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Die Bilanz eines üblen Rücktritts

Ja, Herr Mückstein, ich verstehe Sie und Ihren Frust, Ärger und Zorn voll. Sie waren ein honoriger Minister im unmöglichsten Ressort der Republik und haben sich nichts zuschulden kommen lassen. Aber Sie werden dennoch als ein weiterer schwacher, überforderter Minister in die Geschichte der Republik eingehen. Und nein, Herr Kickl, und nein, angebliche Freunde von Menschen, Freiheit und Grundrechten: Euer Verhalten wird immer übler.

Mückstein scheint vor allem an der Corona-Pandemie gescheitert zu sein. Freilich muss man objektiverweise dazusagen, dass weltweit in diesen letzten zwei Jahren unzählige Gesundheitsminister gescheitert sind. So viele wie in keinem anderen Ressort. In vielen Ländern ist dies oft noch unter viel schlimmeren Begleitumständen geschehen als nun schon zweimal in Österreich: In etlichen Ländern sind die Minister vom Regierungschef gefeuert worden, der geglaubt hat, da einen Sündenbock zu haben. Das ist in Österreich nicht der Fall gewesen ist. Es gibt keinen einzigen echten Beweis dafür, dass Mücksteinwegen eines Konflikts mit Bundes- oder Vizekanzler aufgegeben hätte.

Er ist vielmehr aus zwei anderen Gründen gescheitert: erstens wegen der psychischen Belastung durch zahlreiche Morddrohungen der Anti-Impf-Extremisten; diese haben ihm zu ständiger Polizeibegleitung "verholfen", was zeigt, dass sie jedenfalls auch von der Polizei ernstgenommen worden sind. Und zweitens, weil er de facto nirgendwo echte Erfolge vorweisen kann. Von diesem zweiten Grund spricht Mückstein naturgemäß weniger.

Das kann freilich auch kein anderer Gesundheitsminister in irgendeinem Land. Die zeitweisen Hypes für Gesundheitsverantwortliche anderer Länder haben sich ja immer nach wenigen Wochen angesichts der Heimtücke des Corona-Virus rasch wieder in Luft aufgelöst.

Aber für einen Arzt ist der frustrierende Job eines zum Scheitern verdammten Ministers  doppelt frustrierend. Ärzte spüren die Diskrepanz zwischen bürgerlichem und politischem Job besonders krass. Können sie doch als Arzt in der Mehrzahl der Fälle ihren Patienten heilen, haben also Erfolg. Und die Herrschaften im weißen Kittel werden auch dann, wenn sie keinen Erfolg haben, fast als allmächtig angesehen, von Patienten wie dem übrigen Spitalspersonal. Da gilt fast immer unwidersprochen, was sie anordnen.

In der Politik hingegen ist die kleinste Maßnahme extrem schwierig umzusetzen. Dort werden Politiker fast nur beschimpft und kritisiert – oder zumindest von allen Seiten hart bedrängt: von Opposition und Medien, von Finanzminister und Parlament, von Bundesländern und zahllosen Lobby-Gruppen, von Wissenschaftlern oder gar Absendern von Drohbriefen. Von jenen, die mehr Strenge verlangen. Und von jenen, denen alles viel zu streng ist.

In dieser Situation ist es besonders frustrierend, wenn es gleichzeitig auch objektiv fast unmöglich ist, einen Erfolg zu erzielen. Der könnte ja derzeit einzig und allein in der schon so lange von allen erhofften Jubelmeldung bestehen: "Covid over – wir haben das Virus besiegt!" (natürlich nicht nur in dieser Meldung an sich, die haben wir schon im Sommer 2020 reichlich verfrüht gehört, sondern im wirklichen Leben). Diese Erfolgsmeldung ist jedoch noch auf lange nicht zu erwarten.

In Österreich sind Gesundheitsminister noch viel ärmer dran als anderswo. Liegt doch fast die gesamte einschlägige Kompetenz in ganz anderen und sehr selbstbewussten Händen: einerseits bei den Krankenkassen, wo die Sozialpartner dominieren; andererseits bei den Bundesländern, die von den Krankenhäusern angefangen fast das gesamte Gesundheitspersonal dominieren.

Da kommt ein Arzt als Minister bald drauf, sich zu fragen: Warum tu ich mir das an? Da kann ich ja gar nichts heilen. Außerdem dankt kein Mensch je einem Minister für die eigene Gesundheit. Aber alle beschuldigen sie ihn, wenn in einem Jahr als Folge einer Pandemie fast zehn Prozent über dem Schnitt sterben.

Ein Arzt kann einen Patienten ziemlich widerspruchslos total kommandieren. Wenn ein Gesundheitsminister ähnlich kommandiert, hat er bald die Revolution auf der Straße. Weil seine Maßnahmen bei einer Pandemie ja nicht nur für kranke Mitmenschen gelten, sondern auch für gesunde. Und die sind nun einmal nicht bereit, sich zwei Jahre beinahe einsperren und sich wie ein Chinese bis ins Detail zwangsregulieren zu lassen. Wenn sie jung sind, schon gar nicht. Und wenn ihnen von irgendwelchen obskuren – übrigens gar nicht so selten russischen – Quellen, statt der berechtigten Angst vor einer schweren Krankheit, Ängste vor den Maßnahmen gegen diese Krankheit eingejagt worden sind, noch viel mehr.

Das ist ein Spiel, das kein Gesundheitsminister gewinnen kann. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass von den  22 rasch wechselnden österreichischen Gesundheitsministern im letzten halben Jahrhundert kein einziger nachher noch eine erfolgreiche Karriere gemacht hat (es sei denn, man sieht die Position der selbst von den eigenen Parteifreunden aus dem Burgenland verspotteten Pamela Rendi-Wagner an der SPÖ-Spitze als eine erfolgreiche Karriere an). Prominente Anschluss-Karrieren irgendwelcher Art machen viel eher ehemalige Außenminister (Figl, Kreisky, Kirchschläger, Waldheim, Toncic, Gratz, Mock, Schüssel, Spindelegger oder Kurz) oder Finanzminister (Klaus, Vranitzky und Klima, dazu kommen jene, die schon als Finanzminister gleichzeitig Vizekanzler wurden, wie die Herren Androsch, Molterer, Pröll und Spindelegger, sowie jene, die schon als Finanzminister Superstars waren wie Kamitz und Grasser, was einen leicht übermütig werden lässt).

Wir sollten ehrlich zugeben, dass nirgendwo auf der Welt eine Ideallinie im Kompromiss zwischen notwendigen Gesundheitsvorsorgen und möglichst großer Freiheit gefunden worden ist (auch wenn zweifellos der Großteil der Bevölkerung die Impfung und auch die Pflicht dazu allen anderen Zwangsmaßnahmen vorzieht, die von den Lockdowns über die Quarantäne und die quälenden Maskenpflichten bis zur Reduktion des Schulunterrichts gehen). Dementsprechend hat jede einzelne Maßnahme oder Nichtmaßnahme des Gesundheitsministers sofort zwei Reaktionen ausgelöst: Den einen war alles viel zu scharf, den anderen immer viel zu wenig scharf.

Das ändert freilich nichts an den wirklich zu kritisierenden Punkten:

  • dass viele Verordnungen des Gesundheitsministeriums juristisch schludrig gewesen sind;
  • dass es auf jeden Fall extrem kontraproduktiv ist, wenn zwei Jahre lang patschert an den Österreichern herumgeregelt, herumgedoktert worden ist. Das ist schon unter Mücksteins Vorgänger heftig schiefgelaufen. Die rechtliche Qualität der Verordnungen wird wohl auch unter dem Nachfolger schwach bleiben – was ganz eindeutig auf mangelnde Qualität der legistischen Beamten deutet;
  • und dass Mückstein im Zweifel immer den Arzt heraushängen hat lassen, der am liebsten alles verbietet, was ungesund sein könnte, und der kaum Gespür für alle anderen damit in Konflikt stehenden Notwendigkeiten in einer Gesellschaft zeigte – wie die wirtschaftlichen Notwendigkeiten, von denen wir alle abhängig sind, wie den grundlegenden Freiheitsanspruch aller und den besonders bei Jungen ganz besonders starken Freiheitsdrang.

Andererseits ist ihm und der Regierung positiv zugute zu halten, dass im Dialog untereinander und mit den Bundesländern doch letztlich immer ein Kompromiss gefunden worden ist, bei dem niemand das Gesicht verloren hat.

In diesen Bereichen sind viele Fehler zu finden, aber nicht der Rücktrittsgrund für Mückstein, auch wenn das viele linke Journalisten spekuliert haben. Er hat sogar ganz ausdrücklich Bundeskanzler Nehammer für die konstruktive Kooperation gelobt (fast müsste sein eigener Parteichef da eifersüchtig geworden sein).

Der von Mückstein genannte Rücktrittsgrund ist ein ganz anderer. Und wir haben keinen Grund zur Annahme, dass er dabei lügt, etwa um von seinen privat-familiären Problemen abzulenken. Dieser Grund sind die sich häufenden Morddrohungen von Anti-Impf-Extremisten gegen ihn. Mückstein hat massive persönliche Bedrohungen erlebt. Deshalb gehört ihm die volle Solidarität, auch wenn er die Krankheit nicht besiegt hat.

Die Häufung der Aggressivität solcher Drohungen aber ist eine noch viel größere Katastrophe für Österreich, als wenn sich die Regierung halt über irgendwelche Corona-Maßnahmen zerstritten hätte und Mückstein deswegen gegangen wäre. Alle politischen Akteure sind daher dringend aufgefordert aufpassen, dass Österreich nicht in eine Situation wie Italien und Deutschland in den Siebziger und Achtziger Jahren stürzt, oder wie Österreich selbst in den Zwanziger und Dreißiger Jahren, als linker und rechter Terrorismus viel Blut gekostet und ganze Staaten schwer erschüttert hatte.

Deswegen ist es besonders bitter, wenn dem FPÖ-Chef Kickl und der Anti-Impf-Liste MFG zu Mückstein nur ein Nachtreten einfällt. Aber kein Wort der Empörung, der Verurteilung von so gefährlichen Drohungen gegen den Minister, dass er tagtäglich unter Polizeischutz gestellt werden muss.

Warum schreien diese beiden Parteien nicht auch darüber auf? Warum rufen sie nicht: Halt zurück! Hier ist eine Rote Linie überschritten worden! Wir kritisieren natürlich die Regierung als Oppositionspartei scharf, aber wir wollen immer bei der Sache bleiben und bekämpfen alle Wahnsinnigen, die Gewalt ins Spiel bringen wollen! Da solche Dummköpfe diese scharfe Kritik als Berechtigung ansehen, Morddrohnungen auszustoßen, werden wir selber unseren Ton ändern müssen.

Viel Zeit ist nicht mehr für solche Worte.

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