewiesen. Buchstäblich jeder Versuch der Pandemie-Bekämpfung ist von ihm aggressiv bekämpft worden, oft unter Einsatz wüster Verschwörungstheorien. Das war etwa die Behauptung der Ungefährlichkeit einer Krankheit, die eindeutig die Intensivstationen gefüllt und die Sterbestatistiken hochgepeitscht hat. Das war die Propaganda für skurrile Geheim-Medikationen. Das waren Behauptungen über die angebliche Schädlichkeit von Impfungen (übrigens ist die in der politmedialen Szene populäre Theorie falsch, dass Kickls Corona-Populismus parteipolitisch nützlich gewesen wäre: Denn der wirkliche Wiederaufstieg der FPÖ begann eindeutig erst, als Corona nur noch Randthema war, als andere Themen in den Vordergrund traten).
So sehr wir derzeit beim Stichwort "Krisensicherheit" noch an Corona denken, so klar ist, dass die Notwendigkeiten einer Krisenvorsorge da auch auf viele andere Fälle zutreffen. Man denke etwa an Naturkatastrophen, Überschwemmungen, Umweltvergiftungen oder große Zug- oder Flugzeugunfälle, wo wirklich alles binnen einer Stunde laufen muss. Das muss ständig geprobt, gelernt und angepasst werden. Zwischen Regierung, Ländern, Parteienvertretern, Journalrichtern, Exekutive, Bundesheer, Blaulichtorganisationen, Spitälern, Telekoms, Berg- und Lawinenrettern, ÖAMTC, ÖBB und auch Medien (was längst nicht mehr nur den Minderheitensender ORF bedeuten kann). Um nur die wichtigsten zu nennen.
Wieweit das gelingt, kann nie aus einem Gesetz abgeleitet werden, sondern immer nur daraus, wie es dann im Ernstfall funktioniert. Gibt es etwa schon gezielte Möglichkeiten, allen Handys in einem bestimmten Gebiet oder ganz Österreich blitzschnell SMS-Warnungen zukommen zu lassen? Um nur einen Aspekt der Krisenvorsorge von vielen anzusprechen.
Andererseits kann man durchaus sagen, dass die Zusammenarbeit und Reaktion hierzulande bei Katastrophen und Krisen eigentlich meist ganz gut funktioniert hat. Mit schlimmen Patzern: Etwa beim Russen-Einmarsch in der Tschechoslowakei war der damalige Bundeskanzler nicht erreichbar, weil es in seinem Wochenendhäuschen kein Telefon gegeben hat. Aber das war halt die Vor-Handy-Steinzeit.
Jenseits all dieser wichtigen Details muss bei einem Krisen-Vorbereitungsgesetz vor allem eines zentral sein: die Gewissheit, dass da nicht die kleinste Möglichkeit drinnen zu finden ist, die Demokratie durch die Hintertür auszuhebeln. Es muss zwar alles blitzschnell gehen können. Aber es dürfen keine Tricks möglich sein. Es dürfen keine Möglichkeiten der Zensur geschaffen werden, an die bei Corona – leider – in Österreich mehrfach intensiv gedacht worden ist, etwa auch durch einen Innenminister Nehammer.
Wenn geklagt wird: "Aber es dauert immer alles so lang", dann ist dem entgegenzuhalten: Normalerweise ist das absolut gut, das macht Entscheidungen besser. Und dort, wo die Entscheidungen schief gegangen sind, dort war selten das Tempo oder der rechtliche Rahmen das Problem, sondern fehlende Führungsqualität, fehlende Sachkompetenz. Aber die kann man nicht per Gesetz schaffen.
Andererseits sollte man auch daran erinnern: Wir haben schon Krisen gehabt, wo eindeutig zu schnell entschieden worden ist. Man erinnere sich etwa an den Fall Ibiza, als eine kriminelle und politisch gesteuerte Abhörbande H.C. Strache beim alkoholschweren Plaudern über die Möglichkeit unsauberer und korrupter Geschäfte erwischt hat. Im Schock darüber hat der damalige Bundeskanzler Sebastian Kurz nicht nur – zu Recht – auf den Rücktritt von Vizekanzler Strache bestanden, sondern durch die blitzschnell nachgeschobene Rücktrittsforderung gegen den nicht beteiligten Innenminister Kickl die gesamte Koalition gesprengt. Was eine im Grund jahrelange Krise für Regierung und auch seine eigene Partei ausgelöst hat. Hauptschuldiger an der überschießenden und überschnellen Reaktion war aber zweifellos Bundespräsident Van der Bellen, der, statt sich für eine beruhigende Stabilisierung der Regierung und damit des Landes einzusetzen, opportunistisch die Chance ergriffen hat, endlich einmal selbst relevant zu werden und – verfassungsrechtlich eigentlich bedenklich – die ungeliebte Koalition loszuwerden.
Kehren wir zur Frage zurück, die für ein Krisensicherheitsgesetz fundamental ist: Was ist eine Krise? Ibiza, Corona, ein Hochwasser? Bei manchen hat man Zeit, bei anderen muss man binnen Stunden handeln.
Und vor allem sollte man sich klar werden: Eigentlich ist in der Politik dauernd Krise. Jede Woche tauchen neue, schwierige, ganz anders geartete Herausforderungen auf. Und auf keine passt ein schon vorgefertigter Maßanzug eines "Krisensicherheitsgesetzes".
Die allerhärtesten Herausforderungen für die Politik liegen meist gar nicht in plötzlichen Schocks wie Zugszusammenstößen oder Großlawinen; da sind die Rettungsketten eigentlich hierzulande sehr gut eingespielt. Die wirklich großen Krisen liegen hingegen schon seit Jahren auf den Tischen der Politik. Sie stehen in jeder To-Do-Liste ganz oben. Und sind doch nie gelöst worden. Das sind vor allem die folgenden fünf Zentralkrisen der Republik:
Wir sehen: Die allerwichtigsten und größten Krisen landen in Österreich immer auf der langen Bank. Und keine einzige wird durch ein neues Krisensicherheitsgesetz gelöst.
Wir sehen: Selbst Schnelligkeit ist nicht immer die richtige Reaktion auf Krisen. Wenn falsch gehandelt wird, wenn dabei nicht die langfristigen Interessen der Republik und ihrer Menschen im Zentrum stehen, ist sie sogar ganz falsch.
Wir sehen: Man kann und soll sich technisch gut auf Krisen vorbereiten, man kann etliches üben und trainieren. Aber in der entscheidenden Stunde wird sich immer das wirklich Wichtige zeigen, was die Österreicher von ihrer Regierung eigentlich brauchen: