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Die EZB oder: Wer zu spät kommt, den bestraft die Geschichte

Es ist nett, dass man für sein Spargeld jetzt wieder ein paar Zehntelprozent an Zinsen bekommt. Aber das ändert nichts daran, dass man 2022 beim Sparen angesichts der wohl bald zweistellig werdenden Inflationsraten sogar noch mehr verliert als je seit Kriegsende. Und es kann schon überhaupt kein Zweifel bestehen, dass die Zinserhöhung durch die EZB um Jahre zu spät kommt und ein reines Zeichen der Verzweiflung ist. Dass ihr Zeitpunkt überdies gleich in mehrerlei Hinsicht problematisch ist.

Italienische und französische EZB-Chefs haben viele Jahre verhindert, dass es in Europa Zinsen gibt. Statt dessen wurde massenweise Geld gedruckt. Es wurden sogar vielfach Minuszinsen verlangt, wenn man Geld einlegt. Das Motiv, warum die EZB-Chefs das getan haben, ist eindeutig: Sie wollten so den Regierungen ihrer Heimatländer – und einiger anderen Schuldenstaaten rund ums Mittelmeer – einen politischen Dienst erweisen. Diese konnten mit den Gratiskrediten, die sie sich dadurch beschaffen konnten, jahrelang weit über ihre Verhältnisse leben, einen nicht nachhaltig finanzierbaren Wohlfahrtsstaat immer weiter aufblähen, alle notwendigen Reformen unterlassen – und dadurch ihre Chancen auf eine Wiederwahl signifikant erhöhen.

Ähnliches trifft inzwischen auch auf Staaten weiter im Norden zu. Auch Österreichs Finanzminister haben viele Jahre von den Null- und Niedrigzinsen profitiert. Auch Österreichs Regierungen haben seit dem Abgang von Wolfgang Schüssel auf alle zukunftsorientierten – kurzfristig freilich nicht sonderlich populären – Reformen wie insbesondere die von Jahr zu Jahr immer noch dringender gewordene Erhöhung des Pensionsantrittsalters verzichtet.

Daher waren auch aus Österreich die Proteste gegen den falschen Kurs der EZB so leise, dass man sie glatt überhören konnte. Freilich sollte man schon die historische Wahrheit festhalten, dass es immer die SPÖ war, die am heftigsten gegen jede Reform, gegen jedes Sparen und gegen jedes Einbremsen des wuchernden und nicht nachhaltig haltbaren Wohlfahrtssystems und für die immer massivere Verschuldung Österreichs und Europas gewesen ist, während ÖVP und Neos noch am ehesten für Vernunft und Sparsamkeit eingetreten sind, wenn auch seit Schüssel nur noch verbal.

Unabhängig von der eindeutigen und im Tagebuch schon seit Jahren betonten Notwendigkeit der Zinserhöhung muss uns aber allen bewusst sein, dass der jetzige Zeitpunkt für eine Zinserhöhung alles andere als ideal ist. Dies aus gleich mehreren Gründen:

  • weil jetzt die Folgen der notwendigen Zinserhöhungen jedenfalls viel schmerzhafter werden, als sie es früher gewesen wären;
  • weil inzwischen der Schuldenstand aller europäischen Regierungen, der sich als Folge der bequemen Nullzinsen so leicht hat ansammeln können, viel höher ist, als wenn man früher das Notwendige getan hätte;
  • weil die jahrelang nicht durch Zinsbelastungen unter Druck gesetzten Regierungen es in dieser Zeit fahrlässigerweise unterlassen haben, auf die demographischen Entwicklungen zu reagieren (also auf die steil gestiegene Lebenserwartung; auf die Tatsache, dass vor allem bildungsnahe Schichten immer weniger Kinder in die Welt gesetzt haben; auf den dramatisch gewordenen Mangel an qualifizierten Arbeitskräften; und auf die immer höheren Budgetbelastungen durch die Pensionen);
  • weil sie die Möglichkeit ausgelassen haben, die schon seit langem unausweichlichen Reformen in langsamem, sozial verträglicherem Tempo durchzuziehen;
  • weil am gleichen Tag, da die Zinsanhebung verkündet wurde, die EZB-Chefin Lagarde selbst von "düsteren Konjunkturaussichten" sprechen musste;
  • weil selbst eine Rezession für die Herbstmonate als durchaus wahrscheinlich gilt – was eigentlich bisher immer ein zwingender Auslöser für Zins-Senkungen und nicht Erhöhungen gewesen ist;
  • weil die aktuelle Zinserhöhung von einem dreiviertel Prozent gleichzeitig die schweren Wertverluste für den Euro nicht rückgängig machen, sondern bestenfalls abbremsen wird;
  • weil der nunmehrige, angeblich "kräftige" Zinsschritt wohl nicht ausreichen wird;
  • weil seit Februar ein zusätzlicher und zwar ziemlich brutaler Inflationstreiber am Werk ist: der russische Energiekrieg gegen Europa;
  • weil die Folgen dieses Energiekrieges gigantische neue Schulden für alle Regierungen dringend notwendig machen, die wiedergewählt werden wollen;
  • wie alle Staaten diese Schulden noch dazu weit über das notwendige Ausmaß hinaus machen (wie vor wenigen Tagen hier gezeigt wurde), was diese zusätzlichen Schulden jetzt aber noch viel deutlicher machen.

Dennoch musste die EZB zumindest jetzt handeln. Das ist alternativlos geworden. Denn in den letzten Wochen hat eine massive Flucht aus dem Euro eingesetzt. Allein seit Jahresbeginn hat jeder einzelne Euro schon zwölf Prozent an Wert verloren – und das nur im Vergleich zum Dollar, während die Kryptowährungen dem Euro noch viel steiler davonziehen!

Es wäre daher naiv, jetzt zu meinen: "Ende gut, alles gut. Jetzt beginnen sie ja eh zu erhöhen, wird doch die jetzige Zinserhöhung nicht die letzte gewesen sein."

Wer den Ernst der Lage nicht begreift, sollte einmal einen Blick in die Türkei machen. Dort beträgt der Zinssatz zwar schon 13 Prozent, und dennoch ist die Inflation alles andere als im Griff: Dort hat sie gar schon 80 Prozent überschritten. Neben den überall gleichen Problemen durch Energie- und andere Knappheiten hat die Türkei das zusätzliche Problem, dass dort ein autoritärer Herrscher noch viel direkter in das Verhalten der Notenbank eingreift, lange jede Zinserhöhung aus rein politischem Opportunismus verboten und erst vor kurzem sogar eine Senkung der Zinsen von 14 auf 13 angeordnet hat!

Das Verhalten von Diktator Erdogan ist zwar ein noch viel brutalerer Eingriff als die eher heimlich ablaufende Rücksichtnahme der Euro-Zentralbank auf die schuldenfreudigen Länder. Aber der Effekt ist ein ähnlicher: Sobald eine Notenbank einmal das Image verloren hat, dass ihr die Stabilität der Währung über alles geht – wie es die Nationalbanken etwa einst bei Schilling und D-Mark gehabt haben –, dann dauert es verflucht lange, bis das Vertrauen wiederhergestellt ist, selbst wenn sie mit einer (noch dazu vorsichtigen) Rückkehr zur Vernunft beginnt.

Freilich – und das ist die gute Nachricht – ist eine solche Rückkehr möglich, wenn auch langwierig:

  • Man denke, wie lange es in Österreich gedauert hat, bis die Schuldenfreude der Kreisky/Androsch-Jahre wieder durch Stabilität abgelöst wurde. Das war aber erst möglich, nachdem es in den 80er Jahren zu ziemlichen Krisen (insbesondere in der Verstaatlichten Wirtschaft) gekommen war.
  • Man denke an das Beispiel Griechenland: Zwischen 2009 und 2016 war die Überschuldung des Landes sehr oft "das" zentrale Problem Europas. Erst die beinharte – und von allen Linken Europas heftig kritisierte – Politik des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble erzwang, dass sich die Griechen letztlich zu den nötigen Reformen bereit erklärt haben.

Aber beide Länder sind auch eindeutig positive Beispiele dafür geworden, dass Sanierung erfolgreich sein kann:

  • So wurde Österreich im Jahr 2005 von vielen deutschen Medien sogar der eigenen Regierung als Beispiel vorgehalten, wie erfolgreich ein Land durch Disziplin werden kann.
  • So ist heute auch Griechenland ein Erfolgsbeispiel sondergleichen: Gerade hat das Land verkündet, Schulden vorzeitig zurückzuzahlen: ein gigantischer Erfolg, wenn man die Katastrophenschlagzeilen aus dem vorigen Jahrzehnt damit vergleicht.

Athen tut das übrigens klugerweise genau zu jenem Zeitpunkt, bevor es wieder höhere Zinsen für seine damals aufgenommenen Schulden zahlen müsste.

Zwei ähnliche Erfolgsbeispiele haben im vergangenen Jahrhundert Ronald Reagan in den USA und Margaret Thatcher in Großbritannien gesetzt. Beide haben nach schweren Krisen in ihren Ländern durch eine Phase der Härte, Konsequenz und finanziellen Disziplin dem eigenen Land wieder nachhaltige Stärke und Stabilität verschafft. Diese Austeritäts-Jahre haben zwar alle linken Selbstbedienungs- und Schuldenfreunde zur Weißglut gebracht, aber im Rückblick den Ländern immer extrem gut getan.

Daher sollten wir uns bewusst sein: So dringend notwendig es war, dass Europa nun die ersten Millimeter auf diesem Weg eingeschlagen hat, so eindeutig ist es, dass dieser Weg noch viele steinige Kilometer lang sein wird.

Man kann aber auch noch einen weiteren Aspekt dieses Zeitpunkts der Zinserhöhung nicht verdrängen: Man beginnt mit diesem Weg ausgerechnet jetzt, da in Italien (mit großer Wahrscheinlichkeit) die Jahre einer Linksregierung (die noch dazu zuletzt unter dem an vielen Euro-Fehlentwicklungen schuldigen Ex-EZB-Chef Draghi gestanden ist!) zu Ende gehen und die Rechtsparteien an die Macht kommen. Die EZB hat es also jahrelang der italienischen Linken auf Kosten der Sparer in ganz Europa leicht gemacht. Und sie belastet die Rechtsregierung vom ersten Tag an mit der Unpopularität der nun notwendigen Konsequenzen dieser Zinserhöhung.

Niemand soll glauben, dass dieser Zeitpunkt ein Zufall ist, dass in den elfenbeinernen Türmen der EZB solche parteipolitisch-opportunistischen Überlegungen unbekannt wären.

Freilich: Die italienischen Rechtsparteien lassen sich in der Schlussphase des Wahlkampfes nicht irritieren und machen weiterhin – in Übernahme der traditionell sozialdemokratischen Verantwortungslosigkeit – üppige Wahlversprechen …

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