Abonnenten können jeden Artikel sofort lesen, erhalten anzeigenfreie Seiten und viele andere Vorteile. Ein Abo (13 Euro pro Monat/130 pro Jahr) ist jederzeit beendbar und endet einfach durch Nichtzahlung. 

weiterlesen

Nehammers letzte Chance

Der Abgang zweier glückloser Ministerinnen ist die letzte Chance des Karl Nehammer, doch noch in eine politische Aufwärts-Stimmung zu kommen. Die Tatsache, dass er nicht binnen weniger Stunden Nachfolger nennen konnte, spricht allerdings dafür, dass auch er von den Rücktritten überrascht worden ist, und dass diese nicht, wie sonst meist schon Tage vorher, intern auf Bitte des Regierungschefs abgesprochen worden sind. Nehammers Chance, dass ihm doch noch ein Durchstarten gelingt, ist aber auch aus anderen Gründen sehr klein – an denen er aber großteils gar nicht selbst schuld ist. Hoffnung auf eine Rückkehr von zumindest Bruchstücken des einstigen Kurz-Erfolgs-Trends kann sich Nehammer nur aus einem einzigen Grund machen: Auch die Konkurrenz hat keine personellen Alternativen anzubieten.

Dass die nun abgehenden Ministerinnen Köstinger und Schramböck von Sebastian Kurz persönlich ausgesucht worden waren, hat in den letzten Monaten schwer auf ihnen gelastet, da im Medien-Mainstream der Name Kurz inzwischen zu einem Unwort gemacht worden ist. Vor allem Köstinger war neben Gernot Blümel und der letzten noch verbliebenen Kurz-Vertrauten, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler, so etwas wie ein "Alter Ego" von Kurz.

Es dürfte kein Zufall sein, dass der Doppelrücktritt genau zu dem Zeitpunkt erfolgt, da Kurz erstmals öffentlich gesagt hat, dass er niemals in die Politik zurückkehren werde. Damit ist das Kapitel Kurz, das vielerorts noch als Hoffnung weitergelebt hat, höchstwahrscheinlich endgültig beendet, auch wenn eines Tages die vom Medienmainstream und linken Staatsanwälten betriebene Anti-Kurz-Kampagne endgültig zusammengebrochen sein wird.

Das ist zwar traurig, weil, erstens, Kurz zweifellos der talentierteste österreichische Politiker seit langem gewesen ist, und weil, zweitens, seine endgültige Vertreibung aus der Politik ein eindeutiger Triumph für die infame und demokratiegefährdende Jagd dieser Staatsanwälte auf alle relevanten ÖVP-Politiker ist. Aber das öffnet Nehammer wenigstens die kleine Chance, nun doch zum Regierungschef ohne den von vielen mehr oder weniger laut dazugedachten Zusatz "auf Abruf" zu werden.

Köstinger wie Schramböck haben sich in ihrer Ministerzeit zwar tapfer geschlagen, gehen aber gewiss nicht als große Erfolgsstorys in die österreichische Geschichte ein. Vor allem Schramböcks "Kaufhaus Österreich" ist zur großen Peinlichkeit geworden (von der sich hingegen der gleichermaßen mitschuldige Wirtschaftskammer-Präsident nachträglich elegant fernhalten konnte).

Insgesamt erweist sich im immer klarer werdenden Rückblick die Personalauswahl des Sebastian Kurz als weitgehend misslungen. Ihm war lediglich mit den aus der Wissenschaft geholten Ministern Faßmann und Kocher wirklich ein Erfolg geglückt. An diesen beiden war auf Grund ihrer hohen Kompetenz und souveränen Persönlichkeit jede Kritik abgeglitten.

Kurz hat jedoch gleich zwei sachkompetente Finanzminister, die auf Grund ihres Amtes halt öfter Nein zu Wünschen auch von Parteifreunden gesagt hatten, bequemer, aber falscher Weise durch seinen persönlichen Freund Blümel ersetzt.

Kurz hatte ansonsten den Fehler begangen, unter der ohnedies geringen Menge an Menschen, die für wichtige Funktionen überhaupt in Frage kommt, immer jene mit der größten persönlichen Loyalität auszuwählen. Sachkompetenz hat er viel zu wenig beachtet. Deshalb gibt es unter der gesamten ÖVP-Mannschaft in Regierung, Fraktion oder Partei niemanden, der eine Ahnung von wichtigen Kompetenzbereichen hätte, wie Justiz, wie Kultur, wie (die von der SPÖ mit großer Energie zur Waffe umgemodelte!) Zeitgeschichte, wie Sicherheits- und Neutralitätspolitik, wie Mitteleuropa- und damit Nachbarschaftspolitik. Dabei waren das fast alles einst Kernthemen der ÖVP gewesen. Nach dem Kurz-Abgang ist sogar die Bekämpfung der illegalen Migration zur bloßen Überschrift verkommen.

Nehammers Nachfolge-Suche trifft auf jede Menge von Hindernissen und Problemen. Eines davon ist das generelle Phänomen, dass sich für die Politik immer seltener starke Persönlichkeiten mit Fachkompetenz, Charakter und rhetorischen wie analytischen wie emotionalen Fähigkeiten finden. Auch nicht für Nehammer. Er müsste schon einem Lottosechser ähnelndes Glück haben, wenn sich die Nachfolger, die er jetzt binnen weniger Tage suchen muss, als solche Persönlichkeiten entpuppen sollten.

Jenseits der Herren Kurz und Nehammer wird es zunehmend zur allgemeinen demokratiepolitischen Katastrophe: Es sind immer wenige fähige junge Menschen überhaupt noch bereit, in die Politik zu gehen. Egal, bei welcher Partei man näher hinschaut.

Was macht Politikerjobs für die Jungen aber eigentlich so unattraktiv? Was hat sich da so negativ geändert?

  1. Ein immer größerer Anteil junger Menschen plappert gleich nach dem Studium oder der Ausbildung von "Work-Life-Balance": Das heißt, sie wollen weniger arbeiten und mehr Spaß im Leben haben. Und dennoch gut verdienen. Das ist klare Folge der geistigen Dauerdeformierung durch den Wohlfahrtsstaat. Jedenfalls ist der Ministerjob noch nicht erfunden, bei dem beides möglich wäre.
  2. Der Prozentsatz der Studenten, der sich politisch engagiert, schrumpft ständig. Das sieht man an der katastrophalen Wahlbeteiligung bei den Hochschülerschaftswahlen. Das sieht man am kleiner werdenden Anteil jener, die zum CV (der ÖVP-Kaderschmiede), zu den Burschenschaften (die Schmiede der FPÖ) oder zu linken Studentengruppen gehen.
  3. Es gibt umgekehrt immer weniger Bereitschaft der Öffentlichkeit, eigenständige Persönlichkeiten in der Politik zu ertragen. Sämtliche Aspekte eines Politikerlebens stehen heute unter potenzieller Überwachung. Fast nur noch Heilige haben da offenbar langfristig Überlebenschancen. Damit wird der Druck auf Spitzenpolitiker immer größer und die Lebensqualität immer kleiner.
  4. Dazu kommt, dass es keinem Politiker heute noch gegönnt ist, sein Privatleben privat zu halten. Manche erinnern sich zum Vergleich noch an die Zeiten Bruno Kreiskys, der neben der offiziellen Familie jahrelang eine bekannte Schauspielerin als Zweitpartnerin hatte – und doch hat wie selbstverständlich kein damaliges Medium darüber geschrieben.
  5. Selbst Minister können angesichts der enormen Zwänge speziell durch EU und Verfassungsgerichtshof immer weniger etwas gestalten. Abgeordnete schon gar nicht. Selbst die Auswahl ihrer Mitarbeiter wird immer öfter zum Skandal hochgespielt.
  6. Die Jagd der sogenannten Korruptionsstaatsanwaltschaft auf nichtlinke Politiker ist erbarmungslos und damit abschreckend geworden. Niemand will etwa, dass seine privaten Chats regelmäßig völlig ungestraft von diesen Staatsanwälten in die Mainstream-Medien gespielt werden, die sich dann an irgendwelchen Mails begeilen können. Als erschreckendes und aktuelles Beispiel hat sich diese WKStA – aus dem bloßen Anlass einer anonymen Anzeige –  jetzt die Internet-Chats auch des Vorarlberger Landeshauptmannes schnappen wollen, der sie aber offenbar rechtzeitig gelöscht hat.
  7. Auch unabhängig von den Aktionen dieser Hetzmeute aus der WKStA ist der Druck der Medien auf Politiker erbarmungslos geworden. Nicht nur in Österreich. Siehe etwa Großbritannien, wo selbst ein paar Partys im Druck der Corona-Jahre zur existenzgefährdenden Krise werden können.
  8. Dazu kommt der früher völlig unbekannte Druck der Plagiatsjäger, die sich sofort auf jede Dissertation oder Diplomarbeit eines neuen Politikers stürzen, auch wenn diese Jahrzehnte alt ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit finden sie dann auf hunderten Seiten auch tatsächlich zumindest ein paar Dutzend abgeschriebener Passagen. Dabei ist das etwas, was früher bei fast jedem Studenten der Sozial- und Geisteswissenschaften normal und üblich gewesen ist. Dass eine Plagiats-Dissertation dann von den linken Medien immer nur bei bürgerlichen Politikern zum Drama gemacht wird, nicht aber bei Linken wie der – offenbar besonders eifrig abschreibenden – Justizministerin Zadic, kommt als Zusatzbelastung für die bürgerlichen Parteien dazu.
  9. Dazu kommt, dass für alle Nicht-Beamten die Gefahr groß ist, nach wenigen Jahren Ministerdasein persönlich in ein Loch zu fallen. Gehen doch nur noch wenige Ministerkarrieren geplant und ehrenvoll zu Ende.
  10. Dazu kommt, dass bei politischen Besetzungen immer der erste Blick des Mainstream-Journalismus in seiner Flachheit auf die Frauenquote fällt. Und dass die meisten Parteien deshalb an die Bedeutung von Quotenbesetzungen glauben. Was angesichts des traditionellen großen Desinteresses von Frauen an der Politik die Qualitätsauswahl zusätzlich dramatisch einschränkt.
  11. Dazu kommt, dass kein erfolgreicher Mensch es sich leisten kann – es sei denn er wäre Beamter mit Rückkehrgarantie –, seinen Beruf aufzugeben. Denn nach der Politik steht er dann vor der Sisyphos-Aufgabe, sich noch einmal eine Existenz aufbauen zu müssen. Was extrem schwierig ist, wenn man sich nicht als Lobbyist für postsowjetische Diktaturen in Mittelasien prostituieren will.

Aus all diesen Gründen überrascht es eigentlich wenig, dass die politische Personalauswahl in der relativ kleinen Alpenrepublik extrem arm an Erfolgsstorys geworden ist. Dazu kommt, dass es seit Wolfgang Schüssel keiner verstanden (oder sich darum bemüht) hat, einen Teamgeist über die ganze Regierung aufzubauen und diese auch durch intensive und enge Führung der Minister beider Parteien zusammenzuhalten (was Schüssel lediglich beim FPÖ-Justizminister Böhmdorfer missglückt ist).

Bei Nehammer gibt es in Richtung Team-Bildung sehr wenig Anzeichen. Gleichzeitig dürften besonders die Frauen in der Regierung ihn innerlich immer mit dem Charisma seines Vorgängers verglichen haben. Was nicht zu Nehammers Gunsten ausfallen konnte.

Was für Nehammer zusätzlich belastend ist, ist der Umstand, dass ihm schon beim Amtsantritt als Bundeskanzler ein arger personeller Missgriff passiert ist – nämlich der Hinauswurf des hochangesehenen Bildungsministers Faßmann und seine Ersetzung durch einen Nachfolger, der in der Führung dieses extrem schwierigen Ressorts bisher bestenfalls Mitleid auszulösen imstande gewesen ist, und der bis heute noch dazu unter der nie glaubwürdig dementierten Erzählung zu leiden hat, er sei nur deshalb Minister geworden, weil der mächtige steirische Landeshauptmann einen Steirer in der Regierung haben wollte.

Falls dieses Bundesländerdenken weiterhin Nehammers Handeln bestimmt, wird das jetzt doppelt zum Problem werden, da die beiden abgehenden Ministerinnen aus den relativ kleinen Bundesländern Tirol und Kärnten kommen, was die Personalauswahl qualitativ zusätzlich empfindlich einschränkt. Umgekehrt würde es parteiintern zum Problem werden, wenn diese Bundesländer jetzt leer ausgehen sollten (obwohl die Personalreserven der ÖVP in Ober- und Niederösterreich noch relativ am besten gefüllt sind, sind diese beiden Länder halt jetzt nicht "dran").

Dem jetzigen Bundeskanzler ist sein Mut zugute zu halten, zwei talentierte junge Frauen in Generalsekretariat beziehungsweise Staatssekretariat geholt zu haben. Aber der Glücksgriff des einstigen ÖVP-Chefs Michael Spindelegger, der den jungen Sebastian Kurz entdeckt und zum Staatssekretär gemacht hat, dürfte sich da nicht wiederholen. Zumindest für Generalsekretärin Sachslehner scheint die Aufgabe mangels der für diesen Job besonders unverzichtbaren Autorität jedenfalls eine Schuhnummer zu groß zu sein.

Aber warten wir ab. Vielleicht gelingt es Nehammer doch, irgendwo im Land politisch fähige und teamfähige Persönlichkeiten zu finden, die hohe Sachkompetenz für das jeweilige Ministerium aufweisen, ohne zu sehr als Lobbyisten des Bauern- beziehungsweise Wirtschaftsbundes eingeengt zu sein. Die Neuen und damit Nehammer werden aber einen kleinen Vorteil haben: Der Abgang von Köstinger und Schramböck ist nicht so wie einst der von Faßmann von öffentlicher Empörung begleitet.

Der zweite Vorteil für Nehammer ist ein sehr relativer: Er hat nicht einmal sonderlich Hoffnungen erweckt, wie es bei Kurz fast messianisch der Fall war. Nehammer kann daher auch kaum die schweren Fehler von Kurz wiederholen:

  • Dieser hat dem ORF trotz der ständigen Anti-ÖVP und Anti-FPÖ-Hasskampagnen der stramm linken ORF-Redaktionen das weitere Inkasso der Zwangsgebühren erlaubt (die er gemeinsam mit der FPÖ abschaffen hätte können);
  • er hat trotz ausdrücklichen Versprechens keinen einzigen Schritt Richtung direkter Demokratie versucht (während die Grünen nun statt direkter oder repräsentativer Demokratie so wie die sowjetischen Kommunisten 1917 ­ – etwa in Klimafragen – eine Art Räte-Herrschaft einzuführen versuchen);
  • er hat in der Corona-Krise den wirtschaftlich wahnwitzigen Satz gesagt, dass alle Schäden "koste es, was es wolle" gutgemacht werden (nur hat er nicht gesagt, durch wen);
  • und er hat den allergrößten Fehler, der ihm letztlich auch politisch das Genick gebrochen hat, dadurch begangen, dass er einer linksradikalen Peter-Pilz-Alumnin das Justizressort überlassen hat.

Nehammer hat in all diesen Punkten weder versucht noch versuchen können, die Kurz-Fehler gutzumachen. Aber das hat – quasi zu Nehammers Glück – im Grund auch niemand von ihm erwartet. Selbst wenn er gewollt hätte, wäre nichts gegangen, weil ihm Kurz die schwarz-grüne Koalition als Danaer-Erbschaft hinterlassen hat. Allerdings sind Nehammers Sager über das Abschöpfen von Gewinnen oder über die Demokratie, die wir ausgerechnet den Sowjets zu verdanken hätten, extrem schmerzhaft gewesen.

Der dritte Vorteil für den ÖVP-Chef besteht schließlich im Vergleich zu den anderen Parteien: Deren Personalreserven scheinen noch viel dünner zu sein. Man denke etwa an die SPÖ, jene Partei, die durch die ÖVP-Schwäche jetzt in etlichen Umfragen relativ voran liegt. Es packt einen das nackte Grausen, wenn man sucht, wer im SPÖ-Klub für ein Ministeramt in Frage kommen könnte. Denn dort haben sich bezeichnenderweise nur die "Kaliber" Leichtfried und Krainer hervorgetan. Die Herren Kaiser, Ludwig oder Doskozil werden hingegen gewiss nicht unter Pamela Rendi in die Regierung gehen, sondern in ihren Provinzen bleiben.

Damit ist das Bild der SPÖ sogar schon in Oppositionszeiten jammervoll.

Das ändert aber nichts daran, dass auch für die ÖVP die Lage jammervoll ist. Diese lässt sich auf den einen Satz bringen: Schramböck, Köstinger, Kurz, Faßmann und Löger sind weg – aber Karas ist noch immer da.

PS: Und "natürlich" bleibt auch die verheerendste Ministerin im Amt, die den schlimmsten Schaden für die Republik angerichtet hat: Alma Zadic im Justizressort.

zur Übersicht

Kommentieren (leider nur für Abonnenten)

Teilen:
  • email
  • Add to favorites
  • Facebook
  • Google Bookmarks
  • Twitter
  • Print




© 2024 by Andreas Unterberger (seit 2009)  Impressum  Datenschutzerklärung