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Frau Zadic, Herr Johnson und die Fälligkeit von Rücktritten

Es ist gewiss absurd, von Politikern zu verlangen, dass sie Engel sind. Also von ihnen zu erwarten, dass sie immer alle Regeln einhalten und eingehalten haben, dass sie nie als Student geschwindelt haben, dass sie nie das Tempolimit beim Autofahren überschreiten, dass sie immer die eheliche Treue halten, dass sie nie alkoholisch feiern, wenn das aus irgendwelchen Gründen verboten ist. Politikern anderer Parteien solche Fehler vorzuhalten – wirkliche wie vermeintliche –, zählt zwar zum politischen Kleingeld, das jeden Tag gewechselt wird und die Zeitungsseiten füllt. Das sollte man aber mit Gelassenheit übergehen. Ein stets fehlerloser Politiker ist ganz im Gegenteil unheimlich. In bestimmten Konstellationen wird Politiker-Fehlverhalten jedoch unakzeptabel. In diesen Fällen müsste es eigentlich zu Konsequenzen und Rücktritten führen (mit nachträglicher Ergänzung).

Es ist an sich ein gutes Zeichen, dass in Hinblick auf das Verhalten von Politikern die öffentlichen Maßstäbe im Laufe der Zeit strenger geworden sind. Kaum mehr vorstellbar ist heute etwa, dass es vor ein paar Jahrzehnten keinen öffentlichen Skandal gegeben hat, als ein Innenminister von "Beschützern" einer Prostituierten nackt am Wiener Gürtel an einen Mast gebunden worden ist, nachdem er diese offenbar misshandelt hat – samt Information an die Polizei, wo "euer Chef" abzuholen sei. Kaum mehr vorstellbar ist beispielsweise auch, dass jungen Angehörigen der Herrscherhäuser im 19. Jahrhundert von den Sicherheitsbehörden ausgesuchte und kontrollierte Bettgespielinnen zugeführt worden sind, nur damit sich die allerhöchsten Herren nicht mit Prostituierten vergnügen und dabei mit schlimmen Krankheiten anstecken.

Heute geht es ganz im Gegensatz zu solchen pikanten Vorfällen bei Politikern meist um viel banalere Dinge. So etwa darum, dass mit Methoden der modernen Datenverarbeitung leicht nachgewiesen werden kann, ob heutige Prominente einst als Studenten bei Dissertationen oder Diplomarbeiten heftig bei klügeren Autoren abgeschrieben haben (also keineswegs wirklich "Studierende" gewesen sind, wie es der gerade angesagte politisch-linkskorrekte Sprachgebrauch zu suggerieren versucht). Oder darum, dass Mitarbeiter einer während der Woche schwer arbeitenden Institution am Freitagnachmittag wider die gerade geltenden Corona-Vorschriften zusammengestanden sind und gefeiert haben (wenn auch nur im Freien und nur mit selbst mitgebrachtem Alkohol).

Gewiss, all das ist nicht korrekt, aber nichts davon ist ein strafrechtliches oder wirklich empörendes Delikt. Ich gebe zu, dass auch ich zweifellos an einer solchen Party im Garten des englischen Premiers teilgenommen hätte, wäre ich dazu eingeladen worden. Und auch ich hätte mich zweifellos bei anderen Autoren bedient, hätten zu meiner Studienzeit Juristen schon schriftliche Arbeiten abliefern dürfen beziehungsweise müssen (es gab damals aber nur mündliche Prüfungen und einige streng überwachte schriftliche Klausurarbeiten).

Nichts von dem, was dem britischen Premier Boris Johnson oder der österreichischen Justizministerin Alma Zadic vorgeworfen wird, gehört also an sich zu jenen Untaten, wo die große Mehrheit der Mitbürger den ersten Stein werfen könnte oder sollte.

Also Schwamm drüber? Nein, keineswegs. Denn bei beiden gibt es darüber hinaus Aspekte, die ihr Verhalten insgesamt doch in ein sehr schiefes Licht rücken. Die sogar einen Rücktritt sehr ratsam machen.

Denn der britische Premier war ja selbst hauptverantwortlich für die Strenge der erlassenen Covid-Regeln – zusammen mit seinen engsten Mitarbeitern in Downing Street, die da so regelmäßig gefeiert haben. Daher ist es sehr zynisch, sich selbst kontinuierlich über die selbstgemachten Covid-Regeln hinwegzusetzen. Fast jeder andere Brite könnte – genauso wie jeder Österreicher – behaupten, er hätte die Regeln in ihrer genauen Ausprägung nicht gekannt, weil sie ja ständig gewechselt worden sind. Fast jeder andere Brite könnte Verständnis finden, wenn er sagt, Regeln, die er als Unsinn einschätzt, in – scheinbar – privatem Rahmen nicht einzuhalten. Die Mannschaft des britischen Premierministers kann das aber nicht.

Auch wenn ein Premierminister sich gewiss nicht selbst um jeden Cocktail-Umtrunk seiner Mitarbeiter kümmert, so hat Johnson doch einige Male zumindest kurz an solchen teilgenommen, so hätte er zumindest ab Bekanntwerden der Regelverletzungen sofort vehementer einschreiten müssen. Natürlich fällt es einem guten Chef sehr schwer, gegen die eigenen engsten Mitarbeiter vorzugehen. Aber letztlich ist halt Glaubwürdigkeit das höchste Gut eines Politikers. Und die gewinnt man nur dort, wo es auch wehtut.

Wechseln wir über 1200 Kilometer nach Osten. Ebenso wie bei Johnson ist auch bei der österreichischen Justizministerin die Glaubwürdigkeit neuerlich schwer erschüttert. Nämlich jetzt zusätzlich durch die Art, wie sie ihr Jus-Doktorat erlangt hat. Alma Zadic hat zwar gewiss nicht selbst die Regeln für wissenschaftliches Arbeiten gesetzt oder die Aufsicht über deren Einhaltung gehabt. Aber umgekehrt ist es gerade für eine Justizministerin ganz besonders verheerend, wenn ihr in zahlreichen Fällen vorgeworfen werden kann, "kein wissenschaftliches Arbeiten" geliefert zu haben – ging es bei diesem "Arbeiten" doch um das Recht, also um jenes Fachgebiet, über das sie heute die oberste politische Macht hat.

Man kann das mit einem Arzt – oder gar einem Arzt als Gesundheitsminister – vergleichen, dem nachgewiesen würde, mit unsauberen Methoden zu seinem Arztdiplom gekommen zu sein. Delikte vieler anderer Art kann man einem Arzt nachsehen – aber nicht solche, die indizieren, dass er ein schlechter Arzt sei. Bei der Spitze des Justizapparates darf es nicht anders sein.

Bei Zadic kommt hinzu, dass sie weder in den zwei Jahren nach ihrer Ausbildungszeit als Junganwältin noch in ihrer politischen Karriere irgendwie bewiesen hätte, dass sie inzwischen doch zu einer qualifizierten Juristin herangewachsen wäre. Zwar ist in Juristenkreisen auch über die Qualifikationen etlicher Zadic-Vorgänger (beiderlei Geschlechts) sehr kritisch bis abfällig geurteilt worden. Aber sämtliche Vorgänger hatten jedenfalls deutlich mehr Erfahrung in ihrer juristischen Laufbahn vorweisen können als Zadic vor dem Politikeinstieg.

Noch schlimmer wird das Urteil über Zadic dadurch, dass sie massiv durch ihre Zeit bei der Kurz-muss-weg-Partei des Peter Pilz an dessen Seite geprägt ist. Sie hat dann als Ministerin die Letztverantwortung dafür getragen:

  • dass die Korruptionsstaatsanwaltschaft wegen einer missverständlichen Äußerung des Sebastian Kurz (die dieser im nächsten Satz noch dazu gleich korrigiert hat) bei einer langen Befragung ein großmächtiges Strafverfahren gegen den ehemaligen Bundeskanzler eingeleitet hat;
  • dass sowohl der Strafsektionschef wie auch der zuständige Oberstaatsanwalt auf Grund ebenfalls lächerlicher Vorwürfe und Intrigen der WKStA hinausgeworfen worden ist;
  • dass sie die unabhängige Rechtschutzbeauftragte der Justiz mit demütigenden öffentlichen Aussagen vorzuladen versucht hat, nur weil sich diese mit einem der Ministerin nicht genehmen Anwalt von Justizopfern beraten hat (dabei ist die Institution eines Rechtsschutzbeauftragten genau zum Schutz der Justizopfer überhaupt geschaffen worden);
  • dass sie aber skandalöserweise davor nicht auf einen Bericht dieser Rechtsschutzbeauftragten reagiert hat, in der diese das Verhalten der (Zadic unterstehenden!) WKStA massiv als rechtswidrig getadelt hat;
  • und dass sie auch sonst nie gegen die WKStA eingeschritten ist, obwohl diese eine katastrophal versagende Institution ist (vor allem durch überlange Verfahren, die den Betroffenen schwer schaden; und durch Verfahren, in denen die Beschuldigten am Ende fast immer als unschuldig freigehen).

Zadic hat also nie den unparteiischen Kampf ums Recht vertreten, sondern immer die einseitige Hass-Agitation der von den Wählern hinausgewählten Pilz-Partei.

Die nun nachgewiesene mangelhafte juristische Qualifikation der Ministerin ist gleichsam der Wassertropfen, der ein volles Fass eigentlich zum Übergehen bringen müsste. Wer selbst so kleinlich, einseitig und hasserfüllt agiert, müsste halt selbst wirklich eine saubere Weste haben.

Umso unfassbarer ist wieder einmal das Verhalten der österreichischen Medienlandschaft. Während dort jeder beweisfrei vorgebrachte Vorwurf der Linksaußenzeitung "Falter" gegen einen ÖVP oder FPÖ-Politiker sofort intensiv breitgetreten wird, hat es fast zwei Tage gedauert, bis der in der ÖVP-nahen Boulevard-Online-Plattform "Exxpress" detailliert und mit konkreten Zeugenaussagen wiedergegebene Zadic-Skandal auch anderswo berichtet worden ist (Tagebuch-Abonnenten sind natürlich umgehend informiert worden). Und auch dann haben die Medien nur jenen "Plagiatsjäger" zitiert, der zwar Zadic wegen der mangelnden Qualität ihrer Arbeit auch schwer kritisiert, der aber das Vokabel "Plagiat" nicht verwenden will, nicht aber den zweiten, der sehr wohl öffentlich von "Textplagiaten" spricht. Und vor allem berichten die Mainstreammedien über das substanzlose Dementi der Justizministerin.

Man denke wenige Monate zurück, wie laut da der österreichweite Aufschrei war, bis die ÖVP-Ministerin Aschbacher unter ganz ähnlichen Vorwürfen sehr rasch aus dem Amt gejagt worden ist. Obwohl sich so wie bei Zadic die beteiligten Universitäten und Institute hinter die attackierte Ministerin gestellt haben (was freilich in beiden Fällen weiter nicht viel bedeutet, wären diese Institute doch selber dafür verantwortlich gewesen, wissenschaftlich mangelhafte Dissertationen zurückzuweisen).

Zwar ist es gewiss ein unfaires Generalisieren, wenn in Privatgesprächen derzeit oft das Wort von "Balkanmethoden" zu hören ist. Aber es ist irgendwie schon ein pikanter Zufall, dass die Zadic-Peinlichkeiten ausgerechnet zur gleichen Zeit auffliegen, da auch die üblen Tricks eines anderen Prominenten aus dem ex-jugoslawischen Balkan aufgeflogen sind (auch wenn klar ist, dass Serben und Bosnier dort tief verfeindet sind).

Nur: Die australischen Behörden und Gerichte haben sehr rasch und klar die Konsequenzen gezogen und Herrn Djokovic wieder außer Landes gebracht, der die australische Impfpflicht mit Schmähs umgehen wollte. Von den Herren Kogler, Nehammer oder Van der Bellen hört man hingegen absolut keine Reaktion zum Fall Zadic.

Was nicht weiter wundert, da ja die beiden Grünen gerade erst selbst durch ihren regelwidrigen Umgang mit den Corona-Vorschriften aufgefallen sind. Da hat man wenig Lust, andere – noch dazu Parteifreunde – wegen Regelverletzungen zu kritisieren. Und Bundeskanzler Nehammer ist angesichts des schlimmen Zustands der ÖVP und ihrer gegenwärtig alternativlosen Abhängigkeit von den Grünen überhaupt zum politischen Kastraten geworden.

Nehammer kann sich immerhin persönlich zugutehalten, dass er selbst offenbar extrem penibel im Umgang mit den Corona-Regeln ist. Siehe zuerst seine Absenz beim Neujahrskonzert, um Corona-Solidarität zu zeigen; siehe später die Quarantänezeit nach einem positiven Test, die er isoliert am heimischen Küchentisch ohne Familienkontakte verbracht hat.

Nehammer ist zwar ein Mann ohne politische Vision, ohne Charisma und ohne sonderliche Kenntnisse in den zentralen Politikfeldern Wirtschaft und Außenpolitik (worin er freilich allen Parteichefs der Opposition gleicht). Er ist aber als ehemaliger Offizier wahrscheinlich jener österreichische Politiker, der sich mehr als alle anderen in jeder Hinsicht um geradezu pedantische Korrektheit bemüht, so wie er sich eben stets um eine korrekte Frisur bemüht. Der schon selbst – ganz im Unterschied zu den Grünen – Parteikollegen wegen einer bloßen, von ihm als unpassend erachteten Bemerkung aus der Partei hinausgeworfen hat.

Ihm wird man daher wohl nur schwer heuchlerische Doppelbödigkeit vorwerfen können. Aber Nehammer muss in diesen Stunden mit schmerzhafter Deutlichkeit erkennen, wie jämmerlich ein Regierungschef dasteht, wenn er keine Alternativen zum derzeitigen Koalitionspartner mehr hat. Wenn er diesem gegenüber seine sonstige Pedanterie vergessen muss, will er nicht die ganze Regierung in die Luft jagen.

PS: Apropos Neujahrskonzert: Ich war am Sonntag im Philharmonischen Konzert. Dieses hat entgegen der sonstigen Genauigkeit erst mit einer Viertelstunde Verspätung anfangen können, weil noch lange Schlangen vor allen Eingängen auf Einlass und die dabei notwendigen umfassenden Kontrollen ihres Impf- und Teststatus gewartet haben. Das hat auch klar gemacht, warum beim Neujahrskonzert die Zuschauerzahl trotz des großen Interesses drastisch reduziert worden ist: Dadurch waren am 1. Jänner deutlich weniger Menschen gemäß den gerade aktuellen Vorschriften und das noch deutlich weniger genau zu kontrollieren gewesen. Alles andere hätte zu Verspätungen geführt. Diese wären mit einer Fernsehübertragung unvereinbar gewesen (nach der Verspätung waren diesmal hingegen bis auf – meiner Beobachtung nach­ – ­sechs Plätze alle Sitze im Musikverein besetzt).

PPS: Nach langem Ringen liegt jetzt der Entwurf für das Impfpflicht-Gesetz vor. Mit diesem Thema habe ich mich ja in den letzten Tagen schon intensiv auseinandergesetzt. Daher nur in Kürze: Jedenfalls erfreulich ist, dass es im Gegensatz zur Antiimpfpropaganda keine Ersatzfreiheitsstrafen gibt, und dass Jugendliche ausgenommen worden sind. Allerdings hätte ich ob der großen bürokratischen Probleme noch viel weitergehende altersmäßige Etappenlösungen empfohlen. Zugleich ist die Impfpflicht erstaunlich moderat geworden: Wer maximal vier Mal pro Jahr eine Gebühr, pardon "Strafe" zahlt, kann sich die Impfung ersparen und hat mit keinen weiteren rechtlichen Konsequenzen zu rechnen. Ist das noch eine Impfpflicht oder eine Gebühr wie für den ORF, die man halt auch nur dann zahlen muss, wenn man erwischt wird? Völlig unklar und geradezu unseriös ist, was eine Impfpflicht ab 1. Februar bedeuten soll, die erst ab Mitte März kontrolliert wird. Noch peinlicher klingt, dass dann noch später eine automatische Überprüfung erfolgen soll, wobei aber weiterhin völlig offen ist, wie und wann das sein soll (weil die Bürokraten bei "Elga" halt nicht richtig mittun …). Auch die Ausnahme für Schwangere ist fragwürdig, da doch gleichzeitig die Impfkommissionen Schwangeren die Impfung ausdrücklich empfehlen. Eher skurril ist, wofür sich die Opposition berühmt: Jetzt steht ausdrücklich drinnen, dass regelmäßig zu überprüfen ist, ob das Gesetz verfassungskonform ist. Als ob man eine solche Überprüfung nicht sowieso jederzeit verlangen könnte. Am Ende wird aber gar nicht so sehr der Gesetzestext, sondern die uns noch allen unbekannte Realität der Zukunft darüber entscheiden, ob der Verfassungsgerichtshof da Verfassungswidrigkeiten entdecken wird. Dabei werden wohl folgende Parameter entscheidend sein: die weitere Entwicklung der Spitalsauslastungen und die Entwicklung der Wirksamkeit der Impfungen. Das sind die beiden wichtigsten Voraussetzungen einer Impfpflicht – die kennt man aber nicht im Vorhinein und kann sie daher auch nicht in ein Gesetz schreiben …

Nachträgliche Ergänzung: Nach eingehender Analyse spricht nun auch der Plagiatsjäger Weber von eindeutigen Plagiaten in der Zadic-Dissertation. Selbst die zentralen Schlussfolgerungen ihres "wissenschaftlichen" Textes sind eindeutig abgeschrieben, wie sich nun herausstellt. Das würde ein Aberkennungsverfahren für ihr Doktorat überfällig machen – zu dem es aber bei diesem Uni-Rektor wohl nicht kommen wird.

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