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Wie man Putin den letzten gesichtswahrenden Ausstieg ermöglicht

Diesmal haben die Russen keine naiven oder bestechlichen Exponenten mehr gefunden, die ihnen einen Persilschein ausstellen würden. Putins "Referenden" in den von russischen Truppen (noch?) gehaltenen Teilen der vier jetzt zusätzlich zur Krim beanspruchten ukrainischen Provinzen waren ein zu schlechter Witz. Selbst die vom russischen Fernsehen gezeigten Bilder beweisen, dass die Abstimmungen nicht einmal den Mindesterfordernissen einer demokratischen Willenserfassung entsprechen. Dennoch zeigen sie indirekt den einzigen Weg, auf dem der Krieg noch relativ rasch beendet werden könnte.

Von den vielen anderen in der russischen Propaganda in den letzten Monaten vorgebrachten Behauptungen ist nur eine einzige einer seriösen Befassung wert. Alles andere ist auf den ersten Blick erkennbar verlogener Schrott. Das gilt etwa für die Behauptungen:

  • dass in der Ukraine Nazis die Macht übernommen hätten (Machthaber Putin hat offenbar geglaubt, die üblichen Absurditäten der westlichen Linken würden auch ihm helfen);
  • oder dass die Ukraine Russland angegriffen hätte (Putin hat da einfach bei Hitlers Lügen über angebliche Angriffe Polens aus dem September 1939 Anleihe genommen);
  • oder dass Russland eingekreist würde (was angesichts der Tatsache, dass Russland das weitaus größte Landgebiet der Welt kontrolliert, nur noch grotesk ist);
  • oder dass die Nato Russland bedrohen würde (in Wahrheit hat die Nato nur solche Nationen in ihr Schutzversprechen aufgenommen, die selbst aus nackter Angst vor dem russischen Imperialismus und nach demokratisch sauberen Prozeduren darum angesucht haben – und auch von denen nicht alle).

Die Beweggründe Putins für die Attacke und die plötzliche "Volksabstimmung" waren zweifellos ganz andere:

  • Putin stand und steht ganz unter dem Einfluss einer großrussischen Mythologie, die die Russen als erhaben und wertvoller als alle andere Völker ansieht.
  • Er meint überall dort, wo Moskau einst geherrscht hat, bestünde ein ewiges Anrecht darauf (wie wenn Österreich einen Anspruch auf Herrschaft über Schlesien, Böhmen, Ruthenien oder die Lombardei hätte, um nur ein paar der historischen Gebiete zu nennen).
  • Er wollte (und will wohl noch immer) wie Zar Peter als Eroberer und Erweiterer Russlands,  als "Putin, der Große," in die Geschichtsbücher eingehen.
  • Er hatte und hat zugleich Minderwertigkeitskomplexe, weil bis auf ihre Nuklearwaffen und Bodenschätze niemand die Russen sonderlich beachtet hat.
  • Er glaubt, die Gleichheit der Sprache würde automatisch bedeuten, dass die Völker auch politisch zusammengehören wollen – so wie wenn sich Österreicher, Schweizer, Luxemburger, Liechtensteiner oder Ostbelgier wegen der bei ihnen mehrheitlich gesprochenen deutschen Sprache zwangsläufig als "ein Volk" mit den Deutschen fühlen würden und Deutschland beitreten wollten, oder wie wenn belgische Wallonen zu Frankreich, belgische Flamen zu den Niederlanden, die USA zu Großbritannien wollten (oder umgekehrt).
  • Er sieht den Kollaps der Sowjetunion (und wohl auch die zwei Jahre davor erfolgte Freilassung der 40 Jahre versklavten Satellitenstaaten) als größten Fehler der Geschichte an, weil er dieser Sowjetunion als Geheimdienstagent viele – ihn persönlich sehr prägende – Jahre gedient und damals alles Legale und Illegale für den Bestand ihres Imperiums getan hatte.
  • Er hat ein Menschen- und Geschichtsbild, wie sie die Zaren und andere absolute Monarchen einst hatten, in denen die Bürger nicht die Subjekte ihrer Geschichte, sondern Objekte der Herrscher sind.
  • Er ist wie viele Herrscher – heute etwa von Nordkorea bis Venezuela – von der Lust zur Macht getrieben, die offenbar in vielen Menschen steckt, sobald sie nicht durch Recht, Religion und/oder Demokratie in ihre Schranken gewiesen werden.
  • Er wollte die Volksabstimmung rasch durchführen, bevor die Ukraine noch mehr von den durch Russland besetzten Gebieten zurückerobert.
  • Er glaubt, dadurch mit seinen Atomdrohungen ernster genommen zu werden, wenn er diese jetzt zur Verteidigung von "russischem" Territorium ausspricht.

All das ist absurd, im 21. Jahrhundert nicht akzeptabel und wäre eine globale Katastrophe, würde auch nur ein einziger dieser Ansprüche von der Welt akzeptiert.

Für eine objektive Bewertung ist einzig die Behauptung zumindest grundsätzlich zu beachten, dass die Bewohner der Krim und dieser vier Provinzen lieber zu Russland als zur Ukraine gehören wollen. Das könnte ja theoretisch stimmen.

Ob das aber auch stimmt, lässt sich nur durch ein sauberes Referendum feststellen. Ein solches hat während der letzten Tage in den russischen Teilen jener Provinzen in keiner Weise stattgefunden.

Diese Inszenierung hat speziell Österreicher mit Geschichtsbewusstsein vielmehr lebhaft an die "Volksabstimmung" des Adolf Hitler aus dem April 1938 erinnert, mit der dieser den Eindruck zu erwecken versuchte, dass die Österreicher "heim ins Reich" wollten. Trotz der noch nach 1918 von allen drei großen Lagern vertretenen Anschlusswünsche wäre 1938 höchstwahrscheinlich bei einem sauberen und freien Referendum keine Mehrheit mehr für den Anschluss herausgekommen (wie die Analysen aller Historiker ergeben). Denn der damals schon fünf Jahre im Deutschen Reich herrschende Terror hatte viele Österreicher inzwischen völlig vom Reich abgeschreckt. Hitler hat daher damals genauso wenig wie heute Putin eine demokratische Volksabstimmung riskiert.

Dennoch ist schon erstaunlich, dass Putin nicht einmal versucht hat, den Minimal-Eindruck einer solchen zu erwecken. Denn:

  1. Die Stimmzettel wurden sogar in dem vom russischen Fernsehen gezeigten Propagandabildern öffentlich vor den Wahlbeamten ausgefüllt;
  2. Es gab keine Kuverts;
  3. Die Stimmzettel wurden nicht einmal gefaltet;
  4. Sie landeten in gläsernen Vitrinen, so dass man auch nach Einwurf noch kontrollieren konnte, wie jemand abgestimmt hat;
  5. Es gab keine Wahlbeobachter durch die OSZE, wie sie bei jeder sauberen Abstimmung in Europa teilnehmen können;
  6. Rund die Hälfte der Einwohner jener Provinzen ist vertrieben oder geflohen, hatte also keinerlei Möglichkeit, über das Schicksal ihrer Heimat mitzuentscheiden;
  7. Es gab nicht einmal von irgendjemand überprüfbare Wählerverzeichnisse, da ja die Abstimmung binnen weniger Tage – ganz offensichtlich als Reaktion auf die schweren Niederlagen der russischen Truppen – angeordnet und durchgezogen worden ist;
  8. Es gab auch keinerlei Möglichkeiten für Vertreter anderer Meinungen als der von Moskau diktierten, Informationen oder Werbung an die abstimmenden Bürger zu bringen.

Aus all diesen Gründen ist es keine Sekunde wert, sich mit dem Ausgang dieser Referenden zu befassen. Sie hatten mit Demokratie absolut nichts zu tun. Dennoch sollte man sie als wertvoll ansehen. Denn damit hat Russland ja zumindest im Prinzip erstmals anerkannt, dass nicht alte Landkarten, sondern die Bürger das entscheidende Wort haben sollten.

Daran sollten die Ukraine und ihre Ratgeber anknüpfen. Sie ist zwar völkerrechtlich eindeutig im Recht. Aber die Behauptung, dass die Menschen jener Provinzen und der Ukraine unterdrückt gewesen wären und lieber zu Russland gehören wollten, ist an sich dennoch gravierend. Immerhin steht das Selbstbestimmungsrecht auch in der UN-Charta. Immerhin war auch das Recht der Kosovo-Einwohner auf Selbstbestimmung und Freiheit die Grundlage für die westliche Intervention im Kosovo-Krieg (weshalb interssanterweise Serbien jetzt die von Russland inszenierten Referenden auch sehr negativ sieht!).

Diese russische Behauptung, dass die Bewohner der vier jetzt abstimmenden Provinzen wie auch die der Krim lieber zu Russland wollen, sollte daher auf sauberem Weg überprüft werden. Das geht nur durch ein Referendum, das

  • international (durch UNO oder OSZE) überwacht und organisiert wird,
  • durch eine völlig geheime Stimmabgabe geprägt ist,
  • alle Menschen als wahlberechtigt behandelt, die 2015 nachweislich dort ansässig gewesen sind
  • und allen Seiten völlig freie Wahlwerbung ermöglicht (auch wenn unter Umständen aus Sicherheitsgründen keine Wahlversammlungen stattfinden können).

Aber da wie dort hat man offenbar Angst vor einem echten Referendum.

Russland schon deshalb, weil viele jener Ukrainer, die vielleicht einst unter vergleichbaren Bedingungen in beiden Ländern für Russland gestimmt hätten, nach den letzten Jahren emotional ganz auf die Seite der Ukraine gewechselt sind. Sie haben erkannt, dass Freiheit wichtiger ist als alle angeblichen oder wirklichen Vorteile einer Zugehörigkeit zu Russland.

Aber auch der Westen hat sich nie klar für ein freies Referendum ausgesprochen: Weniger weil man dessen Ausgang fürchtet, sondern weil etliche europäische Länder die Beispielswirkung auf rebellische Minderheiten fürchten, von Spanien bis Rumänien, von Belgien bis Italien. Sie alle beharren auf dem alleinigen Vorrang von Staats- und Völkerrecht und ignorieren das kollektive Menschenrecht auf Selbstbestimmung.

Deshalb hat auch niemand einen diesbezüglichen Vorschlag gemacht, obwohl dieser derzeit die einzig mögliche, wenn auch kleine Hoffnung auf einen absehbaren Friedensschluss böte. Und obwohl nur ein echtes Referendum Russland die Chance böte, sich noch gesichts- und Putins Job wahrend aus dem Krieg befreien zu können.

Es ist vorerst unwahrscheinlich, dass Russland auf die Idee eines echten Referendums einsteigt. Dennoch sollte man Putin ein solches wenigstens anbieten. Es könnte zumindest in der Zukunft der Augenblick kommen, da er darin einen Ausweg aus seiner blutigen Sackgasse erkennt, bevor noch weitere Zehntausende oder mehr Tote auf dem Schlachtfeld liegen, bevor die Unzufriedenheit in Russland immer größer und für ihn immer bedrohlicher wird.

"Aber Putin gehört doch lebenslang in den Kerker!", werden all dem viele entgegenhalten. Ja eh. Aber wie viel Leid ist dieses edle und gerechte Prinzip wert?

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