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Die Methode Kompromiss prägt seit fast einem dreiviertel Jahrhundert die Geschicke der einst als "Wirtschaftsgemeinschaft" gegründeten Europäischen Union. Das hat sich jetzt wieder beim Ringen um Einsparungen beim Verbrauch des durch Russland dramatisch verknappten Gases gezeigt. Freilich muss noch Monate offenbleiben, was für ein Kompromiss eigentlich erzielt worden ist: Ist es ein guter, der beweist, dass die EU am Ende nach stürmischen Tagen meist zu brauchbaren Lösungen finden kann? Oder ist es ein Scheinkompromiss, bei dem vor lauter Konzessionen an einzelne Länder vergessen worden ist, dass es eigentlich zur Lösung eines großen Problems kommen hätte sollen?
Die Stunden der Wahrheit für den jetzigen Gaskompromiss werden daher erst am Ende des Herbstes beginnen. Denn dann wird zu dem ständigen Bedarf der Industrie an Gas, der für die Gegenwart ja noch problemlos gedeckt werden kann, auch noch der zusätzliche Bedarf der Haushalte für die Heizung kommen. Wird auch der mit der reduzierten Gasmenge gedeckt werden können?
Wenn das nicht der Fall sein wird, dann ist politisch Feuer am Dach. Dann wird es Unruhe unter den frierenden Bürgern geben. Dann wird keine Regierung Chancen haben, wiedergewählt zu werden. Den Bürgern wird auch egal sein, dass damals im Juli vor allem ihretwegen ein Kompromiss geschlossen worden ist, weil die Politik Angst hatte, dass die Bürger bei drastischeren Sparmaßnahmen nicht mitgegangen wären. Weil sie halt im Sommer nicht sonderlich an den Winter denken.
Der jetzt geschlossene Kompromiss geht substanziell von den Vorschlägen der EU-Kommission ab, die mit einem straffen Regime durchsetzen wollte, dass jedes Mitgliedsland ab sofort seinen Gaskonsum um 15 Prozent reduziert. Es gibt etliche Ausnahmen für einzelne Länder – so sollen die beiden iberischen Staaten, die gar nicht vom russischen Gas abhängig sind, nur die Hälfte dieses Prozentsatzes einsparen müssen. Und vor allem: Anstelle straffer Kontrollen und Durchsetzungsmöglichkeiten der EU-Kommission ist das ganze Einsparungspaket nur freiwillig. Zumindest vorerst. Erst wenn es "weitreichende Versorgungsengpässe" gibt, sollen verbindliche Einsparziele vorgeschrieben werden. Und auch diese sollen dann nicht von der Kommission, sondern vom Rat, also von der Summe der Mitgliedsländer, durchgesetzt werden.
Die erste Reaktion eines Energiemarkt-Experten lautete knapp "Naja". Der in Brüssel erzielte Kompromiss ist zwar deutlich besser, als ein ergebnisloses Auseinandergehen der Mitgliedsländer gewesen wäre. Aber:
Auf der anderen Seite sehen die einschlägigen Experten aber auch etliche Hoffnungsschimmer am Horizont:
Das erinnert an Donald Trump: Er hat die Europäer ununterbrochen kritisiert, weil sie zu sehr von russischen Energielieferungen abhängig sind; sie sollten stärker diversifizieren und sich auf Flüssiggas-Importe umstellen. Das wurde damals vor allem von Deutschland mit dem Argument brüsk abgeschmettert, dass Trump lediglich Amerikas Exportinteressen im Sinn hätte und dass russisches Gas weit billiger sei. In dieses wurde in der Folge noch weiteres Geld (für die Pipeline Nordstream 2) gesteckt. Jetzt jedoch muss unter Zeitdruck genau das getan werden, was man unter Trump nicht wollte.
Experten sind überzeugt, dass Russlands Machthaber Putin durch die Gasliefer-Reduktionen seinem Land selbst schwer geschadet hat: Denn sobald die LNG-Infrastruktur ausreichend ausgebaut ist, werden die Europäer auf Dauer Alternativen zum russischen Gas haben – vor allem die Deutschen und Österreicher, die bis vor kurzem am meisten davon abhängig gewesen sind.
Wenig Zweifel: Der kommende Winter wird problemreich. Aber es bestehen gute Perspektiven, dass danach viele, auch über LNG hinausgehende Energie-Alternativen aktiv werden:
Es gibt also durchaus Gründe, mit etlichem Optimismus in die Zukunft nach diesem Winter zu blicken. Auch für die EU. Sie hat die Sollbruchstellen der Gaskrise gut überstanden. Zumindest vorerst. Die bestanden vor allem darin, dass die Ängste einzelner Länder wegen des russischen Gasboykotts sehr ungleich verteilt sind. Sind doch nur zwölf Staaten direkt davon betroffen. Andere werden etwa aus Nordafrika oder aus der Nordsee versorgt.
Daher ist es fast überraschend, dass man so rasch einen Kompromiss gefunden hat. Und dass man nicht – etwa – den Deutschen gesagt hat: Ihr wart leichtsinnig und verantwortungslos und habt durch die einseitige Abhängigkeit von Russland über eure Verhältnisse gelebt. Dieser Vorwurf hätte ja fast wörtlich an die ebenso berechtigten Vorwürfe in der Gegenrichtung erinnert, also an den Tadel Deutschlands für die Südeuropäer, weil sie durch zu hohe Defizite und Schulden über ihre Verhältnisse leben …
Ein Text mit ähnlichem Inhalt ist in der europäischen Wochenzeitung "Epoch Times" erschienen.