Noch vor wenigen Wochen war es undenkbar, in wie vielen Ländern sich die gesamte außen- und sicherheitspolitische Orientierung binnen kurzem total ändern kann. Einzige Ursache dieses Massenphänomens ist das völlig unmotivierte Entzünden eines verbrecherischen Krieges durch Russland. Fast die ganze Welt wendet sich vom Aggressor ab. Das ist für Diktator Putin eine vielleicht noch ärgere Schlappe als die mangelnden Erfolge auf dem Schlachtfeld Ukraine. Das zeigt aber auch, wie dringend es auch für FPÖ und Ungarns Ministerpräsidenten Orbán wäre, ihre Haltung zu Russland zu überdenken.
Zeigen doch beide hinter formalen Verurteilungen des Krieges viele Signale der Unterstützung für Russland. Die FPÖ, indem sie ständig nach Gründen sucht, die USA oder Europa an Stelle Russlands zu beschuldigen; und Ungarn, indem es als einziger westlicher Nachbar Waffennachschub für die Ukraine blockiert. Das wird beiden nicht nützen.
Umso eindrucksvoller ist ein selektiver Rundblick über das Verhalten anderer Staaten:
- Da ist zweifellos China am wichtigsten. Das sieht man vor allem daran, was der ostasiatische Riese alles nicht tut. Er hat die gespannte Weltlage und die Ablenkung der demokratischen Welt durch die Ukraine-Invasion insbesondere nicht dazu benutzt, um seine Eroberungspläne gegenüber Taiwan voranzutreiben, obwohl die Zeiten eines Krieges in der Ukraine der "ideale" Zeitpunkt dafür wären. China hat ganz offensichtlich erkannt, dass offene Unterstützung für den an den kolonialen Imperialismus erinnernden Eroberungskrieg Russlands ihm in der ganzen Dritten Welt massive Sympathien kosten würde – wo sich die Chinesen ja seit Jahren mit massiven Investitionen festsetzen. Noch signifikanter ist, dass der staatliche chinesische Sinopec-Konzern jetzt seine Gespräche über eine große Investition in Russland abgebrochen hat – eine Investition, die der Vermarktung von russischem Gas in China gedient hätte.
- Geradezu sensationell – und bezeichnenderweise vom österreichischen Mainstream kaum beachtet – ist, dass die schwedische Regierungschefin Schweden jetzt als "nicht mehr wirklich neutral" bezeichnet hat. Denn in der EU gebe es eine Beistandsverpflichtung. Daher werde Schweden anderen EU-Ländern im Notfall auch militärisch helfen.
Diese Beistandsverpflichtung innerhalb der EU wird hingegen von Österreich in keiner Weise ernst genommen – obwohl die Alpenrepublik ja selbst durch Verfassungsänderung und Volksabstimmung das Neutralitätsgesetz den EU-Verpflichtungen untergeordnet hat. Noch auffälliger ist, dass diese Aussage von einer sozialdemokratischen Ministerpräsidentin gekommen ist, während hierzulande die Sozialdemokraten mit den Kickl-Freiheitlichen im skurrilen Neutralitäts-Beschwörungsspiel wetteifern. Das ist ein populistisches Spiel, bei dem sie die in Wahrheit völlig irrelevante Neutralität vorsätzlich mit der wichtigsten Aufgabe jeder Regierung verwechseln: mit der Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit des eigenen Landes.
Schweden hingegen hat ganz offensichtlich am Beispiel der völlig alleingelassenen Ukraine erkannt, dass bei der Verfolgung dieser Ziele die Neutralität weit mehr hinderlich ist als förderlich. Daher sagt Sozialdemokraten- und Regierungs-Chefin Andersson ganz offen: Schweden sei derzeit zwar nicht Mitglied eines Verteidigungsbündnisses wie der Nato. Es gebe aber eine innenpolitische Diskussion, ob sich das ändern soll.
- Das ebenfalls sozialdemokratisch regierte Dänemark, das in Österreich zuletzt oft als Vorbild genannt worden ist, schickt – ähnlich wie viele andere westliche Länder – 800 Soldaten in die kleinen baltischen Staaten, die ja in ihrer exponierten Lage ganz besonders auf konkrete, und nicht nur verbale Solidarität angewiesen sind.
- Selbst die deutsche Linksregierung stimmt nun so wie Schweden einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf 2 Prozent des BIP zu – etwas, was die Regierung Merkel trotz intensiven Drängens des US-Präsidenten Trump immer (vor lauter Konzentration auf das Migranten-Hereinholen?) unterlassen hatte.
Österreich zum Vergleich gibt derzeit nur 0,6 Prozent aus. Und österreichische Versprechen, das auf 1 Prozent zu erhöhen (also ohnedies nur auf die Hälfte des deutschen und schwedischen Satzes!), sind bisher lediglich in wolkigen und widersprüchlichen Politikererklärungen zu finden.
Besonders interessant (und auch für Österreich selbst bei Beibehaltung des gefährlich illusionären Alleingangs "Neutralität" nachahmenswert): Die deutsche Regierung will als erstes in Israel eine effektive Raketenabwehr kaufen. Nur die FDP ist noch zurückhaltend.
Sie sorgt sich um die budgetären Auswirkungen: Aber diese Sorge hätte sie viel früher bei viel weniger fundamentalen Staatsausgaben äußern müssen: nämlich bei den grünen Forderungen, zur "Planetenrettung" Unmengen an Geld zu verbrennen, und bei den roten Forderungen, dies auch zugunsten eines weiteren Ausbaus des Wohlfahrtsstaates zu tun. Aber da hat die FDP als Kaufpreis für die Regierungsteilnahme den Mund gehalten und massiven Neuverschuldungen für die Marotten der beiden Koalitionspartner zugestimmt.
- Noch weniger zur Kenntnis genommen ist bei uns ein sich anbahnender Kurswechsel in Kasachstan geworden. Dort haben ja erst vor wenigen Wochen russische Interventionstruppen Bürgerproteste niedergeschlagen, um das Regime zu retten. Dennoch sagte jetzt Vize-Außenminister Vassilenko auffallender Weise: "Wenn es einen neuen Eisernen Vorhang gibt, wollen wir nicht dahinter sein."
- In wenigstens indirektem Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg steht die spektakuläre Wendung der Mitte-Rechts-Parteien in Italien (Salvini und Berlusconi), die nun ganz massiv auf eine Rückkehr zur Atomenergie drängen. Sie wissen, das ist die einzige Möglichkeit, um die Abhängigkeiten vom russischen Gas zu reduzieren. Sie verweisen auf die Fortschritte der Wissenschaft, die inzwischen ein extrem hohes Ausmaß an Sicherheit erreicht habe.
- Zumindest ein starkes Zeichen haben in den letzten Tagen Belgien, Irland, die Niederlande und die baltischen Staaten gesetzt: Sie haben dutzendweise russische "Diplomaten" hinausgeworfen, die sich eigentlich als Spione betätigt haben.
- Ganz besonders eindrucksvoll ist schließlich Polen: Obwohl es bei seiner Energiegewinnung zu 80 Prozent von Kohle abhängig ist, hat es beschlossen, den Import von Kohle aus Russland zu stoppen.
Im Vergleich zu alldem muss man es eher mit der Lupe suchen, was in Österreich in Sachen militärischer und Energie-Sicherheit passiert. Dabei verweigern nicht nur die meisten Medien und Parteien – bis auf die Neos und Teile der ÖVP – eine ehrliche Diskussion darüber, wozu die Neutralität gut wäre. Nämlich zu gar nichts. Dabei wird auch in Sachen Energie weiter von grünen Luftschlössern und der Verschandelung der ganzen Republik durch Tausende Windmühlen oder riesige Solarpaneele oder dem offenbar aus der Steckdose kommenden Wasserstoff geträumt, statt sich endlich zu der Erkenntnis durchzuringen, dass um die Atomenergie kein Weg herumführt (deren Strom wir ja seit Jahrzehnten in großem Umfang um teures Geld importieren).
Und in Sachen Präsenzdienst liefert die grüne Regierungspartei seltsame Winkelzüge statt der notwendigen klaren Entscheidung für eine Stärkung der Landesverteidigung: Da lässt der Wehrsprecher Stögmüller zwar kurz aufhorchen durch Interview-Aussagen, in denen er sich scheinbar für 6+3 ausspricht, also für sechs Monate Präsenzdienst plus drei Monate Milizübungen.
Aber kaum schaut man näher hin, löst sich dieses Modell in Luft auf: Denn mit den drei Monaten meint er bloß freiwillige Übungen – die aber gibt es schon längst. Und werden naturgemäß kaum gemacht.
Dann zeigt sich Parteichef Kogler zwar "gesprächsbereit", auch über verpflichtende Milizübungen zu diskutieren. Ja eh, reden und diskutieren kann man über alles. Darin sind die Grünen ohnedies schon lange Weltmeister. Aber irgendwann wird Kogler zweifellos entdecken, dass das zwangsläufig auch Auswirkungen auf den Zivildienst haben wird, das älteste Lieblingskind der Grünen. Und dann wird es wohl bald ganz aus sein mit der Pro-Bundesheer-Rhetorik. Damit gibt es nicht einmal einen Millimeter einer Reaktion, die zeigen würde, dass die Grünen als Regierungspartei den erhöhten Sicherheitsbedarf des Landes begriffen hätten.
Aber freilich: Was braucht man auch Österreich zu verteidigen, wenn man doch den Planeten retten muss ...
Auch in der ÖVP ist keinerlei klare Leadership in Sachen Landesverteidigung zu erkennen. Der Bundespräsident ist sowieso nur für salbungsvoll-verwaschene Sonntagsreden gut. Und Rot wie Blau reden lieber von Corona (nur mit unterschiedlichen Vorzeichen), als die Gefahr eines dritten Weltkriegs zur Kenntnis zu nehmen. Sie klammern sich wie ein kleines Kind, das sich bei unangenehmen Situationen die Augen zuhält, an das Wort "Neutralität!", als ob in einer Welt, wo es leider immer wieder Kriegsverbrecher und Aggressoren wie Wladimir Putin gibt, die sich brutal über Hunderte Rechtsvorschriften hinwegsetzen, unser Land durch ein Wort aus einem österreichischen Gesetzbuch verteidigt werden könnte.
Aber irgendwann werden auch die kleinen Kinder erkennen müssen, dass das Augenzuhalten gar nicht hilft, sondern nur schadet. Hoffentlich nicht erst, wenn es zu spät ist, und das Kind in den Bach gefallen ist.
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