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Er ist ein tüchtiger Bauarbeiter, 45 Jahre alt, und kommt aus Polen. Als ich mit ihm plaudere, erzählt er von seiner Frau und seinen zwei Kindern. Diese sind in Wien geboren, haben auch etliche Jahre mit ihm und seiner Frau hier gelebt, sind aber jetzt mit ihrer Mutter in Polen. Als ich ihn frage, warum er sich das antut, seit Sommer fast jedes Wochenende die lange Reise nach Südpolen anzutreten, bekomme ich eine ziemlich schockierende Antwort.
Er nennt nämlich nur einen einzigen Grund für die Rückkehr der restlichen Familie nach Polen: "Die Schulen in Österreich sind zu schlecht." Das wollten er und seine Frau den Kindern nach einigen ernüchternden Volksschuljahren im zehnten Wiener Bezirk nicht mehr antun.
Gewiss könnte man ihm jetzt zu vermitteln versuchen, dass vermutlich nicht alle Wiener Pflichtschulen so katastrophal sind wie jene, die man in Favoriten erleben muss. Das ändert aber nichts an der auch auf anderen Beobachtungen beruhenden Erkenntnis: Im österreichischen Schulsystem ist ein böser Wurm drinnen. Und zwar ganz unabhängig von Corona, Alpha, Beta, Gamma oder Omikron.
Eine andere Beobachtung dieser Entwicklung muss man sich freilich erst bewusst machen: In Österreichs öffentlicher Diskussion – in der politischen wie auch medialen – ist seit langem die Qualität unserer Schulen kaum ein Thema mehr. Diese ist vielen Österreichern egal geworden, wenn sie nicht selber schulpflichtige Kinder haben. Was aber angesichts des Verzichts vieler Österreicher auf Nachwuchs nur noch bei einer offenbar schon fast vernachlässigenswerten Minderheit zutrifft.
Dabei müsste die Qualität der Bildung der noch vorhandenen Kinder mit europäischem Erziehungshintergrund in einer immer kompetitiver werdenden Welt eine zentrale Aufgabe der Politik und aller an diesem Land Interessierten sein.
Denn wenn schon die Zahl und der Bevölkerungsanteil der jungen Menschen in Österreich immer kleiner wird, wäre es umso wichtiger, dass zumindest die Qualität ihrer Bildung und Ausbildung gut, ja exzellent ist. Dabei muss im Prinzip der ethnische Hintergrund egal sein – auch wenn zahlreiche Daten zeigen, dass ein Überhandnehmen der Zuwanderung aus der Dritten Welt die demographischen Probleme nicht löst, sondern sogar noch verschlimmert. Dass die kulturelle Prägung der Zuziehenden Österreich der Dritten Welt näherbringt, und es nicht gegenüber der ost-, südost- und auch südasiatischen Herausforderung stärkt.
Jedoch: Das alles interessiert hierzulande niemanden. Die Regierung lässt das Thema links liegen. Der gebetsmühlenartige Ruf "Digitalisierung!" ist ja noch keine zielorientierte Bildungspolitik. Und die Oppositionsparteien sind seit zwei Jahren überfordert, noch ein anderes Thema als Corona anzugehen. Das langweilt aber nur noch: egal, ob die einen sagen, Corona sei harmlos und nur die Impfung wäre gefährlich; oder ob die anderen das ganze Land einem totalen Virologen-Diktat nach chinesischer Art unterwerfen wollen.
Die letzte Bildungsdiskussion, die Österreich geführt hat, war jene, ob es zwangsweise eine Gesamtschule geben soll, oder ob das Land ein Schulsystem der Wahlfreiheit haben soll. Zwar kann es keinen Zweifel geben, dass das Rasenmäher-System der Gesamtschule die schlechtere Alternative ist, weil diese dem Land die letzten Chancen auf eine qualitative Spitze nehmen würde. Aber die notwendige nationale Kraftanstrengung, das Schulsystem auf allen Ebenen wieder voranzubringen und zu einem leistungsfähigeren zu machen, ist auch bei den Anhängern der differenzierten Schule kein Thema.
Das hat man auch rund um Corona gesehen. Zwar ist in diesen zwei Jahren relativ viel über das Offenhalten der Schulen geredet worden – aber im Grund fast nur darüber, wie weit man die Eltern durch ein Home-Schooling belasten könne. Dabei ist sehr intensiv und wortgewaltig eine feministische Debatte über die Belastung der Mütter geführt worden. Die Bildungsschäden für viele Kinder durch mangelhaften Unterricht haben hingegen kaum interessiert.
Denn wäre das anders,
Mehr als bezeichnend für das Desinteresse an Bildung ist auch, dass bei der letzten Regierungsumbildung Bildungsminister Faßmann, also der Chef des wichtigsten Zukunftsressorts, durch Herrn Polaschek ausgetauscht worden ist. Vor allem das Warum dieser Umbildung ist interessant. So eindeutig die mangelnde Qualität der Schulbildung auch ist, so wenig ist sie bei dieser Ablöse relevant gewesen. Statt dessen hört man als einzigen Grund, warum Faßmann gehen musste: Martin Polaschek ist halt Steirer; und die Steiermark hat halt seit dem peinlichen Sturz von Arbeitsministerin Aschbacher (auf Grund von Plagiatsvorwürfen) keinen Minister in der Bundesregierung mehr.
Dass der Aspekt der regionalen Herkunft zum Austausch eines Ministers führen kann, ist blamabel. Immerhin war Faßmann einer der beliebtesten und respektiertesten Minister des Landes. Aber er ist halt von der Herkunft her ein Deutscher. Und kein Steirer.
Die Tatsache, dass solche Argumente im Jahr 2022 entscheidend sein können, dass die ÖVP nicht einmal imstande ist, irgendein anderes Argument verbal vorzuschützen, stürzt die Republik und die Partei nach Schüssel und Kurz wieder in jenen dumpfen Provinzialismus zurück, den diese beiden zurückzudrängen versucht haben.
Dieser Ministertausch wäre auch dann blamabel, wenn Polaschek nicht schon durch sein Äußeres bei jedem Auftritt Gelächter auslösen würde. Wer sich freiwillig so herrichtet wie ein Student der 70er oder 80er Jahre, braucht sich nicht zu wundern, wenn er auch als ein solcher angesehen wird.
Um nicht missverstanden zu werden: Es ist widerlich und geschmacklos, wenn jemand wegen seines Äußeren attackiert wird, wenn etwa einem Bundeskanzler zu große Ohren oder der einen Oppositionsführerin ihre Pin-Up-Qualitäten oder einem anderen Oppositionsführer sein allzu kleiner Wuchs oder wieder einem anderen Oppositionspolitiker die Verwendung eines Stockes nach einem Unfall vorgehalten werden. Selbst der altersschlurfende Gang des Bundespräsidenten ist (wenn auch mit inneren Fragezeichen) hinzunehmen.
Aber dennoch ist es eine – wenn auch öffentlich nie zugegebene – Tatsache, dass das Äußere eines Politikers mitentscheidend für seinen Erfolg ist. So wäre Wolfgang Schäuble mit hoher Wahrscheinlichkeit deutscher Bundeskanzler geworden, wäre er nicht nach einem Attentat an den Rollstuhl gebunden. Die Optik des Äußeren eines Politikers wirkt massenpsychologisch ganz eindeutig mit. Sie ist nun einmal das Erste, was jeder Bürger von einem Politiker bemerkt, was zumindest im Unterbewusstsein dauerhaft wirksam ist. Daran ändert der Umstand nichts, dass diese Wirkung politisch nicht korrekt ist.
Umso unverständlicher ist es, wenn sich eine Person des öffentlichen Lebens, die also diesen Zusammenhängen ausgesetzt ist, freiwillig und ohne jede Not in optischer Hinsicht selbst lächerlich macht. Wenn auch nach Wochen die langen Haare des Ministers und der provinzielle Hintergrund seines Avancements das Einzige sind, was von ihm im nationalen Gedächtnis haften geblieben ist.
Wechseln wir zuletzt zum zweiten fundamentalen Mangel des Bildungssystems, der Faßmann und vielen Vorgängern anzulasten ist. Das sind die Defizite des österreichischen Uni-Systems. Diese sind wohl noch schlimmer als die der Schulen.
Diese Defizite hängen zwar mit vielen Faktoren zusammen, so etwa mit der von der EU erzwungenen Verpflichtung Österreichs, auch jene deutschen Studenten aufnehmen zu müssen, die in ihrem Heimatland das von ihnen gewählte Fach wegen schlechter Abitur- (Matura-)Noten gar nicht studieren dürfen. Schlechte Studentenqualität senkt unweigerlich die Qualität einer Hochschule.
Die Qualitätsprobleme der österreichischen Hochschulen hängen hingegen nicht mit dem zusammen, worüber Uni-Exponenten stereotyp jammern – mit einem Mangel an Steuergeldern. Ganz im Gegenteil: Alljährlich wird ja den Unis noch mehr Geld hineingeschoben.
Das zentrale Problem ist, dass es keine sinnvollen Qualitätskriterien für die Verteilung dieser Gelder gibt. Denn diese ist in Österreich vor allem von einem abhängig gemacht worden: von der Zahl der prüfungsaktiven Studenten. Und das ist ein völlig falsches, ein geradezu absurdes Kriterium. Denn es leitet die Unis geradezu dazu an, die Prüfungsanforderungen zu reduzieren, und damit die Qualität der Absolventen zu senken. Nur so bekommen sie mehr Geld.
Das ist ein krankes System. Zwar freuen sich die Unis darüber, weil ihnen das Leben dadurch leicht gemacht wird. Es wäre aber Aufgabe von Regierung und Gesetzgeber als Verwalter unserer Steuergelder, dafür zu sorgen, dass diese sinnvoll und zielführend eingesetzt werden. Das interessiert jedoch die Politik offensichtlich nicht. Ihr ist nur wichtig, möglichst Ruhe an der Universitätsfront zu haben. Die sie durch das Niedrighalten der Hürden am Weg zum Steuertopf auch bekommt.
Gewiss wäre es mühevoller und konfliktreicher, würde man versuchen, die Steuergelder zu einer sinnvollen Steuerung der Unis einzusetzen. Aber es wäre dennoch dringend notwendig.
Bei der Steuerung müsste es um zwei große Ziele gehen, und um sonst nichts:
Eine Vielzahl von statistisch (wenn auch mit einigem Aufwand) zu messenden Parametern könnte zeigen, wie erfolgreich eine Uni bei der Verfolgung dieser Ziele ist. Einige Stichwörter dazu:
Wenn Minister Polaschek unsere Bildungslandschaft in diesem Sinne verändern könnte, dann würde er ein großer Minister. Dann würde man bald auch über seine kinderbuchartige Prinz-Eisenherz-Optik hinwegsehen.
Zuvor müsste er freilich den Unis noch vermitteln, dass Gender-Sprech, Quoten-Fetischismus und eine Zensur-Kultur, die von irgendwelchen Grüppchen unerwünschte Referenten aus den Unis zu vertreiben sucht, der völlig falsche Weg sind. Dass nur Kontroversen, Diskussionen und disziplinierter Streit zwischen Thesen und Antithesen eine Uni voranbringen können.
Da aber der richtige Weg in Sachen Bildung der viel mühsamere und steinigere ist, kann man ohnedies sicher sein: Auch Polaschek wird den bequemeren Weg wählen. Obwohl der ständig bergab führt.