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Die Kriegsgefahr im chinesischen Meer hat alle Bestandteile, Auslöser eines Weltkriegs zu werden. Sie zeigt zugleich wie im Brennspiegel die tiefgehenden Veränderungen der weltpolitischen Machtlage, die in den letzten Jahren passiert sind. In der Folge die Suche nach Ursachen, Schuldigen und Folgen der jüngsten Eskalation sowie die Analyse der militärischen Lage.
Im Einzelnen:
Es ist eines der absurdesten Lügengebäude der gesamten Weltpolitik, dennoch bekennen sich selbst die Unterstützer des kleinen Taiwans offiziell zur Ein-China-Fiktion, also zur Behauptung, dass es nur ein einziges China gäbe, das sowohl das kommunistische Festland wie auch das demokratische Taiwan umfasst. Dabei ist ganz eindeutig, dass es seit Jahrzehnten zwei komplett getrennte chinesische Staaten gibt, von denen jeder sämtliche Bestandteile eines unabhängigen Völkerrechtssubjekts hat: Staatsgebiet, Staatsvolk und eine eindeutige Staatsgewalt über das ganze Staatsgebiet. Völkerrechtlich ist es für die Qualifikation als Staat bei Vorliegen dieser Elemente völlig gleichgültig, was andere Staaten formal sagen.
Die Ein-China-Fiktion ist im Grund hingegen so absurd, wie wenn in unserer Weltgegend jemand behaupten würde, (das heutige) Österreich, Böhmen, Mähren und Slowenien wären auch jetzt noch ein einziger Staat, weil sie das rund ein halbes Jahrtausend lang gewesen sind. Sie gleicht der ebenso strikt abzulehnenden großrussischen Fiktion des Wladimir Putin, die auf einen russischen Anspruch auf alle Gebiete hinausläuft, die einmal russisch oder sowjetisch gewesen sind.
Man sollte sich bewusst sein: Wenn die Weltpolitik in einer wichtigen Frage seit vielen Jahrzehnten auf einer absurden Lüge aufbaut, die zwar jeder durchschaut, die aber niemand aus Feigheit, aus diplomatischer Verschlagenheit vom Tisch zu wischen wagt, sollte man sich nicht wundern, dass Kriege ausbrechen. Die Wahrheit ist ja immer eines der wichtigsten Opfer jedes Krieges.
Denn in Wahrheit war Taiwan im ganzen 20. und 21. Jahrhundert bloß vier Jahre mit Festlandchina politisch vereint. Zuerst stand es bis 1945 unter japanischer Herrschaft, dann war es ab 1949 de facto ein eigener Staat.
So eindeutig es auch ist, dass an der militärischen Eskalation einzig und allein Pekings großchinesischer Imperialismus Schuld trägt, so hat Taiwan doch in historischer Hinsicht Mitschuld an der so verderblichen Ein-China-Fiktion: Denn die "Republic of China" hatte lange selbst den Anspruch erhoben, das ganze China zu vertreten, obwohl die einstige gesamtchinesische Regierung schon 1949 von den kommunistischen Truppen das Mao Zedong vom Festland auf die Insel Taiwan vertrieben worden war.
Dieser Ein-China-Anspruch der aus Peking nach Taipeh vertriebenen Regierung wurde in den 50er und 60er Jahren trotz des offenkundigen Auseinanderklaffens zur Realität noch von der ganzen nichtkommunistischen Außenwelt anerkannt und sogar durch einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat bestätigt. Als dann in den 70er Jahren ein Staat nach dem anderen seine China-Politik auf die Realitäten auszurichten versuchte und Beziehungen zur Regierung in Peking aufnahm, beging Taiwan einen fatalen Fehler: Es beharrte weiterhin auf seinem längst illusorisch gewordenen Alleinvertretungsanspruch.
Taiwan brach anfangs von sich aus die diplomatischen Beziehungen zu Staaten ab, die solche mit Peking aufnahmen. Damals regierte auf Taiwan noch jener Präsident Tschiang Kai-schek, der 1949 von den Kommunisten Mao Zedongs aus Peking vertrieben worden war. Er und seine Partei wollten sich mit der Realität nicht abfinden. Das erleichterte es umgekehrt Peking enorm, später seinerseits den Gesamtvertretungsanspruch auch über Taiwan zu erheben.
Hätte Taipeh hingegen die Fakten anerkannt und seinen Anspruch nur auf das Gebiet reduziert, das es wirklich regiert, also die Insel Taiwan, dann hätte das vielen Staaten die Entscheidung viel schwerer gemacht, einen kleinen Staat einfach zynisch fallenzulassen. So haben sie, wie etwa auch Österreich, die billige Ausrede gehabt, dass ja Taiwan die Beziehungen abgebrochen habe.
Hätte sich Taiwan schon damals mit der Rolle als zweiter chinesischer Staat abgefunden (so wie es zwei koreanische Staaten gibt oder – mindestens – drei, die aus dem kolonialen Indien hervorgegangen sind, oder zwei, wie Deutschland bis zur Wiedervereinigung) stünde es heute jedenfalls viel besser da.
Die einstigen Entscheidungen der Außenwelt, die Botschafter von Taipeh nach Peking zu transferieren, waren eindeutig von der Gier geprägt, mit dem sich langsam öffnenden Riesenreich gute Geschäfte zu machen. Dass Peking auch wirtschaftlich nie fair zu spielen bereit war, durchschauten viele damals nicht wirklich.
Andererseits ist Taiwan bis heute für die ganze Welt interessant und wichtig (nicht nur für jene wenigen Drittweltstaaten, die weiterhin – vermutlich gegen gute Kasse – auf Taipeh setzen): So wird auf der Insel die Hälfte aller weltweit erzeugten Halbleiter produziert, bei besonders spezialisierten Chips sind es sogar 90 Prozent.
Taiwan ist fast genauso wichtig für das Funktionieren der Weltwirtschaft wie die Volksrepublik, auch wenn diese längst mehr exportiert als nur Plastikspielzeug: Das chinesische Volumen reicht von entscheidenden Teilen der jetzt weltweit so gehypten Elektroautos bis zu Medikamenten (wie wir spätestens während der Pandemie gelernt haben).
Damit droht ein Anhalten oder gar eine Eskalation der chinesischen Krise der Welt Schäden zuzufügen, die zumindest gleich schlimm sind wie die durch die Schockserie Corona, Ukraine-Krieg, Energiekrise und Inflation. So sind durch die chinesischen Drohmanöver jetzt schon nicht weniger als 18 internationale Handelsrouten gesperrt.
Mit dem aggressiven Verhalten Chinas gegen Taiwan ist nun umgekehrt wohl endgültig der friedenspolitische Vorteil einer Demokratie bewiesen. Diese sind praktisch immer friedlich, während kriegerische Akte fast immer nur von Diktaturen ausgehen. Aus mehreren Gründen:
Auch wenn Russland derzeit mit Siebenmeilenstiefeln Richtung Stalinismus unterwegs ist, so ist doch das chinesische Regime seit längerem viel repressiver. An Uiguren und Tibetanern wird seit Jahrzehnten eine totalitäre Umerziehung versucht, die diesen Völkern nicht nur die Freiheit geraubt hat, sondern ihnen brutal auch jede kulturelle, sprachliche und religiöse Identität auszutreiben versucht.
Eine noch deutlichere Lektion über das Wesen der kommunistischen Führer erteilt den Taiwanesen das Verhalten Chinas in Hongkong: Der einst blühenden, rechtsstaatlichen und demokratisch selbstverwalteten britischen Kolonie war bei der Machtübernahme durch Peking die Regel "Ein China – zwei Systeme" garantiert worden. Inzwischen ist aber nichts davon übriggeblieben. Alle Freiheitsrechte werden in Hongkong mit Füßen getreten.
Dabei war der Hongkong-Slogan "Ein China – zwei Systeme" von Anfang an auch als Propaganda Richtung Taiwan gemünzt gewesen. Seit der Vernichtung aller Eigenständigkeit Hongkongs gibt es in Taiwan niemanden mehr, der noch glauben würde, dass Taiwan nach einer Machtübernahme durch Peking eine solche behalten könnte.
Das aber macht den Widerstand aller Einwohner des Inselstaates so ge- und entschlossen, sich nicht wehrlos schlucken zu lassen.
Damit gleicht Taiwan der Ukraine: Beide Völker (auch wenn bei beiden ein Teil sogar die Sprache des jeweiligen Aggressors spricht!) sind entschlossen, sich bis zum letzten zu wehren. Deshalb blickt man in Peking wie Taipeh auch mit so großem Interesse auf die Ukraine und den Ausgang ihres Verteidigungskampfes. Wenn dieser gelingt, wäre das auch für Peking ein klares Warnsignal, dass sich auch kleinere verteidigungsbereite Länder (mit ausländischer Unterstützung) erfolgreich wehren können.
Dazu kommt, dass die USA mit den Taiwanesen sogar ein ausdrückliches Verteidigungsbündnis eingegangen sind. Das ist etwas, was sie mit der Ukraine nicht haben, auch wenn sie (und rund 50 Staaten) diese von außen mit Waffenlieferungen unterstützen.
Auch die USA haben Fehler begangen. Jedoch sei ausdrücklich betont, dass ihr Verteidigungsversprechen für die Taiwanesen ganz sicher kein Fehler, sondern im Gegenteil ein eindrucksvoller Akt eines Starken zum Schutze eines Schwachen ist. Das ist auch ein Beitrag dazu, dass die rechtsstaatlichen Demokratien nur durch Zusammenhalten stark sein können.
Ebensowenig war die Reise von Nancy Pelosi nach Taiwan ein Fehler. Genauswenig wie es etwa die von tschechischen und deutschen Spitzenpolitikern sind. Oder einst die von Pelosis republikanischem Amtsvorgänger Gingrich gewesen ist. Als Fehler könnte man eine solche völlig friedliche Reise einer alten Frau nur dann ansehen, würde man auch eine Oberhoheit Pekings über die Insel anerkennen, die freihändig bestimmt, wer nach Taiwan reisen darf und wer nicht. Ein solcher Hoheitsanspruch würde dann de facto beliebig weit ausgedehnt werden können. Bis hin zur völligen Versklavung.
Amerikanische Fehler waren und sind dennoch eindeutig zu sehen. Sie bestehen darin:
Der chinesische Machthaber Xi Jinping ist derzeit in einer heiklen Phase, weshalb er besonders aggressiv reagiert hat. Im Herbst steht nämlich der Volkskongress bevor, das formal höchste Gremium des Landes. Dabei will sich Xi zum dritten Mal als Präsident inthronisieren lassen, obwohl der große chinesische Reformer Deng Xiaoping ausdrücklich festlegen hat lassen, dass man nur zweimal Staatschef sein soll (damit niemand übermächtig wird).
Gleichzeitig gibt es als Folge der drastischen Pandemie-Restriktionen, des Ukraine-Krieges und der globalen Inflation sehr enttäuschende Wirtschaftszahlen in China. In diesen dürfte sich auch die rasch wachsende Überalterung des Landes widerspiegeln, die wiederum klare Folge der lange praktizierten Einkind-Politik ist.
Auch wenn innerhalb der Pekinger Machtstrukturen keine relevante Opposition erkennbar ist, ist Xi penibel darauf bedacht, sich keine Blößen zu geben. Diese würden etwa im Image außenpolitischer Schwäche bestehen.
China hat in den letzten Tagen unglaublich provokative militärische Akte gesetzt, die nur dank der (vorläufigen) Zurückhaltung der taiwanesischen Armee nicht zum Ausbruch von Kämpfen geführt haben:
Das hat die USA zu einem zumindest vorerst sehr vorsichtigen Verhalten veranlasst.
Zwar gilt es für Washington, alle Indizien eigener Schwäche oder Feigheit zu vermeiden. Aber es ist sich nicht mehr sicher, ob die USA einen solchen Krieg gewinnen würden. Ist doch China bei etlichen Waffengattungen (Schiffe, U-Boote, Raketen) mit den USA schon gleichwertig oder ihnen zahlenmäßig gar überlegen. Gegenüber Taiwan ist es das heute sogar sicher, was lange nicht der Fall war. Heute gibt Peking jährlich 20 Mal so viel für Rüstung aus wie die Insel.
Auf der anderen Seite hat das grundlose (nur durch Xis Wunsch nach Stärkesignalen erklärbare) Großmanöver Chinas auch den Taiwanesen genutzt. Diese können nun viel leichter an hochtechnisierte westliche Waffen herankommen, weil ihre bedrohte Lage offenkundig ist. Diese sind nun innerlich geschlossener denn je. Diese haben – nicht nur Peking – gezeigt, dass sie sich nicht erpressen lassen. Diese haben jetzt viele Strategien Chinas kennengelernt und können sich nun darauf vorbereiten. Diese können jetzt viel genauer die Fähigkeiten und Defizite der Volksbefreiungsarmee analysieren.
Bei aller Stärke und bei allem Säbelrassen Chinas liegen nämlich auch klare Defizite offen: Den Festlandchinesen fehlt noch viel an den militärischen Kapazitäten, die für eine Invasion Taiwans zu Lande nötig wären. Sie haben auch auf der Kommando-Ebene starke Schwächen gezeigt.
Daher ist eher nicht mit einem großen Kriegsausbruch zu rechnen, aber sehr wohl mit einer Fortsetzung der Provokationen. Diese bestehen derzeit in einem weitgehenden Abbruch des Handels zwischen den beiden Chinas, also in Wirtschaftssanktionen. Diese könnten in Zukunft auch auf eine direkte Blockade der Insel hinauslaufen, die ja 60 Prozent ihrer Lebensmittel und 98 Prozent ihrer Energie einführen muss.
Garantie gegen einen Kriegsausbruch gibt es freilich keine. Viele Experten weisen darauf hin, dass im vergangenen Winter Russland rund um die Ukraine ja auch "nur" Manöver durchgeführt hat. Viele Europäer erinnern sich noch an die Hassausbrüche von Links- und Rechtsradikalen darüber, dass die westlichen Geheimdienste nicht an bloße Manöver Russlands geglaubt haben. Was sich dann ja als eindeutig richtig herausgestellt hat.
Der russische Herrscher Wladimir Putin hat zwar zweifellos in den letzten Monaten viele Fehler, Verbrechen und Fehleinschätzungen zu verantworten, aber in einer Hinsicht hat er – aus seiner Warte – klug gehandelt: Er hat mit etlichem Erfolg an einer Interessengemeinschaft der imperialistischen Diktatoren der Welt gewoben, sowohl mit dem Chinesen Xi Jinping als auch mit dem Türken Erdogan und auch mit den iranischen Mullahs.
Man hat ganz offensichtlich in Geheimverhandlungen die Interessensphäre abzustecken begonnen, um sich gegenseitig den Rücken freizuhalten. Dabei ist freilich offen, ob das den Russen mit der Türkei dauerhaft gelungen ist, gibt es doch Interessengegensätze in Hinblick auf die Kontrolle über das Schwarze Meer, auf den Armenien-Aserbaidschan-Konflikt und auf jenen in Syrien, wo die beiden Diktatoren die jeweils andere Kriegsseite unterstützen.
Das Schlimme ist: Im Wesentlichen sind sich alle in ihrer Verachtung für die Demokratien und das Völkerrecht einig. Sie setzen sich alle mit großer militärischer Gewalt über die bisherige Weltordnung hinweg, versuchen ohne Rücksicht auf internationale Normen territoriale Eroberungen mit militärischen Mitteln.
Wie zur zynischen Bestätigung bezeichnete nun der russische Außenminister Lawrow die "strategische Partnerschaft" mit China, also die zwischen den beiden schlimmsten Aggressoren der Gegenwart, als "Bewegung für den Triumph des Völkerrechts". Das ist eine genauso verlogene Umkehr aller Fakten wie es einst etwa die Bezeichnung für die von den Russen unterjochten Länder als "Volksdemokratien" gewesen ist, die ja das absolute Gegenteil einer Demokratie gewesen sind.
Diese Diktatoren-Kooperation erinnert beklemmend an das Jahr 1939, als Hitler und Stalin vor dem Einmarsch beider in Polen ihre Interessensphären ebenso säuberlich wie zynisch abgegrenzt haben.
Die letzten Tage haben klargemacht, dass die gefährlichste Polarität auf der Welt jene zwischen China und den USA ist. In politischer, wirtschaftlicher und nicht zuletzt militärischer Hinsicht. Erst dahinter stehen klare Blöcke: Hier die Internationale der Diktatoren, wo Russland jetzt nur noch Nummer 2 ist; und dort die Internationale der Demokratien hinter den USA – solange sich diese nicht wieder in Isolationismus zurückziehen.