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Der Strompreis, Felbermayrs Ideen und die Wirklichkeit

Jeder zweite Politiker schwadroniert derzeit davon, was man gegen die besonders im Energiebereich explodierenden Preise tun kann. Leiden doch alle Konsumenten, also die Wähler darunter; manche könnten sogar in existenzielle Nöte geraten. Gleichzeitig ist aber völlig klar: Die Preise steigen nicht aus Jux und Tollerei, oder weil es sich irgendwelche bösen Kapitalisten ausgemacht haben, plötzlich alle Preise hinaufzuschnellen. Preissteigerungen signalisieren vielmehr entweder die Folgen einer falschen Notenbankpolitik oder von Knappheiten. Europa leidet unter beidem, also einerseits unter der langjährig grob fahrlässigen Gelddruckpolitik der EZB zugunsten von Italien & Co, und andererseits unter Wladimir Putins Gasputin-Spielen und unter den Folgen des grünen Ideologiekampfes gegen fast alle bisherigen Energiegewinnungsformen.

Die allermeisten Vorschläge, wie man mit diesem Dilemma umgehen soll, sind allerdings durch und durch populistisch kursichtig. Kein Wunder, kommen sie doch von den obersten Populisten der Republik, also der SPÖ und den Landeshauptleuten. Fast jeder Vorschlag läuft auf primitives und gefährliches Schuldenmachen eines ohnedies überschuldeten Staates hinaus und darauf, dass knappe Produkte noch knapper werden. Das führt langfristig unweigerlich dazu, dass es die künstlich billig gehaltenen Produkte bald nur noch im Schleichhandel oder nur mit staatlichen Zuteilungsscheinen geben wird.

Nun hat ein Ökonom einen Vorschlag gemacht, der im Vergleich zum Politiker-Populismus relativ klug klingt. Dieser Vorschlag ist auf dem Papier ein halbwegs vernünftiger Kompromiss zwischen den ökonomischen Zwängen und den sozialen Bedürfnissen. Dennoch hat auch der Plan des Wirtschaftsforschers Gabriel Felbermayr gleich mehrere gewaltige Pferdefüße. Diese machen etwas in der ökonomischen Theorie recht vernünftig Klingendes, im wirklichen Leben zu etwas Hochproblematischem.

Felbermayr schlägt vor, dass jeder Haushalt einen Teil der Stromrechnung weiterhin zu etwa den bisherigen Konditionen bekommt, während der Rest je nach Weltmarktpreis zu bezahlen ist. Dadurch können einerseits die Menschen weiterhin ihre Grundbedürfnisse decken, andererseits werden sie durch die hohen Preise für den Rest des Stromverbrauchs zum Sparen angehalten. Das klingt nach einer Quadratur des Kreises, das begeistert daher automatisch alle Politiker. Felbermayr ist an sich auch ernst zu nehmen, kann er doch wirklich nicht als sozialistischer Primitivökonom abgestempelt werden, der ständig nur nicht vorhandenes Geld ausgeben will.

Dennoch kann man auch ihm etliche Vorwürfe, etliche kritische Fragen nicht ersparen:

  1. Wird auch das Gas in diese Konstruktion einbezogen? Dann wird die Sache für den Staat sehr teuer.
  2. Die – natürlich sofort begeistert aufgesprungene – Gewerkschaft hat die von Felbermayr selbst noch nicht bezifferten Kosten seines Plans mit fast drei Milliarden berechnet. Jährlich. Das ist eine gewaltige Summe.
  3. Die österreichische Erfahrung lehrt, dass einmal eingeführte "Wohltaten", die als staatliche Hilfe für Notsituationen eingeführt worden sind, fast nicht mehr abzuschaffen sind. Man denke etwa an den "Friedenszins", der in der Not des ersten Weltkriegs für Mietwohnungen eingeführt worden ist. Das bedeutet in Analogie die Gefahr einer ewigen Subventionierung der Energiepreise (die Kennern der italienischen Verhältnisse sehr bekannt vorkommen wird).
  4. Noch viel schwieriger ist die Frage: Was ist überhaupt ein Haushalt? Geht man nach dem Melderegister, dann muss man den Stromversorgern, die ja nicht wissen können, wie viele Menschen an einem Zähler hängen, alle Meldetaten zur Verfügung stellen. Das ist zwar machbar – würde aber sämtliche Schikanen der Datenschutzhysterie, mit der uns vor allem die Grünen geplagt haben, lächerlich machen.
  5. Wie wird die Haushaltsgröße berücksichtigt: pro Kopf oder pro Quadratmeter?
  6. Wenn die Wohnungsgröße nicht berücksichtigt werden, muss der Staat de facto eine Normgröße als erlaubt deklarieren, bei dem die Energiekosten-Subventionierung noch funktioniert.
  7. Was ist mit Menschen, die in einer anderen österreichischen Stadt eine Dienstwohnung oder eine Übernachtungsmöglichkeit haben? Bekämen die dann den nur selten genutzten Wohnsitz voll subventioniert?
  8. Was ist mit jenen Zehntausenden, die irgendwo im Ausland einen zweiten Wohnsitz haben, zu dem sie jedes Wochenende fahren? Die haben natürlich hierzulande einen viel niedrigeren Stromverbrauch, was sie bevorzugen würde.
  9. Oder will man wieder Grenzkontrollen einführen, um diese Auslandspendler zu erwischen?
  10. Werden Kinder voll oder nur reduziert berücksichtigt (obwohl sie oft am längsten an irgendwelchen elektronischen Geräten hängen …)?
  11. Muss für die aus schwer nachvollziehbaren Gründen zuletzt so stark forcierten Elektroautos der volle oder nur ein reduzierter Stromtarif bezahlt werden?
  12. Wie kontrolliert man bei eventuellen Preisreduktionen für E-Auto-Strom, ob dieser Strom wirklich nur dem an der heimischen Steckdose hängenden Auto zugute kommt, oder ob er für etwas anderes verwendet wird?
  13. Gibt es Zusatz-Kontingente, wenn jemand aus medizinischen Gründen dauernd ein Gerät braucht?
  14. Wie ist es mit allen Hotels, Gewerbebetrieben, Geschäften, Büros? Müssen die den teuren Tarif zahlen, während Inhaber eines "Wohnsitzes", den sie etwa via airbnb vermieten, subventioniert werden?
  15. Wird der erhöhte Stromkonsum bei den zuletzt auch politisch so forcierten Homeoffice-Arbeitsplätzen irgendwie berücksichtigt?
  16. Wenn Ja: Wird kontrolliert, an wie vielen Tagen jemand im Homeoffice sitzt? Wenn Nein: Werden Arbeitgeber an den Kosten beteiligt?
  17. Bekommen Selbständige, die von der eigenen Wohnung aus arbeiten (wie etwa mein Programmierer, meine Abonnenten-Administratorin, mein EDV-Betreuer, meine Lektorin, mein Gastkommentarbearbeiter oder wie der Tagebuchschreiber selber), bessere Konditionen als jene, die die Wohnung nur zum Schlafen benutzen? Wenn Ja: Ab welchen Umsätzen?
  18. Ist jemandem bewusst, dass es in der Folge massenhaft zu polizeilichen Ummeldungen kommen wird, mit denen versucht wird, die Folgen des künftige Strompreis-Regimes zu umgehen, wie auch immer es im Detail aussieht? So könnte sich etwa der eine Ehepartner in der Stadt, der andere im ländlichen Zweitwohnsitz anmelden, damit das Paar die Begünstigung auch dort konsumieren kann.
  19. Sofort wird eine neue Industrie an Beratern entstehen, die für jede Familie kalkulieren, welche Verteilung der Anmeldung der diversen Familienmitglieder auf die einzelnen Wohnsitze am günstigsten ist.
  20. Es braucht auch eine neue gewaltige staatliche Bürokratie, um die Einhaltung aller Detailregelungen zu kontrollieren, um Missbrauche zu bekämpfen, oder auch um das Strompreiskonto jedes einzelnen Bürgers kontrollieren.
  21. Es wird etliche Menschen geben, die aus welchen Gründen immer das geförderte Kontingent nicht ausschöpfen oder die mit einfachen Mitteln ihren "normalen" Stromverbrauch drastisch reduzieren könnten. Sie werden offenbar gar nicht zum zusätzlichen Sparen angehalten – oder?
  22. Eine unglaubliche Fülle von schwierigen Fragen löst eine unglaubliche Fülle von Gerechtigkeits-Aspekten aus. Und wahrscheinlich kann noch jeder Leser dieser Fülle ein halbes Dutzend weiterer Fragen anhängen. Sind doch die Lebensrealitäten so vielfältig geworden, dass sie sich nur schwer in Gesetzen fassen lassen. Es ist nicht anzunehmen, dass die – wie immer sofort über jeden neuen Regulierungsvorschlag begeisterten – Medien und Politiker diese Dinge auch nur halbwegs durchdacht haben, die da Felbermayr derzeit zujubeln. Und wohl auch dieser selbst nicht.
  23. Man kann daher jetzt schon wetten: Auch wenn das Regelwerk noch so kasuistsch und umfangreich gestaltet wird, wird eine Fülle von Fragen erst durch die Gerichte geklärt werden müssen. Die werden dann dafür ebenfalls zusätzliches Personal (und Arbeitsräume und Energie für diese Arbeitsräume …) verlangen.

Je länger man über diese Problemfülle nachdenkt, umso mehr kommt man zu dem Schluss: Es wäre wohl einfacher, die Sozialleistungen – etwa die Ausgleichszulagen und Familienbeihilfen – für die Dauer des Energienotstandes zu erhöhen, als sich auf all das einzulassen. 

Es ist auch kein Zufall, dass der Chef des mit Felbermayrs Wifo konurrierenden IHS, Klaus Neusser, den Felbermayr-Plan scharf als "kostspielig und kompliziert" abgelehnt hat. Genau das zeigen auch die oben aufgelisteten 23 Punkte. Merkwürdigerweise ist Neusser überhaupt nicht wahrgenommen worden. Dabei reagieren die Medien normalerweise immer besonders gierig auf "Konflikt zwischen ..."

Was am meisten ärgert: Alle Medien und Politiker, die da jetzt auf den Felbermayr-Plan aufgesprungen sind, haben den von ihm gleichzeitig gemachten zweiten Vorschlag ignoriert, obwohl der viel wichtiger ist: nämlich dass Österreich die Gewinnung von Gas aus der Tiefe unter seinem Boden in Angriff nehmen sollte. Das wäre mit den modernen Fracking-Methoden sehr gut möglich. Das könnte nach einer – zu überbrückenden – Bauzeit der notwendigen Anlagen auf Jahrzehnte die Gas-Probleme Österreichs lösen.

Freilich: Das wird nicht nur durch die Angst der Politik verhindert, dass die knallgrün gewordene Kronenzeitung eine Panik-Kampagne gegen das Fracking beginnt. Das wird auch durch die EU verhindert: Denn sie zwingt uns ja, ab 2040 "klimaneutral" zu sein (wohl damit China & Co noch mehr CO2 emittieren können …). Dann werden wir aber weder russisches noch österreichisches Gas verwenden dürfen.

Und niemand traut sich  jetzt schon, offen zu sagen, was man vermutlich im Jahr 2039 dann im letzten Augenblick doch noch schnell beschließen wird: Das mit der sogenannten Klimaneutralität der EU ist leider, leider ein Irrweg gewesen; die Welt hat sich leider, leider nicht um die Gutmensch-Beschlüsse der EU gekümmert; Windmühlen können leider, leider doch nicht die Wohnungen heizen und die Hochöfen in Gang halten; daher müsse man die "Klimaneutralitäts"-Beschlüsse leider, leider kübeln.

Wären Regierungen hingegen jetzt schon so ehrlich zu sagen, dass es ohne Fracking und Atomstrom halt doch nicht geht, dann würden wir uns Jahrzehnte mit Inflations- und Energieproblemen ersparen.

Aber Politik glaubt halt immer, dass man sich in der Welt nur die Rosinen heraussuchen kann.

Das trifft nicht nur auf Österreich zu. So haben etwa Slowenien und Kroatien sogar eine kräftige Subventionierung der Treibstoffpreise für Autofahrer beschlossen. In Slowenien kostet ein Liter Diesel nur noch 1,70 Euro. Normalbenzin ist noch billiger. Also Kärntner und Steirer: Auf zum Abstecher nach Süden und regelmäßigen Auffüllen eurer Tanks.

Genauso hat auch Niederösterreich in den Staatsschuldenbeutel gegriffen und subventioniert aus Steuerkosten jede Kilowattstunde Strom, die im Land konsumiert wird (Hängt natürlich gar nicht mit den bevorstehenden Landtagswahlen zusammen ...).

Umso erstaunlicher, dass es in Deutschland sogar einen grünen (!!) Politiker gibt, der sich der populistischen Feigheit entgegenstellt und einen Preisdeckel für Gas ausdrücklich ablehnt. Robert Habeck wörtlich: "Das wird das Land in der einen oder anderen Form tragen müssen." Der deutsche Wirtschaftsminister setzt sich auch sehr realistisch – gewiss neben der üblichen grünen Wünschdirwas-Litanei "Erneuerbare" und "Einsparungen" – für den Bau von Flüssigerdgas-Terminals an den deutschen Küsten ein.

Dabei wird dort angelandetes Gas laut EU ja in wenigen Jahren eigentlich als des Teufels verboten sein. Aber Habeck weiß offenbar um die Wendigkeit grüner und europäischer Ideologien. Und er braucht nicht die Feme der österreichischen Bioethikkommission zu fürchten.

PS: Jeder, der zur Lösung der Energie/Inflationskrise meint, man müsse ja nur Putin seinen Willen lassen und ihm die Lizenz zum Erobern geben, der ist nicht nur zynisch, sondern der begreift auch nicht den Charakter des russischen Machthabers: Dieser wird frühestens erst dann zum verlässlichen Gaslieferanten werden und auf seine Erpressungen verzichten, wenn er einsehen muss, dass Europa auch ohne ihn auskommt.

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