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Die potentiellen Lehren aus dem Ukraine-Krieg sind zahlreich und wertvoll. Sie sollten auch in Österreich dringend diskutiert und analysiert werden – nicht nur von den sicher honorigen und gutmeinenden Offizieren des Bundesheeres. Und nicht nur durch den Neubau eines staatlichen Krisenzentrums. Denn österreichische Heeresverantwortliche stecken seit Jahrhunderten in der Tradition, sich immer auf vergangene Kriege, nie aber auf die drohenden nächsten Auseinandersetzungen vorzubereiten. Doch in der ganzen politischen Klasse scheint von der Verteidigungsministerin bis hin zur Opposition weit und breit niemand mehr zu tiefergehenden sicherheitspolitischen Analysen imstande – und schon gar nicht bereit, dann auch noch auf einer Umsetzung der wichtigsten Erkenntnisse aus den Vorfällen des heurigen Jahres zu beharren. Eine Analyse in elf Punkten.
Tatsache ist, dass 2022 (auch) für Österreich mehr Erkenntnisse über die sicherheitspolitischen Bedrohungen, aber auch Chancen gebracht hat als die letzten Jahrzehnte davor in Summe. Der Ukraine-Krieg und die von ihm ausgelösten Ereignisse - bis hin zu seltsamen Anschlägen auf Pipelines im Meer – hat gewirkt, wie wenn bei einem lange stabil dastehenden Turm aus Bauklötzen der unterste Stein herausgezogen worden wäre. Nachher schaut alles anders aus. Und nicht alles ist unerfreulich daran. Man müsste nur bereit sein, sich diesen Erkenntnissen auch zu stellen und bereit sein, so manches total umzudenken.
Spätestens seit dem zweiten Weltkrieg waren alle einig: In einem klassischen Krieg (zum Unterschied von Atom-, Guerilla- und Partisanen-Konflikten) gewinnt der, der mehr und bessere Panzer, Flugzeuge und Marineschiffe zum Einsatz bringen kann. Wenn das noch immer so wäre, dann hätte die Ukraine keine Chance gehabt und wäre binnen weniger Wochen überrollt worden.
Doch der Krieg ist völlig anders geworden: Mit relativ billigen Mitteln, mit Drohnen, mit dem Einsatz von ferngelenkten Kamikaze-Booten und mit den im Vergleich noch immer sehr erschwinglichen Raketen können gewaltige und hochtechnologische Stahlkolosse am Boden, auf See und in der Luft unschädlich gemacht werden. Im Februar hätte noch niemand geglaubt, dass die Ukraine die russischen Flugzeuge weitgehend vom Himmel vertreiben kann.
Auch Russland seinerseits hat nach einigen verlustreichen Monaten primär auf ferngelenkte Kampfgeschoße umsteigen müssen.
Diese Entwicklung eröffnet der Armee eines Kleinstaats mehr Chancen, als man sich jemals erträumen konnte. Die Tatsache, dass türkische Drohnen (auf ukrainischer Seite) und iranische (auf russischer) derzeit die am meisten eingesetzten Waffen sind, zeigt, dass man keine Supermacht sein muss, um solches zu entwickeln…
Offen mag bleiben, ob es auch gegen angreifende Raketen und Drohnen eines Tages ausreichend Schutz geben wird. Zwar hat die Ukraine nach eigenen Angaben viele anfliegende Raketen rechtzeitig zerstören können. Aber diejenigen, die durchgekommen sind, waren in ihrer Wirkung verheerend genug. Israel, das offensichtlich noch effizientere Abwehrsysteme hat als die Briten und Amerikaner, war leider nicht bereit, diese mit der Ukraine zu teilen (wohl aus Angst vor der Rache der im benachbarten Syrien stehenden Russen und aus Sorge um die noch in Putins Zugriffsnähe befindlichen Juden). Einen hundertprozentigen Schutz kann aber auch Israel seinen Bürgern nicht bieten – wenn man auch in dem von Feinden umgebenen Land relativ sicher leben kann.
Es kann überhaupt keinen Zweifel geben, dass sich Österreich ganz konzentriert auf dieses Feld begeben sollte. Von seiner militärischen Einkaufspolitik, für die sich billigere Alternativen eröffnet haben, bis hin zur Forschung. Ja, auch bis zu dieser. Auch wenn linke Studenten dagegen protestieren sollten.
Für jede militärische Auseinandersetzung zum Schlüsselfaktor geworden ist die Beobachtung des gesamten Umfeldes aus dem Weltraum. Der Ukraine haben amerikanische Satelliten entscheidend geholfen.
Für Österreich scheint da im Alleingang wenig möglich zu sein. Umso wichtiger wäre es, dass die gemeinsame Entwicklung von Weltraumkapazitäten durch die EU schneller vorankommt. Aber nicht einmal die schon lange versprochene – bessere – EU-Alternative zum amerikanischen GPS scheint näherzurücken.
Durch den Krieg ist das Internet zu einem Satelliten-Thema geworden. Für Armee wie Bürger der Ukraine war es lebenswichtig, dass durch die Starlink-Satelliten des Elon Musk Zehntausende weitgehend abhörsichere und gegen jede (Zer-)Störung gesicherte Internet-Verbindungen möglich geworden sind.
Es wäre daher auch für Österreichs Vorbereitung auf eine umfassende Landesverteidigung sehr wichtig, rechtzeitig genügend Basisstationen anzuschaffen, die mit Starlink kommunizieren können. Denn wir sollten uns – trotz der Verbindungen von Sebastian Kurz zu Musk – keineswegs darauf verlassen, dass wir in einem Krisenfall welcher Art immer automatisch genauso wie die Ukraine Gratis-Hilfe von Musk bekommen.
Wie wichtig sichere Internet-Verbindungen sind, hat umgekehrt die russische Seite gezeigt. Die Ukraine und der Westen bekamen durch die abgehörten Telefonate und Chats russischer Soldaten ein glasklares Bild von den Zuständen in der russischen Armee und der Frustration der eingezogenen Soldaten. Zugleich boten die russischen Soldaten der Ukraine oft ein leichtes Ziel, sobald sie Bilder von sich und ihrem jeweiligen Aufenthaltsort an ihre Familien schickten. Dadurch erfuhr die ukrainische Armee immer haargenau, wo die Russen stationiert sind. Eigentlich wissen erfahrene Militärstrategen längst, dass Privathandys in Soldatenhand der allerdümmste Fehler in einem Krieg sind. Die Russen haben sich halt auch zum eigenen Nachteil nicht an grundlegende Regeln gehalten …
Eine andere Form der Verlagerung der Auseinandersetzung in die elektronische Welt hat schon vor dem Krieg begonnen. Auf dem Weg der Internet-Verbindung hat – vor allem, aber nicht nur – Russland zahllose Aktionen gesetzt, um feindlichen Staaten Schaden zuzufügen, und um aus der Ferne Infrastruktur und Wirtschaft zu stören.
Dieser Cyberwar hängt ganz eng mit der Spionage zusammen. Bei dieser ist die wirtschaftliche und technische Abteilung im Vergleich zur politischen und militärischen Spionage immer wichtiger und durch das Internet immer leichter geworden.
Und bei der dritten Abteilung des Cyberkriegs sind politische von kriminellen Verbrechen überhaupt nicht mehr zu trennen, nämlich bei der illegalen Geldbeschaffung. Das sind einerseits jene Verbrechen, wo in interne IT-Systeme von außen eingebrochen wird, und wo diese dann gesperrt werden, um Lösegeld zu erpressen. Und das sind andererseits jene Aktionen, wo auf elektronischem Weg gleich direkt Geld umgelenkt wird. Neben Mafia-Banden aus der Türkei und anderen Regionen sind insbesondere Verbrecherstaaten wie Nordkorea als Täter besonders aktiv.
Aus Österreich hört man zwar immerhin neuerdings relativ oft, dass man sich auf einen Cyberkrieg vorbereiten müsste. Aber geschehen scheint noch nicht sehr viel zu sein. Ganz im Gegenteil: Durch schwer gegen die Interessen des Landes verstoßende Aktivitäten der Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA ist die ohnedies nur mittelmäßige Effizienz des Verfassungsschutzes mit anhaltendem Schaden weiter reduziert worden.
Nicht nur die Abhängigkeit von der notwendigen Hilfe aus dem Weltraum, sondern auch der nur gemeinsam gewinnbare Cyberwar spricht auch bei einem veränderten Kriegsbild für das, was schon vor einem Vierteljahrhundert vorausblickende Analysen gefordert haben: einen Beitritt Österreichs zur Nato.
Die brutale Missachtung aller völkerrechtlichen Regeln und Pflichten durch Russland – in Bezug auf die Ukraine insbesondere durch Bruch des Budapester Memorandums mit seinen vertraglichen Garantien für die Unversehrtheit der Ukraine – hat jedenfalls die bisher ebenfalls neutralen Finnen und Schweden zu einer fundamentalen Änderung ihrer Außen- und Sicherheitspolitik veranlasst, zum Stellen eines Beitrittsantrags an die Nato.
Es ist ein absoluter Jammer, dass die Qualität der außen- und sicherheitspolitischen Diskussionen und Analysen vor allem in der politmedialen Klasse zu diesem Punkt in den letzten zwei Dekaden dramatisch abgenommen hat.
Wenn es überhaupt irgendwo Diskussionen über die österreichische Sicherheit gibt, fällt mit Sicherheit nach wenigen Minuten das grenzdebile Argument, dass Österreich ohnedies über den Katastrophenschutz hinaus keine Landesverteidigung bräuchte, weil es ja – abgesehen von der völlig sicheren Schweiz und von Liechtenstein – von lauter Nato-Ländern umgeben sei. Aber:
Daher ist eine Mithilfe bei der Verteidigung der Nachbarn gegen einen Aggressor für Österreich nicht nur moralisch Pflicht, sondern auch eine solche im eigenen Sicherheitsinteresse.
Absolut jede Analyse der ukrainischen Abwehrerfolge rückt die hohe Motivation der gesamten Bevölkerung ins Zentrum. Dahinter steht vor allem die große Ge- und Entschlossenheit der Bürger. Alle russischen Spekulationen, dass sich jene Ukrainer, die Russisch als Muttersprache haben, von Kiew ab- und Moskau zuwenden werden, haben sich als total falsch erwiesen (eine der vielen peinlichen Pannen der russischen Geheimdienste).
Das bedeutet aber für Österreich gleich zwei große Aufgaben:
Über diesen Themenkomplex wird wenigstens immer wieder diskutiert. Aber Österreich ist weit entfernt davon, auch nur ein paar Wochen irgendwelche Blockaden ohne schlimme Folgen zu überstehen. Und andere Länder sind in diesem Punkt weit voraus.
Auch bei allen Vorbereitungen auf potenzielle chemische, biologische, pandemische, radiologische und nukleare Bedrohungen oder Unfälle ist Österreich über das Wunschdenken noch nicht weit hinausgekommen. Und wird es wohl nicht, weil immer sofort hämische Reaktionen von Medien und Oppositionsparteien kommen, wenn beispielsweise Impfstoffe oder Schutzmasken über bleiben.
Dabei ist es ja sogar das Wesen der Vorsorge, dass man natürlich hofft, dass sie vergeblich erfolgt ist, dass man sie am Ende des Tages nicht wirklich gebraucht hat.
Die Zerstörung von Wasser- und Stromleitungen ist in den letzten Wochen zu einem Hauptziel des russischen Angriffskriegs geworden. Es gibt wenig Anzeichen, dass in Österreich in diese Bereiche sonderlich viel Gehirnschmalz investiert worden wäre.
Dabei braucht gar nicht gleich an einen russischen Angriffskrieg gedacht zu werden. Viel näherliegend ist die Gefahr, dass Klima- oder islamistische Terroristen beispielsweise entdecken, wie ungeschützt die Hochquellenleitungen für die Wiener Wasserversorgung sind.
Das zentrale Thema Energiesicherheit ist zwar heuer ganz intensiv auch in Österreichs Politik angekommen. Doch sind die Aktionen bisher völlig an der Oberfläche geblieben: Sowohl die Energietipps der Verkehrsministerin sind lieb und richtig wie auch die zweimaligen Reisen des Bundeskanzlers in den Nahen Osten, um eine Schiffsladung mit Flüssiggas für Österreich zu bekommen. So nett das auch ist: Energiesicherheit oder gar energiepolitische Autarkie ist damit in keiner Weise nähergerückt.
Keine Partei hat die zentrale Herausforderung wirklich durchdacht: Das ist eine größere Unabhängigkeit Österreichs in Sachen Energie. Wer glaubt, dass diese mit weiteren Tausenden Windmühlen oder Solarpaneelen zu erzielen wäre, macht sich lächerlich. Was Österreich braucht, wären mehr kontinuierlich(!) und autonom funktionierende Energiequellen im eigenen Land. Da sind in Wahrheit nur zwei möglich, um neben der schon weitgehend ausgebauten Wasserkraft Relevantes beizutragen, die aber beide lange Vorlauffristen haben:
Die Conclusio aus all diesen Analysepunkten ist eindeutig: Solange sich die österreichische Politik nicht all diesen großen Themen substanziell und ohne Rücksicht auf Tabus, auf Ideologie, auf Meinungsumfragen widmet, kommt keine einzige Partei der Hauptaufgabe von demokratischer Politik nach: nämlich der Pflicht, sich vor allem anderen um die Sicherheit des Landes und seiner Einwohner zu kümmern.