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Putins Krieg fordert viele Opfer. Vor allem in der angegriffenen Ukraine, wo sich die russischen Besatzer aufführen wie einst die Waffen-SS in der gleichen Region. Der Krieg fordert aber auch auf Seite Russlands massive Opfer: Dieses hat nicht nur Zehntausende Soldaten verloren, sondern ist auch wirtschaftlich und zivilisatorisch um viele Jahrzehnte zurückgeworfen. Auch Europa ist durch die Folgen der Sanktionen spürbar betroffen. Noch viel ärger sind das die ärmeren Länder weltweit, wo Menschen verhungern werden, weil von den Russen in der Ukraine, der Kornkammer der Welt, für den Export in andere Kontinente bestimmte Getreidesilos gezielt zerstört und geplündert werden. Diese Seiten des Krieges sind inzwischen allen – außerhalb des Kremls – schmerzlich bewusst geworden. Aber über den wahrscheinlich allergrößten Schaden, den der russische Einmarsch auslöst, wird erstaunlicherweise gar nicht gesprochen. Dabei ist der auch langfristig katastrophal.
Der Schaden für die ganze Welt besteht darin, dass nun mit absoluter Sicherheit viele Staaten darüber diskutieren, sich atomar zu bewaffnen, um sich gegen Angriffe zu schützen. Dieser Schaden tritt in jedem Fall ein, egal wie und wann der Krieg ausgeht. Diese Gefahr einer rapiden Ausbreitung der Atomwaffen wird auch dadurch noch vergrößert, dass in der Ukraine selbst angesichts des tapferen Widerstandes der Verteidiger, die Wahrscheinlichkeit eines "taktischen" nuklearen Schlages mit Kurz- und Mittelstreckenwaffen ständig steigt, wie jetzt auch ein führender Bundesheer-Analyst gesagt hat. Gegen solche Schläge ist die atomwaffenfreie Ukraine ziemlich wehrlos, sie kann jedenfalls den Russen keine Vergeltung androhen.
Gleichzeitig sinkt die Chance gegen Null, dass Staaten wie Nordkorea oder Iran wieder auf die Atombewaffnung verzichten, wie es internationaler Druck und Sanktionen von ihnen fordern. Sie sind spätestens als Lehre aus dem Los der Ukraine überzeugt, dadurch unangreifbar zu werden, wenn sie auf eine "konventionelle" Niederlage mit Atomraketen antworten können.
Zugleich ist aber klar: Je mehr Staaten über Atombewaffnung verfügen, umso höher wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie auch eingesetzt werden. Sei es als Folge einer Panne oder einer Fehleinschätzung oder weil einer der Regierenden durchdreht und auf den Atomknopf drückt. Oder weil man den Gegner so sehr hasst.
Die rasche Ausbreitung der Atombewaffnung hat allerdings auch eine – viel kleinere – positive Seite. Die Wahrscheinlichkeit eines konventionellen Krieges wird sich dadurch reduzieren. Denn potenzielle Aggressoren werden naturgemäß vorsichtiger sein, wenn das Ziel ihrer Begierde atomar bewaffnet ist und daher mit dieser tödlichen Waffe zurückschlagen könnte.
Jedoch könnten umgekehrt genau diese Zusammenhänge dazu führen, dass Aggressoren rasch zuschlagen wollen, bevor sich die Gegenseite atomar bewaffnet. Diese Überlegung kursiert immer wieder in Israel angesichts der iranischen Atompläne.
So beklemmend diese Überlegungen auch für die allermeisten Österreicher sind, so zwingend logisch sind sie für viele andere Länder, die das Schicksal der Ukraine beobachten. Denn diese hatte ja nach dem Zusammenbruch der UdSSR viele Atomraketen auf ihrem Boden. Sie hat diese schließlich nach monatelangen Verhandlungen – ausgerechnet – den Russen im Gegenzug für Garantien ihrer staatlichen Existenz und für die Unversehrtheit ihrer Grenzen übergeben. Dies wurde im Budapester Memorandum 1994 vereinbart, das neben Russland auch von den USA und Großbritannien unterzeichnet worden ist (das auch ähnliche Regelungen für Belarus und Kasachstan vorgesehen hat).
Zwar wird von russischer Seite bisweilen bestritten, dass ein Memorandum einem Vertrag gleichzusetzen sei. Aber das ist angesichts des Zug-um-Zug-Charakters der Vereinbarung und ihrer Einhaltung doch ein ziemlich merkwürdiges Argument.
Auch die österreichische Geschichte zeigt übrigens die klare Verbindlichkeit eines Memorandums: Denn das Moskauer Memorandum 1955 zwischen der Sowjetunion und Österreich stellte als einziges Dokument eine Verbindung zwischen dem Staatsvertrag vom Mai und dem Neutralitätsgesetz vom Oktober her. Wäre das Memorandum wirklich unverbindlich gewesen, hätte Österreich nach dem staatsvertragsgemäßen Abzug der Alliierten auf das Neutralitätsgesetz vergessen können. Dieses ist zwar in seinem Wortlaut "aus freien Stücken" erlassen worden, aber nicht nur Moskau hat das Memorandum als durchaus verbindlich angesehen.
Die heute diskutierte rechtliche Möglichkeit, das österreichische Neutralitätsgesetz abzuändern oder aufzukündigen, argumentiert nicht mit der Unverbindlichkeit des Moskauer Memorandums, sondern damit, dass ein Partner, die Sowjetunion, inzwischen gar nicht mehr existiert, sondern in 15 unabhängige Staaten zerfallen ist. Genau mit dem gleichen Argument hat Finnland schon 1992 seinen "Freundschaftsvertrag" mit der einstigen Sowjetunion für obsolet erklärt.
Seit mehr als zehn Wochen – im Grunde schon seit 2014, also seit dem russischen Überfall auf die Krim und die Ostukraine – sieht nun alle Welt, wie ernst es Russland mit den eigenen Zusagen ist, obwohl Moskau deren Gültigkeit bis dahin nie bestritten hat. Ebenso tritt es viele internationale Konventionen (wie die UNO-Charta) mit Füßen, die ein klares Gewaltverbot festhalten.
Keine verantwortungsbewusste Staatskanzlei, ob demokratisch oder nicht, wird sich daher künftig auf Abkommen mit Moskau verlassen, um die Sicherheit des eigenen Landes zu gewährleisten. Sie wissen mehr denn je: Das kann nur die eigene Rüstung und Verteidigungsbereitschaft.
Einzig die Beistandspflicht des Nato-Vertrages wird noch ziemlich ernst genommen. Von Freund und Feind. Deswegen streben Finnland und Schweden jetzt mit großen Schritten unter diese Beistandsgarantie. Deswegen lässt Russland Nato-Mitglieder wie Lettland wohlweislich unberührt, obwohl auch die baltischen Staaten einst sowjetisch besetzt waren; und obwohl auch dort viele russisch sprechende Menschen leben. Statt dessen haben sie die eigentlich viel größere Ukraine angegriffen, die aber kein Nato-Mitglied ist.
Freilich ist die Nato-Mitgliedschaft nicht zum Nulltarif erhältlich. Die Nato verlangt von jedem Mitglied relevante eigene Verteidigungsausgaben und geordnete demokratisch-rechtsstaatliche Verhältnisse – zumindest beim Beitritt. Nachher, siehe Türkei, ist das nicht mehr so zwingend ...
In Nicht-Nato-Ländern hat in den letzten Wochen das Schicksal der Ukraine eine Schockwelle ausgelöst, die vielfach in der besorgten Frage kulminiert: Brauchen wir nicht zur Abschreckung eines Angriffs dringend Atomwaffen? Die sich herauskristallisierende Antwort wird zwar verständlicherweise vielen unheimlich sein, sie ist aber logisch und zwingend. Sie lautet: Ja, wir brauchen sie. Freilich werden die meisten Staaten nicht öffentlich darüber reden, sondern streng geheim versuchen, sich möglichst schnell Wissen, Technologie und radioaktives Material zu besorgen.
Nur einige Beispiele von Ländern, wo solche internen Überlegungen besonders naheliegen:
Wer das alles für unwahrscheinlich oder gar jenseitig hält, der sollte sich bewusst machen, dass sogar die Schweiz einst im Kalten Krieg mit großem Ernst, wenn auch in absoluter Heimlichkeit über eine atomare Bewaffnung diskutiert hat. Weniger wegen Konflikten mit den unmittelbaren Nachbarn (die es in früheren Jahrhunderten durchaus gegeben hatte), sondern weil, wie man damals in realitätsnahen Planspielen annehmen musste, die Panzerübermacht der Sowjets und ihrer Satelliten imstande gewesen wäre, binnen weniger Tage bis an den Rhein vorzustoßen. Genau deswegen hatte ja auch Frankreich seine Atombewaffnung aufgebaut.
Jenseits der Frage, ob man das für gut oder schlecht findet, sollte man sich zuerst einmal die Tatsache bewusst machen, dass diese Diskussion in einigen Dutzend Ländern unweigerlich geführt (werden) wird. Auch wenn man das überall sehr vertraulich behandelt. Es wäre aber von einer Regierung geradezu verantwortungslos, nicht aus dem Ukraine-Krieg klare Konsequenzen zu ziehen. Und auch aus der Tatsache, dass die USA unter einem Joe Biden nicht gerade stabilisierende Stärke ausstrahlen.