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Alle Gutmenschen haben die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen: Der britische Premier Boris Johnson will illegal nach Großbritannien gekommene Männer für die Dauer des Asyl-Verfahrens im afrikanischen Ruanda unterbringen. Das hat Sprengkraft für die ganze EU. Dennoch haben die Gutmenschen in ihren Entsetzensschreien nur in einem einzigen Punkt ihrer Vorwürfe an Johnson recht.
Das betrifft den Zeitpunkt. Johnson ist zweifellos daran interessiert, sich gerade jetzt als entschlossener und handelnder Regierungschef zu zeigen, um von "Partygate" abzulenken, also von den nach der Reihe gegen ihn und viele seiner Mitarbeiter verhängten Polizeistrafen wegen der Teilnahme an alkoholfreudigen und in der Corona-Periode eindeutig verboten gewesenen Geselligkeiten. Diese Strafen lassen die Opposition und etliche Medien lautstark nach Johnsons Rücktritt rufen. Der denkt jedoch nicht daran. Er hat diesbezüglich auch seine Partei mit wenigen Ausnahmen hinter sich scharen können.
Johnson versucht vielmehr zu demonstrieren, dass er durch diese Affäre nicht angeschlagen, sondern voll handlungsfähig ist. Das hat er zuerst tatsächlich durch besonders tatkräftige Waffenlieferungen an die Ukraine beweisen können. Und das beweist er nun durch das Ruanda-Projekt.
Dieser Zusammenhang ist nicht vom Tisch zu wischen. Aber er kann auch positiv beurteilt werden: Wenn solche simplen, pikanten und daher oft wahlrelevanten Affären mit Privatlebensbezug dazu dienen, dass Politiker dann besonders tatkräftig werden und dabei auch das Richtige tun, um abzulenken – dann muss man sich fast noch mehr davon wünschen.
Sollte dieser Zusammenhang immer funktionieren, dann wären sie derzeit besonders der Berliner Regierung zu wünschen. Denn Berlin agiert in Sachen Unterstützung der Ukraine seit Wochen alles andere als entschlossen und klar: Die bürgerlichen Parteien und überraschenderweise auch die Grünen sind für rasche und maximale Unterstützung der Ukraine auch mit schweren Waffen – der sozialdemokratische Bundeskanzler hingegen eiert herum, er hat offensichtlich Probleme mit einem noch immer relevanten pazifistischen Flügel der SPD und weiß nicht so recht, wie beleidigt er wegen der brüsken Ausladung des (lange eingestandenermaßen allzu Putin-freundlichen) Bundespräsidenten Steinmeier durch die Ukraine sein soll.
Auch der österreichische Bundeskanzler Nehammer hat in entfernter Ähnlichkeit zu Johnson eine kleine Affäre mit Privat- und Alkoholbezug am Hals, die Opposition und damit offenbar schon automatisch die Staatsanwaltschaft auszuwalzen versuchen (Die Affäre ist bekannt: Zwei mit dem Schutz der Familie Nehammer beauftragte Kriminalbeamte haben zusammen mit der Frau des ÖVP-Chefs Alkohol konsumiert und nachher – ohne Frau Nehammer – mit dem Auto einen Sachschaden angerichtet; dabei könnte für Nehammer eigentlich nur ein Aspekt peinlich werden, falls er irgendwie zum Schutz der Trink-Bodyguards interveniert haben sollte).
Jedenfalls gab es auch für den österreichischen Regierungschef ähnlich zu Johnson die Versuchung, durch eine spektakuläre Aktivität davon abzulenken. Was an sich erlaubt ist. Freilich war der Besuch bei Wladimir Putin nur Spektakel ohne Substanz, mehr problematisch als sinnvoll.
Das gilt für die zwei genannten Aktivitäten Johnsons ganz und gar nicht. In der Ukraine gilt er mittlerweile eindeutig sogar als der oder einer der wichtigsten Helfer in der Not.
Und auch das Projekt Ruanda hat enorm viel – und positiv zu beurteilende Substanz, auch wenn gewiss noch abzuwarten bleibt, ob es überhaupt realisiert wird. Es erinnert jedenfalls lebhaft an das australische Beispiel: Der südliche Kontinent hat den Massenzustrom von illegalen Einwanderern und Asylwerbern seit Jahren dadurch stoppen können, dass er alle, die da illegal an seinen Küsten landeten, wieder auf zwei Inseln brachte, wo sie ihr Verfahren darüber abwarten mussten, ob sie eventuell echte Asylgründe haben. Das hat den Migrationszustrom nach Australien praktisch zum Stillstand gebracht, der vorher aus Asien und Ozeanien enorm war.
Das erinnert wieder lebhaft daran, dass ein österreichischer Regierungschef schon vor Jahren etliche Male das australische Beispiel vorgeschlagen hat, um den auch für Österreich so belastenden Zustrom abzuschwächen. Doch Sebastian Kurz ist mit diesem Vorschlag nicht weit gekommen.
Denn es war völlig klar, dass dieser Vorschlag nur als EU-Projekt verwirklicht werden könnte. In der EU hat er aber keine Chance gehabt: Erstens wegen der Entscheidungsschwäche der Kommission; zweitens wegen des Widerstands einiger linksregierter und immigrationsfreundlicher Mitgliedsstaaten; und drittens, weil ein solches Projekt höchstwahrscheinlich an den beiden europäischen Gerichtshöfen gescheitert wäre, die ja in den letzten Jahren mit anderen zu Hauptschuldigen an der Ermöglichung der Massenmigration geworden sind.
Johnson ist hingegen nicht mehr durch die EU gebunden – schon bei der Austrittskampagne hatte er das Migrationsthema als eines der Motive genannt, warum die EU zu verlassen wäre. Und er scheint auch bereit, die Judikatur des nicht zur EU gehörenden Europäischen Menschenrechtsgerichthofs abzuschütteln, der wohl keinesfalls eine solche Verletzung seiner migrationsfreundlichen Politik hinnehmen würde. Dieser EGMR hat zuletzt aber schon in Sachen Russland eine dramatische Blamage erlitten, das ja eigentlich auch seiner Judikatur unterstanden war.
Der britische Schritt ist jedenfalls für viele Länder hochwichtig.
In erster Linie für Ruanda. Das zentralafrikanische Land ist als einziges Land ohne britische Kolonialvergangenheit schon seit längerem Mitglied des Commonwealth. Es hat in den Neunziger Jahren einen schlimmen genozid-artigen Bürgerkrieg erlebt, ist aber seither recht stabil unterwegs. Wirtschaftlich sehr erfolgreich kann es als autokratische Halb-Demokratie unter dem Langzeitpräsidenten Kagame eingestuft werden. Es ist zwar unklar, seit wann Johnson mit Kagame schon verhandelt hat. Ruanda ist jedenfalls mit dem Projekt einverstanden, weil es dafür viel Geld von Großbritannien bekommt.
Auch auf den Inseln sind die meisten einverstanden, sollte das Projekt funktionieren – selbst wenn auf der Linken und bei zahlreichen NGOs vehementer Protest zu erwarten ist. Aber viel wesentlicher ist für die meisten Briten, dass sowohl das australische Exempel als auch die gesamte Logik der Schlepperindustrie es erwarten lassen, dass bei einer Realisierung des Projekts die Migration auf die Inseln rasch verebben wird.
Besonders heikel ist das Projekt für die EU. Sollte Johnson Erfolg haben, würde nämlich der Druck etlicher Mitgliedsstaaten – von Österreich bis Dänemark – wieder steigen, doch endlich in Sachen Abschiebung aktiver zu werden. Das kann zu einer explosiven Zerreißprobe für die Union werden – auch wenn die Linke in Österreich Kurz als prominentesten Vertreter solcher Ideen vorerst erfolgreich abgeschossen hat.
Doppelt heikel ist der Ruanda-Plan für die EU-Großmacht Frankreich. Dieses hat sich ja seit vielen Jahren unfähig – oder unwillig - gezeigt, den Dauerstrom von afrikanischen und asiatischen Migranten nach Großbritannien zu stoppen. Obwohl fast alle mit Booten von Frankreich aus über den Kanal auf die Inseln gekommen sind. Das heißt aber: Künftig wird Frankreich Endstation dieser unerwünschten Völkerwanderung sein.
Das ist für viele Franzosen eine ganz üble Perspektive. Diese könnte auch schon kurzfristig im jetzigen Wahlkampf eine Rolle spielen, wo ja Herausforderin Le Pen ganz stark gegen die illegale Migration auftritt, während für Präsident Macron die bisherige bequeme Praxis zu Ende geht – dass ein Großteil der Migranten einfach und ungehindert von Frankreich nach Großbritannien weiterzieht.
Insgesamt ist das Johnson-Projekt sicher hochproblematisch. Es wird vor allem eine Fülle rechtlicher Fragen auslösen. Insofern wäre es also sicher negativ einzustufen. Positiv wird es jedoch eindeutig dadurch, dass die beiden anderen Alternativen viel schlimmer sind:
Eine weitere Möglichkeit gibt es leider nicht.
Und Tatsache bleibt, dass jede Nation das fundamentale Recht hat (egal, ob es irgendwelche weltfremden Richter akzeptieren), sich gegen ungerufene Massen-Invasionen zu verteidigen. Egal, ob da Russen, Afrikaner oder Asiaten kommen. Egal, ob sie mit oder ohne Waffen kommen.
PS: Eine der vielen rechtlichen Fragen, über die künftig Völkerrechtsseminare abgehalten werden könnten: Werden durch Johnsons Projekt nicht die Männer diskriminiert? Denn die bekanntgewordenen Pläne sprechen ausdrücklich davon, dass nur Männer nach Ruanda gebracht werden. Allerdings: Darüber werden sich die zahllosen "Gleichberechtigungs"-Wichtigmacherinnen nicht wirklich aufregen ...