Die Licht- und Schattenseiten der Regierungsumbildung
11. Mai 2022 00:46
| Autor: Andreas Unterberger
Lesezeit: 8:00
Recht schnell hat Karl Nehammer auf das Ausscheiden zweier Ministerinnen reagiert, hat neue Namen und eine geänderte Struktur präsentiert. Wie gut sich das neue Team freilich im wirklichen Leben machen wird, wird man noch sehen. Allerdings lassen sich jetzt schon eindeutige Plus- und Minuspunkte erkennen und analysieren.
Fangen wir mit dem Positiven an:
- Nehammer hat sich nicht gescheut, zumindest innerhalb des schwarzen Regierungsteams auch Kompetenzgrenzen kräftig zu ändern, die Änderung also nicht bloß auf neue Namen zu reduzieren. Davon ist etliches sinnvoll.
- Vieles deutet darauf hin, dass intern doch schon viel früher über die zwei Abgänge kommuniziert worden ist. Was beruhigt.
- Es scheint keine Ernennung dabei zu sein, über die man schon von Anfang an den Kopf schütteln müsste (wie es etwa bei Nehammers Bildungsminister-Wahl der Fall war).
- Insbesondere Martin Kocher ist der beste Mann für diese Doppelaufgabe, der derzeit am Markt ist.
- Eindeutig positiv und richtig ist, dass Wirtschaft und Arbeit wieder zusammengeführt worden sind. Man kann keinen der beiden Bereiche sinnvoll bearbeiten, ohne nicht auch den anderen im Sinn zu haben. Wenn die Wirtschaft aus welchen Gründen immer in die Krise gerät, dann springt die Arbeitslosigkeit in die Höhe. Und wenn es am Arbeitsmarkt zu wenige Fachkräfte gibt – so wie derzeit –, dann bremst das gewaltig die Wirtschaft; und damit auch die Staatseinnahmen und die Möglichkeiten für sinnvolle Staatsinvestitionen und Hilfe für jene, die wirklich in Not sind.
- Die Zuordnung des Zivildienstes zur Landwirtschaft war immer nur skurril. Sind doch die Söhne der Bauern jene Gruppe, die wohl am wenigsten zum Zivildienst geht. Daher ist es richtig, das wieder zu trennen.
- Mit der Bestellung eines Digitalisierungs-Staatssekretärs wird neuerlich ein Akzent auf einen wichtigen Bereich gesetzt – der bei der bisherigen Digitalisierungsministerin leider missglückt ist ("Kaufhaus Österreich"). Es ist freilich vorerst nur eine vage Hoffnung, dass der neue Staatssekretär auch erkennt, was – abgesehen vom Infrastrukturausbau und der Umstellung von Behördenwegen vor allem auch bei den lahmen Gemeinde- und Landesbehörden auf Internet – in diesem Bereich eigentlich die primäre Aufgabe wäre: sich zurückzunehmen und nicht viel einzumischen. Den Rest würden die vielen Kreativen und Unternehmer viel besser voranbringen als jeder Politiker. Dabei müsste es ebenso um ein echtes Zurückdrängen der quälenden, zahllose Digitalisierungsprozesse bremsenden und zu 99 Prozent sinnlosen Datenschutz-Schikanen gehen wie auch um die aufs Internet abzielenden Zensurgesetze, ob sie nun in Brüssel oder Wien ausgeheckt worden sind. Wird sich Herr Tursky das trauen und wie ein Elon Musk zum bejubelten Vorkämpfer der Freiheit werden? Nun, jeder neue Mann lässt einmal hoffen.
- Auf den ersten Blick positiv wirkt auch, dass sich Nehammer nicht an das idiotische, aber dennoch von fast allen Parteien angebetete Fifty-Fifty-Quotendiktat gehalten zu haben scheint. Beide abgehenden Ministerinnen sind durch Männer ersetzt worden, weil sie ihm offenbar als die besten verfügbaren Kandidaten erschienen sind. Doch Nehammer beteuert umgehend, dass es auch nach der Umbildung eh gleich viele Frauen und Männer in der Regierung geben wird (durch zusätzliche Frauen in Staatssekretariatsjobs und durch das Frauenübergewicht in der bisherigen Regierungszusammensetzung). Was verfassungsrechtlich allerdings ein Unsinn ist. Staatsekretäre gehören nämlich nicht zur Regierung. Was Nehammer nicht weiß. Und dann betont er sogar noch, wie wichtig die Geschlechterparität für ihn sei. Das macht aus dem scheinbaren Plus ein glattes Minus. Denn damit hat sich Nehammer wieder weit vom einzig richtigen Satz entfernt, der etwa lauten müsste: "Für mich als Bundeskanzler ist bei jeder Besetzung einzig wichtig, von wem ich mir erwarte, dass er den Job mit seinen vielfältigen Anforderungen und der Notwendigkeit des Einfügens in ein Regierungsteam am besten kann, aber nicht das Geschlecht oder der Bund oder das Bundesland."
Damit sind wir aber auch schon voll bei den problematischen Seiten der Regierungsumbildung.
- Dass es jetzt für Zivildienst und Tourismus eigene Staatssekretäre gibt, klingt zwar nett. Nur bedeutet das im wirklichen Leben, dass diese Bereiche nun quasi so wie die Bauern, die Sport- und Kulturverbände eine eigene Lobby in der Regierung haben. Das aber ist hochproblematisch, weil das Aufaddieren von Lobbyismus nicht der Sinn einer Regierung ist, weil Lobbys sich statt dessen als Kammern und Vereine zu organisieren haben, und weil es für viele andere Österreicher keine Spezialminister oder -Staatssekretäre gibt. Etwa für die Studenten und Schüler, etwa für die Präsenzdiener, etwa für die Pensionisten, etwa für die Neoösterreicher, oder etwa für Fußgänger und Autofahrer (ob sie nun beruflich oder privat unterwegs sind). Der letztgenannten Gruppe sitzt sogar ganz im Gegenteil eine Ministerin gegenüber, die sich zu 200 Prozent als militante Gegnerin von Autofahrern und Fußgängern betätigt und die sich rein als Lobby für Radfahrer und ÖBB versteht.
- Was gar niemandem mehr auffällt, aber eigentlich beklemmend ist: Schon wieder kommt kein einziger der Nachrücker aus den Reihen der Abgeordneten. Das spricht nicht gegen die Neo-Regierungsmitglieder, aber massiv gegen die Parlamentsklubs. Während etwa in Großbritannien ein Parlamentsmandat sogar Voraussetzung für ein Regierungsamt ist, gilt in Österreich offenbar schon das Gegenteil. Da dienen Abgeordnetenmandate offenbar nur noch als Schaufenster, um verdiente Regionalfunktionäre zu belohnen oder dort ein paar Quereinsteiger mit bekannten Gesichtern aus der Seitenblicke- oder Sportler-Szene zu platzieren. Auch die Grünen haben übrigens den Großteil ihrer Regierungsriege – etwa ihre drei Gesundheitsminister, die Verkehrsministerin oder die Kultur-Staatssekretärin – nicht aus den Abgeordnetenbänken geholt.
- Die Vorgangsweise bei der Bestellung von Ministern und Staatssekretären ist schwer suboptimal. Und zwar nicht nur bei dieser Regierungsumbildung, sondern auch bei allen früheren. Denn diese muss fast jedes Mal binnen weniger Stunden erfolgen. Noch größer wird der Zeitdruck dadurch, dass logischerweise auch das Einverständnis des Nominierten erforderlich ist, das – wie gestern im Tagebuch genau analysiert – bei vielen Kandidaten aus guten Gründen nicht gegeben ist. Daher kann praktisch immer nur im relativ kleinen politiknahen Pool gefischt werden, bei Kammern, in Politikersekretariaten oder in der Parteiorganisation selbst.
- Diese teilweise medial- und systembedingten Unzulänglichkeiten von Ministerbesetzungen werden durch einen Vergleich noch viel deutlicher: Wenn im Vorstand oder in der Geschäftsführung eines Unternehmens ein Posten neu zu besetzen ist, dann wird in der Regel wochen- und monatelang gesucht und geprüft, wenn man keine gute hausinterne Besetzung hat (wo man die Kandidaten gut kennt). Dann werden ausführliche Interviews gemacht, dann werden Headhunter eingeschaltet, psychologische Studien gemacht, bisweilen sogar Inserate geschaltet. Das Rätsel ist einfach zu beantworten, welcher Besetzungsmodus bessere Resultate verspricht.
- Das Unerträglichste rund um die Regierungsumbildung hängt aber gar nicht direkt mit der Politik zusammen, sondern mit dem Denkhorizont der meisten innenpolitischen Journalisten dieses Landes. Die in Leitartikeln und Pressekonferenzen nämlich am häufigsten aufgeworfene Frage befasst sich mit der Frauenquote und vor allem der Frage, ob die ÖVP nun mehr schwarz oder mehr türkis wäre. Als ob die Farbe des Marketings anstelle konkreter politischer Inhalte auch nur irgendwie relevant wäre.
Jetzt jedenfalls sollte wieder für länger mit den Personaldebatten Schluss sein – zumindest bis halt wieder irgendwo eine alte Diplomarbeit der uni-üblichen schwachen Qualität auftaucht, oder sich die linken Staatsanwälte wieder irgend ein ÖVP-Handy schnappen. Jetzt sollte sich die Republik endlich den wirklich wichtigen Sachfragen zuwenden, die ja auch schon vor den Rücktritten und vor Corona ignoriert worden waren. Die da insbesondere sind:
- In welchen Bündnisstrukturen und mit welchem Bundesheer kann die militärische Sicherheit und Freiheit Österreichs am besten gewährleistet werden? Sind doch fast alle anderen Neutralen von Irland über Schweden bis Finnland in den letzten Tagen und Wochen der Nato deutlich nähergerückt, weil sie nur so die eigene Sicherheit gewährleistet sehen.
- Wo und wie bekommen wir ausreichend Energie her, um unsere Wohnungen zu heizen und Fabriken zu betreiben?
- Wann trauen wir uns, wie etwa Belgien, eine neue (übrigens auch wegen der von den Grünen behaupteten Klimakrise sinnvolle) Debatte über Atomkraftwerke zu führen?
- Wann ziehen wir aus der auch jetzt wieder – siehe oben die Beobachtungen zu den irrelevanten Parlamentariern! – sichtbar gewordenen Krise der repräsentativen Demokratie die notwendigen Schlüsse und gehen den von der Schweiz so erfolgreich beschrittenen Weg zur direkten Demokratie (die sich auch schon einmal in Programmen von Schwarz, Grün und Blau gefunden hat)?
- Wie reagieren wir auf die demographische Katastrophe, dass eine Generation lang viel zu wenige Kinder in die Welt gesetzt worden sind? Warum werden etwa die sensationellen Maßnahmen Ungarns zur Förderung der Familien nicht intensiv diskutiert, damit wenigstens in Zukunft der demographische Tod gestoppt oder hinausgezögert wird?
- Wie bringen wir wenigstens jetzt insbesondere die besser gebildeten Frauen dazu, mehr Kinder in die Welt zu setzen, die für die Erhaltung unseres Wohlstandes unverzichtbar wären?
- Was machen wir, um den im Vorjahr wieder dramatisch angewachsenen illegalen Zuzug aus der Dritten Welt zu stoppen, der für uns kulturell, wirtschaftlich, weltanschaulich, frauenpolitisch, wohnraumpolitisch, sicherheitspolitisch eine Riesenkatastrophe geworden ist?
- Wann haben wir den Mut, wie etwa jetzt Emmanuel Macron (trotz Wahlkampfs!), die aus vielen Gründen dringend notwendige Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf etwa 67 Jahre anzugehen?
- Wie führen wir die x-mal versprochene Reduktion der Steuerlast durch, insbesondere die Abschaffung der Stillen Progression?
- Wie bringen wir die Staatsanwaltschaft wieder aus ihrer üblen agitatorischen Politisierung heraus?
- Ausgerechnet dort freilich, wovon Regierung wie Opposition am meisten reden (weil offenbar die Umfragen das als dringlichstes Problem der Durchschnittsösterreicher aufzeigen), wird die Regierung am wenigsten tun können: bei der Inflation. Denn diese ist überwiegend ein Produkt der falschen EZB-Politik, der schweren wirtschaftlichen Schäden durch den russischen Angriffskrieg und seiner Folgen und der ununterbrochenen chinesischen Corona-Lockdowns.
Aber die anderen zehn Punkte wären die wichtigsten Aufgaben, die vor der Regierung liegen. Eigentlich.
Ich weiß nicht, ob diese Notwendigkeiten jetzt türkis oder schwarz sind. Oder gelb oder violett. Ich weiß nur, dass sie wichtig und dringend wären. Und dass uns eine ganze Reihe europäischer Länder schon vorzeigt, was zu tun ist. Auch wenn gerade die beiden größten Nachbarn – Deutschland und Italien – derzeit gar nicht als Vorbilder taugen.
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