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Österreichs Regierung versucht erstmals seit Längerem wieder außenpolitische Akzente zu setzen. Das ist an sich lobenswert. Es ist auch durchaus nicht falsch, sich dabei dem sogenannten Westbalkan zu widmen, einem Österreich historisch recht nahen Raum. Dafür hat man sich im Außenministerium einen durchaus interessanten, wenn auch komplizierten Plan überlegt, wie man den Raum an die EU schrittweise heranführen könnte. Österreich denkt da mehr darüber nach als andere. Es ist jedoch erschütternd, wie viele katastrophale Denkfehler die Regierung bei diesem Thema begeht, wobei sie alte Fehler mit neuen, noch schlimmeren verquickt.
Dabei geht es um die Frage des sogenannten "EU-Beitrittskandidatenstatus" interessierter Staaten. Dabei geht es darum, wieweit die EU-Erweiterung an Grenzen stößt. Dabei geht es darum, welche Signale man Richtung Ukraine schickt. Dabei geht es um die Länge von Beitrittsverhandlungen. Dabei geht es um die Frage, ob eine formalistische Gleichbehandlung aller derzeit in die EU drängenden Staaten richtig ist. Dabei geht es um die Notwendigkeit der Unterscheidung, ob die Probleme dieser Staaten selbst- oder fremdverschuldet sind. Dabei geht es darum, ob diese Staaten einen automatischen Anspruch auf Vollmitgliedschaft haben (wie er eigentlich in den Verträgen steht) oder ob man ihnen aus pragmatischen Gründen (zumindest vorerst) etwas anderes anbietet, was zwangsläufig ein Weniger ist – oder als ein Weniger empfunden wird.
Zuerst das Lob: In Wien hat man sich – ähnlich wie sonst anscheinend nur Frankreich – Gedanken gemacht, wie man aus der Sackgasse des bisherigen binären Denkens herauskommt, das nur EU-Mitgliedschaft und Nicht-Mitgliedschaft gekannt hat. Die Österreicher haben flexiblere Strukturen angedacht, die den herandrängenden Staaten à-la-carte-Beziehungen anbieten sollen, weil eben nicht alle in gleicher Weise beitrittsfähig sind – auch wenn sie das selber meist nicht so sehen.
Die vor der Tür stehenden Länder sehen hingegen nur die vermeintlich vollen Geldtöpfe der EU, die bisher überwiegend Richtung Mittelmeerstaaten entleert werden, und die Möglichkeiten eines Vetorechts, das einem EU-Mitglied große politische Macht zu geben scheint. Aber sie sehen viel weniger die Notwendigkeit, sich vor einem Beitritt einmal selbst zu verändern, etwa die oft endemische Korruption abzubauen. Und sie wollen verständlicherweise auch nicht den Widerstand als legitim akzeptieren, den es vor allem in den Mittelmeerstaaten gegen neue Mitglieder gibt, mit denen künftig der Kuchen zu teilen wäre.
Bei vielen EU-Europäern herrscht angesichts einer neuen Beitrittswelle aber Angst vor einer neuen Massenmigration als Folge der EU-internen Freizügigkeit. Diese Angst ist aber unbegründet. Denn in Wahrheit brauchen gerade die westlichen Industrieländer dringend die hochqualifizierten Arbeitskräfte aus all den Ländern zwischen der EU einerseits und Russland sowie der Türkei andererseits. Dennoch sind diese Ängste real und können daher nicht ignoriert werden, selbst wenn sie den EU-Verträgen widersprechen.
Das österreichische Konzept sieht acht verschiedene Stufen – die man besser Kreise nennen sollte – vor, bei denen die Bewerber jeweils voll mitmachen könnten: Dazu gehört insbesondere der Binnenmarkt, der zweifellos der Kern des EU-Erfolges ist und der auch den Bewerber-Staaten am stärksten Richtung Modernisierung helfen würde. Dazu gehört die freilich immer noch embryonale gemeinsame Sicherheitspolitik (mit der gegenseitigen, allerdings ohne Nato inhaltsleeren Beistandspflicht). Dazu gehören Klima- und Energiepolitik und noch eine Reihe spezieller Schwerpunkte wie Bildung, Verkehr oder Krisenvorsorge.
Auch wenn man leise Zweifel hat, ob es wirklich funktionieren kann, dass Staaten gleichzeitig Nichtmitglied und Mitglied sein können, so sollte zweifellos über diesen Plan intensiv diskutiert werden. Es ist gewiss schlauer, bei einem Bereich nach dem anderen beitreten zu können, als warten zu müssen, bis erst alle Bereiche positiv abgehakt sind.
Jetzt aber kommen wir zu den katastrophalen Fehlern:
Die anderen Staaten des Balkans sind viel weniger problematisch – zumindest wenn man die massive Korruption etwa in Montenegro und im Kosovo zu ignorieren bereit ist.
Und Mazedonien ist sogar selbst ein unschuldiges Opfer des Nationalismus der jetzigen EU-Staaten Griechenland und Bulgarien. Diese haben aus absurden Gründen (wegen des Staatsnamens, wegen der Frage, ob die Mazedonier nicht eigentlich Bulgaren sind) zumindest zeitweise den Beitritt Mazedoniens verhindert. Diese beiden haben damit ihr Vetorecht krass missbraucht. Aber auch der vermeintliche Balkanspezialist Österreich klingt ähnlich. Man kann ja schon froh sein, dass Bulgarien nicht aus der Behauptung, die Mazedonier wären eigentlich Bulgaren, so wie Russland zu den Waffen greift. Russland hat ja seinen Krieg damit begründet, es ginge darum, dass die Ukrainer eigentlich Russen wären und daher ihnen "gehörten". Bulgariens Verhalten ist so, wie wenn einst Deutschland gegen Österreich ein Veto eingelegt hätte, weil die Österreicher Deutsche wären.
Ein Vergleich der Lage der Ukraine mit jener Serbiens wäre vollkommen falsch: Die Ukraine hat völkerrechtlich eindeutig klare Grenzen, die seit 2014 durch eine militärische Aggression von außen verletzt werden; sie erhebt aber keinerlei Gebietsansprüche gegen andere. Serbien tut das sehr wohl. Daher ist es völlig falsch, wenn man die Ukraine dafür bestrafen will, während es im Fall Serbiens völlig richtig ist, solange es diesen aggressiv-nationalistischen Anspruch erhebt.
Und wenn die Tatsache, dass ein fremder Staat mit Gewalt einen Teil ihres Staatsgebiets erobert hat, ein Grund sein sollte, die Ukraine nicht aufzunehmen, dann hätte die EU auch Zypern nie aufnehmen dürfen. Muss doch auch Zypern hinnehmen, dass ein fremder Staat – die Türkei – einen großen Teil seines Gebiets besetzt hält. Und ist dennoch aufgenommen worden.
PS: Noch ein Gedanke zum Selbstbestimmungsrecht: So klar es ist, dass nur dieses eine saubere Lösung aller erwähnten Konflikte bringen könnte, so ist ebenso klar, dass die Respektierung der völkerrechtlich anerkannten Grenzen die eindeutig zweitbeste Lösung ist.
PPS: Letzte Anmerkung: Die zweifellos notwendige Befassung mit dem Balkan kann und darf niemals das ersetzen, was noch viel notwendiger wäre: die tiefergehende Befassung mit Mitteleuropa, einem Österreich kulturell, historisch und geographisch noch viel näheren Raum. Aber dort schaut man ja total weg.