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Die Ukraine, die Künstlerszene und die Moldau

Was für ein Konzertabend! Ausgerechnet ein russischer Dirigent beginnt einen Abend mit der Tschechischen Philharmonie im blau-gelb erleuchteten Goldenen Saal des Musikvereins mit der ukrainischen Nationalhymne, mit einer ergreifenden Ansprache und einer Schweigeminute. Und das stehende Publikum dankt danach jubelnd dafür.

Semyon Bychkov zeigt damit, dass es sehr wohl russische Künstler gibt, die sich anständig zu verhalten wissen, die mit bewegenden Worten des Leidens der ukrainischen "Schwestern und Brüder, Frauen und Kinder" gedenken. Und die demonstrativ die ukrainische und nicht die russische Hymne spielen. Was für ein Unterschied zur Putin-Wahlhelferin Anna Netrebko, der aus Gründen, die heute niemand mehr wissen will, einst die österreichische Staatsbürgerschaft nachgeschmissen worden ist. Der Fall Netrebko ist damit auch ein neuer dramatischer Beweis, wie klug es ist, dass Österreich – zumindest ansonsten – mit Doppelstaatsbürgerschaften extrem zurückhaltend ist. Zum Ärger aller Linken.

Der Abend lässt aber nicht nur wegen der Ukraine-Solidaritätsaktion intensiv über das Recht aller Menschen auf Heimat und Identität und Freiheit nachdenken. Denn das tschechische Orchester spielte nach der Hymne (fulminant) Smetanas bekanntestes Werk "Ma Vlast" – "Mein Vaterland". Dieses hat für Tschechien ungefähr die gleiche Rolle wie für Italien der Nabucco-Gefangenen-Chor und für Österreich der Radetzky-Marsch oder Donauwalzer. Es sind zentrale und emotionale Identifikationsstücke ganzer Nationen geworden. Und es ist außerdem geniale Musik.

Man sollte nicht verschweigen: "Ma Vlast" und "Nabucco" haben auch eine starke antiösterreichische Geschichte (so wie der Radetzkymarsch eine antiitalienische). "Ma Vlast" und "Nabucco" sind zum Banner des nationalen Erwachens der Völker im Norden und Süden der Habsburg-Monarchie während des 19. Jahrhunderts geworden. Auch die deutschsprachigen Österreicher haben damals, so wie Putin heute, dieses Erwachen lange nicht akzeptieren wollen, haben nicht rechtzeitig die innere Struktur der Habsburger-Monarchie (vor allem in Hinblick auf die Gleichberechtigung der Sprachen) geändert und die Gleichwertigkeit aller Nationalitäten und vor allem Sprachen realisiert. Auch wenn es einige durchaus seriöse Anläufe dazu gegeben hat. Aber – typisch österreichisch – halt zu halbherzig, zu spät und durch die Gegenoffensive der Deutschnationalen wieder zerstört.

Immerhin ist aber jedem Österreicher spätestens seit Ende des ersten Weltkriegs klar, dass kein Volk ein Recht auf Herrschaft über andere Völker hat, wenn diese das nicht wollen. Der häufig aufbrodelnde Streit, was denn eigentlich ein "Volk", eine "Volksgruppe" ist, kann immer nur durch die heutige Bevölkerung einer Region selbst auf demokratischem Weg, also auf dem der Selbstbestimmung entschieden werden, das kann niemals mit Zitaten aus jahrhundertealten Geschichtsbüchern definiert werden, wie es Putin offenbar versucht.

Immerhin war die k. und k. Monarchie auch in nationalen Fragen recht großzügig und liberal, sodass heute fast überall, wo einst die Habsburger gewesen sind, voll positiver Nostalgie an sie gedacht wird. Von Krakau im Norden bis Triest im Süden.

Am allerdeutlichsten aber in der Westukraine. Ich habe jedenfalls in meinem ganzen Leben, in dem ich als außenpolitischer Journalist recht viel herumgekommen bin, keine so austrophilen Städte erlebt wie Lemberg oder Czernowitz. Das schafft zweifellos – natürlich bei allem Respekt vor der heutigen rein ukrainischen Identität des einstigen Ruthenien – für Österreicher eine zusätzliche Solidaritätsverpflichtung den Ukrainern gegenüber.

Rein zeitmäßig war Böhmen noch viel länger als Ruthenien mit den Gebieten des heutigen Österreich in habsburgischer Einheit verbunden: nämlich seit dem frühen 16. und nicht erst seit dem späten 18. Jahrhundert. So unfair zeitweise in der Monarchie von den tschechischsprachigen Einwohnern Böhmens die Dominanz der Deutschsprachigen empfunden worden ist, so unfair war es dann umgekehrt in der Zwischenkriegszeit. Da wurden in der Tschechoslowakei drei Millionen deutschsprachige Altösterreicher diskriminiert, denen in den Pariser Vororteverträgen das damals vielen anderen Völkern gewährte Selbstbestimmungsrecht verweigert worden war, obwohl sie zum Teil in geschlossenen Siedlungsgebieten gelebt haben.

Noch viel schlimmer erging es dann unter der nationalsozialistischen Herrschaft zwischen 1938 und 1945 wiederum den Tschechen. Das wurde dann nach dem Krieg durch die Vertreibung aller Deutschen nach Deutschland und Österreich an Brutalität fast noch übertroffen, denen bis heute ganz unabhängig von der einstigen Haltung ihrer Familien zum Nationalsozialismus keine Genugtuung zuteil geworden ist.

Wie heilsam ist es da, dass heute in Wien die Staatsoper problemlos Nabucco und im Musikverein tschechische Musiker "Ma Vlast" aufführen können. Noch dazu unter russischer Leitung. Heilsam ist dabei aber auch, dass "Ma Vlast" heute für die Tschechen emotional primär etwas ganz anderes bedeutet als im 19. Jahrhundert. Denn im 20. Jahrhundert war das Werk von den Nazis verboten worden, dann stand es 1945 bei der Feier der Befreiung von der deutschen Naziherrschaft ebenso im Zentrum wie 1989 zur Feier der Befreiung von der russischen Sowjetherrschaft. Tschechen denken heute bei "Ma Vlast" an diese Ecksteine ihrer Geschichte und viel weniger an das romantische Erwachen ihrer nationalen Identitätsgefühle im 19. Jahrhundert.

Die große heutige Frage an die Geschichte aber ist: Wann werden wir auch mit den Ukrainern ihre Befreiung von allen russischen Truppen mit all ihrer nationalen Musik feiern können?

Auch der Stephansdom war in noch viel strahlenderes Blau-Gelb angestrahlt. Extrem peinlich agierten hingegen etliche andere Kulturhäuser. Diese waren nämlich absurderweise in Regenbogenfarben bestrahlt. Diese Farben waren aber einst von der kommunistischen Friedensbewegung als Friedenssymbole verwendet worden. Es ist ziemlich peinlich, wenn man ausgerechnet diese Fahne heute noch verwendet, um gegen eine russische Aggression zu protestieren. Noch viel peinlicher ist das aus einem zweiten Grund: Die Fahne ist längst und in den Augen von mindestens 95 Prozent aller Menschen zur Fahne der Schwulen aller Art geworden. An die Vorgeschichte erinnert sich ja kaum noch jemand. Haben die Kulturmanager alle nicht gedacht? Oder wollten sie da wieder einmal – höflich ausgedrückt – Schleichwerbung für die in der Kulturszene nicht gerade unbedeutende Schwulen&Co machen?

Jedenfalls schreibt sich der höhnische russische Kommentar über die Allianz Ukraine-Schwulenbewegung ganz von selbst.

Gerade solche Pseudoaktionen zeigen, wie genau man derzeit bei den diversen Äußerungen hinschauen und hinhören muss: Alle, die sich nicht trauen, die ukrainische Fahne zu hissen, die immer nur ganz allgemein gegen den Krieg reden, sind nämlich verlogen und feige. Sie sind zu feig, um klar zu sagen, wer das Opfer und wer der Täter ist. "Gegen den Krieg" ist ja auch Diktator Putin. Er führt eh keinen, sondern nur eine "Spezialoperation". Und auch an der ist ja nur die Ukraine schuld. Sie bräuchte bloß alle Befehle Moskaus zu erfüllen und schon wäre Friede. Halt ein russischer Diktatfriede, der die Ukraine in eine Kolonie verwandelt. Ist es das, was die "Frieden!"-Rufer wollen?

PS: Nun hat sich auch Wolfgang Schüssel, der viel seiner Nach-Politik-Zeit in den europäisch-russischen Dialog investiert hatte, von seinen Verbindungen zur russischen Firma Lukoil gelöst und klare Worte gefunden ("Die Ukraine muss ein freies und ungeteiltes Land bleiben"). Jetzt sieht also auch er keine Chance mehr auf einen sinnvollen Dialog mit Putins Imperium. Vergeblich warten wir bisher auf ähnliche Signale von Herrn Gusenbauer und Frau Kneissl, die ebenfalls sehr "russisch" aktiv sind.

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