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In Seewalchen am Attersee ist eine Ärztin ums Leben gekommen. Nach allen bekannten Indizien: Selbstmord. In beklemmender Weise ist dieser Tod zu einem massiven Politikum geworden. Er zeigt aber auch offensichtliche Fehler in der Polizeiarbeit. Von Bundespräsident Van der Bellen bis zu den Freiheitlichen müssen sich viele fragen, ob sie da nicht ein trauriges Ereignis politisch missbraucht haben, ob sie nicht ganz übel auf einen Tod reagiert haben. Die Behörden – von der Polizei bis zu Krankenversicherungen und betroffenen Bürgermeistern – müssen sich an Hand dieses Falles aber noch etwas ganz anderes fragen: ob nicht ihr Verhalten grundsätzlich zu überdenken ist.
Eindeutig ist, dass sich Lisa-Maria Kellermayr ganz besonders für Corona-Kranke engagiert hat, dass sie klar gegen die Verharmloser der Krankheit und gegen die sich (eigentlich strafrechtlich schuldig machenden) Impfgegner mit etlichen Äußerungen öffentlich aufgetreten ist. Sie wurde daraufhin mit aggressiven Attacken und Bedrohungen der Impfgegner eingedeckt. Soweit scheinen die Fakten unbestreitbar.
Mit deutlich mehr Vorsicht sollte man alle weiteren Entwicklungen sehen, wie sie sich darstellen. Das gilt
Jene Methode, die noch am ehesten zur Wahrheitsfindung führen kann, wird in diesem Fall wohl nicht angewendet werden: Es kann kein Gerichtsverfahren wegen eines Selbstmordes geben. Denn dieser an sich ist ja kein Delikt (überdies hat – wieder einmal – der Verfassungsgerichtshof durchgesetzt, dass auch der Kreis rund um den Selbstmörder noch erweitert ist, der einer Strafe entzogen ist).
Das ist bedauerlich, da dieser Fall längst massiv politisiert worden ist, aber Faktum.
Unbestritten sollte bleiben, dass jeder Selbstmord überflüssig und eine Katastrophe ist. Und vermeidbar. Jenseits der eigentlich dringend notwendigen Prüfung der Motive ist daher jetzt schon die breite Berichterstattung, die jeweils vorgibt, eindeutig das Tatmotiv zu kennen, die allergrößte Katastrophe.
Denn jeder einzelne Bericht in Massenmedien vergrößert die Motivation für innerlich unsichere und verängstigte Menschen, in einer vermeintlich ausweglosen Situation Hand an sich zu legen, oder zu glauben, der eigenen Position durch den Selbstmord ultimative Glaubwürdigkeit zu verschaffen. Und da es keine Möglichkeit zu einer objektiven Klärung gibt, wird auf Boulevard und Umgebung wohl noch sehr lange das gefährliche Spekulieren weitergehen.
Welche Variante immer stimmt: Es ist traurig, dass es soweit gekommen ist. Denn da wie dort hätte es für die nun Tote wie auch andere eindeutige Handlungsmöglichkeiten gegeben.
Bleiben wir zuerst bei den wirtschaftlichen Schwierigkeiten als Auslöser: Frau Kellermayr ist mit Gewissheit nicht der einzige junge Arzt im Lande (gewesen), der sich mit viel Idealismus auf den Weg der Selbstständigkeit als Kassenarzt eingelassen hat, der zwar ein guter und ein (es tut eigentlich weh, eine solche Selbstverständlichkeit auch nur zu erwähnen) sorgfältiger Mediziner ist, dem aber die wirtschaftlichen Fähigkeiten zur Selbstständigkeit fehlen. Der sich vor allem vor Berufsantritt nicht im Klaren gewesen ist, wie schandbar schlecht die öffentlichen Krankenkassen ärztliche Leistungen honorieren. Viele junge Ärzte, die nicht in den Spitalsdienst wollen oder können, gehen daher den Weg eines Wahlarztes, der sich seine Leistungen angemessen honorieren lässt (und wo die Kassa den Patienten nur einen Bettel refundiert).
Dass Kassenleistungen längst besser honoriert gehören, ist bis auf die sozialpartnerschaftlichen Funktionäre des Pflichtversicherungssystems allen bewusst. Das haben wir ja schon oft in Zusammenhang mit dem Ärztemangel diskutiert, wo nicht nur die teuer ausgebildeten Deutschen, sondern auch erstaunlich viele Österreicher nach dem Gratisstudium ins besser zahlende Ausland gehen (beim Gratisstudium scheint in Österreich ja das Geld auf einmal nicht zu fehlen!). Das haben wir auch in Zusammenhang mit dem Irrsinn diskutiert, dass immer nur ein Bruchteil jener jungen Menschen zum Medizinstudium zugelassen werden kann, die sich dazu berufen fühlen. Und die wir bräuchten.
Darüber hinaus hätten ländliche Gemeinden moralisch auch die Pflicht, insbesondere jungen Ärzten wirtschaftlich über die Runden zu helfen, etwa bei der Anstellung der notwendigen Mitarbeiter. Sonst laufen die Gemeinden ja riesige Gefahr, bald ohne Arzt dazustehen. Was für die Bürger vielleicht schlimmer ist, als wenn es kein leerstehendes "Kulturzentrum" im Ort gäbe. Manche Gemeinden tun da etliches, manche nicht.
Diesen Aspekt der Tragödie Kellermayr zu diskutieren wäre wohl genauso wichtig wie den zweiten. Das ist die Hetzkampagne sich in der vermeintlichen Anonymität versteckender Impfgegner. Gewiss: Es gibt Tausende Politiker, Journalisten und offenbar auch Ärzte, die von einem Abschaum beschimpft und mit wüstesten Drohungen eingedeckt werden. Menschen, die lange in solchen Berufen tätig sind, gehen damit in der Regel gelassen um, lesen solche Mails/Chats/Postings nach den ersten zwei Worten gar nicht mehr weiter.
Aber Faktum ist dennoch, dass wegen der Drohungen dieses Abschaums österreichische Minister auf Rat der Polizei in schusssicherer Weste herumlaufen. Und ebenso ist Faktum, dass eine junge Ärztin, die weniger Routine hat, jedes Recht der Welt hat, sich vor den Drohungen dieses Abschaums zu fürchten.
Das deckt die nächsten Ungeheuerlichkeiten auf:
Gewiss, die (auch von zwei politischen Parteien gerade in Oberösterreich geschürte) Aggressivität der Impfgegner hat eine solche Fülle an Drohungen gebracht, dass den Behörden wohl die innere Motivation abhandengekommen ist, jeder einzelnen nachzugehen. Das hätte aber dennoch nicht passieren dürfen (schon gar nicht, wenn man sieht, mit welchen absurden Nichtigkeiten wie etwa den Nuancen einer parlamentarischen Formulierung sich in Wien zentrale Staatsanwaltschaften jahrelang auf Kosten der Steuerzahler zu beschäftigen wissen).
Ebenso fragwürdig ist, wie salopp sich oft Polizeipressesprecher in "sozialen Medien" zu einzelnen Causen äußern, indem sie etwa eine Aussage einfach öffentlich als "Falschmeldung" hinstellen. Gerade angesichts des berechtigten öffentlichen Informationsbedarfs, der nicht mehr einfach mit "Amtsgeheimnis!" abgeschmettert werden sollte, sollte sich eine – ja mit unglaublich viel Macht ausgestattete – Obrigkeit immer nur mit dem größten Bemühen um Präzision und Objektivität öffentlich äußern dürfen.
Andererseits scheint das Desinteresse, auf das Kellermayr gestoßen ist, noch kein allgemeines Phänomen zu sein. Sonst hätte die Polizei nicht im Gegensatz zu Justiz, Politik und Medien so gute Vertrauenswerte.
Aus all dem folgen vier jetzt hoffentlich zwingende Konsequenzen:
Das führt unmittelbar zu den traurigen Akzenten der Politik:
Da ist es auf der einen Seite widerlich, wenn Wahlkampf-Kandidat Van der Bellen sich bei Solidaritäts- und Gedenkveranstaltungen massiv in den Vordergrund drängt, während er etwa bei Morden an jungen Mädchen, die von afghanischen Burschen umgebracht worden sind, keinen Finger gerührt hat. Aber Mord sollte auch für einen grünen Bundespräsidenten noch immer schlimmer sein als Beschimpfungen und Drohungen.
Da ist es auf der anderen Seite (wenn auch inzwischen gelöscht) ebenso widerlich, wenn auf einer von der FPÖ finanzierten Seite redaktioneller Hohn über Kellermayr gegossen wird.
PS: Wenn die Justizbehörden, wie oft schon kritisiert, in manchen Fällen so energisch gegen Islamkritik als "Hetze" vorgehen, dann hätten sie jetzt den wirklich dringenden Anlass, dies bei der Wiener Polizei zu tun, die offenbar ein Seminar zur Indoktrination der Zuhörer mit russischer Propaganda abgehalten hat. Unglaublich, aber offensichtlich wahr. Im Grunde sollten jetzt sowohl der oberösterreichische wie auch der Wiener Polizeidirektor anfangen, ihre Schreibtischladen zu leeren.