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Eine Republik zum Schämen

Es ist wirklich eine Schande. Die Österreicher werden durch die Bank – ob Regierung oder Opposition – von Menschen vertreten, die entweder historisch ahnungslos oder verantwortungslos populistisch sind. Anders lässt sich der Unsinn nicht erklären, der rund um die Uhr speziell von den drei großen Parteien zur Neutralität verzapft wird. Aber auch kaum eine der Kleineren zeigt Anzeichen, klüger zu sein. Im Grunde plappern sie fast alle völlig faktenfrei einen Neutralitätsmythos auf Kronenzeitungs-Niveau nach und sind damit fast noch dümmer als die Corona-Verschwörungstheoretiker.

Nein, Herr Bundeskanzler Nehammer, die Diskussion ist keineswegs "beendet", wie Sie anzuordnen geruhen.

Und, ja, Herr Bundeskanzler, es ist Unsinn, wenn Sie behaupten: "Die österreichische Neutralität hat gute Dienste geleistet und leistet gute Dienste."

Wahr ist vielmehr: Weder der Bundeskanzler noch sonst jemand kann auch nur einen einzigen "guten Dienst" nennen, den uns die Neutralität heute erweisen würde. Oder meinen Sie etwa als "Dienst", dass die paar Paragraphen des Neutralitätsgesetzes den Regierungen der letzten 60 Jahre eine billige, aber völlig verlogene Ausrede geboten hat für die grob fahrlässige Unterdotierung des Bundesheeres? Nach dem Sandler-Motto: Wir sind ja neutral, daher sind wir eh sicher, daher brauchen wir eh nichts  zu tun für unsere Sicherheit.

Dabei haben die letzten Tage endgültig das absolute Gegenteil bewiesen: Wer allein und ohne Bündnispartner in der Welt steht, steht so wie die Ukraine erbärmlich da. Der müsste zumindest doppelt und dreifach so viel für seine Landesverteidigung tun wie jeder andere vergleichbare Staat, der in Bündnissicherheit lebt. Die noch(!!) neutralen Schweden und Schweizer wissen das und geben daher viel mehr als Österreich für ihre eigene Sicherheit aus. In der ebenso großen und viel sicherer gelegenen Schweiz ist das ein ziemlich genau doppelt so großer Betrag wie in Österreich, und in Schweden (das nur 15 Prozent mehr Einwohner hat als die Alpenrepublik) sind die Verteidigungsausgaben sogar dreimal so hoch.

In Österreich hingegen sind in einer beinahe als kriminell zu bezeichnenden Aktion der Herren Darabos und Gusenbauer die einzigen relevanten Waffen, die Österreich seit Jahrzehnten erworben hat – also die Eurofighter –, bewusst kampfuntauglich gemacht worden. Das ist von den Genossen in Kronenzeitung und WKStA auch noch munter unterstützt worden. Dort hat man sogar im Gegenteil die Anschaffung der Eurofighter kriminalisiert. Und Frau Tanner und Herr Kurz haben sich in den letzten beiden Jahren in einem wahnwitzigen Wandel der ÖVP-Politik diesbezüglich den Genossen angeschlossen.

Das ist in Stunden wie diesen besonders schockierend. Spätestens der russische Überfall auf die Ukraine müsste doch eigentlich den simpelsten Landsleuten klar machen, dass ein Alleinestehen, ob mit einem Neutralitätsgesetz oder ohne, überhaupt nicht schützt. Es ist nämlich genauso völkerrechtswidrig, in die Ukraine einzumarschieren, wie es ein Einmarsch in Österreich wäre. Ja, in der Ukraine gibt es neben dem in zahllosen internationalen Verträgen und Chartas festgehaltenen und für alle Staaten geltenden Aggressionsverbot sogar noch ein weiteres, zusätzliches Rechtsdokument, das eine Verletzung ihrer Souveränität streng verbietet, nämlich das Budapester Memorandum, in dem die Russen die Souveränität der Ukraine im Gegenzug für die Weggabe der Atomwaffen garantiert hat.

Wie intelligent müssen da Menschen sein, die glauben, dass das österreichische Neutralitätsgesetz angesichts eines völkermörderischen Kriegsverbrechers ein besserer Schutz wäre? Sie wissen nicht oder verdrängen:

  1. dass der Westen, dass die USA hunderte Male klargemacht haben, nur die Nato-Mitglieder schützen zu wollen – dort aber jeden Quadratmeter;
  2. dass sie daher dem Nicht-Nato-Land Ukraine militärisch nicht zu Hilfe kommen wollen;
  3. dass die Ukraine auch sonst trotz der innigen Bitten ihres Präsidenten allein dasteht;
  4. dass in den Weltkriegen den Benelux-Staaten ihre zum Teil sogar formell ausgerufene Neutralität keine Stunde lang gegen den Einmarsch der Deutschen geholfen hat;
  5. dass gerade aus diesem historischen Beweis der totalen Unwirksamkeit der Neutralität die Benelux-Staaten dann allesamt und von Anfang an der Nato beigetreten sind;
  6. dass angesichts des Schocks über die Ukraine-Invasion von Schweden bis Finnland andere neutrale Länder jetzt sehr intensiv dabei sind, intensiv über einen Nato-Beitritt zu diskutieren.

Für diese beiden Länder war der russische Ukraine-Einmarsch der endgültige Augenöffner: Neutralität heißt bittere Einsamkeit in der Stunde der Not. Bei ihnen gibt es daher auch keine Regierungschefs, die befehlen würden, die Augen angesichts des Krieges schön zuzumachen, die die Anmaßung haben, ein Ende der Diskussion verordnen zu wollen.

Abgesehen davon, dass die versuchte Verhängung eines Diskussions-Endes durch einen Regierungschef in jedem Fall ziemlich widerlich und undemokratisch ist, ist es allerdings Tatsache, dass eine Mehrheit der Österreicher noch immer an die Neutralität wie an einen Talisman in der Geldtasche glaubt. Dieser Aberglaube ist aber kein Wunder bei der kollektiven Verdummung, der die Österreicher durch die meisten Medien ausgesetzt sind, mit dem ORF und der Kronenzeitung an der Spitze.

Der Grundfehler vieler ahnungslosen Österreicher besteht darin, die Unabhängigkeit, Souveränität und Freiheit Österreichs mit der für diese Ziele absolut unwirksamen, ja schädlichen Neutralität zu verwechseln. Dabei bewirkt die Neutralität eindeutig eine erhöhte Gefährdung dieser zentralen Werte unseres Staates.

Wer neutral ist, hat in der Stunde der Not keine Freunde. Und dessen Freiheit ist viel mehr gefährdet, als wenn er Freunde hätte.

Warum sagt Nehammer nicht das einzig Richtige in dieser Situation? Nämlich: "Solange es das aus freien Stücken vom Parlament beschlossene Neutralitätsgesetz gibt, hat sich die Regierung daran zu halten. Aber wie bei jedem Gesetz kann eine Änderung oder Abschaffung demokratisch diskutiert werden. Das wäre besonders wichtig, wenn es um das Wichtigste dieser Republik geht: ihre Unabhängigkeit und die Freiheit ihrer Bürger. Und da ist es mehr als zweifelhaft, ob die Neutralität dafür gute Dienste leistet."

In Schweden und Finnland diskutieren Medien wie Politiker jedenfalls viel offener, ehrlicher und sachkundiger über dieses Thema. Bei uns hingegen tut das auch keine der anderen Parteien.

Die Neos sind zwar eine kleine Spur ehrlicher, aber auch sie sind Opfer eines anderen Wunschdenkens. Sie wagen es zwar als einzige, die Wirkung der Neutralität zu bezweifeln, schlagen aber neuerlich das vor, was schon seit 1995 mehrere Regierungen als Luftschloss gebaut haben: die unbemerkte Ablösung der Neutralität durch eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik, durch eine EU-Armee.

Das würde zwar etliche Probleme mit der Kronenzeitungs-Mentalität der Österreicher und mit der formellen Rechtslage mildern. Denn beim EU-Beitritt wurde ja schon ein Passus über die "gemeinsame Verteidigung der Europäischen Union" in die Verfassung aufgenommen. Das stellt also schon seit 1994 eine weitgehende Einschränkung des 40 Jahre älteren Neutralitätsgesetzes dar.

Nur: Über eine Konkretisierung der gemeinsamen Verteidigung Europas wird zwar auch schon viele Jahrzehnte in Sonntagsreden gesprochen. Jedoch denkt im Rest Europas kaum jemand daran, den Österreichern zuliebe diesen Weg zu gehen. Denn fast alle EU-Mitglieder haben ihre eigene Sicherheit, ihre eigene Verteidigung längst in der Nato organisiert. Und sie denken keine Sekunde daran, diese gerade in Stunden eines Angriffskriegs sich als so wertvoll erweisende Sicherheitspartnerschaft aufzugeben oder sauteuer zu verdoppeln.

Vor allem nicht durch etwas viel Schlechteres. Denn die EU alleine hat nicht einmal ein Viertel der militärischen Abschreckungswirkung wie die Nato. Fehlen doch bei ihr neben der Supermacht USA die stärkste westeuropäische Militärmacht, also  Großbritannien, sowie Norwegen, Kanada und die Türkei mit ihrer strategisch so wichtigen Lage.

Es ist einfach zermürbend, sich viele Jahrzehnte immer den gleichen Schwachsinn anhören zu müssen. Ja, heute sogar mehr denn je: Denn um die Jahrtausendwende haben wenigstens noch ÖVP und FPÖ wie auch zahlreiche Spitzendiplomaten sicherheitspolitischen Klartext gesprochen. Sie tun das nicht mehr. Aus Feigheit oder Dummheit. Die Kickl-FPÖ wirkt überhaupt wie eine Außenstelle der russischen Botschaft und die ÖVP ist heute bar jedes Exponenten, der zu sicherheitspolitischem, strategischem und historischem Denken imstande wäre.

Seine Behauptung, dass die Neutralität Österreich von Diensten sei, schließt sich bei Nehammer an andere ebenfalls schmerzende Behauptungen des Neokanzlers an:

  • Etwa, dass Österreich international ein Vermittler wäre. Auch dafür kann er kein einziges Beispiel nennen. Im Ukraine-Konflikt laufen die einzigen irgendwie ernstzunehmenden Vermittlungsversuche über Israel und die Türkei, die beide alles andere als neutral sind; im Nahostkonflikt ist neben den USA das Nato-Land Norwegen einziger relevanter Vermittler.
  • Etwa, dass die sowjetischen Soldaten Österreich 1945 die "Demokratie" gebracht hätten, dabei haben sie allen anderen Ländern das Gegenteil, nämlich Diktaturen gebracht, dabei ist Österreich damals (dank des Westens) diesem Schicksal nur knapp und ohne eigenes Verdienst entgangen.
  • Etwa der von ihm angeordnete Rückzieher von Außenminister Schallenberg nach seiner völlig richtigen Äußerung, dass die Ukraine heute nicht so alleine gelassen werden sollte wie Österreich 1938, als lediglich Mexiko gegen den deutschen Einmarsch protestiert hatte.
  • Etwa die wohl ebenfalls von ihm angeordneten Rückzieher für Parlamentspräsident Sobotka wegen Äußerungen, die nicht der sozialistischen Geschichtsumschreibung entsprochen haben.

Dass sich dieser heutige Text primär mit Karl Nehammer befasst hat, erklärt sich durch seine Funktion als Regierungschef. Das heißt aber nicht, dass es bei den anderen eine Spur besser wäre. Noch krasser ist zweifellos die Abkehr der Kickl-FPÖ von der Linie der Freiheitlichen vor zwanzig Jahren. Sie betet heute die damals als unmoralisch, als sinn- und wirkungslos erkannte Neutralität intensiver an als die Astrologen die Sterne. Primär ist die FPÖ noch immer in Kickls Corona-Verschwörungstheorien verfangen und seither nicht mehr ernstzunehmen.

Bei der SPÖ-Vorsitzenden Rendi-Wagner ist überhaupt jeder Satz schmerzhaft dumm. Etwa die absurde Behauptung: "Unsere Neutralität stärkt die Sicherheit Österreichs".

Nein, Frau Rendi, die Sicherheit Österreichs ist nur dadurch gestärkt, dass rundum Nato-Staaten (und die hochgerüstete Schweiz) sind, die einen eventuellen Angriff des einzig existierenden Aggressors auf ganz Europa hoffentlich abhalten werden. Diese Abhaltewirkung würde zweifellos dann noch eine Spur besser sein, würde auch Österreich mit dazu beitragen, die gemeinsame Sicherheit Europas zu sichern.

Vor allem die jahrzehntelange Politik der SPÖ (die 1955 noch sehr neutralitätskritisch gewesen ist!!) ist schuld, dass Österreich international ein mieser unsolidarischer Trittbrettfahrer geworden ist, der sich ohne wahrnehmbare eigene Anstrengungen von anderen Ländern die eigene Sicherheit garantieren lässt. Die SPÖ so wie die ganze Linke (mit wenigen intellektuellen Ausnahmen) solidarisieren sich lieber mit Wirtschaftsflüchtlingen aus dem afrikanischen oder islamischen Raum, aber nicht mit jenen Ländern und Menschen, die uns schützen.

Besonders "intelligent" ist es auch, wenn Rendi-Wagner als Vorteil eines neutralen Staates rühmt, dass dieser von großen Mächten nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Damit sagt sie indirekt ja eindeutig, dass die Ukraine eine Bedrohung für Russland gewesen sei, weil sie sich nicht formell neutral erklärt hat; und dass Belgien einst eine solche für das Deutsche Reich gewesen sei; und dass jetzt die Belgier als Nato-Mitglied eine Bedrohung für wen auch immer sind – nein, es ist einfach nur noch widerlich, sich mit solchem Schwachsinn auseinanderzusetzen, das Wortgeklingel auch nur ernstzunehmen.

Das Allerschlimmste ist: Wir sind voll der populistischen Verantwortungslosigkeit dieser politischen "Elite" ausgeliefert. Andererseits sind die Österreicher selber schuld. Würden sie bei Umfragen, Wahlen &Co nicht diesen faktenfreien Neutralitätsmythos unterstützen, würde die populistisch-verantwortungslose Führungsgarnitur ja sofort eine ganz andere Politik verfolgen.

Denn alle Wortmeldungen dieser "Elite" bestehen nur noch in Nachplappern der Ergebnisse von Meinungsumfragen. Da ist kein Funke von außenpolitischem Sachverstand zu entdecken. Und kein Versuch, die Bürger zu informieren, mit ihnen zu diskutieren, zu argumentieren. Dabei wäre die äußere Sicherheit die wichtigste Aufgabe eines Staates überhaupt ist.

PS: Gestern ist das Tagebuch durch einen Serverausfall rund vier Stunden nicht erreichbar gewesen. Ich bedaure – und bin extrem besorgt, weil der Serverbetreiber erstmals keine objektive Schadensursache feststellen konnte. Das mag Zufall sein. Das kann aber auch Teil des überall hochbrandenden Cyber-Wars aus Sankt Petersburg sein.

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