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Heuchler unterwegs: in Kirche, ÖVP und EU

In der Kirche gibt es ein seltsames Prinzip: Geweihte Männer bezeichnen sich gerne öffentlich – je höher sie in der Hierarchie stehen, umso häufiger, und der gegenwärtige Papst ganz besonders oft – als "Sünder". Doch wehe, sie werden bei einer konkreten Sünde erwischt: Dann ist für viele Menschen nicht nur die Glaubwürdigkeit des Betreffenden kaputt (fast hätte ich gesagt: beim Teufel), sondern gleich auch die der ganzen Kirche. Dasselbe Prinzip gilt in der Welt der politischen Macht – nur haben es dort die Akteure noch viel weniger begriffen. Wie neue Beispiele zeigen.

Das krasseste davon hat die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu verantworten. Zwar konnte es fünf Monate lang geheim gehalten werden, aber dann ist die Nachricht umso lauter explodiert: Die Dame ist von Wien nach Preßburg geflogen (auf EU-Kosten natürlich). Jeder, der in diesem Raum lebt, weiß, dass die Deutsche mit dem Flugzeug im Vergleich zu einer Autofahrt viel länger gebraucht hat, um von den Terminen in einem Stadtzentrum zu denen im nächsten zu kommen. Und wahrscheinlich sogar auch im Vergleich zu einer Zugsfahrt. Und von den Kosten eines eigenen Charterflugzeuges für die Kommissionspräsidentin wollen wir gar nicht reden.

Gewiss, Von der Leyen ist nachher mit ihrem Flugzeug von Bratislava nach Lettland weitergeflogen, was nur schwer mit Auto oder Bahn zu machen ist. Aber hätte sie,  beziehungsweise einer der hochbezahlten Menschen rings um sie, die ihre Reisen planen, nur eine Sekunde das ernst genommen, was sie alle ständig predigen, dann hätten sie etwa das Flugzeug am Wiener Flughafen stehen lassen können, der ja ohnedies fast am halben Weg in die slowakische Hauptstadt liegt, und wären dann von Preßburg via Schwechat nach Lettland geflogen. Von der Möglichkeit, mit einer Linienmaschine nach Lettland zu fliegen, wollen wir gar nicht reden. Es wäre halt ein wenig unbequemer für sie gewesen …

Aber genau solche und noch viel härtere Unbequemlichkeiten, Einschränkungen und Verzichte verlangen Von der Leyen und all die anderen Prediger der politmedialen Machtklasse täglich mehr von den unteren Klassen. Uns wird immer mehr an Einschränkungen von jenen aufgezwungen, die für die eigene Klasse keine Sekunde lang irgendwelche Verzichte ins Auge fassen. Das ist schlicht empörend.

Auch für Menschen wie mich ist das empörend, die überzeugt sind, dass an dem ganzen Klimagerede nicht viel dran ist, außer dass die Sonne halt in den letzten Jahrzehnten (erfreulicherweise) für eine leichte Erwärmung von einem Grad gesorgt hat. Aber dennoch habe ich nie ein Flugzeug benützt, um von Wien aus in die Städte rings um Österreich, nach Bratislava, Budapest, München oder auch Prag zu kommen. Wo ich zu meiner Freude oft war. Selbst wenn ich mich weit öfter über die ÖBB habe ärgern müssen als über die Unbequemlichkeiten beim Fliegen, waren mir Bahn oder Auto auf diesen Entfernungen schon aus zeitlichen Gründen immer viel logischer.

Aber wenn von Menschen wie Ursula von der Leyen den Europäern (zum Gelächter der Asiaten) ständig eingeredet wird, wie sehr jede Autofahrt, jeder Flug ein halbes Verbrechen ist und zur Vernichtung der Erde beiträgt, dann lässt einen diese Heuchelei einfach nur kochen. Denn entweder sie glauben wirklich, Menschen einer höheren und über alle Vorschriften erhabenen Gattung zu sein, oder sie wissen eh genau, was für ein Nonsens das ist, was sie da verkünden. Aber sie tun es halt, weil es die Mainstreammedien verlangen, und weil sie glauben, es wäre populär, so zu reden.

Ähnliches Kopfschütteln löst der britische Premier Boris Johnson aus. Gerade noch hatte er Ursula von der Leyen bei der Klimakonferenz in Glasgow an aufgeregtem Klimaalarmismus zu übertreffen versucht (was allerdings kaum geht), da setzte er sich schon in ein Flugzeug – natürlich ebenfalls einen Privatjet – um nach London zurückzukehren. Laut der britischen Boulevardpresse für ein Essen mit einem bekannten Skeptiker in Sachen Klimawandel.

Ein solches Treffen macht den Johnson-Trip zwar ein wenig sympathischer. Denn andere Spitzenpolitiker meiden das kritische Gespräch mit den sogenannten Klimaskeptikern wie die Pest. Und Glasgow ist von London mit 560 Kilometern Luftlinie auch zehnmal so weit entfernt wie Bratislava von Wien. Dennoch lässt auch das Verhalten des britischen Premiers, der sich sonst besonders gern auf dem Fahrrad abbilden lässt, einen üblen Beigeschmack zurück.

Dabei geht es gar nicht um den Verstoß gegen den Gespensterglauben, wir könnten oder müssten durch die Rückkehr in die Steinzeit den Planeten vor einer imaginären Bedrohung retten. Es geht einfach um die Glaubwürdigkeit jener Politiker, die sich ganz besonders laut als Klimaretter hervortun. Sie sind grausliche Heuchler alle miteinander.

Man kann sie künftig noch weniger als bisher ernst nehmen, wenn sie uns wegen der angeblichen Notwendigkeit, den Planeten vor dem "Verbrutzeln" zu retten, in unserem Leben immer mehr einschränken wollen. Wenn sie Fliegen wie Autofahren für Normalsterbliche (die nicht auf Steuerkosten leben) unerschwinglich machen – oder gar verbieten wollen; wenn sie ständig über neue Steuern beziehungsweise Schulden nachsinnen, die angeblich für die Planetenrettung notwendig sind; wenn sie uns das Heizen unserer Wohnungen erschweren (indem sie Kohle- und Gasheizungen verbieten); wenn sie unseren Fleischkonsum drastisch einschränken wollen; wenn sie den Bauern die Kühe nehmen wollen; wenn sie alle energieintensiven Industrien vertreiben und damit unseren europäischen Wohlstand zertrümmern wollen.

Die ganze Liste dieser Folterwerkzeuge kann in jedem grünen Programm nachgelesen werden. Neuerdings aber auch schon in immer mehr Regierungsprogrammen und insbesondere in dem von Ursula von der Leyen großspurig verkündeten "New Green Deal" der EU.

Auch die Kirche hat – um noch einmal zum Anfang zurückzukehren – seit langem mit ähnlichen Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen. Diese treten bei ihr etwa auf, wenn allzu lautes und strenges Predigen einer letztlich utopistischen Sexualmoral in merkwürdigem Kontrast steht zu einem im ganzen Ort bekannten Naheverhältnis zwischen dem örtlichen Pfarrer und seiner Köchin.

Die Kirche hat aber zumindest im Prinzip in diesem Dilemma einen klugen Ansatz gefunden: Einerseits spricht sie ständig von der Sündhaftigkeit des Menschen, andererseits erklärt sie Menschen immer erst lange nach deren Tod zu Heiligen, wenn also ziemlich sicher ist, dass da keine schlimmen Dinge mehr aus dessen Leben auftauchen können.

In der Politik geht es freilich anders zu: Da wollen Politiker ja nicht erst lange nach, sondern lange vor ihrem Tod gewählt werden. Das zwingt sie zu noch viel mehr Heuchelei. Diese funktioniert aber in Zeiten des allgegenwärtigen Handys und des absolut nichts vergessenden Internets fast nie. Noch schlimmer für die Politikerklasse ist die Tatsache, dass die Bürger jede devote Scheu vor den Mächtigen verloren haben und sofort jede vermeintliche oder wirkliche Übeltat eines Politikers an die Öffentlichkeit tragen. Und die Medien überbieten sich geradezu in der Jagd nach solchen Übeltaten.

Das steht in deutlichem Kontrast zu früheren Jahren. Bis fast zum Ende des 20. Jahrhunderts sind private Affären eines Politikers fast nie in die Öffentlichkeit gedrungen. So erfuhr man über die Amouren des US-Präsidenten John F. Kennedy erst lange nach seinem Tod, als rund um den Mord von Dallas jedes Taschentuch in seinem Leben zehnmal umgedreht wurde. So erfuhr die breite Öffentlichkeit zu Bruno Kreiskys  Amts- und Lebzeiten auch nie etwas darüber, dass er die Gesellschaft einer Wiener Schauspielerin sehr oft jener seiner Ehefrau vorzog. Selbst Jörg Haiders Vorliebe für junge Männer wurde erst mit seinem Tod ein öffentliches Thema. Dass es – vor allem in einer den Tratsch so liebenden Stadt wie Wien – Gerüchte gab, ist etwas anderes. Aber letztlich wusste man bei vielen Gerüchten natürlich nie genau, was daran eigentlich stimmt, was nur irrtümlich, und was bösartig etwa von politischen Gegnern als "Information" in Umlauf gesetzt worden ist.

Sebastian Kurz war sich ganz offensichtlich bewusst, wie sehr im 21. Jahrhundert zum Unterschied von früher auch das private Verhalten eines Politikers im Scheinwerferlicht steht. Er konnte daher beispielsweise damit punkten, dass er oft von anderen Passagieren in der Economy-Class eines Flugzeuges gesichtet wurde. Das haben diese sehr oft über irgendeine Internet-Plattform der – mehr oder weniger – staunenden Umwelt mitgeteilt.

Umso grotesker ist, dass er de facto über die Verwendung des Wortes "Arsch" in einer SMS gestürzt ist, die er vor fünf Jahren einem vermeintlichen Freund als Bezeichnung für den von ihm verachteten Parteichef Mitterlehner geschickt hat. Und die von einer hasserfüllten Staatsanwaltschaft an die Öffentlichkeit gespielt worden ist (ganz offensichtlich, weil die von ihnen mit großem Eifer gegen Kurz gesammelten strafrechtlichen Vorwürfe nach wie vor ohne den entscheidenden Beweis auskommen müssen). Dieses Wort hat aber wiederum einige schwarze Geister in einigen Bundesländern so empört, dass sie sich von Kurz absentiert haben.

Das ist jedoch eine ebenso widerliche Heuchelei wie das Wasser Predigen und Wein Trinken von Frau von der Leyen und Herrn Johnson. Denn so langweilig können die Sich-über-den-Arsch-Sager-Aufreger gar nicht selber sein, dass ihnen nicht auch schon schlimme Wörter entschlüpft oder gar eine Sünde passiert wäre.

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