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Die chinesischen Machthaber, die am liebsten jeden Menschen in einer Bubble isolieren und kontrollieren wollen; die rote Wiener Stadtverwaltung, die den Wienern viel strengere Corona-Regeln auferlegt, als sie für die restlichen Österreicher gelten; die rotgrünen Streng-Gouvernanten in der EU, die Warnhinweise auf jede Wein- und Bierflasche kleben wollen; die linksradikalen Journalisten, die schon wieder nach einem Untersuchungsausschuss gegen die Regierung wegen der Lockerung der Corona-Maßnahmen schreien: Sie alle haben Recht. Nur haben sie eine winzigkleine Kleinigkeit übersehen.
Diese Kleinigkeit sind die Menschen. Das ist deren unbändiger Drang nach Freiheit, danach, Grenzen zu hinterfragen und auch zu überschreiten. Je enger diese Grenzen gezogen werden, umso wahrscheinlicher sind Grenzüberschreitungen und die Gefahr, dass diese mit einer lauten Explosion passieren, sodass dann viel mehr kaputt geht als bloß ein Grenzbalken.
Der Drang der Menschen nach individueller und kollektiver Freiheit ist Teil ihrer innersten Identität. Wegen dieses Dranges hat sich der europäisch-amerikanische Teil der Menschheit ab dem 18. und 19. Jahrhundert (nach einer langen Vorgeschichte durch das Neue Testament, den Humanismus, die Aufklärung) im Kampf gegen den Feudalismus immer mehr auf das Prinzip der Freiheit als zentrales Grundrecht geeinigt.
Auf der anderen Seite kann dieses Grundrecht niemals bedeuten, dass alles erlaubt sei, dass totale Gesetzlosigkeit in irgendeiner Hinsicht ein idealer Zustand wäre. Freiheit und Sicherheit stehen vielmehr in einer dauernden Polarität. Der Ausgleich zwischen diesen beiden Polen ist eine der wichtigsten, aber auch schwierigsten Aufgaben der Politik, und des ewigen Kampfes zwischen Bürgern und Machthabern. Dieser Ausgleich ist vor allem deshalb so schwierig, weil es keine ein für allemal gültige Ideallinie gibt, wie dieser Ausgleich eigentlich genau ausschauen soll.
Dieser Konflikt zwischen Freiheit und Sicherheit ist auf allen Ebenen anzutreffen. So zum Beispiel in der Frage, wieweit darf und soll der Staat in die Freiheit der Bürger eingreifen, um ihnen Steuern abzunehmen und sie zu einem Militärdienst zu zwingen, damit die Sicherheit der Gemeinschaft verteidigt werden kann.
Dieser Konflikt ist in den Corona-Jahren besonders deutlich sichtbar geworden: Ältere und Schwächere stehen da mehrheitlich ganz massiv auf der Seite der Sicherheit, für Jüngere und sich stark Fühlende wurde sehr bald Freiheit das Wichtigste.
Aber auch ideologische Prägungen verstärken die Polarität: Links geprägte Menschen wollen möglichst viel durch den Staat geregelt haben; rechts geprägte, also in klassischer Bedeutung Liberale (womit wir ausklammern, dass sich auch die Linke aus PR-Gründen seit einiger Zeit gerne, wenngleich völlig zu Unrecht als "liberal" bezeichnet) wollen das Gegenteil. Rechte misstrauen dem Staat prinzipiell. Sie wissen, dass der Staat nicht der Allwissende und Allgütige ist, als den ihn die Linken sehen, sondern in Wahrheit Produkt und zugleich Opfer einer machtgierigen und sich für klüger als den Rest der Menschheit ausgebenden Funktionärsklasse, die fast immer auf den eigenen Machtausbau hin arbeitet, egal ob das Beamte, Parlamentarier, Regierungen, Richter oder "Experten" (welcher Art immer) sind. Oder ob das früher der Adel gewesen ist.
Wir sollten daher immer wieder aufs Neue demütig und nachdenklich nach der Abgrenzung zwischen Freiheit und Sicherheit suchen.
Dabei wird die Waagschale der Sicherheit immer dann zu Recht schwerer, wenn es nicht nur um die Sicherheit des Einzelnen (etwa bei Helm- oder Gurtenpflichten) geht, und nicht nur um die Sicherheit der Staatsgewalt (etwa weil die Machthaber die Meinungsfreiheit unbotmäßiger Bürger nicht mögen), sondern auch um die Sicherheit anderer Menschen. Denn die Sicherheit der anderen ist ja nichts anderes als deren Freiheit.
So war zweifellos die Berechtigung auch strenger Corona-Maßnahmen groß, solange die Krankheitsverläufe in einem viel höheren Prozentsatz schwer oder auch tödlich waren, solange durch den Andrang an Corona-Patienten die Intensivbetten so stark ausgelastet waren, dass "normale" Operationen reihenweise verschoben werden mussten. Da war die Freiheit der Einzelnen, tun und lassen zu können, was sie wollen, eine zu große Bedrohung der Freiheit der anderen. Daher war es auch voll legitim, notfalls mit staatlichem Zwang, jene zu bestrafen, die weiter hemmungslos und mit "Freiheits!"-Gebrüll dem eigenen Egoismus frönen und sich nicht an den Maßnahmen zum Schutz der anderen beteiligen wollten.
Inzwischen aber sind diese Gefahren durch die Massenimpfungen und die Virusmutationen deutlich kleiner geworden. Inzwischen sind die Intensivkapazitäten nicht mehr so stark ausgelastet wie an den Spitzen früherer Infektionswellen. Obwohl die gegenwärtige Infektionswelle alle früheren quantitativ weit übersteigt. Aber ebenso ist Faktum: Spitals- und Intensivbetten sind deswegen noch keineswegs leer von Corona-Patienten.
Daher schreien die einen: viel zu früh, es ist verantwortungslos, jetzt alle Maßnahmen aufzuheben. Die anderen hingegen: Die Freiheit der Menschen kann nicht ewig, kann nicht auch noch ein drittes Jahr wegen einer harmloser gewordenen Krankheit eingeschränkt werden oder aus Angst, dass das Virus vielleicht wieder bösartiger wird, als es sich jetzt zeigt.
Prinzipiell sei allen Regierungen – national wie international – zugutegehalten, sich meist bemüht zu haben, den relativ besten Mittelweg zwischen den beiden Polen Freiheit und Sicherheit zu finden. Wobei sie sich freilich alle oft recht hilflos und patschert gezeigt haben, oft über- wie auch oft untertrieben haben. Aber, wer ehrlich ist, weiß: Einen Idealweg gibt es da gar nicht. Oder zumindest kennt ihn niemand.
International haben die Regierungen immer auffallend ähnlich agiert, halt die einen einmal ein paar Wochen früher, die anderen ein paar Wochen später. Letztlich reagiert die Politik – auch wenn es selten zugegeben wird – dabei fast immer wie ein Seismograph auf die sich durchaus ändernde Stimmung der Menschen. Diese sind in Sachen Corona einmal von den Medien in totale Angstpanik versetzt worden, später aber hat der eigene Freiheitsdrang dominiert und zum Ignorieren der Krankheit oder gar zur Verbreitung abstruser Geschichten geführt, wofür sie am liebsten irgendwelche aus dem Zusammenhang gerissene Einzelfälle gebrauchen.
Wir sollten uns bewusst sein: Würden die Regierungen nicht auf die Änderung der einmal in die eine und einmal in die andere Richtung ausschlagenden Stimmungslage reagieren, würden sie bald abgewählt. Das ist Demokratie, nicht Populismus. Ein solcher wäre es erst, wenn ein Land nur aus Rücksicht auf Volkes Stimme sehenden Auges in eine Katastrophe geht. Wie es Österreich und andere Länder Europas etwa angesichts der demographischen Entwicklung tun (die darin besteht, dass von bildungsorientierten Eltern viel zu wenige Kinder in die Welt gesetzt werden; dass die Menschen viel zu früh in Pension gehen; und dass die daran hauptschuldige Babyboomer-Generation in ihrem Egoismus gleichzeitig auch noch verantwortungslos viele Schulden hinterlässt).
EIne Katastrophe scheint wegen der Corona-Lockerungen nicht vor uns zu liegen. Das heißt aber freilich nicht, dass Österreichs Regierung fehlerlos agiert hätte. Ganz und gar nicht. In diesem Tagebuch sind schon mehrmals lange Listen der Fehler im Corona-Krieg aufgezählt worden. Daher nur in Kürze Stichworte zu diesen Fehlern:
Letztlich bleibt der Kampf gegen eine solche Pandemie die Auseinandersetzung mit einem sich ständig wandelnden Feind im dichten Nebel. Ein recht undankbarer Job für eine Regierung. Man sollte freilich auch ehrlicherweise einräumen, dass es absolut kein einziges Land der Welt gibt, das vorbildlich durch diese zwei Jahre gekommen wäre. Einmal schien es Israel, einmal Schweden, einmal Großbritannien gut zu machen – aber das war alles nur kurzfristig. Denn insgesamt gab es überall schlimme Opferzahlen.
Es bleiben aber dennoch ein paar wichtige Erkenntnisse der Krise. Das gilt insbesondere für das Bewusstmachen:
Und glaubt die Menschheit, endlich nach fast sechs Millionen Toten und riesigen Mühen eine schlimme Herausforderung zumindest halbwegs besiegt zu haben, da taucht schon die nächste Bedrohung durch einen größenwahnsinnigen Diktator auf, der völlig grundlos durch eine Massenmobilisierung für große Kriegsgefahr sorgt.