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Ein paar Jahrzehnte haben wir uns in den schönen und behagliche Sicherheit ausstrahlenden Glauben vertiefen können, die Welt sei nach den Grauen der Kriege irreversibel zu einer Welt des Rechts geworden. Und Österreich sei nach der Zerfleischung der Bürgerkriegsjahre und nach den bitteren Erfahrungen aus Nationalsozialismus und Besatzung zu einem stabilen Rechtsstaat geworden. Mit anderen Worten heißt dieser Glaube: Die Welt wie die Landsleute seien klüger und anständiger geworden. Wie man sich nur täuschen kann.
In Österreich ist die Stabilität des Rechtsstaats gleich durch zwei Entwicklungen gesprengt worden:
Einerseits wird das Strafrecht durch die unglaublichen Übergriffe einer durch niemanden zähmbaren und zur ideologischen Kampftruppe gewordenen Staatsanwaltschaft zertrümmert.
Andererseits geschieht Ähnliches durch eine gigantische, von allen Regierungen der letzten Jahrzehnte auf Bundes- wie Landesebene betriebene Überregulierung, die jeden Bürger vollkommen der Willkür von Behörden aussetzt. Diese Behörden finden praktisch immer eine Verordnung, ein Gesetz, eine Judikatur aus einer schier unendlichen Vielfalt, mit denen sie den Bürger fast schon nach Belieben zum Schuldigen machen können.
Summum ius summa iniuria: Wir haben geglaubt, das Rechtssystem auf die Spitze getrieben zu haben, und müssen am Ende sehen, dass aus Recht Unrecht geworden ist.
Ganz Ähnliches spielt sich auf internationaler Ebene ab. Auch da müssen wir nach Beschluss einer gewaltigen Vielzahl von internationalen Verträgen, Konventionen und Chartas, auf die Diplomaten und Völkerrechtler so stolz waren, zur Kenntnis nehmen, dass auch hier die Verrechtlichung und Moralisierung die gegenteiligen der erhofften Folgen gehabt haben.
In der internationalen Welt trägt die gefährliche Gleichzeitigkeit des Zynismus der einen Staaten und der wirklichkeitsverdrängenden Weichheit der anderen die Hauptschuld an der Abwärtsbewegung.
Dabei geht es nicht nur um die Angriffskriege Putin-Russlands, die seit etlichen Jahren gegen die Ukraine, aber auch gegen Georgien geführt werden. Russland hat Dutzende völker- und menschenrechtliche Verpflichtungen brutal zu Altpapier gemacht. Es hat aber darüber hinaus auch eine neue Internationale der hemmungslosesten Diktatoren dieser Welt geschaffenen: von Belarus bis Iran, von Venezuela bis Syrien. Man kann lediglich darüber streiten, ob China und Nordkorea genauso zu dieser Internationale der menschenverachtenden Regime gehören oder ob man sie schon als eine Art Gegen-Internationale ansehen muss (ohne sicher zu sein, tendiere ich zu Ersterem).
Allen diesen Regimen gemeinsam ist jedenfalls die Entschlossenheit, sich durch das Ausland nicht bei den eigenen Verbrechen stören zu lassen. Daher kann man nur zwischen den Worten "Peinlich!" und "Naiv!" schwanken, wenn der österreichische Bundeskanzler glaubt, durch ein Telefonat Putin zur Humanität zurückbringen zu können. Zwar schaden sinnlose Telefonate an sich nicht, aber sie werden zur gefährlichen Illusion, wenn sie zum Substitut einer auf die Sicherheit des eigenen Landes bedachten Politik werden.
Diese russischen Angriffskriege haben aber darüber hinaus noch eine weitere schlimme Folge: Sie haben auch Staaten zu unverschämten Erpressungen motiviert, die man früher zu den zivilisierten Rechtsstaaten zählen durfte.
Vor allem die Erdogan-Türkei hat es dem Putin-Regime nachgemacht. Erdogan hat nicht nur Rechtsstaat und Demokratie, Meinungs- und Medienfreiheit nach Putins Vorbild weitgehend abgedreht. Er hat auch in großem Stil die Putin-Methode der zynischen Erpressung nachgemacht.
Diese russische Methode hat in den letzten Tagen ein neues Ausmaß an Widerlichkeit erreicht: Putin hat offen angekündigt, dass er nicht nur die Ukraine vernichten will, sondern auch willens ist, Millionen Afrikaner und Südasiaten durch Verhinderung der ukrainischen Getreideexporte dem Hungertod preiszugeben, wenn nicht der Westen seine Unterstützung der Ukraine aufgibt. Damit hat sich Putin endgültig zu Hitler und Stalin in den Klub der größten Verbrecher der neueren Geschichte eingereiht.
Die Türkei erpresst nun ihrerseits Europa und Nordamerika, indem sie ein Veto gegen den Nato-Beitritt der um ihre eigene Sicherheit extrem besorgten Finnen und Schweden einlegt. Sie will dadurch nicht nur die Lieferung moderner Waffen aus den USA erzwingen, die ihr in den letzten Jahren wegen einer besorgniserregenden waffentechnischen Kooperation mit Russland verwehrt worden war. Sie will auch die Finnen und Schweden zwingen, gegen kurdische Organisationen auf ihrem Boden vorzugehen.
Das ist eine absolut unzumutbare Forderung. Denn gerade die Skandinavier haben eine sehr hohe menschenrechtliche Kultur und Tradition der Solidarität mit nationalen Befreiungsbewegungen, wie es die Kurden eindeutig sind. Es ist daher gerade bei Schweden absolut undenkbar, es würde seinen Humanitäts-orientierten Kurs wegen der Türkei ändern. Da verzichten sie lieber auf den Nato-Beitritt.
Die Türkei – obwohl Nato-Mitglied und theoretisch noch immer EU-Beitrittskandidat! – hat das völkerrechtswidrige russische Verhalten auch in einer anderen Hinsicht nachgemacht: Sie hat ein großes Stück Syriens militärisch erobert. Das gründet sie auf ihren chauvinistischen Kurdenhass, der dem Putins gegen die Ukrainer ähnelt.
Erst in den allerletzten Tagen hat Erdogan ganz dem aktuellen russischen Beispiel folgend diese Eroberungen neuerlich um ein Stück erweitert. Diesmal unter dem Vorwand, um die in die Türkei geflüchteten Syrer dort anzusiedeln. Bei diesen handelt es sich vor allem um Islamisten, die mit dem syrischen Diktator Assad jahrelang Krieg geführt haben – einen Krieg, den ihnen die Türkei überhaupt erst ermöglicht hat.
Diese türkischen Eroberungen und Annexionen von syrischem Staatsgebiet haben noch einen weiteren beklemmenden Aspekt: Der syrische Machthaber Assad war bisher eigentlich enger Alliierter Russlands. Dieses hat ihn aber offenbar nun fallengelassen. Offen ist dabei nur, ob Russland angesichts des sich hinziehenden Krieges in der Ukraine einfach derzeit militärisch zu schwach ist, um Syrien weiterhin beizustehen. Oder ob Russland insgeheim die Allianzen gewechselt hat, weil die Türkei an Größe, Kraft und strategischer Lage ein viel interessanterer Partner als Syrien ist.
Fast ebenso bestürzend ist aber, dass auch Österreichs Nachbarland Ungarn die internationale Krise für Erpressungen nutzt. Es blockiert nun schon mehrfach wirksamere Sanktionen gegen Russland, vor allem in Hinblick auf die Ölimporte aus Russland. Fast ständig schraubt Regierungschef Orbán seine finanziellen Forderungen für ein Mitmachen beim Boykott des russischen Öls in die Höhe.
Gewiss: Ungarn hat ein im Grund ehrenvolles Motiv für diese Erpressung. Die linksliberale EU-Mehrheit hat Ungarn in den letzten Jahren ständig zu demütigen versucht, weil das Land betont konservative und christliche Werte vertritt. Die EU hat sogar Geld zurückgehalten, das Ungarn eigentlich zustehen würde. Insofern kann man für Ungarn auch Verständnis und Sympathie haben.
Dennoch ist die Verantwortung und Notwendigkeit viel größer, wirklich alles zu tun, um Russlands Aggression entgegenzutreten – die ja bei einem totalen Erfolg auch für Ungarn sehr problematisch wird. Überdies bricht Ungarn damit fast total mit seinem bisherigen Hauptalliierten Polen. Dort hat man überhaupt kein Verständnis für – scheinbare oder wirkliche – Rücksichtsnahme auf Russland.
Aber Ungarn stellt sich nicht nur dadurch außerhalb der europäischen Gemeinschaft. Es hat auch mehrere Maßnahmen gesetzt, die in einem gemeinsamen Markt und Wirtschaftsraum völlig inakzeptabel sind, die Ungarn überdies als Reiseland und als Investitionsstandort schwer schaden werden: Ungarn verwehrt es seit einigen Tagen – wie in kommunistischen Zeiten – ausländischen, also de facto westlichen Autofahrern, zu den ortsüblichen Preisen zu tanken. Es hat in letzter Zeit auch mehrfach Sondersteuern für ausländische Unternehmen eingeführt.
Vermutlich glaubt auch Orbán, so wie es etwa auch Erdogan und Putin spüren: Der Westen sei hinter aller Einigkeit nur noch ein Papiertiger. Vom amerikanischen Präsidenten bis zum deutschen Bundeskanzler scheint er fast kopflos dazustehen. In der Tat wagt in Nato wie EU niemand zu sagen: Wenn ihr euch so außerhalb all unserer Werte, Ziele und Strategien stellt, dann stellen wir euch außerhalb unserer Gemeinschaft. Wäre das klar gesagt worden, wäre es mit Sicherheit zu etlichen der skizzierten Aggressionen und Erpressungen nicht gekommen.
Das westliche Wegschauen bei den bisherigen Untaten Russlands und der Türkei hat diese vielmehr entscheidend ermutigt, ungehemmt auf diesem Kurs weiterzufahren – den die Türkei eigentlich schon vor Jahrzehnten mit der Eroberung von halb Zypern begonnen hat. Wer einmal Erpressern und Aggressoren nachgibt, sorgt nicht für Frieden, wie manche dümmliche Neutralitäts-Apologetiker und Links- wie Rechtsradikale immer noch meinen. Er ermutigt vielmehr nur zu immer neuen Aggressionen und Erpressungen.
Das hätte die Welt eigentlich schon aus den Dreißiger Jahren und dem ständigen Nachgeben gegenüber Hitler lernen können.
Das hätte sie auch bei den rein kriminellen Erpressungen durch Entführungen oder Einschleusung von Internet-Viren lernen und tun müssen. Wenn kristallklar wäre, dass Erpressungen niemals zum Erfolg führen, wäre es zu vielen Versuchen gar nie gekommen. Wie etwa zu jenem, der derzeit halb Kärnten lahmlegt.