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Der Kulturkampf der Pseudo-Moralisten

Es ist schon skurril: In der Ukraine kämpfen die Menschen nicht nur um ihre Freiheit, ihr Leben und ihr Land. Sie versuchen auch, ihre Kultur und deren Zeugen vor der Vernichtung zu retten. Wir hingegen marschieren im Gleichschritt mit den Amerikanern und den Deutschen genau in die entgegengesetzte Richtung: Mit moralischen Maßstäben unserer Tage stürzen wir alte Denkmäler, zerstören Spitzenleistungen früherer Künstler und wollen unser Erbe bis zur Unkenntlichkeit "säubern".

Die Ukrainer haben es verstanden: Nur wer seine Vergangenheit und ihre Zeugen kennt, annimmt und bewahrt, weiß, wer er ist. Nicht umsonst will die wilde Aggression von Putin-Russland dem Land seine eigene kulturelle Identität absprechen und alle ihre Zeugen zerstören.

Wir machen das freiwillig: Wir lassen es zu, dass eine kleine linke Krakeeler-Truppe ihre verqueren "moralischen" Maßstäbe an unsere Vergangenheit anlegt und sie von allem und jedem "befreit", was ihr nicht ins Konzept passt.

Das Ärgernis der so genannten "Kontextualisierung" des Lueger-Denkmals ist dabei nur ein Anfang – das steht zu befürchten. Das Tagebuch hat unzählige Male darauf hingewiesen, wie Wien aussehen würde, hätte es diesen Bürgermeister nicht gehabt, auch wenn er Antisemit gewesen ist. Jetzt muss sein Denkmal für die große Abzocke von ein paar modernen Künstlern und für die Verhässlichung der Stadt herhalten: 100.000 Euro soll eine "Platzhalter-Installation" kosten (offengelegt ist übrigens noch nicht, wie viele Bäume dieser Verschandelung weichen müssen, liebe Klimaretter!), 500.000 weitere der Wettbewerb für die Überheblichkeit dieser endgültigen Lueger-Abwertung. Denn etwas anderes ist es nicht, wenn wir derart über die Vergangenheit richten. Überheblich.

Dass hier mehr als eine halbe Million Euro beim Fenster hinausgeworfen wird, in einer Zeit, wo niemand sagen kann "Wir ham’s ja", ist halt typisch Wien. Denn hier herrschen besondere Sitten. Während sich der aktuelle Bürgermeister bei allem und jedem als der gute, fürsorgliche "Papa" aufspielt (bei den Corona-Maßnahmen darf’s ein bissel strenger sein, bei den Bestechungsinseraten ein großes bisserl mehr) und sich darüber aufregt, dass die böse nicht-sozialistische Bundesregierung die Inflation nicht abschafft und auch die Stromrechnung (noch) nicht für alle zahlt, heizt er die Teuerung selbst an: Sogar in dieser prekären Situation erhöht er unter dem verharmlosenden Titel "Valorisierung" wie alljährlich die Preise für Wasser, Kanal und Müllabfuhr. Also sind es nur Krokodilstränen, die Bürgermeister Ludwig vergießen muss aus Mitleid mit den Menschen, die unter der Teuerung leiden. Dort, wo er selbst mit einem Gebührenstopp etwas für die inflationsgeplagte Bevölkerung tun könnte, kennt er kein Erbarmen. Da heizt er auch die Inflation weiter an.

Bei einem Ludwig-Denkmal gäbe es einiges zu kontextualisieren. Da ist man ja beinahe froh, dass hierzulande seit Jahrzehnten nur mehr Mahnmäler und keine Denkmäler aufgestellt werden.

Neben dem selektiven Denkmalsturz (der Antisemit und Anschlussbefürworter Renner und der Massenmörder Che Guevara müssen natürlich nicht kontextualisiert werden) müssen wir, einst eine führende Kulturnation, bei jedem modischen Blödsinn mitmachen, der via Internet und Fernsehen aus den USA und aus Deutschland zu uns herüberschwappt. Um nur ein paar Beispiele zu nennen:

  • Der wehleidige Kampf gegen alles, was eine Person dunkler Hautfarbe beleidigen könnte, wurde gegen den Mohren der Firma Meinl, gegen eine 700 Jahre alte Apotheke (die "Mohrenapotheke") und gegen die Speisekarte geführt. Der Mohr im Hemd gehört zwar zu unserem kulinarischen Erbe, darf aber so nicht mehr heißen.
  • Auf der Bühne darf sich der Sänger des Othello in der Verdi-Oper und des Monostatos in der Zauberflöte nicht mehr dunkel schminken. Blackfacing heißt diese Art des Schminkens, die heutzutage als "Beleidigung" gilt, auch wenn der Sinn so manchen Stücks durch den Schmink-Verzicht verloren geht.
  • In Wien werden immer mehr Stimmen laut, dass sich die türkischen Zuwanderer durch die vielen an die Türkenbelagerungen erinnernden Darstellungen und aufgestellten Gegenstände (Kanonenkugeln etc. mit Erklärungsschild – aber nicht kontextualisiert) beleidigt fühlen und dass diese daher beseitigt gehören.
  • In Deutschland beginnt man jetzt damit, mittelalterliche antisemitische Darstellungen in Kirchen zu bekämpfen. Freilich: Die Geschichte der christlichen Kirchen ist voll von Unrecht gegen einzelne Gruppen – die "Christusmörder", die "Hexen" und noch viele andere Opfer düsterer Jahrhunderte. Da kann man nur hoffen, dass man uns plötzlich nicht sämtliche Kirchen "kontextualisieren" will.

Fragt sich nur, was spätere Generationen über die kulturfeindliche Pseudo-Moral unserer Zeit denken werden.

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