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Es ist eine der häufigsten Stories vor Strafgerichten: Eine Buchhalterin greift in die Unternehmenskasse (was in vielen Konstellationen recht leicht möglich ist), beteuert aber, dass sie die feste Absicht gehabt hätte, das Geld später ohnedies wieder zurückzuzahlen. Diese Absicht ist natürlich nicht strafbefreiend, selbst wenn sie mit guten Aussichten auf Realisierung verbunden wäre, selbst wenn das Geld dann später wirklich zurückfließen sollte. Warum nur fallen mir immer sofort diese 08/15-Strafprozesse ein, die immer mit einer Verurteilung enden, wenn ich an Michael Ludwig und die Wien-Energie denke?
Der Wiener Bürgermeister hat im Sommer im Alleingang in zwei Tranchen 1,4 Milliarden Euro aus der Stadtkasse genommen, um den rathauseigenen Stromkonzern Wien-Energie in einer Krise zu stützen. Jetzt ist das Geld zurückgeflossen, und die Wiener SPÖ triumphiert: Gut ist‘s gangen, nix is gschehn.
Freilich kann die Partei nur deshalb triumphieren, weil auf die sogenannte Korruptionsstaatsanwaltschaft Verlass ist. Diese ist zwar bekannt dafür, dass sie fast jeden ÖVP- oder FPÖ-Politiker mit wilden Verschwörungstheorien verfolgt, dass sie reihenweise Handys abnimmt, um peinliche Inhalte an die Öffentlichkeit zu spielen, dass sie ihre Opfer oft jahrelang verfolgt und ihnen existenziell viel schwerer schadet, als es je ein Gerichtsurteil könnte (welches es aber bei WKStA-Verfahren am Ende ohnedies fast nie gibt). Gegenüber allen sozialistischen Machtzentren hat diese "Behörde" hingegen eine totale Beißhemmung und verwandelt sich dort blitzschnell immer von einem Tiger in einen Bettvorleger.
Zum Unterschied vom Wiener Bürgermeister kann die kleine Buchhalterin durch die spätere Rückzahlung – wenn etwa die reiche Erbtante wie erhofft tatsächlich stirbt oder der erhoffte Casinogewinn tatsächlich eintritt – keineswegs einer Verurteilung entgehen. Zumindest dann nicht, wenn der Griff in die Kasse schon vorher voll aufgeflogen ist.
Beim Wiener SPÖ-Bürgermeister wackelt die WKStA hingegen mit keinem Ohrwaschel. Es gibt keine Durchsuchungen, keine Handy-Abnahmen. Offenbar glaubt man den Wiener Genossen ihren Schmäh: Diese haben sich nämlich in die Wiener Stadtverfassung hineingeschrieben, dass der Bürgermeister das per Notkompetenz darf. Aber offenbar hat Herr Ludwig bei der Verschiebung dieses gewaltigen Betrags vergessen, dass die einstigen Genossen beim Schreiben dieser Stadtverfassung doch immerhin so anständig waren, dass sie strenge Bedingungen an die Notkompetenz des Bürgermeisters geknüpft haben. Der Bürgermeister darf diese nur dann ausüben, wenn er "unverzüglich" Gemeinderat und Stadtsenat darüber informiert.
Was hat man unter "unverzüglich" zu verstehen? Wenn nicht am gleichen Tag, so zumindest am nächsten oder in der nächsten Woche, werden die meisten der deutschen Sprache Kundigen antworten. Im Bürgermeister-Büro und bei den Genossen Staatsanwälten – die freilich auch selbst für ihre Akten acht Jahre und mehr brauchen – versteht man darunter jedoch offensichtlich auch zwei Monate.
Unfassbar. Noch dazu wurden diese Wochen überhaupt nicht genutzt, um sofortige Schadensmilderung einzuleiten, um der Wien-Energie wenigstens für die Zukunft Spekulationsgeschäfte zu untersagen, um ein sofortiges drastisches Sparprogramm für den Konzern einzuleiten. Aber das ging ja aus anderen Gründen nicht. Muss doch etwa der zuletzt chronisch erfolglose Fußballklub Rapid weiter von der Wien-Energie finanziert werden, wohl damit der Sprung von Genossen Wrabetz auf den dortigen Präsidentensessel abgesichert bleibt.
Erst lange, nachdem der Schaden öffentlich geworden ist und nachdem, soviel man hört, zahlreiche Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sind, ist der Betrag jetzt zurückgezahlt worden. Also viel zu spät, um eventuell noch als tätige Reue strafmindernd zu wirken. Ganz abgesehen davon, dass die Gemeindekasse und damit die Steuerzahler ein halbes Jahr lang das Risiko tragen mussten, dass die internationalen Strombörsen sich weiter negativ für die Wien-Energie entwickeln. Es war also eindeutig ein Glücksspiel auf das Risiko der Wiener Steuerzahler.
Doch die Staatsanwaltschaft hat bisher noch kein einziges Zeichen gesetzt, dass sie den Fall Ludwig/Wien-Energie ernst nehmen würde.
Was für ein Unterschied zu ihrem Kampf, mit dem sie nun schon jahrelang die Republik schwer schädigt, weil sie der Meinung ist, dass Sebastian Kurz als Außenminister den Finanzministeriums-Beamten Thomas Schmid angestiftet habe, Umfragen falsch abzurechnen. Mit diesen Umfragen hat sich Schmid zwar tatsächlich bei Kurz beliebt machen wollen, aber diese haben lediglich das ausgesagt, was zahllose andere Umfragen auch gezeigt haben, und was halb Österreich gewusst hat. Nämlich dass die ÖVP mit Kurz weit besser abschneiden würde als mit ihrem damaligen Chef Mitterlehner.
Dabei geht es bei der Causa Schmid lediglich um Beträge, die um vier bis fünf Kommastellen niedriger sind als der Megakredit an die Wien-Energie. Aber wenn man die richtige Parteifarbe hat …
Ganz Ähnliches hat der einstige WKStA-Prozess gegen den Ex-FPÖ-Politiker Peter Westenthaler gezeigt. Das, was Westenthaler getan hat, gleicht der Causa Ludwig/Wien-Energie noch viel mehr als die Causa Schmid/Kurz. Er hat als Bundesliga-Funktionär für diese eine völlig legale Subvention erhalten, und das Geld vorübergehend für einen anderen, ebenfalls völlig legalen Zweck ausgegeben, während der eigentliche Subventionszweck kurzfristig unbedeckt geblieben ist.
Ich habe noch keinen Juristen gefunden, der da einen rechtlich relevanten Unterschied zu Ludwigs Griff in die Gemeindekasse erkennen könnte. Außer in der Parteifarbe.
Noch ein anderer Vergleich zur Causa Schmid empört. Dieser soll einer Boulevardzeitung Inserate zugeschoben haben, damit sie in seinem Sinn berichtet. Was – in Kenntnis der Boulevard-Usancen – nicht ganz unwahrscheinlich ist. Um das zu beweisen, haben die Staatsanwälte auch das verfassungsrechtlich garantierte Redaktionsgeheimnis gebrochen.
Hingegen hat es die Genossen Staatsanwälte noch nie interessiert, dass das Imperium der Gemeinde Wien ein Vielfaches der Inserate aus Steuergeldern schaltet, die je über Schmid oder das Finanzministerium gelaufen sind. Mit genau dem gleichen Ziel: Man will sich die Medien gefügig machen. Allein das offizielle Rathaus gibt ja mehr für Inserate aus als alle anderen Bundesländer zusammen! Dabei besteht das Imperium des Bürgermeisters ja aus viel mehr als nur dem offiziellen Presse- und Informationsdienst, wo ebenfalls mit der gleichen Intention aus Betrieben der Gemeinde Wien gezielt Inserate laufen.
Hinter diesem großen Skandalberg verschwinden – fast – all die anderen Fehler, die die Gemeinde Wien in der Sachpolitik begeht. Dabei ist fast jeder einzelne dieser Fehler empörend. Nur ein paar Beobachtungen der letzten Tage:
Freilich: Keine Zeitung kann sich offenbar noch leisten, das alles scharf und kritisch zu kommentieren. Man kann höchstens rätseln, was dabei mehr wirksam ist: der Linksdrall in den meisten Redaktionen oder die Abhängigkeit von den Gemeinde-Inseraten, die bei kritischem Verhalten sofort reduziert werden.