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Der Tod des guten Menschen oder: Die Kraft des Voluntarismus

Der verstorbene Michail Gorbatschow war einer jener Menschen, die wirklich aus tiefer eigener Überzeugung Gutes gewollt und bewirkt haben. So wie Wladimir Putin ein Mensch ist, der ebenfalls aus eigener Überzeugung furchtbares Leid über so viele Menschen gebracht hat, der eine vielleicht noch üblere Figur als Lenin oder Stalin ist. Denn diese beiden haben ja vermutlich noch an irgendetwas geglaubt (an eine freilich völlig irre Interpretation von Geschichte und Ökonomie). Putin ist hingegen nur noch die Verkörperung zynischer Gier nach immer noch mehr Macht und Größe.

Gewiss haben zu der so positiven Entwicklung, die im Jahre 1989 begonnen hat, auch noch andere Faktoren beigetragen als nur Michail Gorbatschow.

  • So etwa der polnische Papst mit seiner unglaublichen Ausstrahlung auf die Menschen und seiner Ermutigung für deren Freiheitsliebe;
  • so die Tatsache, dass die sozialistische Planwirtschaft damals buchstäblich am Ende ihrer letzten Kräfte angekommen war;
  • so der US-Präsident Ronald Reagan, dessen grundsatzfeste Politik die Sowjetunion chancenlos gelassen hat;
  • so die mutigen Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa von Havel bis Walesa bis Orbán, von der Charta 77 bis zu den Leipziger Freitagsdemonstranten;
  • so die Nato-Nachrüstung, die klar gemacht hat, dass sich (das damalige) Westeuropa nicht erpressen lässt;
  • so dann zwei Jahre nach 1989 Boris Jelzin, der nach der von Gorbatschow ermöglichten Freiheit für die versklavt gewesenen, wenn auch formell unabhängigen Nationen des Warschauer Paktes dann auch den in der Sowjetunion (und früher im Zarenimperium) versklavten Völkern von den Esten bis zu den Ukrainern die Freiheit gegeben hat (was dann Jahrzehnte später eine Bande darob frustrierter Geheimdienstler wieder rückgängig zu machen versucht).

Dennoch sollte außer Streit stehen: Der persönliche Wille des Michail Gorbatschow war der wichtigste Grund, dass die Welt zumindest drei Jahrzehnte lang in eine überaus positive Richtung gehen konnte. Es mag zwar auch etliche Naivität im Spiel gewesen sein, weil er wirklich geglaubt hat, Sozialismus ließe sich mit Freiheit und Menschenwürde vereinbaren und könnte auch auf demokratischem Weg und ohne Gewalt obsiegen.

Aber letztlich ist das Motiv egal. Entscheidend ist, dass er das Gute ermöglicht hat. Dass er einer dreistelligen Millionenzahl von Menschen den Weg in die Freiheit, in die nationale Selbstbestimmung und in den Wohlstand einer rechtsstaatlichen Marktwirtschaft geöffnet hat, also (in seiner Diktion) in den Kapitalismus. Die "kleinen" Völker von Estland bis Bulgarien, von Polen bis Ungarn haben am meisten davon profitiert.

Aber auch die Österreicher, deren Souveränität bis 1989 von Russland beinhart eingeschränkt worden war, können sich bei Gorbatschow bedanken, nicht nur, weil er die Gefahr eines großen Krieges dramatisch reduziert hat. Für Österreich öffnete sich durch ihn auch der Weg in die EU, was für jeden Österreicher am Ende einen satten Wohlstandsgewinn gebracht hat. Schon die Tatsache, dass der Eiserne Vorhang, der damals wenige Kilometer vor Wien aufgestellt war, heute fast spurlos verschwunden ist, war eine gewaltige Weltveränderung. Was nur jene wirklich würdigen können, die die Zeiten davor erlebt haben. Und die sich noch erinnern können:

  • Wie verlottert waren doch die tschechischen und ungarischen Städte und Dörfer (sofern man sie überhaupt besuchen durfte).
  • Wie heruntergekommen war die ganze Wirtschaft, weshalb sich nur ein paar Funktionäre ein gutes Leben leisten konnten.
  • Wie absurd demütigend war die strikte Meinungs- und Kommunikationskontrolle, die sich sogar vor einem bloßen Zeitungsexemplar fürchtete.
  • Wie schlimm war – und ist – das Schicksal der hunderttausenden politisch Verfolgten und Eingesperrten.

Um nur ein paar Stichwörter in Erinnerung zu rufen.

Dafür, all das und noch viel mehr beendet zu haben, sollte man dem nun verstorbenen Gorbatschow mehr als eine Kerze anzünden. An der Verehrung für ihn kann es auch absolut nichts ändern, dass seine Slogans "Glasnost!" und "Perestroika!" heute ziemlich naiv anmuten. Gortbatschow hat nicht nur den unterjochten Völkern innerhalb und außerhalb der Sowjetunion die Freiheit gebracht (was für ihn eigentlich nur ein nicht direkt geplantes Randthema gewesen ist), sondern auch geglaubt, dass man die Russen selber per Befehl von oben umerziehen kann, ihnen den Verzicht auf Alkoholexzesse ebenso wie den Mut zur Wahrheit und Leistung einimpfen kann. Das war ziemlich herzig, aber dennoch ein weiterer Beweis dafür, dass er ein guter Mensch gewesen ist.

Wie schmerzlich muss für Gorbatschow seine letzte Lebenszeit gewesen sein, als er – wieder zum Schweigen gezwungen – mitansehen musste, wie sein Nachnachfolger all die Schrecklichkeiten der Sowjetherrschaft wiederbelebt, wieder politische Gegner einsperrt, wieder eine strikte Meinungskontrolle eingeführt und völlig grundlos einen furchtbaren Krieg entzündet hat.

Geschichtsphilosophisch betrachtet ist Gorbatschow jedenfalls der beste Beweis für die Kraft des Willen, also für den Voluntarismus, also dafür, dass der Wille des einzelnen Staatsmannes wichtig und oft entscheidend ist. Dass keineswegs die Produktions- oder sonstigen Verhältnisse den Gang der Geschichte bestimmen, wie uns die "Wissenschaft" des Marxismus einreden wollte.

Als stärker hat sich freilich die Kraft der nationalen Identität, des Patriotismus all dieser Völker erwiesen. In überaus positiver Hinsicht – weil er den Nationen die Kraft zu einer gewaltigen Wiederaufbauleistung gebracht hat. Aber auch in sehr negativer Hinsicht – man denke nur an die Nero-artigen Träume des Wladimir Putin von neuer imperialer Größe eines in Wahrheit morschen und überalterten Landes.

PS: Dass oben sehr bewusst Jelzins historische Leistung in eine Reihe mit Goratschow gestellt worden ist, darf nicht dadurch geschmälert werden, dass Russland unter Jelzin später als Folge des globalen Verfalls der Energiepreise (ja, auch so etwas hat es in der Geschichte gegeben!) in eine ökonomische Krise gerutscht ist, die von vielen Russen mit einer Krise der Demokratie verwechselt worden ist. Und schon gar nicht darf sie durch Jelzins spätere Alkoholkrankheit überdeckt werden.

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