Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Von der Buhfrau zu (fast) jedermanns Darling

Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern – von Deutschland bis Großbritannien – leidet in Italien die neuangetretene Regierung keineswegs an einem raschen Absacken der öffentlichen Unterstützung. Nach bald 110 Tagen an Italiens Regierungsspitze steht Giorgia Meloni erstaunlich gut da. Dies mag damit zusammenhängen, dass ihr anfangs alles andere als Vorschusslorbeeren zuteil wurden, dass sie als "Postfaschistin" für viele die totale Buhfrau gewesen ist. Ihr bisheriger Erfolg hängt aber sicher auch mit der streitfreien Leistung ihrer Rechtsregierung zusammen.

Die diskussionsfreudigen Italiener debattieren derzeit daher vor allem eine psychologische Frage: Wie ist es der aus einfachen Verhältnissen an die Spitze Italiens aufgestiegenen Frau gelungen, die beiden Alphamänner Silvio Berlusconi und Matteo Salvini als Koalitionspartner so gut in Schach zu halten, obwohl sich beide eigentlich selbst für berufene Führertypen halten? Ist es weibliche Geschicklichkeit? Oder neutralisieren sich Berlusconi und Salvini gegenseitig? Oder haben die beiden routinierten Männer einfach begriffen, dass interner Streit sehr bald der Rechtsregierung das gleiche Schicksal wie vielen ihrer Vorgänger bereiten würde?

Tatsache ist jedenfalls, dass Meloni nicht nur bloße Moderatorin zwischen zwei Politgiganten ist, sondern dass sie wirklich das Land führt. Etwa in jener Frage, die zweifellos die europäische Politik derzeit am meisten bewegt: der Ukraine-Krieg.

Da hat Meloni Italien mit souveräner Klarheit auf einen sehr proukrainischen Kurs gesetzt. Sie fährt selbst nach Kiew. Italien liefert dem angegriffenen Land zusammen mit Frankreich moderne Raketenabwehrsysteme. In allen Gremien tritt Italien als entschlossener Unterstützer der Ukraine auf. Dabei sind ihre Koalitionspartner Salvini und Berlusconi eigentlich gute Freunde von Wladimir Putin – zumindest gewesen. Dabei sind jene ausländischen Parteien, die anfangs oft mit Meloni in einen Topf geworfen wurden, also die "Alternative für Deutschland" und die "Freiheitliche Partei Österreichs", zumindest in wichtigen Teilen russlandfreundlich. Sie ist hingegen klar proamerikanisch.

Im Grund sind Melonis "Fratelli d’Italia" heute die erfolgreichste Mitte-Rechts-Partei Europas. Dabei reichen die Wurzeln der Partei sehr weit nach rechts. Unter früheren Chefs wurde der einstige faschistische Diktator Mussolini hochgehalten, über den auch Meloni nie etwas Böses sagt. Deshalb ist die Partei lange von der Macht ferngehalten worden. Die früher rasch wechselnden Regierungskoalitionen hatten zwar keine Scheu auch vor sehr linken Parteien. Aber die Fratelli-Vorläufer waren ewige Opposition.

Genau das dürfte entscheidend für ihren Wahlsieg gewesen sein. Die Italiener waren des ewigen Streits, der ewigen Regierungskrisen müde. Meloni war das wirklich "Andere". Das erklärt die Pointe der Geschichte, dass in einem Land voll männlichem Imponiergehabe eine zarte Frau mit der Beruhigung beauftragt worden ist.

Sie hat vorerst bei Umsetzung dieses Auftrags jedenfalls ziemlich viel richtig gemacht:

  1. Sie hat im katholischen Italien sofort den Papst besucht und bei ihm so freundliche Reaktionen ausgelöst, wie sie von einem recht weit links stehenden Papst für eine von recht weit rechts kommende Politikerin nicht erwartbar gewesen wären. Inzwischen wirken die Fratelli schon fast als die direkten Erben der einst lange regierenden und dann im Korruptionssumpf ertrunkenen Christdemokraten.
  2. Meloni hat auch ein klares Bekenntnis zur EU abgelegt. Das tut sie vielleicht aus eigener Überzeugung, aber jedenfalls auch im Wissen, dass für Italien angesichts seiner seit langem angehäuften Schulden die Finanzhilfe aus der EU lebenswichtig ist.
  3. Meloni kann auf europäischer Ebene intensiv an die Wahlen gewinnenden Rechtsregierungen von Ungarn bis Stockholm anknüpfen. Gleichzeitig ist bei den Christdemokraten in der Europäischen Volkspartei EVP ein heftiger, noch unentschiedener Kampf entbrannt, ob Meloni nicht eigentlich zu ihnen gehört.
  4. Sie zeigt auch innenpolitisch Tatkraft: Obwohl ihre Partei traditionell immer zentralistisch geprägt war, hat sie eine Verstärkung der Autonomie der Regionen in die Wege geleitet. Dies ist zwar primär ein Geschenk an Salvini (dessen Partei einst sogar die Sezession Oberitaliens verlangt hatte). Sie hat daraus aber geschickt ihr eigenes Thema gemacht.
  5. Ein auffällig gutes Gesprächsklima hat Meloni zur Führung der Südtiroler aufgebaut, die ja die größte Minderheit in Italien sind. Südtirol war 1918 als Kriegsbeute an Italien gefallen und hatte unter Mussolini heftige Verfolgung erlitten. Umso überraschender, dass es jetzt für eine "Postfaschistin" viele nette Worte aus Bozen gibt.
  6. Für Italien besonders ungewohnt ist die Tatsache, dass das Land in Sachen Wachstum neuerdings im Spitzenfeld Europas liegt, während andere Länder damit rechnen müssen, in eine Rezession abzurutschen.
  7. Zwar haben die Rechtsparteien im Wahlkampf etliche teure Versprechungen gemacht, von einer Erhöhung der Pensionen bis zu diversen Steuersenkungen. Aber hier bremst Meloni ganz auffällig. Nichts, was wirklich Geld kostet, ist in der politischen Pipeline. Sie will ganz offensichtlich keinesfalls durch solche Maßnahmen die milliardenschweren Finanzierungen aus dem EU-Wiederaufbauplan gefährden.
  8. Sie hat besonders an Popularität gewonnen, weil sie – zumindest bisher – hart geblieben ist gegenüber der Kampfansage der italienischen Anarchisten, welche seit einigen Wochen mit heftigen Aktionen angenehmere Haftbedingungen für einen im Hungerstreik befindlichen Gesinnungsgenossen zu erkämpfen versuchen. Diese für strenge Isolation sorgenden Haftbedingungen gelten aber auch für Mafiosi, weshalb die Forderung der linksextremistischen Anarchisten besonders wenig Unterstützung findet. Und die durch den Absturz in die Opposition ohnedies erschütterten Linksparteien tun sich durch die Unterstützung der Anarchisten-Forderungen keinen politischen Gefallen.
  9. Meloni hat auch das Glück des Tüchtigen: Sie war nur wenige Wochen im Amt, da gelang der italienischen Polizei die Festnahme des seit Jahrzehnten gesuchten Mafia-Bosses Matteo Messina Denaro.

Ihr politisches Schicksal wird sich aber in der für Italien besonders schwierigen Frage der Migration übers Mittelmeer entscheiden. Deren Reduktion oder Stopp war von allen drei Regierungsparteien versprochen worden. Andererseits will es sich Meloni keinesfalls mit der sehr migrationsfreundlichen deutschen Regierung verscherzen. Deshalb sind die Maßnahmen gegen die Migration vorerst schaumgebremst: So dürfen die Schlepper-Hilfsschiffe internationaler Hilfsorganisationen weiterhin in Italien anlegen – es werden ihnen aber Häfen weiter im Norden zugewiesen, sodass die Schiffe länger unterwegs sind und nicht so rasch neuen Migranten-Nachschub bringen können.

Die bisher bekannten Maßnahmen werden aber zu wenig sein, um den Unmut der Italiener über den Zustrom aus Afrika zu dämpfen. Wenn Meloni nicht mehr einfällt, wird wohl bald der liebe Regierungspartner Salvini auf den Tisch klopfen …

Dieser Text ist in ähnlicher Form in der Wochenzeitung "Epoch Times" veröffentlicht worden.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung