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Mehrere Aussagen von Papst Franziskus zu wirtschaftlichen Fragen und zu den "Flüchtlingen" hatten in den ersten Jahren seines Pontifikats zu entsetztem Kopfschütteln geführt. Mehrfach hatte der Papst gesellschaftspolitische Aussagen gemacht, die durch den Horizont seiner argentinischen Herkunft geprägt, aber insbesondere für Europa sehr problematisch waren. Umso positiver fallen jetzt im Kontrast dazu kluge wie mutige Aussagen Bergoglios zu zwei ganz anderen Themenkreisen auf. Vieles deutet darauf hin, dass der Bischof von Rom inzwischen intensiv die europäische Situation zu begreifen gelernt hat. Unbekümmert war er zwar schon immer. Jetzt ignoriert er aber auch voll, dass ihn die Linken für seine aktuellen Aussagen hassen werden, die seinen früheren, argentinisch geprägten Aussagen noch zugejubelt hatten.
Die argentinische Perspektive seiner früheren Aussagen wurzelte in der Geschichte des Geburtslandes von Papst Franziskus.
Argentinien ist erstens ein Land, dessen Einwohnerschaft fast zur Gänze aus europäischen Migranten besteht, aus Flüchtlingen vor der europäischen Armut früherer Jahrhunderte. Insbesondere aus Italien sind sehr viele Migranten dort gelandet – so auch die Familie des Papstes Bergoglio, in der er schon als Kind die italienische Sprache übernommen hat.
Dass auch im Gebiet des heutigen Argentinien die Europäer nicht in ein menschenleeres Land vorgestoßen waren, spielt bis heute im Selbstverständnis der Einwohner kaum eine Rolle. Die Indigenen haben nur einen unter zwei Prozent liegenden Bevölkerungsanteil und sind politisch in keiner Weise präsent. Da ist es völlig logisch, dass für einen Argentinier Migration und Flucht sehr positiv klingen, besteht doch die restliche Bevölkerung zur Gänze aus den Nachkommen von Migranten, von "Flüchtlingen", wobei es zum Unterschied von nördlicheren Staaten Amerikas auch wenige Schwarze gibt, was Argentinien die gefährlichen Auswirkungen des Blacklivesmatter-Kults erspart.
Andererseits gibt es im Unterschied zu den USA oder Europa auch keinen aktuellen Einwanderungsdruck. Die lateinamerikanischen "Hispanics" – ethnisch eine Mischung aus Ureinwohnern, Schwarzen und Weißen – wollen alle in den Reichtum der USA migrieren und nicht in das abgewirtschaftete Argentinien.
Damit sind wir auch schon beim zweiten problematischen Faktor, bei dem man eine Prägung des Papstes durch seine Herkunft erkennen kann: Bergoglio hat im Unterschied zu Westeuropäern und Nordamerikanern nie längere Phasen einer gut funktionierenden Wirtschaft in einer stabilen und rechtsstaatlichen Demokratie erlebt. Statt dessen ist es mit Argentinien in seiner Lebenszeit durch den Linkspopulismus der Peronisten und Militärdiktaturen meist bergab gegangen.
Auch heute steht Argentinien wieder einmal am Rande des Staatsbankrotts: 48 Prozent Inflation und weltweit Platz 92 in Sachen Wettbewerbsfähigkeit sind die katastrophale Bilanz der neuerlich regierenden Populisten. Dabei war Argentinien in der Mitte des 20. Jahrhunderts noch sehr wohlhabend. 2021 musste es hingegen die Global-Warming-Konferenz der UNO in peinlicher Themenverfehlung dazu missbrauchen, das Ausland um Gelder anzubetteln.
Bergoglio hat weder durch die argentinische Realität noch durch ein wirtschaftliches Studium auch nur die geringste Ahnung von Nutzen und Segen einer freien Marktwirtschaft erwerben können. Das sei ihm nicht vorgeworfen. Zu kritisieren ist nur, dass er trotz dieser Ahnungslosigkeit Enzykliken zu Wirtschaftsfragen verfasst hat.
Umso überraschender, umso eindrucksvoller ist, dass Bergoglio jetzt zeigt, dass er sich inzwischen sehr stark in die Probleme Europas hineingedacht hat. Und dass er bei gleich zwei ganz anderen Themen unbekümmert zu frontaler Konfrontation mit den Dummheiten des linken Mainstreams bereit ist. Dort ist man folglich sehr frustriert über den einst für einen Verbündeten gehaltenen Papst.
Dieser hat viel und klug dazugelernt, seit er von Rom aus die Welt analysiert und nicht mehr von Buenos Aires. Der erste Erkenntnisbereich führte zu einer sehr drastischen Beschreibung des demographischen Winters, der seit einigen Jahrzehnten in Europa herrscht, und der vor allem für Italien die Zukunft verdunkelt hat. Der Papst argumentiert dabei gar nicht mit den erschreckenden Zahlen und Daten, die wohl prinzipiell seine Sache nicht sind. Sondern er formuliert lebensnahe und anschaulich: "Viele Paare haben keine Kinder, weil sie keine wollen … Aber sie haben zwei Hunde, zwei Katzen … Ja, Hunde und Katzen ersetzen Kinder."
Diese Aussage wird auch durch die nüchternen Zahlen bestätigt: Während Argentinien eine Geburtenrate von 2,25 Kindern pro Frau hat (also mehr als die für eine Bevölkerungsstabilität notwendigen 2,1 Kinder), beklagt man in Italien mit 1,27 eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Das bedeutet nichts anderes als eine Halbierung der Einwohnerzahl Italiens binnen zwei Generationen – sofern die ausbleibenden Kinder nicht durch afrikanisch-arabische Immigranten ersetzt werden.
Gegen diese Entwicklung im einst so katholischen und kinderliebenden Italien scheint selbst Österreich demographisch ein wenig stabiler zu sein: Hier beträgt die Geburtenrate immerhin 1,46. Zugleich ist die österreichische Geburtenquote seit Jahren auf gleicher Höhe, während die Kurve Italiens ständig noch weiter nach unten zeigt.
Freilich täuscht das ein wenig. Ist doch in Österreich die Geburtenfreude der autochthonen Frauen – und natürlich auch Männer – ähnlich niedrig wie in Italien. Das ist Tatsache, auch wenn der Unterschied zwischen autochthonen und zugewanderten Österreichern in den offiziellen Statistiken nie klar ausgewiesen wird (weil halt viele Wissenschaftler politisch als inkorrekt geltende Themen zu vermeiden versuchen …).
Der Papst fordert im Gegensatz zu fast der gesamten europäischen Politikerklasse von der Elterngeneration Verzicht und Opfer um des Gemeinwohls willen. Er fordert Verantwortung für die nächste Generation, also die eigenen Kinder.
Mit seinem Engagement für kinderreiche Familien positioniert sich der Papst ausgerechnet jenem europäischen Politiker näher als allen anderen, der für viele Linke den Gottseibeiuns darstellt: dem Ungarn Viktor Orbán, mit dem er erst im Vorjahr zusammengetroffen ist. Dieser ist zwar kein Katholik, betont aber sehr seine eigene und Ungarns christliche Identität. Dementsprechend hat der Papst bei seinem Ungarn-Besuch auf jede Kritik an Orbán verzichtet – obwohl der gesamte Mainstream wegen Orbáns Anti-Migrationspolitik fanatisch danach verlangt hat. Ganz offensichtlich hat der Papst aber erkannt, dass er in Orbán, der auch als einziger Regierungschef verfolgten Christen in Drittweltländern hilft, einen in wesentlichen Fragen Gleichgesinnten gefunden hat.
Orbán hat jedenfalls eindeutig die stärksten familienfreundlichen Akzente gesetzt, die es irgendwo in Europa zu finden gibt. In Ungarn werden Mehrkinderfamilien massiv gefördert, vom Gratis-Großraum-Auto bis zum nicht rückzuzahlenden Kredit fürs Familienhaus. In Ungarn braucht keine Familie aus wirtschaftlichen Gründen mehr auf Kindersegen zu verzichten. Gewiss, Ungarns Geburtenquote ist mit 1,49 auch nicht viel besser als die österreichische. Aber die ungarische Quote ist zum Unterschied von der österreichischen ohne Migranten zustandegekommen. Und sie ist im letzten Jahrzehnt im Unterschied zu den meisten anderen europäischen Ländern sogar ein wenig nach oben gegangen. Wenn auch noch immer viel zuwenig, um die Zukunft des Volkes zu sichern.
Während der Papstappell zugunsten von Kindern in der Linkspresse etliche höhnische Kommentare abbekommen hat – Motto: Der kinderlose Mann solle lieber schweigen – , ist die Linke zur zweiten mutigen wie Orbán-nahen Äußerung des Papstes vorerst ganz verstummt.
Dabei ist die noch viel sensationeller als das in der Kirche ja seit Jesus Christus ("Lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich") immer präsent gewesene Bekenntnis zum Wert von Kindern. Die zweite Franziskus-Überraschung ist nämlich ein ebenso flammendes Bekenntnis zum Wert der nationalen Identität.
Franziskus wendet sich ausdrücklich gegen ein Denken, "das die natürlichen Grundlagen der Menschheit und die kulturellen Wurzeln leugnet, welche die Identität vieler Völker ausmachen."
Fast kniet man vor Begeisterung in einstiger Tradition geistig vor dem Papst nieder, wenn er dann auch noch zu kritisieren wagt: Im Namen des Schutzes der Diversität werde der Sinn für jede Art von Identität ausgelöscht. Es werde "ein Einheitsdenken entwickelt, das dazu zwingt, die Geschichte zu leugnen, oder, schlimmer noch, sie auf der Grundlage zeitgenössischer Kategorien umzuschreiben, während doch jede historische Situation gemäß der Hermeneutik ihrer Epoche interpretiert werden muss."
Es gehe um eine "wirklich inklusive" Politik und Diplomatie, welche "die Vielfalt und die historischen Sensibilitäten, die die verschiedenen Völker unterscheiden, nicht auslöscht, sondern aufwertet."
Fast muss man die päpstlichen Worte dreimal lesen, um zu glauben, dass (ausgerechnet) ein Jesuitenpapst sie formuliert hat. Sind doch solche Gedanken am von den Jesuiten geführten linkskatholischen Flügel absolut verpönt. Dabei war die Kirche in Wahrheit in fast ihrer gesamten früheren Geschichte immer an der Seite der völkischen, der nationalen Identität gestanden. Und sie ist auch heute dort am stärksten, wo sie in Konflikten an der Seite des Volkes gegen fremde Herrscher gestanden ist, siehe etwa Polen, siehe etwa Kroatien. Aber dennoch wird das Denken an das eigene Volk, an die nationale Identität in manchen Kirchenkreisen ganz schief angesehen.
Mit diesen Worten stellt sich Franziskus auch zum zweiten Mal geistig an die Seite Orbáns, für den ja die Identität der Ungarn (im In- und Ausland) das zentrale Fundament seines Handelns bildet. Sie führt ihn mit großer Logik direkt zu seinem pronatalen Engagement wie auch zu seiner Migrationsablehnung.
In Österreich läuft der Papst freilich Gefahr, mit seinem Bekenntnis zur nationalen Identität vom (angeblichen) Verfassungsschutz und von fast allen Politikern künftig als angeblich rechtsextreme Bedrohung verfolgt zu werden. Wie es etwa den "Identitären" geschehen ist, die in ihrem Engagement für die österreichische Identität ja fast haargenau dasselbe sagen wie der Papst (allerdings tun sie das mit ihren Corona-Unsinnigkeiten ganz und gar nicht).
Ebenso führt das Verlangen des Papstes, jede historische Situation gemäß dem Sinnverständnis der damaligen Epoche zu interpretieren, direkt zur Erkenntnis, dass Engelbert Dollfuß in seiner Zeit gar keine anderen Optionen gehabt hat. Das begreift aber selbst in der heutigen ÖVP offenbar niemand mehr, ist sie doch wie die restliche Politik von jedem Geschichtswissen frei.
Hinter diesen beiden epochalen Pflöcken, die der Papst eingeschlagen hat, gehen seine anderen, ebenso kantigen Aussagen der letzten Tage und Wochen fast unter, die zwar ebenso wichtig, aber eben nicht ganz so überraschend sind. Wie:
Ganz offensichtlich ist der Papst in letzter Zeit einem ganzen Schub durchaus irdischer Weisheit ausgesetzt gewesen, der ihm sehr guttut. Es gibt in der Tat nichts Schöneres, als wenn alte Männer zeigen, dass man auch im hohen Alter immer wieder klüger werden kann.
Fast genauso schön ist es, sei mit ein bisschen unchristlicher Bosheit hinzugefügt, dass die Linken – innerhalb und außerhalb der Kirche – schon wieder ein vermeintliches Idol verloren haben.