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Johnsons Rücktritt und das Schicksal des Westens

Versteht man unter Europa mehr als nur die EU, dann ist dieser Kontinent auf der weltpolitischen Bühne nun endgültig in die Bedeutungslosigkeit abgeglitten. Die Amerikaner haben ausgerechnet in dieser geopolitisch so schwierigen Situation kein Gegenüber mehr in der "Alten Welt": Dem französischen Präsidenten Macron haben die Wähler mit der Verweigerung einer Parlamentsmehrheit die Hände gebunden, in Deutschland ist der phantasie- und antriebslose Olaf Scholz an der Spitze – und England wird durch Boris Johnsons erzwungenen Rücktritt außenpolitisch auf absehbare Zeit auch kein Ansprechpartner mehr sein.

Wäre es nicht so tragisch, dann wäre es beinahe lächerlich: In den ernstesten Zeiten seit Jahrzehnten wird der englische Regierungschef aus abstrus unernsten Gründen aus dem Amt gezwungen. Kommende Generationen werden wahrscheinlich nur den Kopf schütteln können: Da wird ein Premierminister, der den größten Wahlsieg seit den Thatcher-Jahren eingefahren hat und eine mutige und wohl schon deshalb polarisierende Politik im Land und auf der Weltbühne gemacht hat, wegen eines Skandälchens auf Klatschspalten-Niveau von der eigenen Partei fallen gelassen.

Die Tories haben Johnson noch dazu abgeschossen, ohne eine ebenbürtige Alternative präsentieren zu können. Unter den Kandidaten, die zur Auswahl stehen, sticht keiner durch ein auch nur annähernd ähnliches Format hervor. Und das passiert ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, da die multiplen Krisen nach echter Leadership verlangen - die Boris Johnson bei allem, was man ihm auch vorwerfen kann, jedenfalls in hohem Maß hatte.

Kein Wunder, dass ausgerechnet die Russen über die Johnson-Abhalfterung unverhohlen und voll Häme jubeln: Denn Volodymyr Zelensky verliert seinen engsten europäischen Verbündeten.

Johnsons England hat die Ukraine am raschesten und am tatkräftigsten unterstützt, der Schulterschluss mit den USA und den Osteuropäern – im Gegensatz etwa zu den lange zögerlichen Deutschen – hat den nachhaltigen Widerstand der Ukraine erst ermöglicht. Nun wird ein potenzieller Nachfolger die pro-ukrainische Linie nicht gleich umdrehen. Aber es erhebt sich die Frage, ob er stark genug sein wird, dabei zu bleiben, auch wenn sich die Stimmung in England dreht – die Ermüdungserscheinungen nach der anfänglichen Begeisterung werden immer mehr, besonders, seit die Energie-Waffe der Russen die Preise hochschnellen lässt.

Eine Inflationsrate, die sich den 10 Prozent nähert, ist schwer zu verkraften – noch dazu in einer Zeit, wo die Auswirkungen von Corona und die Folgen des Brexit der englischen Wirtschaft heftig zusetzen. Da braucht es einen Regierungschef mit Standfestigkeit, mit Ideen und Mut. Ob der Johnson-Erbe genug davon hat, wird sich weisen.

Aufatmen können auch all die Schlepper, die die illegalen Migrantenströme aus Afrika und Asien nach Europa lenken. Denn die Ruanda-Idee ist wohl mit Johnsons Abgang gänzlich gestorben: Nun wird es den Rücktransport der illegalen Zuwanderer nach Afrika nicht geben und auch nicht die Vorschrift, noch in Afrika das Asylverfahren abzuwickeln. Johnson ließ sich in dieser (wie in vieler anderer) Hinsicht vom Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof nicht einschüchtern, der durch die ersten Abschiebeflüge natürlich sofort auf den Plan gerufen wurde. Das Projekt wäre wegweisend für ganz Europa gewesen. So aber wird das Geschäft mit den "Flüchtlingen" weiter blühen und England wie Kontinental-Europa werden unter immer stärker anschwellenden Migrantenströmen leiden müssen. Das wird den europäischen Teil der westlichen Welt weiter schwächen.

Zieht man neben dem Johnson-Abgang auch noch die Schreckensvorstellung in Betracht, dass der alles andere als taufrische Joe Biden eine zweite Amtszeit anhängt, dann wäre die Situation erreicht, wo es geopolitisch kein Gleichgewicht mehr geben kann. Dann wäre der Westen so geschwächt, dass die Machtgelüste der autoritären Russen und Chinesen wohl nicht mehr zu zügeln wären. Und dann wird man in der Rückschau den erzwungenen Rücktritt Johnsons als Anfang vom Ende des Westens interpretieren müssen.

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