So, jetzt ist also die Impfpflicht, das dominierende Thema der letzten zwölf Monate, nicht nur vorübergehend, sondern endgültig weg. Das ist gewiss ein Erfolg für alle Impfgegner. Ein Gesetz einzuführen, es dann aber nicht umzusetzen und schließlich wieder außer Kraft zu setzen, ist ziemlich peinlich für eine Regierung. Das Aus für die Impfpflicht ist auch eine Niederlage für viele andere, selbst wenn sie sich jetzt, so wie die SPÖ, nicht mehr daran erinnern wollen, einst vehement dafür gewesen zu sein. Offensichtlich haben aktuelle Meinungsumfragen gezeigt, dass eine Impfpflicht derzeit nicht mehr sehr populär ist. Leider ist die Frage einer Verpflichtung der Menschen, sich impfen zu lassen, aber nie so grundsätzlich, differenziert und tiefgehend, nie mit so kühlem Kopf diskutiert worden, wie sie es verdient hätte.
Zuerst zum medizinischen Aspekt: Der häufigste Fehler des vergangenen Jahres bestand wohl darin, die Impfung gegen das Corona-Virus mit der gegen andere Krankheiten gleichzusetzen. Da gibt es jedoch einen großen Unterschied: Die meisten anderen Impfungen schützen mehr oder weniger absolut. Sie schützen erstens dagegen, selbst krank zu werden, und zweitens dagegen, ansteckend zu sein (sofern es um eine von Mensch zu Mensch ansteckende Krankheit geht, was ja etwa die Zecken-FSME nicht ist).
Diesen Schutz aber können die Corona-Impfungen welcher Art immer bis heute nicht geben.
Sie schützen, wie uns allen erst zunehmend klar geworden ist, nur vor schweren oder tödlichen Verläufen, aber nicht davor, krank zu werden und dann andere anzustecken. Das ist zweifellos ein ganz enormer Schutz: Britische Wissenschaftler haben errechnet, dass es durch die Impfung weltweit 20 Millionen Corona-Tote weniger gegeben hat. Das heißt aber auch: Im Grund hatten beide Seiten Unrecht, die sich da so erbittert bis in die Familien, Betriebe und Schulklassen hinein bekämpft hatten.
Einerseits gibt es nicht die massenweisen Impfschäden aus der Angstpropaganda der Impfgegner. Diese haben – wohl bewusst – ignoriert, dass Menschen auch nach einer Impfung genauso wie vorher beispielsweise einen Herzinfarkt erleiden können. Diese Infarkte wären daher nur dann Impfschäden, würden sie nach Impfungen signifikant häufiger auftreten als bei einer vergleichbaren Gruppe Nichtgeimpfter. Das ist aber nicht der Fall. Dennoch haben die Impfgegner ständig davon schwadroniert, dass die Geimpften bald sterben würden.
Andererseits aber haben Impfungen auch nicht die vielfach unterstellte Sicherheit verschafft. Das hat die zeitweise allzu selbstbewusst auftretende "Wissenschaft" viel Ansehen und Vertrauen gekostet. Von der bis heute laufenden und letztlich nur als verlogen und peinlich zu bezeichnenden Regierungspropaganda – "Geht sicher!" – ganz zu schweigen.
Das Wachsen der Skepsis gegen die Wissenschaft in Corona-Zeiten hat auch Bedeutung für andere Fragen. Ganz besonders für den Bereich der Klimapanikmache. Dort ist die Skepsis sogar viel berechtigter. Denn über das Impfen gibt es immerhin schon sehr viele eindeutige Statistiken, die zeigen, dass der Stich in hohem Ausmaß gegen schwere Verläufe, jedoch nicht gegen Erkrankungen an sich und das Anstecken anderer hilft. Hingegen gibt es zur These der Klimapaniker, dass der Mensch durch erhöhte CO2-Emissionen schuld an den – erwiesenermaßen – erhöhten Durchschnittstemperaturen sei, keinerlei Beweise. Denn eine Korrelation ist noch lange keine Kausalität. Es gibt im Grund nur politische Beschlüsse und Computermodelle (mit denen kann man aber so gut wie alles beweisen). Den Klima-Vermutungen vieler Wissenschaftler widersprechen auch viele andere Wissenschaftler. Diese verweisen richtigerweise darauf, dass es auch ganz ohne menschengemachte CO2-Emissionen auf der Erde schon viel wärmer gewesen ist. Und sie kritisieren, dass die vielfach politisch bestellten Klimapropheten in fahrlässiger Weise die Wirkungen von Sonne und Erdumlaufbahn-Variationen aus ihren Modellen ausschließen.
Wenn schwedische Schulschwänzerinnen, die von den Mainstreammedien zu angebeteten Idolen aufgewertet worden sind, ultimativ fordern, "Gehorcht der Wissenschaft!", dann werden die Menschen zu Recht noch skeptischer. Nach den vielen Wissenschaftler-Konflikten rund um Corona ist das noch viel mehr der Fall. Denn es gibt eben zu keiner Frage "die" einhellige Antwort aller Wissenschaftler. Auch wenn die das nicht gerne zugeben (wie auch immer man definieren mag, wer eigentlich ein "Wissenschaftler" ist).
Das heißt aber ganz und gar nicht, dass Wissenschaft sinnlos wäre. Nur sollten wir uns im Klaren sein, dass wissenschaftlicher Fortschritt immer im Ringen zwischen These und Antithese entsteht, dass nur das wissenschaftlich sein kann, was unter Umständen auch widerlegbar ist – was Computermodelle hingegen nie sein können.
Letztlich ist die Empirie der stärkste Beweis in jedem solchen Ringen. Und die besteht am Ende in aller Regel in Statistiken und Wahrscheinlichkeiten (kleiner Einschub: Umso absurder, dass österreichische Gymnasiasten noch immer mehr vom Integrieren und Differenzieren lernen als von Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnungen …).
Was heißt das alles nun in Hinblick auf die Impfpflicht und deren Abschaffung, und zwar ganz jenseits der üblen parteipolitischen Dimensionen und der absurden Emotionalisierung dieser Frage? Die wichtigsten Eckpunkte aus heutiger Sicht:
- Bei allem staatlichen Agieren sollte viel stärker, als es heute der Fall ist, der Aspekt der Freiheit zentral sein. Daher ist es an sich einmal sehr gut, dass der Überregulierungsstaat in Fragen der Impfpflicht klaren Widerstand zu spüren bekommen hat.
- Es ist aber völlig unverständlich und absurd, dass das ausgerechnet bei dieser doch ambivalenten Frage geschehen ist. Vehementer Bürgerprotest wäre beispielsweise tausendmal mehr berechtigt, hätte er sich dagegen gerichtet, für wie viel skandalösen Unsinn der Staat das Geld ausgibt, das er uns zuvor gestohlen – pardon: als Steuern abgenommen hat. Der Staat, in diesem Fall die Gemeinde Wien, finanziert mit der Beute etwa teure Inserate, die zwei sich leidenschaftlich küssende Männer zeigen. Das zu tun ist nicht mehr ambivalent, das ist einfach ungeheuerlich.
- Staatlich verordnete Impfpflichten kommen jedenfalls nur dann in Frage, wenn das Impfen sicher, effizient und für die vitalen Interessen anderer Mitbürger relevant ist. Nach allem, was man heute zu den Corona-Impfungen weiß, sind sie zwar sicher, aber weit weniger effizient als erhofft. Die Interessenabwägung ist daher viel schwieriger als bei anderen Impfungen.
- All diese Aspekte müssen in einer Demokratie auch Akzeptanz in der Bevölkerung finden. Das heißt zwar nicht, dass man sofort aufgeben muss, wenn eine Oppositionspartei populistisch von Ängsten profitieren will. Das heißt aber sehr wohl, dass das Agieren einer mit Zwangsgewalt vorgehenden Obrigkeit niemals mit den halbseidenen Kreationen der Werbebranche beworben werden sollte. Es werden ja auch nicht Steuerpflicht oder Tempolimits mit platten Slogans angepriesen. Sie sind vielmehr einfach so zu befolgen, wie sie im Bundesgesetzblatt stehen. Egal, ob die Menschen davon begeistert sind oder nicht. Wer dafür hingegen mit unernsten Methoden wie etwa den "Drei Musketieren" wirbt, der wird naturgemäß auch selbst nicht ernst genommen.
- Die Gesundheitspolitik hat sich die eigene Glaubwürdigkeit aber darüber hinaus auch dadurch kaputt gemacht, dass sie anfangs lange und ausdrücklich kommuniziert hat, dass sich Schwangere nicht impfen lassen müssten. Damit hat man indirekt, aber umso massiver signalisiert, dass es doch irgendwie gefährlich sein muss. Und muss jetzt skurrilerweise eine Gegenkampagne zu dieser einstigen Aussage fahren und kommunizieren, dass es gerade für Schwangere doppelt empfehlenswert ist, sich impfen zu lassen. Glaubwürdigkeitsfaktor Null.
- Die einzigen Argumente, die für eine Impfpflicht sprechen können, haben auch den Verfassungsgerichtshof überzeugt. Es geht immer nur um den Schutzanspruch der Mitmenschen. Nur deren Rechte und Freiheiten können es rechtfertigen, wenn die Freiheit des einzelnen eingeschränkt wird. Dieser Schutzanspruch kann sich im Konkreten auf zwei Ebenen äußern:
- Schutz vor Ansteckungen: Da ist inzwischen freilich ziemlich klar geworden, dass die Impfung davor nur sehr zum Teil schützt.
- Schutz vor Überlastung von Spitälern und Intensivstationen: In diesem Punkt sieht es anders aus. Die Mitmenschen haben zweifellos einen legitimen Anspruch, dass ein hochausgebautes und teures Gesundheitswesen ihnen nicht die Tür weist, weil die Betten mit Corona-Patienten belegt sind, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nur deshalb dort liegen, weil sie sich fahrlässigerweise nicht impfen haben lassen. Jedoch gibt es derzeit trotz eines Wiederanstiegs der Infektionskurve genug freie Kapazitäten in den Spitälern.
- Damit aber landen wir bei jenem Punkt, der in der Debatte völlig verschwiegen wird: Ist die Beanspruchung des rund-um-die-Uhr-Gratis-Gesundheitssystem auf Kosten der Allgemeinheit auch dann hinzunehmen, wenn grobe Fahrlässigkeit dahintersteckt? Das ist moralisch in der Tat mehr als fragwürdig. Das ist aber dennoch scheinbar selbstverständliches Prinzip des sich immer mehr ausbreitenden Wohlfahrtsstaates, auch wenn die Ausbreitung nur auf Schulden geschieht. Wer raucht, wer massiv übergewichtig ist, wer übermäßig Alkohol konsumiert, wer riskante Sportarten oder Autofahr-Weisen praktiziert, wer sich ohne ernsthaften Grund nicht impfen lässt, der zahlt genauso viel für seine Gesundheitsversicherung wie jene, die halbwegs diszipliniert leben. Und die daher das Gesundheitssystem deutlich weniger belasten. Solcherart auf Kosten der anderen zu leben, kann eigentlich niemand – außer jenen, die davon profitieren, – für richtig, für gerecht finden. Dennoch haben wir wieder einmal den Anlass versäumt, genau darüber eine Diskussion zu führen. Besser gesagt: Wir haben nicht den Mut dazu gehabt.
- Eigentlich sollte die Grundregel lauten: Jedem Bürger stehen möglichst viele Freiheiten zu, auch die Freiheit, unvernünftig zu sein. Aber niemand sollte seine Freiheit konsequenzenlos auf Kosten der anderen ausleben können.
- Als Folge des heute dominierenden Wohlfahrts-Prinzips "Der Staat garantiert allen, auf Kosten der anderen leben zu können", sieht sich der Staat jetzt gezwungen, rechtzeitig zu prophezeien, ob die Intensivstationen doch wieder an die Überlastungsgrenze stoßen. Und er kann erst in diesem Fall Reaktionen setzen, um wenigstens für die allerdringendsten Notfälle Betten bereit zu haben. Aber mit der Abschaffung der Impfpflicht hat sich die Regierung selbst eines Instruments beraubt, wie sie reagieren könnte, wenn es viele schwere Erkrankungen geben sollte.
- Es ist unwahrscheinlich, dass dann eine – als einzige Maßnahme relativ einfach wieder einzuführende – Maskenpflicht alleine alles in den Griff bekommt. Es ist vielmehr zu befürchten, dass dann neuerlich Verbote aller Art drohen, etwa Verbote von Reisen, etwa Verbote größerer Veranstaltungen, etwa Sperren von Theatern, Konzerten und Diskotheken. Und tausenderlei andere Dinge, die wir schon kennen und hassen gelernt haben, weil sie uns bereits in den letzten zweieinhalb Jahren gequält haben, als sie vor allem jungen Menschen so viel sehnsüchtig erwartete Lebenszeit geraubt haben.
- Sollte es wirklich zu einem Da Capo dieser vielfältigen Freiheitseinschränkungen durch neuerliche Lockdown-Maßnahmen kommen, an die wir uns wie an einen bösen Albtraum erinnern, dann werden auch die sogenannten Kollateralschäden noch viel schlimmer werden, über die ja schon in den letzten Jahren so heftig und wohl oft zu Recht geklagt worden ist. Von den psychischen über die wirtschaftlichen bis zu den gesundheitlichen Schäden, etwa wegen unterbliebener Vorsorgeuntersuchungen.
- Dann aber – das kann man jetzt schon prophezeien – wird die empörte Frage wie ein Tsunami über das Land gehen: Warum nimmt man uns so viel unserer Freiheit, nur weil ein Viertel der Bevölkerung unter dem Eindruck absurder Schauergeschichten auf der individuellen Freiheit beharrt hat, sich vor einigen kleinen, millionenfach völlig harmlos gebliebenen Stichen zu fürchten? Warum müssen wir alle darunter leiden?
- Und die jetzt triumphierende FPÖ sowie die anderen Gruppierungen, die parteipolitischen Profit aus der Angst vor einer Impfung geschlagen haben, werden wohl ewig mit der moralischen Schuld herumrennen müssen, dass sie durch die gezielte Weiterverbreitung von Anti-Impf-Schauergeschichten die Ängste dieser Österreicher vor einer Impfung vorsätzlich massiv verstärkt haben. Dadurch haben sie viele eigentlich, wenn auch unsichere Impfbereite von einer Impfung abgehalten und damit deren gesundheitliches Risiko signifikant vergrößert.
Ein Vergleich aus einem anderen Bereich der Gesundheit: Es wird (hoffentlich) niemand deshalb angeprangert werden, weil er ein heftiger Raucher ist. Das sollte aber umso deutlicher jenen gegenüber geschehen, die den Rauchern einreden: "Raucht nur! Es ist eh nicht schädlich! Ihr seid doch freie Menschen! Und wer weiß: Wenn ihr zu rauchen aufhört, werdet ihr vielleicht mehr essen und zunehmen, das wollt ihr doch nicht!"
Infame Aktionen bleiben auch dann infam, wenn sie ein paar Viertelwahrheiten als Argumente verwenden.
Schmerzhaft ist aber auch die Argumentationsweise von Gesundheitsminister Rauch, mit der er die Abschaffung begründet: "Die Impfpflicht bringt niemanden zum Impfen." Absurd, so etwas von einer Pflicht zu sagen, die keinen Tag bestanden hat. Was noch absurder ist: Wäre die Logik Rauchs richtig, dann brauchen wir bloß keine Steuern zu zahlen, kein Tempolimit beim Autofahren einzuhalten, und schon werden die Pflichten abgeschafft, Steuern zu zahlen oder Geschwindigkeiten zu reduzieren.
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