Zwölf Bücher mit persönlicher Empfehlung
07. Dezember 2022 00:49
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 6:30
Es ist schon Tradition: Das Tagebuch stellt ein- oder zweimal im Jahr eine ganz persönliche, ganz subjektive Liste von neuen oder nicht mehr ganz so neuen Büchern vor, die es meiner Meinung lohnt zu lesen. Leider gibt es immer seltener Werke aus dem Sektor Romane/Fiktion, die zumindest mir lesenswert erscheinen, sodass dieser Bereich diesmal ganz ausgespart geblieben ist. Dafür gibt es neben etlichen Sachbüchern aus ganz unterschiedlichen Ecken sehr spannende Werke, die sich brillant, ironisch bis zynisch mit dem woken Zeitgeist auseinandersetzen.
Die zwölf Bücher ergeben jedenfalls eine bunte Mischung:
- Schon vor fünf Jahren erschienen, aber immer noch vergnüglich lesbar ist Henryk M. Broder: "Das ist ja irre!" Broder ist einer der geschliffensten Autoren deutscher Zunge, der in seinem "deutschen Tagebuch" völlig unbekümmert um Political Correctness, aber mit viel sympathischer Ironie Fehlentwicklungen vor allem in Deutschland aufspießt, die einen immer öfter den Kopf schütteln lassen.
- Wissenschaft und christlicher Glaube werden oft durch polemische Darstellungen als Gegensatz erlebt. Giuseppe Rigosi, Ingenieur und Priester, zeigt an vielen Beispielen, wie falsch das ist: "Begeistert von der Wissenschaft, verliebt in Gott". Dabei wird seine Überzeugung deutlich sichtbar, dass das Buch der Natur und das Buch der Bibel vom gleichen Autor geschrieben worden sind, wie einst auch schon Galileo Galilei formuliert hat.
- Max Otte ist einer jener vielen Menschen, die im großen deutschen Niemandsland zwischen CDU und AfD verzweifeln. Er gründete in der CDU die "Werteunion", wurde von seiner Partei aber hinausgeworfen, weil er mit der AfD zu kooperieren bereit war, die ihn als Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt hat. In "Auf der Suche nach dem verlorenen Deutschland; Notizen aus einer anderen Zeit" geht er auch sehr auf seine persönliche Entwicklung und seine spannende Familiengeschichte ein. Sein Schicksal und seine Gedanken zeigen, dass wirkliche Wertkonservative heute sehr einsame Wesen sind.
- Mit absoluter Sicherheit hat keine real existierende Wirtschaftsform so vielen Menschen Wohlstand und Befreiung aus Hunger und Elend gebracht wie der Kapitalismus. Dennoch ist keine andere Form des menschlichen Zusammenwirkens so oft, so hart, so untergriffig und mit so vielen Verschwörungstheorien attackiert worden wie dieser. Daher ist der Kapitalismus etwa in Österreich so "beliebt" wie der Drogenhandel: Nur elf Prozent halten ihn für ein besonders effizientes Wirtschaftssystem. Rainer Zitelmann hat sich in "Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten – Zur Kritik der Kapitalismuskritik" daher sehr grundlegend mit den Attacken auf und den verbreiteten Irrtümern über den Kapitalismus auseinandergesetzt. Der Historiker weist alle Vorwürfe sehr verständlich und überzeugend zurück. Seine zentrale Erkenntnis: Die dem Kapitalismus innewohnende Ungleichheit zwischen den Menschen kann nichts Negatives sein, wenn es im Kapitalismus auch der relativ ärmsten Schicht besser geht als in sämtlichen Systemen der Gleichmacherei, wo es dann allen gleich schlecht geht.
- Der im Vorjahr verstorbene Roger Scruton befasst sich in "Narren, Schwindler, Unruhestifter – Linke Denker des 20. Jahrhunderts" mit einem ähnlichen Thema. Er analysiert vor allem, wie es dazu kommen konnte, dass die Linken heute die universitären Geisteswissenschaften dominieren. Der konservative Denker tut das auf eine vielfach amüsante Weise, die zeigt, wie himmelschreiender Unsinn über alle Fakten triumphieren kann, wenn er nur überzeugend vorgetragen wird. Er stellt dabei konkret die in den letzten Jahren besonders modisch gewordenen Autoren und "Intellektuellen" vor und zerlegt ihre Thesen.
- Ich bin ein großer Fan des britisch-australischen Historikers Christopher Clark. Sein "Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog" ist das wahrscheinlich bestgeschriebene Werk eines Historikers, das in den letzten Jahrzehnten erschienen ist, mit noch dazu für einen Österreicher besonders vielen interessanten Aspekten. Inzwischen hat er in "Gefangene der Zeit: Geschichte und Zeitlichkeit von Nebukadnezar bis Donald Trump" einen noch viel weiteren historischen Bogen gespannt, der in 13 verschiedenen Betrachtungen faszinierende Querverbindungen quer durch die Jahrhunderte und Jahrtausende aufspürt.
- Douglas Murray: "Krieg dem Westen" ist ein neuerliches Sensationswerk des ebenso kämpferischen und mutigen wie sachkundigen britischen Autors, der sich selbst als neokonservativen Zionisten bezeichnet. Vom Rassismus über den Feminismus bis zu den Rechten sexueller Minderheiten zeigt er, wie falsch der von vielen Medien und Wissenschaftlern ständig wiederholte Gemeinplatz ist, dass in diesen Bereichen die Dinge nie schlimmer gewesen seien als jetzt, als "an dem Punkt, an dem es nie besser war." Besonders scharf setzt er sich mit jenen auseinander, die den Krieg und die Vorwürfe an die westliche Welt zu ihrem Lebensinhalt gemacht haben, obwohl sie offensichtlich in dieser westlichen Welt gerne und gut leben. Er weist brillant nach, wie viel Hass und Häme in der Rassismus-Debatte steckt. Murray zeigt so viele Ungeheuerlichkeiten in den universitären Moden, dass er und die Leser sie nur mit Galgenhumor verkraften können.
- Ein ganz steil aufsteigender Stern am Himmel freiheitsorientierter amerikanischer Autoren ist der indienstämmige Unternehmer Vivek Vamaswamy, der eine brillante Karriere hinter sich hat. Auch in seinem (leider vorerst nur englischsprachigen) Buch "Woke, Inc.: Inside Corporate America's Social Justice Scam" kritisiert er, dass die Unternehmen viel zu "woke", also an den diversen Moden der Political correctness wie der "Diversität", dem Transkult oder an der Antirassismus-Hysterie interessiert seien, statt an Effizienz und unternehmerischem Erfolg. Entsprechende Briefe hat er im Namen seiner Investmentgesellschaft als Aktionärsvertreter unter anderem an Chevron, Apple und Disney geschrieben. Sein Credo: Politik habe im Business nichts zu suchen. Ein Anliegen, das auch in Österreich immer dringender wird – wenn man sich etwa die Werbekampagnen zweier großer Banken anschaut, die nur noch Kopfschütteln auslösen können, weil sie nicht mehr für die Bank, sondern nur noch für Diversität und Political Correctness werben. Vamaswamys Buch räumt aber nicht nur mit dem modischen Stakeholder-Getue auf, sondern kann auch Hoffnung auf eine vernünftigere Zukunft machen.
- Zurück nach Europa und zu Thomas Kaufmann: "Die Druckmacher. Wie die Generation Luther die erste Medienrevolution entfesselte." Der Kirchenhistoriker beschreibt, wie die neue Technologie nach wenigen Jahren eine gewaltige Kulturrevolution auslöste, die keineswegs nur in Ablassbriefen und der Reformation bestanden hat. Erstmals gab es ausreichende Instrumente für Propaganda, Hetze und Diffamierung, aber auch für den großen Aufbruch des Humanismus, dessen weltgeschichtliche Bedeutung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Aber auch die Naturwissenschaft erhielt durch die Medienrevolution eine ungeahnte Dynamik.
- Wer die Halbwelt der Geheimdienste im ewigen Zwielicht zwischen Wahrheit und Unwahrheit mag, ist mit Gert Polli: "Schattenwelten: Österreichs Geheimdienstchef erzählt" gut bedient. Zwar ist Polli schon seit langem nicht mehr Chef des Verfassungsschutzes, ist das aber immerhin sieben Jahre lang gewesen. Zwar stellt er – was ja auch rechtlich sonst ein Problem für ihn wäre – die von ihm geschilderten Geschichten immer nur als mögliche Vorgänge in der Wirklichkeit dar. Zwar hat er einen Hang zu vieldeutigen und letztlich verschwommen bleibenden Andeutungen. Aber jedenfalls hat noch nie ein Insider des österreichischen Verfassungsschutzes sich zu einem Buch aufgerafft. Und jedenfalls macht es die Fülle von Skandalen, in die die Politik in den letzten Jahren diesen Dienst gestoßen hat, wert, diesen relativen Einblick zu lesen.
- Im Grund will niemand mehr nach zwei Jahren bitteren Streits und übertriebener Verirrungen etwas von Corona wissen (auch ich nicht, obwohl ich gerade meine zweite Covid genannte Männergrippe durchmache …). Aber vielleicht hilft der reportagenartige Blick auf andere Pandemien der Geschichte, die Dinge etwas mehr aus der Distanz zu sehen. Dazu verhilft jedenfalls Daniele Angetter-Pfeiffer in "Pandemie sei Dank! Was Seuchen in Österreich bewegten". Wir lernen nach der Corona-Aufgeregtheit: Alles schon einmal dagewesen: Pandemien ebenso wie die diversen Maßnahmen als Versuche im oft schwierigen Kampf gegen sie. Nichts Neues war auch der Widerstand gegen Impfpflichten und "Lockdowns" – die man halt nur damals nicht so nannte.
- Last, not least das weit über die Medizin hinausgehende neue Buch von Johannes Huber: "Wunderwerk Frau". Der österreichische Mediziner und Theologe legt naturwissenschaftlich präzise klar, warum die Frauen das stärkere Geschlecht sind. Er zeigt, dass sie nicht nur länger leben, sondern auch mehr Gene und mehr Sexualhormone haben als Männer. Er beweist aber auch glasklar, dass es nur zwei Geschlechter gibt und geben kann. Letztlich ist sein Buch eine Apologie für die Evolution.
Bedauerlich genug: Aber zu Österreich selbst oder von heimischen Autoren habe ich außer den zuletzt genannten Spezialthemen diesmal nichts wirklich Zwingendes gefunden, das zumindest für mich lesenswert gewesen wäre. Weder zu Politik, noch Wirtschaft, noch Geschichte. Aber das mag ja an mir liegen …
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