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Demonstrieren – aber wie?

Warum ist eigentlich das Versammlungsrecht ein im Verfassungsrang stehendes Grundrecht? Mit wem darf, mit wem soll man demonstrieren? Wo soll man demonstrieren dürfen? Gäbe es in Österreich noch so etwas wie einen "Verfassungsbogen", in dem parteiübergreifend über wichtige Grundsatzfragen ruhig und ergebnisorientiert diskutiert werden könnte, dann wäre das aus einer ganzen Reihe aktueller Anlässe ein wichtiges Thema dafür. Denn allzuviel ist da ins Zwielicht geraten. Allzu dumme Phrasen werden da aber auch von der Staatsspitze her verbreitet.

Am einfachsten ist die Frage zu beantworten: Wer soll mit wem demonstrieren dürfen? Die Antwort: Jeder mit Jedem, der will. Punkt.

Fast unerträglich verzerrt ist hingegen das vom schwarzen Nationalratspräsidenten Sobotka wie auch seiner roten Stellvertreterin Bures vorgebrachte Killerargument gegen die Corona-Demonstranten: Da würden ja auch Angehörige der Identitären mitdemonstrieren, denen es, so etwa Bures wörtlich, "nicht um die Freiheit gehen kann, weil das sind Gegner der Demokratie". Daher sollen andere schauen, mit wem sie da auf der Straße sind. Sie sollen also auf gut Deutsch nicht mitdemonstrieren.

Das ist ein absolut dümmliches Argument, auch wenn es nicht nur von Frau Bures und Herrn Sobotka, sondern von Regierung und SPÖ schon oft vorgebracht worden ist.

So kenne ich in Wahrheit keinen einzigen Beweis, dass die Identitären Gegner der Demokratie wären. Ich kenne auch keine strafrechtliche Verurteilung in diesem Zusammenhang. Warum soll der Einsatz der Identitären für die österreichische Identität und gegen Islamisierung wie auch illegale Immigration etwas Undemokratisches sein?

Wenn sie so etwas behauptet, dürfte viel eher Frau Bures selbst ein fundamentales Problem mit der Demokratie haben. Sind das doch durchwegs – bis auf den Aktionismus, der aber wiederum durch Greenpeace & Co für die Linken etwas Geheiligtes ist, – Positionen, hinter denen bei jedem Referendum eine deutliche Mehrheit der Österreicher steht, eine demokratische Mehrheit.

  • Will Bures am Ende auch ÖVP, FPÖ und die burgenländische SPÖ zu unberührbaren Österreichern zweiter Klasse degradieren, mit denen man nicht einmal gemeinsam demonstrieren darf?
  • Selbst wenn sie sich für die gleichen Ziele einsetzen?
  • Selbst wenn sie in keiner Weise mit dem Strafrecht in Konflikt gekommen sind?
  • Ist das nicht ein ganz neuer Klassenkampf der Linken?

Frau Bures sollte diese Kritik zuerst einmal an parteieigene Teilorganisationen richten, denen sie doch um Etliches näher stehen dürfte als den Impfgegnern. Denn sozialistische Jugendverbände haben jedenfalls nie Probleme gehabt, wenn sie mit Kommunisten oder auch einem "Schwarzen Block" gemeinsam auf die Straße gegangen sind.

Bei dem verurteilten Neonazi Küssel, der ebenfalls mehrfach mitdemonstriert hat, tun sich Sobotka und Bures fraglos leichter, ihn als Gegner der Demokratie einzustufen. Wer ein totalitäres Regime verteidigt, ist zweifel- und fraglos ein solcher. Aber zugleich ist dennoch zu respektieren, dass Küssel seine diesbezüglich ausgefassten Strafen hinter sich gebracht hat und heute ein freier Mann mit den gleichen Grundrechten wie der Rest der Nation ist.

Gerade Sozialisten haben sich immer dafür eingesetzt, dass Menschen nach abgebüßter Strafe alle Chancen für einen Neuanfang bekommen, ohne dass ihnen die alten Taten vorgehalten werden können. Sollte das bei den – ohnedies überaus problematischen – Meinungsdelikten etwa anders sein? Sollten aber Bures oder Sobotka Fakten kennen, dass Küssel sein Mittun bei Demos wieder für einschlägige Aktivitäten nutzt, dann mögen sie es sagen. Schimpfwortorgien bei den Corona-Demos habe ich jedenfalls bisher nur von einem anderen vernommen: vom FPÖ-Obmann Herbert Kickl.

Anders formuliert: Man kann den Impf-, Maßnahmen- und sonstigen Demonstranten sehr, sehr viel entgegenhalten – und dieses Tagebuch tut es auch ständig –, aber so wie Bures und Sobotka mit irgendwelchen anderen Mitdemonstranten zu argumentieren, ist intellektuell unredlich. Es ist unwirksam.

Und es ist auch dumm. Denn durch den ständigen aufgeregten Hinweis von Rot und Schwarz, dass Küssel und die Identitären mitmarschieren, werden diesen zweifellos Sympathisanten aus den Reihen der Demonstranten zugetrieben. Denn erst durch diese künstliche Aufregung erfahren die meisten Demonstranten überhaupt davon, wer da sonst noch mitmarschiert. Viele Demonstranten entwickeln erst dadurch Solidaritätsgefühle für diese sonst in der Anonymität untergehenden Gruppen.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich sehe auch im Mitmarschieren der Identitären eine große Dummheit ihrerseits. Denn die Anliegen der Corona-Gegner haben absolut nichts mit dem zu tun, wofür die Identitären bisher agitiert haben. So machen sie sich nun jene Dreiviertel der Österreicher zu Feinden, die die Corona-Aufmärsche total ablehnen, von denen sich aber viele so wie die Identitären für die österreichische Identität einsetzen.

Das erweckt massiv den Verdacht: Ihnen geht es im Grunde nur um Herumbrüllen auf der Straße statt um seriöses Engagement für die deklarierten Ziele. Schade. Mir ist Österreichs Identität und die Abwehr des Islamismus jedenfalls wichtiger als spätpubertäre Krawallmacherei.

Warum ist Versammlungsfreiheit überhaupt ein Grundrecht?

Wechseln wir zur zweiten Frage. Nämlich zu der, warum das Demonstrieren eigentlich überhaupt grundrechtlich geschützt ist. Auch über so scheinbar selbstverständliche Fundamentalfragen sollte bisweilen gründlich nachgedacht werden. Denn jedes Grundrecht braucht auch seine Begründung. Sonst wird es zum Geßlerhut.

Dabei stechen vor allem vier Argumente heraus.

  • Das erste ist ein gleichsam negatives: Spontane Versammlungen und Demonstrationen sind in allen Diktaturen verboten und können Menschen auf lange hinter Gitter bringen. Daher ist es für jede Demokratie essenziell, die Versammlungsfreiheit zu achten, wenn sie Demokratie bleiben will.
  • Demonstrationen dienen sehr stark als Ventil, um Zorn, Ärger, Emotionen abzulassen. Würden sie verboten, dann bestünde die große Gefahr, dass sich dieser Zorn mit viel schlimmeren Methoden, etwa denen des Terrorismus, seinen Weg sucht.
  • Demonstrationen sind auch dazu da, anderen seine eigenen Überzeugungen zuschreien oder auf Transparenten zeigen zu können, damit diese anderen Argumente erfahren, die ihnen sonst vielleicht unbekannt wären. Freilich hat sich diese Notwendigkeit seit Erfindung des Internets deutlich relativiert.
  • Und schließlich dienen sie auch dazu, sich selbst und andere zu bestärken, zu zeigen, dass man mit seiner Meinung nicht alleine ist.

Das Demonstrationsrecht ist daher ein absolut wichtiges Element der Freiheit. Freilich ist bei jeder Freiheit streng zu prüfen, wieweit ihre Ausübung nicht die Freiheit anderer einschränkt, wieweit sie nicht andere Freiheiten bedroht. Was jene, die sich auf die eigene Freiheit berufen, gerne vergessen.

Kollisionen unterschiedlicher Freiheitsansprüche schaffen immer wieder schwierige Situationen für den Rechtsstaat, aber auch für den demokratischen Gesetzgeber. Leider haben weder der Verfassungsgesetzgeber noch der Verfassungsgerichtshof, der das Versammlungsrecht ja geradezu absolut interpretiert, diese Frage in den letzten Jahrzehnten mit der notwendigen Tiefe diskutiert.

Denn eigentlich ist es nur schwer zumutbar, wenn Menschen in bestimmten Wohngegenden jede Woche stundenlang unter dem Lärm der Demonstranten leiden; wenn Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit durch sie erheblich eingeschränkt werden; wenn der Autoverkehr und damit auch Berufsverkehr regelmäßig stundenlang blockiert wird; wenn Geschäftsbetreiber in Demonstrationsmeilen jeden Samstag schwere Umsatzverluste erleiden; wenn Kindergärten, Schulen oder Krankhäuser zum Ziel von Demonstrationen werden.

In Wahrheit leben wir in einer Gesellschaft, in der all diese Rechte und Freiheiten nur sehr wenig geschützt werden, weil das Recht auf Versammlung de facto von der Judikatur absolut gesetzt wird. Und weil der Gesetzgeber nichts tut, um es zu relativieren. Das stößt immer mehr Menschen sauer auf. Neuerdings auch Linksgerichteten, die früher wenig Probleme mit Demonstrationen hatten, als vor allem linke Demonstrationen stattgefunden haben, gegen den Kapitalismus, gegen die FPÖ, gegen die ÖVP, für die freie Einwanderung, gegen den Bau einer Straße.

Die Linken sind erst dann kritisch zum Versammlungsrecht geworden, als auch FPÖ-nahe Aktivisten die Straße für sich entdeckt haben. Immer öfter entdecken auch sie seither die Schattenseiten des Dauerdemonstrierens. Immer öfter kommt es überdies auch zu Zusammenstößen zwischen linken und rechten Demonstranten. Wer sich an die Zwanziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erinnert, der müsste darin einen zusätzlichen Grund erkennen, das ausufernde Demonstrationsrecht zu hinterfragen und limitieren.

 Was aber tun, da eben auch sehr gewichtige Argumente für das Demonstrationsrecht sprechen? Es gibt da eigentlich nur drei sinnvolle Strategien für eine Lösung oder einen Kompromiss.

Die erste besteht darin, dass es öffentliche Plätze geben sollte, die prinzipiell immer als Versammlungsort, freilich immer nur für eine einzige Veranstaltung pro Tag dienen können. Das sind Plätze, wo weder Bewegungs- noch Erwerbsfreiheit noch Wohnbevölkerung nennenswert gestört werden. Das müssen aber gleichzeitig Plätze sein, die so liegen, dass die Demonstranten auch von Passanten gesehen werden, denen sie ihre Parolen mitteilen können.

Das heißt etwa Heldenplatz statt Stephansplatz oder Mariahilferstraße. Aber gewiss wird man in zeitlichen Abständen auch auf dieser und vielen anderen Straßen Demonstrationen genehmigen müssen – sofern nicht Schulen, Kindergärten oder Krankenhäuser auf der Route liegen.

Das bedeutet, dass die Behörden mehr Rechte bekommen sollten, bestimmte Ziele großräumig zu schützen und die einseitige Belastung bestimmter Straßen zu reduzieren. Das schmerzt, weil dadurch die Obrigkeit ja in einem Bereich mehr Rechte erhält. Dieser Rechteausbau muss aber dadurch streng limitiert sein, dass er nur dann zulässig ist, wenn Rechte Dritter zu schützen sind! Es kann keinesfalls um Rechte der Obrigkeit gehen, sich selber vor Kritik oder Beschimpfungen zu schützen. Auch wenn es wiederum völlig inakzeptabel ist, wenn – wie in Deutschland geschehen – die Wohnhäuser von Politikern zum Ziel werden. Oder wenn Kirchen, Synagogen oder Moscheen zum Ziel werden.

Die Durchsetzung des Verbots von Demonstrationen an bestimmten Orten ist zweifellos nicht einfach. Sie darf jedenfalls nur mit Augenmaß erfolgen. Also zur Durchsetzung statt Wasserwerfern maximal Verwaltungs-Geldstrafen für jeden Teilnehmer ...

Eine zweite Lösungsstrategie ist es, die immer mehr um sich greifende Einschränkung der Meinungsfreiheit wieder zurückzunehmen. Es ist völlig klar: Wenn Menschen ihren Unmut, ja auch ihren Schwachsinn nicht mehr im Internet verbreiten dürfen, dann werden sie auf die Straße gehen, um ihn dort hinauszubrüllen.

 Verhetzungsparagraphen sind vielfach zu Aufhetzungsparagraphen geworden, weil die europäischen Gesetzgeber keine Ahnung von Massenpsychologie haben und glauben, Gesetze können wie eine Gouvernante die Menschen erziehen, immer nur schön zu sprechen.

Am wichtigsten aber ist die dritte Lösungsstrategie: Das wäre die Einführung der Direkten Demokratie. Wenn die Menschen spüren, sie haben – sofern sie eine Mehrheit für ihr Anliegen gewinnen sollten – viel effizientere Wege, um ihrer Position zum Erfolg zu verhelfen, als auf der Straße herumzubrüllen, dann ist das zweifellos die weitaus effizienteste und klügste Deeskalationsstrategie.

Aber diesen Effekt kann nur eine ehrliche Direkte Demokratie erzielen, nicht das, was bisher an Taschenspielertricks unter diesem Titel gelaufen ist. Die Menschen haben längst erkannt, dass Volksbegehren, Unterschriftensammlungen, Leserbriefe oder Petitionen völlig wirkungslos sind und rein als Ablenkungsstrategie entwickelt worden sind. Sie lassen sich daher dadurch sicher nicht mehr besänftigen. Erst wenn nicht nur in der Verfassung, sondern auch im wirklichen Österreich das Recht vom Volk ausgeht, dann gibt es keine Notwendigkeiten mehr, auf der Straße zu brüllen und andere in ihrer Freiheit einzuengen.

All jene Spinner, Fanatiker und Schwurbler, aber auch alle Verfechter honoriger Anliegen, die dabei in der Minderheit bleiben, müssen halt bessere Argumente für die eventuell nächste Abstimmung in zwei Jahren suchen. Oder sie stellen sich zum Frustabbau halt weiter brüllend auf einen öffentlichen Platz. Und werden dort sehr alleine bleiben. Denn mit Gebrüll lassen sich die übrigen Menschen eher selten überzeugen.

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