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Nach elf Jahren war den Amerikanern in den Siebziger Jahren der Vietnamkrieg zu erfolglos, zu langwierig, zu blutig, zu frustrierend, innenpolitisch zu explosiv. Wann wird in der Ukraine ein ähnlicher Zeitpunkt kommen? Denn inzwischen scheint ja ziemlich sicher: Mit einem klaren militärischen Sieg wird der Ukrainekrieg nicht zu Ende gehen, sondern mit dem Frust, mit der Erschöpfung einer Seite. Fragt sich nur welcher.
Denn mit dieser Möglichkeit ist ja auf allen zwei, nein auf allen drei Seiten dieses Krieges zu rechnen. Auf der ukrainischen, auf der russischen und auf der Seite der europäischen und amerikanischen Helfer der Ukraine.
Auf allen drei Seiten ist letztlich möglich, dass sie sich zu einer – natürlich wie immer durch Verhandlungen getarnten – Kapitulation entschließen. So, wie die Amerikaner eben im Vietnamkrieg. Die USA waren damals der vielen Zehntausenden Opfer, der gewaltigen finanziellen Kosten und der schlimmen Turbulenzen durch eine lautstarke Antikriegs-Bewegung vor allem jener junger Männer, denen eine Einberufung gedroht hatte, müde geworden.
Sie schlossen deshalb mit Nordvietnam einen angeblichen Verhandlungsfrieden, für den der amerikanische Außenminister Kissinger und sein nordvietnamesischer Verhandlungspartner groteskerweise sogar den Friedensnobelpreis bekamen. In Wahrheit war dieser Friede eine glatte Kapitulation, mit der peinlichen Hubschrauber-Evakuierung der US-Botschaft in Saigon als optischem Tiefpunkt. Die Südvietnamesen, denen die USA jahrelang gegen die kommunistische Bedrohung und nordvietnamesische Eroberungsgier beigestanden waren, wurden eiskalt ihrem Schicksal überlassen, das de facto eine Kolonisierung durch den Norden war.
Hunderttausende verzweifelte und freiheitsliebende Südvietnamesen flohen darauf in zerbrechlichen Booten übers Meer. Viele starben dabei, viele steuerten das damals noch freie Hongkong an, viele landeten schließlich in Europa und den USA, wo sie sich zum Unterschied von Migranten aus der islamischen Welt sehr bald perfekt integriert hatten.
Wer wird aber im Ukrainekrieg den Kissinger geben?
Am unwahrscheinlichsten ist wohl, dass die ukrainische Regierung als erste die weiße Fahne hisst. Zwar haben die Menschen und die Infrastruktur der Ukraine den weitaus größten Schaden erlitten. Aber nach allem, was man aus dem angegriffenen Land weiß, sind die Menschen weiterhin in hohem Ausmaß motiviert und überzeugt, dass die Verteidigung des eigenen Landes gegen einen völlig unbegründeten Angriff eines Aggressors und dessen Zurückdrängen eine gerechte Sache sind.
Dennoch kann der Tag kommen, an dem in der Ukraine die Stimmung kippt. An dem viele Ukrainer sagen: Ja, wir sind besiegt. Wir weichen dem Stärkeren. Besser, wir lassen den Russen das halbe Land und akzeptieren auch sonst ihre Bedingungen, als wir riskieren noch viele Hunderttausende weitere Opfer und die Zerstörung von allem, was noch übrig ist.
Dass die Stimmung in Russland kippt, ist freilich viel wahrscheinlicher. Je mehr Särge aus der Ukraine zurückkommen, je spürbarer die westlichen Sanktionen werden, umso wahrscheinlicher wird das.
Machthaber Putin nimmt im Unterschied zu der einstigen Führung in Nordvietnam sehr wohl ängstlich Rücksicht auf die Stimmung im eigenen Land. Zwangsläufig. Russland ist zwar keine Demokratie und kein Rechtsstaat, es ist aber auch seit Gorbatschow und Jelzin keine totalitäre Diktatur mehr wie es etwa Nordvietnam oder die Sowjetunion unter Stalin gewesen sind, wo der Herrscher buchstäblich alles aus seinen Sklaven herauspressen konnte, auch wenn ein Krieg zeitweise noch so schlecht läuft.
Russland ist heute überdies – wie viele westeuropäische Länder – ein massiv überaltertes Land in einem gewaltigen demographischen Schrumpfungsprozess. Es gibt großen Mangel an jungen Männern, die man in den Kampf schicken kann. Jede Familie würde sich erbittert wehren, wenn der einzige Sohn in einem zweifelhaften Krieg eingezogen werden sollte. Es ist daher kein Zufall, dass es vor allem jüngere und besser gebildete Menschen aus der Mittel- und Oberschicht sind, die Russland inzwischen zu Zehntausenden auf Nimmerwiedersehen verlassen haben.
Stärkster Beweis, dass Putin durchaus die Stimmung seiner Landsleute fürchten muss, ist die Tatsache, dass er keinerlei Mobilisierungsbefehl wagt, dass der Krieg nicht einmal beim Namen genannt werden darf und dass selbst die Teilnahme normaler Präsenzdiener an den Kriegshandlungen vertuscht wird, die sich, ohne je informiert worden zu sein, plötzlich mitten in einer Schlacht wiedergefunden haben.
Putins Kriegskonstruktion ist auf so vielen Lügen aufgebaut, dass es schon dadurch durchaus möglich geworden ist, dass sie eines Tages kollabiert. Tatsache ist freilich, dass er die Geheimdienste – aus denen er ja selber kommt – gut im Griff zu haben scheint. Und dass sich auch sonst nirgends eine nennenswerte Opposition gebildet zu haben scheint. Aber dennoch sagen alle Kriegshistoriker, dass die innere Motivation einer Kriegspartei imstande ist, viele Waffen zu ersetzen. Diese fehlt bei den Russen aber fast völlig.
Auch der Wechsel der russischen Strategie, anstelle direkter opferreicher Infanteriekämpfe wochenlang jede Ortschaft an der Frontlinie von außen aus der Ferne mit Artillerie und Raketen bis zur völligen Zerstörung zu zerbomben, hat mit der fehlenden Motivation der Soldaten zu tun, die zum Straßenkampf nicht willens oder fähig sind. Offen mag bleiben, ob die Berichte stimmen, dass den Russen bald die (westlichen!) Mikrochips für ihre Lenkwaffen ausgehen.
Ebenso spricht die überraschende Tatsache, wie gemäßigt Russland jetzt auf die erfolgreiche Bewerbung der Ukraine um den EU-Kandidatenstatus reagiert hat, dafür, dass Moskau nach dem wenig glanzvollen Kriegsverlauf seine Ziele zurückschrauben musste. Jetzt plötzlich ist es nach seiner Darstellung innere Sache der Ukraine, der EU beizutreten. Dabei war es eindeutig ein bloßer Assoziierungsvertrag der Ukraine mit der EU (also eine deutlich geringe Anbindung an die Union), der 2014 die erste Welle der russischen Aggression gegen die Krim und die Ostukraine ausgelöst hatte.
Große Sieger schauen anders aus.
Dennoch ist es noch eine Spur wahrscheinlicher, dass als erstes die westliche Unterstützung für die Ukraine kippt, als dass Ähnliches in Russland passiert. Damit würde der Ukraine selbst nur ein schlimmer Guerillakrieg nach Afghanistan-Art übrig bleiben. Dazu sind sie aber wohl zu europäisch, um das lange durchzuhalten.
Noch einmal der Vergleich zum Vietnam-Krieg: Zwar sind keine westlichen Soldaten in der Ukraine eingesetzt (bis auf ein paar auf eigene Faust agierende Söldner), aber die Waffenhilfen sind enorm, auch die Informationen westlicher Satelliten helfen der Ukraine sehr. Die westliche Hilfe dürfte den Wert der einstigen massiven Waffenhilfe aus der Sowjetunion und China für Nordvietnam übertreffen.
Viel wahrscheinlicher scheinen andere Parallelen: Alleine die Folgen eines russischen Gasboykotts wären so dramatisch, dass auch im Westen ähnlich wie in den USA im Vietnamkrieg eine Antikriegsbewegung möglich erscheint. Zwar deutet derzeit außer der üblichen Oppositions-Stänkerei nichts darauf hin, aber wenn einmal die erste europäische Regierung wegen des Krieges eine Niederlage erleidet, könnte da manches ins Kippen kommen.
Zwar sind die westlichen Anläufe Richtung alternativer Energiequellen durchaus intensiv, die ernster zu nehmen sind als das übliche Windmühlen-Gequatsche grüner NGO-Mädchen. Aber es ist völlig unwahrscheinlich, dass davon noch rechtzeitig etwas wirksam wird. Atomkraftwerke und neue Gasbohrfelder entstehen eben nicht in einem Jahr. Außerdem müssten dafür die Widerstände der grünen Basistruppen erst überwunden werden, die ja die Medien fast vollkommen in der Hand haben.
Daher wird wohl auch schon Kiew das westliche Geraune gehört haben, das da in etwa lautet:
Deutlich leiser zu hören ist freilich der zweite Teil des Geraunes:
Noch haben im Westen die Stimmen des Anstands die Oberhand. Und vor allem die der Vernunft. Denn alle, die weiterdenken, wissen spätestens seit Hitler und Napoleon: Wenn ein Aggressor einmal Erfolg hat, dann ermutigt ihn das zu immer weiteren Aggressionen. Aus diesem Grund wird solches Geraune zwar im linksdekadenten Berlin oder im immer opportunistischen Italien laut, wo man sich ja vor den Russen sicher wähnt, aber wohl niemals in Polen oder im Baltikum oder in Skandinavien oder in Großbritannien (zumindest solange der Premier dort unfrisiert ist …).
Wenn also Deutschland & Co dennoch mit dem Inhalt des Geraunes ernst machen sollten, dann droht endgültig die Spaltung EU-Europas – aber entlang ganz neuer Linien: hie die alte EU der Gründungsstaaten; dort in Mittelosteuropa das, was man in Washington schon länger als das Neue Europa bezeichnet.