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Hätten wir Waffen, sollten wir sie Kiew schicken

Der Imperativ im Titel (nicht der leider nur allzu wahre Konditional-Nebensatz) wird manche verstören: Darf denn ein neutraler Staat einem kriegführenden Land Kriegswaffen schicken? Nein, das darf er nicht. Dennoch ist ebenso klar: Außerhalb von Kriegszeiten gibt es kein völkerrechtliches Verbot, Waffen zu exportieren. Was Österreich einst auch immer wieder in relevantem Ausmaß getan hat, bis die SPÖ in den 70er und 80er Jahren die staatsnahe österreichische Waffenindustrie aus ideologischen Motiven zugesperrt hat (Weil in der linken Wünsch-Dir-Was-Welt dadurch dem Frieden gedient wäre). Deshalb kann Österreich heute statt Schützenpanzer fast nur noch Glock-Pistolen ins Ausland verkaufen.

Die dürften zwar exzellent sein, aber wenig helfen, um russische Panzer zu stoppen.

Die durch das österreichische Neutralitätsgesetz deklarierte "immerwährende Neutralität" bedeutet rechtlich die Zusage, dass Österreich sich im Falle eines Krieges gemäß dem Kriegsvölkerrecht neutral verhalten werde. Für die Zeiten zwischen Kriegen hat sich Österreich nur verpflichtet, keine ausländischen Soldaten zu stationieren (was man übrigens seit langem bei diversen Übungen sehr wohl dennoch tut und längst als kompatibel mit dem Neutralitätsrecht einordnet) und keinem militärischen Bündnis beizutreten (wobei klar ist, dass die gegenseitige Beistandspflicht der EU-Staaten eine gewisse Einschränkung des Neutralitätsgesetzes bedeutet, auch wenn Österreich keinen militärischen Beistand zu leisten hat; sie geht jedenfalls juristisch als jüngeres Recht dem älteren Neutralitätsgesetz vor).

Sonst gibt es außerhalb von Kriegen keine Rechtspflichten für das immerwährend neutrale Österreich. Und damit die Freiheit, sich politisch klug wie anständig zu verhalten. Daher wären eigentlich nur noch zwei Fragen zu prüfen:

  • Herrscht dort überhaupt Krieg, wohin wir Waffen schicken wollen?
  • Ist es moralisch und politisch richtig, die Waffenausfuhr zu erlauben?

Die zweite Frage ist angesichts der gewaltigen, an Völkermord grenzenden Verbrechen, die in der Ukraine passieren, eindeutig zu beantworten, auch entlang der moralischen Einordnung von Christoph Schönborn, dass das ein eindeutiger Fall von Notwehr ist. Das ist so eindeutig, dass die Handvoll Links- und Rechtsradikaler, die das krampfhaft anders sehen wollen, nicht ernst zu nehmen ist (auch wenn sie sich mit russischer Unterstützung auf einigen Plattformen, wo sie sich voll austoben dürfen, trotz ihrer geringen Zahl sehr lautstark organisiert haben).

Bleibt die Frage, ob es in der Ukraine einen Krieg gibt. Gäbe es ihn, wären gemäß dem Kriegsvölkerrecht einem neutralen Land Waffenlieferungen dorthin verboten. Das Völkerrecht gilt ja zumindest in Österreich auch innerösterreichisch – auch wenn Russland seit Februar auf ihm so herumtrampelt, dass es eigentlich zu einer fernen historischen Reminiszenz geworden ist.

Die Ukraine selbst wird sicher keine völkerrechtliche Debatte beginnen, ob Österreich ihr Waffen liefern darf. Bleibt die Gegenseite, also Russland. Dieses könnte nun theoretisch unabhängig von seinen unzähligen eigenen Völkerrechtsverletzungen versuchen, auf das Kriegsvölkerrecht zu pochen, das im Krieg Waffenexporte an die Kriegsparteien verbietet.

Jedoch hat Russland selbst tausende Male selbst auf allen Ebenen bestritten, dass es überhaupt einen Krieg gibt! Wer das behauptet, wird in Russland sogar verfolgt und eingesperrt. In der Ukraine finden laut Russland lediglich "Militärische Operationen" statt. Was auch immer das rechtlich sein mag, nach offizieller russischer Staatsdoktrin ist es jedenfalls kein Krieg.

Damit kann sich Russland keine Sekunde lang auf das Waffenausfuhrverbot des Völkerrechts für Kriegszeiten berufen (würde es absurderweise trotz seiner massiven Verletzungen des Völkerrechts so zu argumentieren versuchen). Das könnte es erst dann, wenn es eines Tages zugeben sollte, dass es doch einen Krieg führt. Wenn es einen solchen Krieg direkt oder indirekt erklären würde.

Bis dahin ist Österreich völkerrechtlich frei.

Die große Schuld der Kreisky-Ära

Das bringt uns freilich zu der traurigen Tatsache, dass Österreich bis auf Glock gar keine erwähnenswerte Waffenindustrie mehr beherbergt (und dass auch Glock von linken Kampfpazifisten immer wieder scharf attackiert wird). Damit wird eine längere Zeit aus dem Bewusstsein geschwundene schlimme Hinterlassenschaft der Kreisky-Jahre bewusst. die Kreisky-Ära hat nicht nur das Land zum am meisten abgerüsteten Staat auf dem Kontinent gemacht, sondern de facto aus ideologischen Gründen auch alle Waffenexporte unmöglich gemacht. Das hat nicht nur wirtschaftlich geschadet, zahlreiche Arbeitsplätze vernichtet, sondern auch der eigenen Landesverteidigung zusätzlich geschadet, die ja in gewaltigen Problemen steckt, wenn sie über keine eigene Waffenproduktion im Lande verfügt. Diese Fehlentwicklung hat auch keine Nachfolgeregierung jemals mehr korrigiert, egal ob mit roter, blauer, schwarzer oder grüner Beteiligung. Es hat nicht einmal ernsthafte Versuche zu einer Korrektur gegeben. Höchstens die Anschaffung der Eurofighter unter Schwarz-Blau I. kann als schwacher Ansatz gewertet werden – der dann aber von SPÖ und der mit ihr praktisch bei jeder Aktion verbündeten Staatsanwaltschaft bald wieder zertrümmert worden ist. 

Dabei ist die Verteidigung seiner eigenen Bürger gegen Angriffe von außen die für jeden Staat eigentlich oberste Pflicht und Legitimation. Sonst wäre schwer zu argumentieren, warum es überhaupt Staaten gibt, und warum sie das moralische Recht in Anspruch nehmen, von ihren Bürgern Steuern zu kassieren.

Für das Nichtmitglied eines Bündnisses ist die eigene Verteidigungsfähigkeit sogar doppelt wichtig: Denn ein solches Land steht ja im Ernstfall mutterseelenallein da, während Bündnisländer einen Anspruch auf Hilfe durch alle anderen Partner haben. Das sichert auch den kleinsten und exponiertesten Nato-Ländern wie Estland, Lettland oder Litauen den Beistand der USA, Großbritanniens und Frankreichs sowie von mehr als zwei Dutzend anderen Ländern. Dieses Bündnis gibt den Kleinsten viel mehr Sicherheit, als sie die viel größere Ukraine gehabt hat.

Das Schicksal der Ukraine hat auch eine alte Lebenslüge vieler Österreicher entlarvt, die geglaubt haben, dass das Neutralitätsgesetz irgendwie zur Freiheit und Unabhängigkeit der Republik beitragen könne. Nie hat sich deutlicher gezeigt, dass der Bündnisfreie im Fall der Not trotz intensiver Hilfsbitten ohne direkten Beistand von außen dasteht. Damit ist übrigens auch die Illusion vieler anderer Österreicher zerstört, die zwar gewusst haben, dass die Neutralität irrelevant ist, die aber gehofft haben, dass uns die Nato im Falle eines Angriffs beisteht. Was sie aber unter Nichtmitgliedern nicht zu tun gewillt ist. Wie nun bewiesen ist.

Genau diese Zusammenhänge haben nun die Finnen und Schweden in ihrer großen Mehrheit erkannt. Sie wollen jetzt im Eilschritt unter den Schutz der Nato.

Das große Versäumnis des Franz Vranitzky

Finnland erinnert auch noch an einen anderen schweren Fehler der Republik, an dem vor allem Franz Vranitzky und die von ihm geführten rot-schwarzen Regierungen schuld sind. Denn Finnland hat Anfang der 90er Jahre den Zerfall der Sowjetunion sofort genutzt, um den "Freundschaftsvertrag" mit Moskau für obsolet zu erklären; mit der Begründung, dass ja der Vertragspartner, die Sowjetunion untergegangen sei. Dieser Vertrag hatte nicht nur Finnlands Neutralität beinhaltet, sondern Moskau auch eine gewisse – jedenfalls immer wieder postulierte – Vormundschaft gegenüber Helsinki eingeräumt.

Die Kündigung dieses "Freundschaftsvertrags" gab Finnland nun die Möglichkeit, völlig frei von irgendwelchen alten Vertragsbindungen die jeweils beste Strategie zur Sicherung seiner Freiheit und Unabhängigkeit zu suchen. Und ganz nach Eigeninteresse über die Aufgabe seiner Bündnisfreiheit zu entscheiden, wie es jetzt offenbar tut.

Vranitzky & Co haben damals hingegen nach schlecht österreichischer Art nichts getan. Wenn sie sich überhaupt mit dem Thema der nationalen Sicherheitsinteressen befasst haben, dann haben sie nur die bequeme, aber tief verlogene Mär tradiert, dass Österreich durch die Neutralität geschützt sei. Und sie haben damit auch – neuerlich sehr zum Unterschied von den anderen Bündnisfreien in Finnland, Schweden oder der Schweiz ­– die nationale Illusion genährt, sich deswegen auch gleich jede ernstzunehmende Landesverteidigung ersparen zu können.

Ich selbst habe schon damals – sei ein wenig eitel hinzugefügt – in der "Presse" intentsiv verlangt, dem Beispiel Finnlands zu folgen. Also das Ende der Sowjetunion als historisches Fenster zu nutzen, um offiziell festzuhalten, dass damit auch der Vertragspartner des Moskauer Memorandums 1955 und eine Signatarmacht des Staatsvertrags untergegangen ist. Das hätte für Österreich volle außenpolitische und rechtliche Bewegungsfreiheit geschaffen und es noch viel leichter gemacht, selbst ganz nach Eigeninteresse über das Neutralitätsgesetz zu entscheiden. Statt dieses einmalige Gelegenheit elegant zu nutzen war Österreich so dumm, offiziell zu erklären, dass es Russland als Nachfolger der Sowjeunion anerkennt. Dabei war Russland ja nur einer von 15 Teilen der Sowjetunion. Das war zwar bequem, das war aber extrem dumm.

Das heißt freilich noch nicht, dass es heute dem österreichischen Parlament rechtlich unmöglich wäre, das Neutralitätsgesetz zu ändern. Das ist durch dieses Versäumnis nur politisch mühsamer geworden.

Und das sollte im Interesse der Sicherheit und Freiheit Österreichs dennoch zumindest jetzt unbedingt getan werden, da sich zum zweiten Mal ein historisches Fenster öffnet. Wie es die Schweden und Finnen erkannt haben.

Das ist freilich innerstaatlich jedenfalls nur mit Zweidrittelmehrheit möglich. Die so gut wie unerreichbar ist. Das bringt allerdings die geistig in den 70er Jahren steckengebliebene SPÖ so wie in den Neunziger Jahren in eine entscheidende Rolle.

Das ist kein gutes Omen. Sind es doch auch in Deutschland die Sozialdemokraten, die in Sachen Ukraine-Hilfe peinlich unentschlossen sind, weil sich Olaf Scholz als ganz schwacher Chef entpuppt, weil es dort noch den alten Flügel der pazifistischen Ostermarsch-Utopisten gibt (mit Slogans wie "Frieden schaffen ohne Waffen", "Stell' Dir vor, es ist Krieg …"). Hingegen treten CDU (ganz zum Unterschied von der russlandfreundlichen Merkel-Ära), FDP und erstaunlicherweise auch die Grünen voll für die dringend notwendige rasche und umfassende Ukraine-Hilfe ein. Die AfD (hier spielen die erstaunlicherweise Putin-freundlichen Russlanddeutschen eine wichtige Rolle) und die Linkspartei (hier spielen noch immer Moskau-Verbindungen aus der früheren DDR eine Rolle) sind hingegen wie die SPD gespalten.

Gespiegelt auf Österreich, schaut die Parteienlage etwas anders aus: Da haben KPÖ und FPÖ zwar einerseits den Angriff Russlands verurteilt. Andererseits wird aber hierzulande rechts- und links-außen nach wie vor besonders intensiv die de facto total russlandfreundliche Neutralitäts-Mär weitergesponnen. Wobei aber in der SPÖ selbst die (neben der schon lange an Putin gebundenen FPÖ) russlandfreundlichsten Töne zu hören sind. Den Genossen muss man nur wie dem Pawlowschen Hund das Hölzl hinschmeißen, die Ukrainer seien Faschisten und Nazi, und schon beginnen sie zu safteln und hasserfüllt zu bellen ...

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