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Hat Wladimir Putin einen Angriffskrieg begonnen? Ganz eindeutig, ja. Ist er ein Kriegsverbrecher, der ein Genozid verschuldet hat? Ebenso eindeutig ja. Ist es daher richtig und notwendig, dass gegen ihn und den engen Kreis um ihn, der Putins Entscheidungen beeinflussen hätte können, ein Kriegsverbrecherprozess vorbereitet wird? Diese Frage ist jedoch nur mit Nein zu beantworten. Bei allem Bauchweh.
Putin hat in den letzten Wochen eindeutig ähnlich schwere Schuld auf sich geladen wie die Angeklagten im Nürnberger Prozess nach dem zweiten Weltkrieg (zumindest jene, die "nur" wegen der Führung eines Angriffskriegs angeklagt worden sind, und nicht auch wegen des Holocausts).
Dem standen gleich zwei Argumente entgegen: Erstens waren auch nach deutschem Recht der Holocaust und ein Angriffskrieg nicht durch Gesetze gedeckt. Und zweitens hat der Nürnberger Prozess seine eindeutige Grundlage im Naturrecht, also in einer über allen formellen Gesetzen stehenden Ordnung, die nicht durch Beschlüsse irgendeines Parlaments oder Diktators aufgehoben werden könne. Sehr vereinfacht wird oft der Inhalt der Zehn Gebote als ein Kern des Naturrechts gesehen.
Da aber für Linke und für positivrechtlich denkende Juristen das Naturrecht nicht zuletzt wegen seiner häufig religiösen Dimension unsympathisch und unerwünscht ist, haben sie eben geglaubt, gut daran zu tun, die wichtigsten Inhalte des Naturrechts und damit auch Grundlagen der Nürnberger Urteile in ein formelles Vertragswerk zu gießen. Sie haben aber übersehen, dass damit die friedensstiftenden Möglichkeiten der internationalen Politik schwer beschädigt worden sind.
Jetzt hängt es nämlich nicht mehr von politischen Beschlüssen etwa der Staatschefs der Siegermächte ab, ob Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt werden. Jetzt gibt es unabhängige Ankläger, die ohne jede Rücksicht auf Staats- oder Friedens-Räson internationale Bösewichte verfolgen.
Die stolzen Diplomaten und Völkerrechtler haben mit diesem IStGH und seinem Statut einen Automatismus geschaffen, der aus Kriegsverbrechen eine noch viel größere und möglicherweise globale Katastrophe machen kann. Denn seither muss jeder Kriegsherr damit rechnen, dass er auf jeden Fall von globaler Strafverfolgung bedroht ist. Seither kann niemand mehr einem Staatschef, der einen Angriffskrieg beginnt, sagen: "Wenn du sofort aufhörst und wir dich nicht erst mit Tausenden oder Millionen Toten niederkämpfen müssen, gehst du straffrei aus."
Damit hat sich die Wahrscheinlichkeit drastisch erhöht, dass ein Krieg noch länger dauert. Ein solcher Kriegsherr und alle Mächtigen rund um ihn haben ja absolut nichts mehr für sich selbst von einem Friedensschluss zu erhoffen, weil die Ankläger aus Den Haag sie in jedem Fall verfolgen können. Kriegführende Politiker glauben daher nur durch weitere Kriegsführung ihre ganz persönlichen Chancen zu erhöhen, den harten Anklagebänken in Den Haag zu entgehen.
Es klingt oberflächlich unmoralisch, wenn man es für besser hält, dass ein böser Kriegsherr nicht vor Gericht gestellt wird. In Wahrheit ist es aber eindeutig sogar sehr moralisch, wenn man das Leiden und Sterben vieler Menschen abkürzt, auch wenn dadurch Übeltäter freigehen. Und es ist dumm UND unmoralisch, dass ein in die Enge getriebener Kriegsverbrecher für sich selbst keine positive Alternative zur ständigen weiteren Eskalation mehr hat. Wie dumm und undurchdacht diese ganze Konstruktion eines internationalen Strafgerichtshofs ist, hat man inzwischen auch schon bei mehreren innerafrikanischen Kriegen gesehen.
Fiat iustitia, pereat mundus. Es solle Gerechtigkeit passieren, selbst wenn die Welt darob untergeht. Dieser Spruch hat im Atomzeitalter noch viel mehr buchstäbliche Bedeutung gewonnen. Eine Welt, in der jeder Übeltäter seiner gerechten Strafe zugeführt wird, wäre nur scheinbar eine gerechtere Welt. Denn die Geschichte zeigt, dass es des Öfteren viel, viel klüger ist, mit einem Verbrecher zu dealen – natürlich nur, sofern dieser zumindest für die Zukunft auf weitere Verbrechen verzichtet.
Dagegen lässt der heutige juridische Rigorismus eigentlich keine saubere Lösung mehr zu, die konfliktreduzierend ist. Daher ist er letztlich weniger moralisch als ein Deal, der Ungerades gerade sein lässt.