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Die "Friedensgespräche" Russlands mit der Ukraine haben genau das gebracht, was zu erwarten war: nichts. Die präsentierten Forderungen Russlands sind schlicht infam. Sie laufen auf eine totale Kapitulation des Nachbarstaats und dessen Versklavung hinaus. Nichts anderes bedeutet das Verlangen einer Demilitarisierung, Neutralität und "Entnazifizierung" der Ukraine, auch wenn Russland territorial "nur" die Anerkennung seiner Eroberung der Krim verlangt.
Nach einer solchen Demilitarisierung wäre die Ukraine zwangsläufig völlig schutzlos absolut jedem Diktat aus Moskau ausgesetzt. Ohne eigene Armee könnte sie sich nicht mehr wehren, wenn Russland wieder seine Armee schickt, um was auch immer durchzusetzen. Und schon gar nicht könnte sich die Ukraine jemals wieder so eindrucksvoll wehren, wie sie in diesen Tagen tut.
Die Ukrainer wissen, was das Ende der eigenen Armee bedeuten würde: Denn jedes Land hat eine Armee – entweder die eigene oder eine fremde. Und welche Armee die fremde wäre, die dann in der Ukraine ihr Unwesen treibt, braucht man wohl nicht näher zu erläutern.
Der Charakter der russischen Forderung nach einer Entwaffnung der Ukraine ist besonders deutlich dadurch erkennbar, dass gleichzeitig eine "Entnazifizierung" verlangt wird. Tatsache ist ja, dass es in der Ukraine gar keine Nazis, in welcher Bedeutung des Wortes immer, gibt. Es gibt aber ein Volk, das speziell in den letzten Tagen vom ersten bis zum letzten Mann gelernt hat, Russland zu hassen. Russische Terrorangriffe auf die Zivilbevölkerung und die gesamte Infrastruktur sind die wichtigsten Lehrmeister dieses Hasses.
Wir kennen ja von unseren eigenen Linken die widerliche Methode: Da wird ständig irgendjemand willkürlich als "Nazi" denunziert, um ihn aus dem Weg zu räumen.
Würde Kiew die russischen Forderungen akzeptieren, wäre Russland künftig allmächtig zu bestimmen, wer in Kiew regiert und wie in Kiew regiert wird. Denn Moskau könnte ja beliebig jede Person, jeden politischen Inhalt als "Nazi" diskreditieren. Dadurch könnte es die Ukraine wie eine Kolonie total dominieren, auch wenn diese auf dem Papier unabhängig bleibt. Keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit, keine Verträge mit der EU oder gar Mitgliedschaft bei dieser. Ist ja alles Nazi.
Ich erinnere mich noch, wie ich einst in Sowjetzeiten einem russischen Diplomaten bei einer Fernsehdiskussion zu widersprechen gewagt habe, worauf mir der tadelnd erwidert hat: "Das, was Sie da sagen, ist aber gar nicht neutral." Mit anderen Worten: Ein solche Meinung dürfe ein Österreicher doch nicht haben. Oder gar äußern.
Glaubt Putin, dass irgendjemand in der Ukraine so blöd ist, auf diesen "Vorschlag" hineinzufallen? Gäbe es solche Naivlinge, die nicht genau durchschauen, was der Diktator will, dann wären sie schon längst mit weißer oder russischer Fahne den "Befreiern" in ihren Panzern entgegengestürmt.
Die Ukraine wäre bei einer Erfüllung der russischen Forderungen wieder ungefähr so souverän, wie sie es in Zeiten der Sowjetherrschaft schon einmal gewesen ist: Damals war die Ukraine (so wie Belarus) neben der Sowjetunion auch als scheinbar unabhängiger Staat Mitglied der UNO. Und die ukrainischen Diplomaten hätten dort auch anders abstimmen können als Moskau. Theoretisch.
Diese russischen Forderungen könnten höchstens für ein paar westliche Rechts- und Linksextremisten Argumentationsfutter sein, die sich bisher ja noch kaum aus ihren Löchern hervorgewagt haben (wenn man von einzelnen Postings einer Handvoll solcher Typen absieht, die die liberale Meinungsfreiheit – und meine Geduld – extrem missbrauchen, um russische Lügen zu verbreiten).
Aber ansonsten hat die russische Propaganda keine Chance mehr, von irgendjemandem ernst genommen zu werden. Dazu ist einfach vieles zu eindrucksvoll, was da in den letzten Tagen passiert ist.
Doch Vorsicht. Es sei einmal nüchtern geprüft: Was von all dem Eindrucksvollen ist wirklich ernst zu nehmen und nicht bloß der Emotion des Tages geschuldet?
Der ukrainische Widerstand ist jedenfalls ein erstaunliches Faktum. Er hat zwar bei aller Heldenhaftigkeit auf Dauer keine militärische Chance gegen die russische Vernichtungskraft. Aber jeder dieser Heldentage eines ganzen Volkes schweißt die Ukrainer noch fester zusammen. Eine Nation ist erwacht und nicht mehr bereit, jemals wieder zu verschwinden. Oder gar als Sklave eines Aggressors zu verrecken. Ein sich als sehr charismatisch entpuppender junger Präsident hat in der armen Ukraine mehr geschafft als der alternde Putin in den Jahrzehnten seiner Diktatur in Hinblick auf sein eigenes Volk.
Es spielt in der Ukraine keine Rolle mehr, ob einer daheim Ukrainisch oder Russisch spricht. Sie kämpfen alle gegen den gleichen Aggressor. Keiner jubelt diesem zu, obwohl Putin das zweifellos von den Russischsprechenden erwartet hat. Obwohl er vorgegeben hat, als Befreier von irgendwelchen Nazis oder drogensüchtigen Herrschern zu kommen. Die Ukrainer haben sich entgegen den wirren Hoffnungen des einsamen Mannes im Kreml als geschlossene und freiheitsliebende Nation erwiesen.
Das erinnert übrigens ganz stark an die Schweiz. Auch die Eidgenossen sind Schweizer und sonst gar nichts, egal ob sie daheim Deutsch, Französisch oder Italienisch sprechen. Aber keiner von ihnen fühlt sich als Deutscher, Franzose oder Italiener, auch wenn sie gewiss bereit sind, mit allen Nachbarländern gute Freundschaft zu pflegen (zumindest sofern diese keine Panzer schicken). Nicht einmal ein Hitler hat gewagt, die Deutschschweizer "heim ins Reich" zu holen.
Auch in Österreich sind jene Landsleute weitestgehend ausgestorben, die sich als Deutsche fühlen und die Teil Deutschlands sein wollen, wie sie 1918 noch in allen drei Lagern dominiert haben. Auch in Österreich war es der brutale Überfall des großen Nachbarn, der den meisten klar gemacht hat, dass sie Österreicher sind und keine Deutschen. Auch wenn sie mehr oder weniger das gleiche Deutsch sprechen, fühlen sich die Österreicher seither eindeutig als etwas anderes.
Jörg Haider war einer der letzten, der das nicht verstanden hat. Nach ihm gab und gibt es auch bei den Freiheitlichen kein Schwarz-Rot-Gold oder Schwarz-Weiß-Rot, sondern nur ein rot-weiß-rotes Fahnengeschwinge (übrigens haben auch bei den Sozialdemokraten einige noch nach 1945 darüber diskutiert, dass man sich nach Hitler ja jetzt Deutschland anschließen könnte. Aber auch das ist lang vorbei und von einer manipulativen Zeitgeschichtsschreibung, der das peinlich ist, fast ausradiert).
Aber wie weit ist auch die Außenwelt ernst zu nehmen mit ihrer Ukraine-Solidarität und der Ablehnung des Putin-Russland?
Emotional wird da sicher manches im Lauf der Zeit rasch wieder abebben. Zumindest, wenn Putin ehrlichere Angebote macht als eine Versklavung der Ukraine.
Aber dennoch wird in der Sache vieles bleiben, was verhindert, dass man sich schleichend an Russlands aggressiven Imperialismus gewöhnt.
So ist etwa in Deutschland ein dramatischer Bruch mit der illusionsüberladenen Politik der deutschen Linken passiert, zu der sicher auch das Merkel-Deutschland gezählt hat. Ausgerechnet eine Linksregierung ist von der traditionellen Linie abgegangen, in Kriegsgebiete keine Verteidigungswaffen zu schicken.
Das beeindruckt und das kann nicht mehr rückgängig gemacht werden. Ebenso wie das 100-Milliarden-Paket, das eine Linksregierung nun der jahrzehntelang ausgehungerten deutschen Bundeswehr zusätzlich zur Verfügung stellt. Das ist schon was.
Weit über Deutschland hinaus sind global unzählige Russland-Hinaus-Aktionen entstanden. Gewiss sind die wirtschaftlichen wie die kulturellen wie die sportlichen Boykotte primär der Emotion geschuldet, der Empörung des Augenblicks. Sie sind aber nun einmal in der Welt und können nicht so leicht mehr aus dieser entfernt werden.
Schwer vorstellbar, dass russische Vereine international wieder mitspielen können (außer in Nordkorea, Iran und Venezuela), dass russische Sportler wieder in Olympia dabeisein können, solange Putin Machthaber in Moskau ist und die russische Armee in der Ukraine steht. Wenn russische Sportler nirgendwo mehr auftreten dürfen, dann wird auch im letzten russischen Dorf nach dem Grund dafür gefragt werden, wo ein selbstmitleidiges "Es sind halt alle gegen uns" als Antwort nicht ausreichen wird. Bei einer erzwungenen Kolonialisierung der Ukraine werden weder russische Dirigenten noch Immobilienerwerber irgendwo willkommen sein.
Das alles ist für die Bevölkerung deprimierend. Diese Wirkung von wirklich treffenden Sanktionen hat man in Moskau zweifellos unterschätzt. Auch wenn sie "nur" nichtmilitärische sind.
Noch schlimmer sind die wirtschaftlichen Folgen der jetzt beschlossenen Sanktionen für jeden einzelnen Russen. Die sind dramatischer und unangenehmer, als es auf den ersten Blick scheint. Wenn der Wert des Rubels kaum mehr das Papier einer Banknote beträgt, dann erinnert das viele Russen an die kommunistischen Zeiten, als es zwar Geld gab, man darum aber nichts kaufen konnte.
Auch der zunehmende Zugriff auf das Vermögen russischer Oligarchen im Ausland ist für Putin selber belastend. Ist da doch viel verstecktes Staats- (oder Putin-)Vermögen dabei. Konnte doch keiner der Oligarchen ohne massive politische Unterstützung reich werden. Aber künftig geht es nicht mehr, in Russland unsauber reich zu werden und dann zwischen Wien, Riviera und London das Leben zu genießen. Und es wird extrem schwer, das alles den Russen zu erklären und nur auf die bösen Europäer oder Amerikaner zu schieben.
Aber die wichtigste Änderung ist in vielen westlichen Köpfen passiert. Aus diesen ist das Verdummungsgift der 68er Generation rasch verdampft.
Diese Vergiftung hat sich in dem (fälschlicherweise Brecht zugeschriebenen, in Wahrheit vom amerikanischen Autor Carl Sandburg stammenden) Satz niedergeschlagen, der damals von einer ganzen Generation nachgeplappert und für sinnvoll gehalten worden ist: "Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht hin". In diesen Tagen ist aber aller Welt, und auch manchen Linken die zweite Zeile dieses Satzes wieder bewusst worden: "– dann kommt der Krieg zu Euch!"
Durch Putin ist für viele eine gewiss schöne Illusion wieder auf die Beine der Realität gestellt worden.
PS: Wieder einmal unerträglich ist die ZiB des ORF. Dort erregt sich ein Redakteur darüber, dass die Ukraine den Abzug der Russen fordert …