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Es gibt absolut keine Rechtfertigung für Putin

Manche Österreicher scheinen tatsächlich zu glauben, dass Russland einen moralischen oder gar rechtlichen Anspruch darauf hat zu bestimmen, was in der Ukraine passiert. Für einen solchen Anspruch gibt es jedoch in Wahrheit keinerlei völkerrechtliche, historische oder ethische Grundlage. Auch die mancherorts zum Vergleich bemühte österreichische Geschichte bietet keine brauchbaren Analogien dafür. Putins Handeln entspricht vielmehr total dem von Moskau so oft verbal verurteilten Kolonialismus und Imperialismus früherer Jahrhunderte, dessen Ende spätestens vor 60 Jahren in Afrika (und anderswo noch viel früher) gekommen schien. Wie man sich täuschen kann.

Das Denken jener, die Russlands Vorgehen gegen die Ukraine rechtfertigen, hat zwei ganz verschiedene Wurzeln: eine ist ganz links und eine ganz rechts zu finden.

Auf der Linken sind manche offenbar genetisch so programmiert, dass in ihren Augen immer der Westen die böse Seite ist, während Moskau immer das Gute verkörpert. Sie haben gar nicht mitbekommen, dass dort statt der Parolen des Kommunismus wieder die eines nationalistischen Imperialismus geschwungen werden. Was sie aber vielleicht gar nicht müssen, denn imperialistisch war ja auch ein Stalin, genauso wie davor die Zaren. Und wenn im Kreml ein ehemaliger Geheimdienst-Offizier mit seiner Bande regiert, ist das ziemlich genau das, was sich Stalin wohl für seine Nachfolge vorgestellt hat.

Gar nicht so unterschiedlich sind die Ressentiments ganz rechts außen: Dort ist man in Wahrheit noch immer böse auf die USA, weil diese einst Hitler beziehungsweise noch früher die k. und k. Monarchie besiegt haben.

Hingegen scheint hierzulande völlig aus dem Bewusstsein verschwunden, dass Österreich sein Überleben nach 1945 nur den unausgesprochenen, aber wirksamen Sicherheitsgarantien der USA zu verdanken hat. Das Bundesheer oder die Weisheit der österreichischen Politiker sind es nämlich nicht gewesen. Auch wenn die Selbstdarstellung der Republik das bisweilen zu suggerieren versucht.

Fangen wir daher bei der Untersuchung der verschiedenen Aspekte der russischen Mobilisierung und der Argumente, welche diese rechtfertigen sollen, gleich mit jenen an, die sich auf Österreich beziehen:

  1. Mehrmals ist auf den Staatsvertrag als eine Art Modell für eine Lösung (für was auch immer) verwiesen worden. Der Staatsvertrag von 1955 scheint in der Tat so etwas wie eine eingeschränkte Souveränität Österreichs zu bedeuten. Also auf genau das, was Russland in Hinblick auf die Ukraine und zahlreiche andere Länder in seiner Umgebung auch vorschwebt. Was auch China neuerdings wieder so wie im Großteil seiner kaiserlichen Geschichte gegenüber allen Nachbarn zu praktizieren versucht. Was Adolf Hitler eine Zeitlang – von Vichy-Frankreich bis Osteuropa – realisieren konnte. Was die Kolonialmächte in vier Kontinenten getan haben.
  2. Es wäre aber eine katastrophale Welt, würden wir wirklich wieder darauf zurückfallen, dass zahllose eigentlich souveräne Staaten neuerlich in die Rolle von Vasallen, Satrapen, Tributleistern und Satelliten absinken. Das wäre nicht nur eine verabscheuungswürdige Welt. Das wäre auch eine Welt, in der unzählige blutige Befreiungskriege ausbrechen würden, weil sich kein Volk freiwillig unterjochen lässt. Im 21. Jahrhundert noch viel weniger als jemals davor in der Geschichte.
  3. Ein Erfolg Russlands wäre die totale Rückkehr zum Faustrecht, denn nur durch die Kraft des Stärkeren ließe sich ja unterscheiden, welches Land anderen Vorschriften erteilen kann und welche Länder diese gehorsam umzusetzen haben.
  4. Wladimir Putin hat aber ganz offensichtlich Gefallen an der Rückkehr des Faustrechts. Das geht schockierend klar aus seiner allerjüngsten Äußerung hervor: Nach dem russischen Einmarsch zur Unterdrückung der kasachischen Bürgererhebung hoffte er unverblümt, "dass derartige Einsätze unserer Streitkräfte weiter geprüft werden". Das ist eine direkte Drohung, dass die aufmarschierte russische Armee auch in der Ukraine einmarschieren könnte.
  5. Seit einiger Zeit versuchen auch schon weitere, gar nicht so große Länder anderen inakzeptable Vorschriften zu machen. Ein mehrfaches Opfer dieses Verhaltens in Europa ist etwa Mazedonien. Zuerst hat Griechenland dieses Land gezwungen, seinen Namen zu ändern; und jetzt verlangt Bulgarien sogar eine Änderung der mazedonischen Geschichtsbücher, weil diese eine "Fälschung" seien. Beide Nachbarn haben die Macht dazu, Mazedonien zu demütigen, weil sie ein Vetorecht gegen den von Mazedonien angestrebten EU- und Nato-Beitritt haben (das ist zwar etwas anderes als Russlands brutale Machtdrohung, aber im Ergebnis auch ein eindeutiger Machtmissbrauch).
  6. Um sich vorzustellen, wie inakzeptabel das ist, stelle man sich vor, Österreich hätte die Macht, eine Änderung der italienischen Geschichtsbücher (oder die Umdichtung der chauvinistischen Hymne Italiens) zu verlangen.
  7. Die Idee einer eingeschränkten Souveränität schwächerer Länder war nicht nur das unheilvolle Prinzip der Herrschaft Russlands über die mittelosteuropäischen Satellitenstaaten und Auslöser der blutigen Invasionen in Ungarn und der Tschechoslowakei ("Breschnjew-Doktrin"). Sie stand auch am Anfang fast aller Kolonialisierungen, die dann Schritt für Schritt zur Totalunterjochung der Kolonien geführt hatten. Denn zuerst war es ja meist nur um die harmlos klingende Forderung nach Handelsrechten und Ähnlichem gegangen.
  8. Der österreichische Staatsvertrag war ein Teil-Friedensvertrag, der in Hinblick auf Österreich den Zweiten Weltkrieg beendete. Österreich als Staat hat an diesem zwar nicht teilgenommen, aber da österreichische Soldaten (wenn auch meist unfreiwillig) am Einmarsch und an den Gräueltaten in der Sowjetunion beteiligt waren, gab es zumindest einen argumentierbaren Grund, dass Österreich dem angegriffenen Russland Kompensationen leisten müsse, bevor es seine Freiheit wiederbekommt. Diese bestanden etwa in Öllieferungen oder in der "aus freien Stücken" erklärten immerwährenden Neutralität.
  9. Österreich hat aber immer darauf beharrt, dass diese Neutralität rein völkerrechtlich nur Verpflichtungen für den Fall eines Krieges beinhaltet. Für alle anderen Aspekte hat es sich (mit Ausnahme der KPÖ) immer als Teil des Westens gefühlt und verhalten. Es hat daher beispielsweise auch schon vor Zerfall des Warschauer Paktes 1989 seinen Beitrittsantrag an die EU geschickt und ist dennoch weiterhin immerwährend neutral geblieben.
  10. Die Ukraine hat im Unterschied zu Österreich nie gegen Russland Krieg geführt, und daher nicht einmal eine theoretische Verpflichtung, direkte oder indirekte Kompensationen an Russland zu leisten, oder Russland zuzugestehen, dass es der Ukraine Vorschriften machen kann. Und schon gar nicht 30 Jahre nach der Selbständigkeit.
  11. Es gibt keinen einzigen Vertrag, in dem sich die Ukraine oder die Nato dazu verpflichtet hätte, dass es keinen Nato-Beitritt der Ukraine geben dürfe. Es gibt auch keinen solchen Vertrag für die DDR oder die anderen einstigen Warschaupakt-Staaten, die alle sehr gezielt sehr rasch in der Nato Schutz gesucht haben. Es gibt lediglich die sowjetischen Behauptungen, dass das bei Gesprächen gesagt worden wäre.
  12. Vor allem aber unterzeichneten 1994 (unter anderem) Russland, die USA und die Ukraine das Budapester Memorandum, das ausdrücklich die "Souveränität und die bestehenden Grenzen" ohne irgendwelche Auflagen garantiert.
  13. Der Vergleich zwischen dem österreichischen Staatsvertrag und diesem Vertrag hinkt auch noch aus einem anderen Grund: Österreich hat in seinem Vertrag Gegenleistungen dafür gegeben (geben müssen), weil es etwas Wichtiges bekommen hat: seine volle Freiheit und den Abzug der Besatzungstruppen. Die Ukraine hingegen hat Gegenleistungen dafür bekommen (und verlangen können), weil sie ihrerseits etwas sehr Wichtiges hergegeben hat: die vielen Atomraketen, die aus sowjetischer Zeit auf ukrainischem Boden verblieben waren. Diese haben rechtlich natürlich nicht dem neuentstandenen Russland gehört, sondern allen Nachfolgestaaten der Sowjetunion gleichermaßen.
  14. Auch der Hinweis auf die lange staatliche Zusammengehörigkeit Russlands und der Ukraine ist als Ableitung heutiger russischer Ansprüche Nonsens. Das beweist auch neuerlich ein Vergleich mit Österreich: Sind doch zahlreiche mitteleuropäische Staaten noch viel länger mit dem heutigen Österreich zusammen gewesen. Die Krain (Slowenien) etwa vom 13. bis ins 20. Jahrhundert! Und doch kommen nicht einmal eingefleischte Habsburg-Monarchisten auf die Idee, eine Oberhoheit Österreichs über Slowenien zu beanspruchen.
  15. Russlands Forderungen sind daher völlig frei von jedem rechtlichem Fundament und absolut vergleichbar mit den aggressiven Forderungen Adolf Hitlers etwa 1939 gegen Polen. Der einzige Unterschied (vorerst): Putin ist noch nicht in der Ukraine einmarschiert.
  16. Da es nicht einmal das kleinste Indiz für eine ukrainische Attacke auf Russland gibt – ganz im Gegenteil: Russland hält mit Gewalt seinerseits seit Jahren zwei Gebiete der Ukraine besetzt –, wäre ein russischer Angriff auf die Ukraine auch eine krasse Verletzung der UN-Charta und zahlloser anderer völkerrechtlicher Verträge, die ein absolutes Gewaltverbot festhalten.
  17. Auch wenn in der links- wie rechtsradikalen Propaganda die Nato in Einklang mit Putin als etwas Aggressives hingestellt wird, so ist ganz eindeutig: Die Nato ist ein reines Defensivbündnis, dessen Artikel 5 nur dann gegenseitigen militärischen Beistand vorsieht, wenn ein Partnerland angegriffen wird. Daher war auch die (humanitär motivierte) Intervention der USA im Kosovo nie ein Nato-Fall, die dort den drohenden Genozid stoppen sollte.
  18. Es gibt nur ein einziges Beispiel, wo die USA einem anderen Land in den letzten Jahrzehnten Vorschriften gemacht hat: Das war die Kuba-Krise 1962. Damals haben sie unblutig durchgesetzt, dass es im sozialistischen Kuba, das allzu nahe vor der US-Küste liegt, keine Atomraketen geben dürfe. Ansonsten ist Kuba aber weiterhin total kommunistisch. Alle anderen US-Interventionen im Ausland waren entweder Aktionen der Selbstverteidigung (wie gegen Afghanistan nach dem 11. September) oder Beistand für angegriffene Völker, wie zugunsten Südvietnams oder der Kurden. Und selbst wenn man die US-Aktionen anders beurteilt, so ist doch Tatsache, dass sie alle früher oder später recht erfolglos beendet worden sind. Während Putin die Ukraine zu einem dauerhaften Vasallenstaat machen will.
  19. Die EU-Versuche, den russischen Drohungen gegen die um europäischen Beistand flehende Ukraine etwas entgegenzustellen, sind leider nur noch peinlich: Während Putin in den letzten Wochen Tausende Panzer und weit über 100.000 Mann entlang der ukrainischen Grenze massiert hat, wird in der EU wieder einmal die Aufstellung einer 5000 Mann starken "schnellen Eingreiftruppe" beraten. Menschen mit sehr gutem Gedächtnis wissen freilich, dass eine solche schon einmal sogar beschlossen worden ist. Freilich in einem früheren Jahrtausend, 1999.
  20. Und Deutschland hat noch immer nicht das Einzige gesagt, mit dem der Westen wirklich ein gewaltfreies Druckmittel hätte: Das wäre ein endgültiger Verzicht auf Gas aus der Ostsee-Gasleitung. Deutschland kann das aber nicht sagen, denn dann müsste es wieder Atomkraftwerke in Betrieb nehmen …

Es gibt also in Summe weder ein historisches noch ein moralisches noch ein rechtliches Argument, das Russland irgendeinen Anspruch gäbe, der Ukraine über den Verzicht auf offensive Kapazitäten hinaus (die die Ukraine ohnedies nicht hat) Vorschriften zu machen, oder dem Land den Beitritt zu einem Verteidigungsbündnis zu verbieten, oder gar in dem Land einzumarschieren. Dem steht die Schwäche Europas und das Desinteresse der USA an irgendeinem ernsthaften Engagement gegenüber.

Das führt zum katastrophalen Schluss, dass Putin offenbar ungestraft tun kann, was er will. Und wofür er auch ein Motiv haben dürfte: Ein außenpolitischer Erfolg würde die Menschen Russlands total von der zunehmenden wirtschaftlichen Schwäche Russlands und den Verarmungsproblemen ablenken.

Umso unmoralischer ist es, wenn man – wenn Europa, wenn Österreich – so tut, als ob es da irgendetwas zu "vermitteln" gäbe, als ob es da eine Äquidistanz geben könne. Es ist schlicht infam, Aggressor und Opfer gleich zu behandeln. Außer man will Russland und andere zu weiteren Aggressionen ermutigen. Außer man will ihnen beweisen, dass der Westen nicht mehr ernst zu nehmen ist.

Freilich: Das braucht man gar nicht mehr zu beweisen. Das kann man schon jetzt etwa daran ablesen, welche Sorgen die Außenministerin des größten EU-Landes hat: Sie kündigte jetzt eine "feministische Außenpolitik" an.

Nein, da ist wirklich kein weiterer Kommentar nötig.

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