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Der Lemmingmarsch der Volkspartei

Wer die ÖVP verstehen kann, erkläre sie mir. So etwa den Umstand, dass sie in Tirol bei den Umfragen von 44 auf 30 Prozent abgestürzt ist – und dass die dortige Volkspartei ausgerechnet in diesem Augenblick vorgezogene Neuwahlen mit einem neuen, noch weitgehend unprofilierten Spitzenkandidaten verlangt und durchsetzt. Der Selbstmordmarsch der schwarzen Lemminge scheint sich derzeit auch sonst ziemlich zu beschleunigen. Noch viel bestürzender ist nämlich die inhaltliche Versumpfung. Alles deutet darauf hin, dass die Partei österreichweit wieder weitgehend von lauter Mitterlehners im Geiste geprägt wird. Und dementsprechend "erfolgreich" sein wird.

Dabei hat ja die ÖVP noch insofern Glück, als auch bei den übrigen Parteien nicht gerade üppiger Sonnenschein herrscht. Nirgendwo tritt eine überragende Führungspersönlichkeit an, wie sie in der Geschichte der Republik fast immer notwendig gewesen ist, um einen echten Machtwechsel herbeizuführen. Siehe Kreisky, siehe Schüssel, siehe Kurz. Siehe auch Jörg Haider.

  • Denn bei den Roten tobt wieder einmal ein Machtkampf, den der Burgenländer Doskozil durch diverse bundespolitische Stänkereien angezündet hat.
  • Denn die Grünen haben zwar einen unangefochtenen Parteichef, können aber mit dem Rest ihrer Regierungsriege alles andere als punkten (sie können dafür am sichersten sein, als Folge des selbstbeschädigenden Koalitionswechsels der ÖVP unter Sebastian Kurz von Blau zu Grün langfristig einen garantierten Platz in der Regierung zu haben, halt einmal mit der ÖVP, einmal mit den anderen Linksparteien).
  • Denn die Blauen begnügen sich offenbar mit jenen Wählern, die beide – für die Mehrheit der Österreicher freilich eher abstoßenden – Schwerpunkte ihres amtierenden Parteichefs zu akzeptieren bereit sind: Das ist der Kampf gegen das Impfen und die unausgesprochene, aber sich in vielen Details zeigende Unterstützung für Putins Angriffskrieg.
  • Denn die Neos erinnern in ihrer schrillen Aggressivität nicht einmal mehr marginal an das, was man in Europa als klassischen Liberalismus kennen und schätzen gelernt hat; dieser war in etwa im Dreieck zwischen Hayek, Erhard und Thatcher zu finden und in Österreich bei ÖVP und FPÖ, wenn auch nur in kümmerlichen Ansätzen.

Zunehmend wird es für jeden Wertkonservativen und für jeden Hayek-Erhard-Thatcher-Liberalen schwieriger, in der ÖVP irgendeinen inhaltlichen Identifikationsanker zu erkennen, nachdem man schon keinen personellen finden kann. Gewiss: Die ÖVP ist durch infame Aktionen der sogenannten Korruptionsstaatsanwaltschaft so schwer beschädigt, wie es derzeit viele ukrainische Städte im Osten sind. Aber dort leisten die Menschen zumindest tapferen Widerstand. Davon ist kaum etwas zu bemerken bei den hiesigen Schwarzen (oder Türkisen – für jene Journalisten, die Parteifarben im Unterschied zum Rest des Landes für etwas Wichtiges halten).

Einige Beispiele, die die inhaltliche Krise der ÖVP zeigen, die derzeit jeden Liberalkonservativen den Kopf über sie schütteln lassen:

  1. Beim jüngsten Antiteuerungspaket hat man sich in einen Wettbewerb hetzen lassen, wer – neben der legitimen und notwendigen Rückgabe zusätzlicher Steuern, die nur der Inflation wegen geflossen sind – mehr Zuckerln an die Österreicher verteilt, auch wenn diese durch Schulden finanziert sind. Aber die SPÖ ist schon erfunden!
  2. Bei der angeblichen Abschaffung der stillen Progression hat man diese in Wahrheit noch steiler gemacht, indem man die Steuer der obersten Einkommensstufe nicht gesenkt hat. Dennoch hat man fälschlicherweise von einer kompletten Abschaffung gesprochen?
  3. Die – den beschlossenen Gesetzen glatt widersprechende – Sabotage der grünen Verkehrsministerin an der Fertigstellung der Autobahnumfahrung Wiens wird von der ÖVP einfach stillschweigend hingenommen.
  4. Während die Grünen nicht nur in diesem Punkt ihre bürgerfeindliche "Klimarettungs"-Politik Punkt für Punkt abarbeiten können, schweigt die ÖVP dazu komplett, dass ihr eigenes Kernanliegen aus der Zeit der Koalitionsbildung völlig untergegangen ist, nämlich die Bekämpfung der illegalen Migration. In diesem Bereich hat sie keine einzige Maßnahme durchbringen können. Dabei hat die illegale Migration nach Österreich den zweiten absoluten Höhepunkt nach den Katastrophenmonaten 2015/16 erreicht und verbleibt seither dort – wohlgemerkt ohne Einberechnung der ukrainischen Flüchtlinge.
  5. Außenpolitisch hat man sich von den Linksparteien auf üble Distanz zu den mitteleuropäischen Nachbarn treiben lassen, obwohl Ungarn, aber auch Tschechien, die Slowakei und bis vor kurzem Slowenien in fast jeder innen- und wirtschaftspolitischen Frage, wie etwa der Steuerhöhe und der Flat Tax, einem Liberalkonservativen zehnmal näher stehen müssten als die linken Schuldenmacherländer der alten EU.
  6. Insbesondere Ungarn lässt jedem Wertkonservativen und Christen das Herz höher schlagen: Ungarn unterstützt als einziges Land aktiv die vielfach von Fundamentalisten verfolgten Christen in islamischen Ländern. Ungarn unterstützt in gerade sensationeller Weise die eigenen Familien und hat damit auch schon erste Teilerfolge bei einer positiven Umkehr der Geburtenziffern erzielt. Aber nichts davon imponiert der ÖVP. Statt dessen haben etliche prominente Schwarze das miese Ungarn-Bashing der europäischen Linken mitgemacht, weil Ungarn – Skandal, Skandal! – die Indoktrination von Schulkindern durch schwule und "Trans"-Propaganda verboten hat.
  7. Auch ganz ohne Blick über die Grenzen findet man bei der heutigen ÖVP praktisch nichts mehr von den fundamentalen Werten eines Liberalkonservativen, die sich in etwa auf folgende Schlagworte komprimieren lassen:
  •  Heimat- und Traditionsverbundenheit,
  •  Kampf gegen illegale Migration aus der Dritten Welt,
  •  Familie und Kinder,
  •  Leistung,
  •  Freiheit,
  •  Marktwirtschaft,
  •  Geistige Zugehörigkeit zu den westlichen Demokratien,
  •  wenig Staat,
  •  zumindest Respekt für das christliche Erbe Europas.

Die ÖVP hat diese Werte zwar nicht formell aufgegeben, aber im Alltagstrubel des Regierens und angesichts der völlig anders gearteten Themensetzung der Mainstreammedien einfach vergessen.

  1. Karl Nehammer hat sie aber auch bewusst verschrottet, als er etwa davon geredet hat, Unternehmen "Übergewinne" abzunehmen.
  2. Ähnlich schockierend war auch seine Behauptung blank jedes historischen Wissens, dass die Sowjetunion (eines der totalitärsten Regime der Welt!) Österreich die "Demokratie" gebracht hätte.
  3. Fast selbstverständlich ist da – leider – fast schon, dass das mutige und richtige Nachdenken der Schüssel-ÖVP über die Sinnhaftigkeit der Neutralität von Nehammer völlig abgedreht worden ist. Das zeigt, dass die Sozialdemokraten Finnlands und Schwedens mehr im Sinne der früheren ÖVP denken als die heutige Volkspartei.
  4. Die ÖVP hat auch keinen sonderlichen inneren Bezug zum Rechtsstaat mehr. Sonst gäbe es das nicht, dass sie keinen einzigen qualifizierten Juristen mehr in ihren Reihen hat. Sonst gäbe es das nicht, dass sie dem skandalösen Treiben der von ihrem Koalitionspartner geschützten Korruptionsstaatsanwaltschaft regungslos zuschauen würde.
  5. Ebenso ist die Meinungsfreiheit – ein weiterer zentraler Wert jedes Liberalkonservativen – weitgehend in Vergessenheit geraten.
    - Das zeigte sich schon in Zeiten der großen Koalition, als reine Meinungsdelikte auch mit den Stimmen der ÖVP als sogenannte Verhetzung massiv strafbar geworden sind.
    - Das zeigte sich, als Innenminister Nehammer am Beginn der Corona-Epidemie ankündigte, Polizeischüler anzusetzen, um falsche Ansichten zu Corona im Internet aufzuspüren; diese waren zwar meist wirklich falsch, so wie es aber auch viele der staatsoffiziell als richtig eingestuften Aussagen waren. Aber jedenfalls ist für jeden wirklich liberal denkenden Menschen eine Meinungskontrolle durch Polizisten ein absoluter Horror.
    - Und das zeigte sich zuletzt, als kein einziger Aufschrei ertönte, als eine im Bundeskanzleramt(!!) angesiedelte Ethik(!!)-Kommission verlangte, gegen Medien vorzugehen, wenn diese nicht auf Linie der Klimapaniker liegen.
  6. Noch viel schockierender ist, dass ausgerechnet der ÖVP-Abgeordnete Marchetti im Parlament einen Entschließungsantrag einbrachte, der die Meinungsfreiheit noch weiter einschränken will: Er will "Hassverbrechen" gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender-Personen und sogenannte Queers offensichtlich unter Strafe stellen. Was auch immer "Hassverbrechen" sein mögen. Wahrscheinlich fällt da jeder darunter, der nicht mit der schwulen Regenbogenfahne wachelt. Bisher gibt es jedenfalls kein deutliches Wort der ÖVP gegen das, was vor allem Rot und Pink da alles vorhaben. So etwa das Verbot von psychotherapeutischen Konversionstherapien oder die Einführung der Bezeichnung "Parent" anstelle von "Vater" und "Mutter".
  7. Es gibt auch kein Wort der ÖVP-Kritik daran, dass an allen öffentlichen Gebäuden, wo Rot, Pink oder Grün etwas zu sagen haben, die Schwulenfahne weht.
  8. Auch bei der ÖVP ist – allerdings schon vor der Ära Nehammer – das Quotensystem der Linksparteien zumindest teilweise eingeführt worden. Als ob nicht in einer leistungsorientierten Partei individuelle Fähigkeiten entscheidend sein sollten und nicht das Geschlecht. Als ob nicht klar wäre, dass mit der gleichen Logik dann auch Quoten für Moslems und andere Migranten anzuordnen wären.
  9. Hingegen ist von direkter Demokratie, über die in der ÖVP einst intensiv diskutiert worden ist, absolut nichts mehr zu hören.
  10. Enthüllend für die Orientierungslosigkeit der Volkspartei war weniger die von vielen Medien dramatisierte Tatsache, dass binnen kurzem gleich drei ÖVP-Landeshauptleute abgetreten oder in den "Krankenstand" gegangen sind, sondern insbesondere die Antwort der über Nacht an die Spitze der Vorarlberger Volkspartei geschleuderten Martina Rüscher. Auf die Frage nach ihren Inhalten fielen ihr nämlich außer Phrasen wie Veränderung, Demokratie, Glaubwürdigkeit und die "Anliegen junger Menschen" nur Themen wie Klimawandel, Energie, Teuerung und Wohnen ein. Ihr wird gar nicht aufgefallen sein, dass haargenau die gleichen Überschriften auch von einem roten, pinken, blauen oder grünen Politiker gekommen sein könnten.

Mit anderen Worten: Die Volkspartei ist inhaltsarm, austauschbar und nichtssagend populistisch geworden. So wie die meisten anderen. Und wenn es Ansätze von Inhalten gibt, kommen sie fast durchwegs aus dem grünen Eck. Freilich sind das fast durchwegs genau die falschen.

Leere kann locker übertüncht werden, wenn eine Vertrauen ausstrahlende Persönlichkeit wie Wolfgang Schüssel, Erwin Pröll oder Sebastian Kurz an der Spitze steht. Ohne eine solche -– ja in aller Regel auch inhaltliche Kompetenz ausstrahlende – Persönlichkeit wären aber die Inhalte doppelt wichtig als Substanz, von der man leben kann. Jetzt aber gibt es ein beängstigendes Vakuum.

Kein Wunder, dass in diesem Vakuum jetzt auch schon Gerüchte über eine neue Partei zu wuchern beginnen. Amüsant ist freilich, dass die ersten Gerüchte schon wieder im linken Eck entstanden sind, etwa in Bezug auf die Herren Christian Kern (den glücklos abgestürzten Kurzzeitbundeskanzler der SPÖ, der sich der Dienste von halbseidenen Typen wie einem Herrn Silberstein bedient hatte) und Heinz Mayer (den die Linke ständig als scheinobjektiven Juristen im ORF auftreten lässt) sowie die Schauspielerin Katharina Stemberger (die sich als Vorstandsvorsitzende des "Integrationshauses" bereits einen einschlägigen Namen als emsige Migrationsförderin gemacht hat).

Diese drei werden wohl keinen einzigen liberalkonservativen Bürger gewinnen können. Die viel größere Gefahr für die Rechte in Österreich, die seit 40 Jahren an sich die Mehrheit hat, ist jedoch, dass die Liberalkonservativen in größerer Anzahl frustriert an Wahltagen daheim bleiben. Womit sich dann doch erstmals seit Kreisky eine linke Mehrheit ausginge.

Natürlich spürt man auch auf der Linken die inneren Schwächen der Parteien, nicht zuletzt die der hier analysierten ÖVP, und sieht darin die Chance, vielleicht doch eine linke Mehrheit zimmern zu können. Notfalls eben mit vier Parteien. Dazu erfindet man halt wieder einmal eine neue Partei ...

Schauen wir einmal, wie die Bürgerlichen darauf reagieren. Viele werden, falls es wirklich zu einer Kern-Mayer-Stemberger-Gründung kommt, ein amüsiertes Déjà-vu-Erlebnis haben. Man würde es dann auf der Linken offenbar schon zum dritten Mal mit dem gleichen Schmäh versuchen. Denn eine Kern-Partei würde sich nahtlos in die Reihe von LIF und Neos einfügen. Trotz der ewigen Hoffnung der Parteigründer, dass die Überschrift "liberal" ein paar Wähler rechts der Mitte anzieht, haben sie im Grund bisher nur im linken Lager einigen Erfolg erzielt. Denn jeder Liberalkonservative sieht sofort, dass ein Weltbild im Sinne von Hayek, Erhard und Thatcher das absolute Gegenteil aller linken Ansätze ist.

Freilich: Bürgerliche widmen ihr Leben vor allem der Arbeit (und damit nicht zuletzt dem Steuerzahlen) und der eigenen Familie (und damit nicht zuletzt den Steuerzahlern der nächsten Generation). Sie sind viel weniger als Linke darauf erpicht, sich ständig einen neuen ideologischen Luftballon (ums Geld der anderen) auszudenken und diesen voll Begeisterung in (fast) allen Medien steigen zu lassen. Sie hatten sich ja auch lange darauf verlassen können, dass die großen liberalkonservativen Parteien wie CDU oder ÖVP ihr Weltbild ohnedies verteidigen. Aber wenn diese Parteien inhaltsleer werden, dann füllen die Linken mit ihrer heißen Luft sehr rasch den politischen und medialen Raum.

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