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Heuchelei: die politische Todsünde

Das sind die schwärzesten Tage im Kampf gegen die Pandemie seit langem. Dazu trägt die neue Ungewissheit über eine bedrohliche Weiterentwicklung des Virus bei. Dazu tragen die anhaltend hohen Corona-Aufnahmen in Spitäler und Intensivstationen wie auch die vielen Todesfälle bei. Noch viel schlimmer aber dürfte sich die maßlose Dummheit auswirken, mit der sich die Herren Schallenberg und Kogler, das Präsidentenpaar Van der Bellen sowie die SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner bei einer der Selbstinszenierungsshows des ORF gezeigt haben. Während dort keine einzige Corona-Maßnahme wie Masken oder Abstand eingehalten worden ist, während manche Fotos auf ein fröhliches Feiern der Mächtigen dieser Republik hindeuten, ist den restlichen Österreichern, ist dem gemeinen Volk Ähnliches radikal verboten. Sie dürfen zu keiner einzigen Veranstaltung, in kein Gasthaus, auf keinen Sportplatz gehen.

Damit haben die handelnden Personen gezeigt, dass sie gar nichts begriffen haben, dass sie einfach kein Gespür haben. Damit hat die politische Klasse mehr Schaden angerichtet, als vermutlich die Virus-Variante anrichten kann – egal ob die Rechtfertigungs-Story stimmt, was es alles an Schutz-Maßnahmen gegeben habe (Impfkontrolle und PCR-Tests). Denn nichts zertrümmert die Glaubwürdigkeit der Politik und das gerade im Coronakampf so wichtige Vertrauen in die Politiker so sehr wie Heuchelei, wie die Entlarvung zynischer Doppelstandards.

Denn wenn auch gewiss fast jeder Österreicher im Laufe dieser zwei Jahre im privaten Rahmen des Öfteren die eine oder andere Lockdown-Vorschrift verletzt hat, so verstehen die Spitzen von Staat und Regierung offensichtlich nicht, dass sie eine Vorbild-Rolle haben.

  • Insbesondere wenn sie selbst erst wenige Tage davor neue und strenge Lockdown-Vorschriften erlassen haben.
  • Insbesondere wenn die Verletzung der Vorschriften bei der ORF-Gala durch Kameras in alle Wohnzimmer übertragen worden ist (zumindest in die Wohnzimmer jener, die sich noch immer den ORF antun).
  • Insbesondere wenn Herr Van der Bellen schon einmal im Vorjahr in einem Gastgarten bei der Verletzung einer Lockdown-Vorschrift erwischt worden ist.

Noch schlimmer wird die Sache dadurch, dass der aktuelle Lockdown ohnedies von den Österreichern viel weniger eingehalten wird als frühere. Das zeigt der anhaltend heftige Straßenverkehr. Das zeigen auch die erst langsam durchsickernden rechtlichen Details, die etwa diesmal erlauben, dass sogenannte "Beratungsgespräche" stattfinden dürfen. Wie man auch immer im Detail solche von verbotenen "Verkaufsgesprächen" unterscheiden will.

Jetzt aber nach der Gala werden noch weniger Landsleute die Regeln und Appelle ernst nehmen.

Der wirkliche Hammer für die im ORF auftretenden Herrschaften droht freilich erst am 12. Dezember. Denn wenn dann die Infektions- und Spitalsbelegungszahlen nicht zurückgegangen sein werden, dann wird die Regierung von medizinischer Seite massiv unter Druck kommen, den Lockdown noch weiter zu verlängern. Dann wird in Österreich aber das zuletzt ohnedies (wie in vielen Ländern) teils unverschuldet stark abgesunkene Image der politischen Klasse noch weiter abstürzen. Dann wird der Aufschrei der Österreicher ein gellender werden.

Die Bürger werden sich dann nicht mehr wie bisher primär als Opfer einer nach wie vor recht geheimnisvollen Seuche und der – freilich nie offen zugegebenen – Hilfslosigkeit der Wissenschaft sehen. Sie werden sich vielmehr als Opfer einer zynischen Politikergarde sehen, die zweierlei Maß anwendet. Eines für sich (und den Privilegien-ORF) und eines für das gemeine Volk.

Damit hätte die Regierung jetzt erstmals wirklich einen Grund, sich bei den Bürgern laut zu entschuldigen. Während die bisherigen Anlässe, sich zu entschuldigen, von den meisten als nicht so schlimm angesehen worden sind, weil sich halt immer wieder – verständliche – Hoffnungen zerschlagen haben. Wo man ja versteht, dass sie gehegt worden sind.

Natürlich sind die Politiker nicht aus Begeisterung am Feiern zur ORF-"Gala" gegangen, sondern weil sie halt alle glauben, es sich nicht mit dem Gebührenmonopol-Fernsehen verscherzen zu dürfen. Mein Gott, wie sehnt man sich da nach einem Wolfgang Schüssel zurück, der dem ORF mehr als einmal demonstrativ die kalte Schulter gezeigt hat. Freilich hat auch er, so wie dann später Sebastian Kurz, nicht auch gewagt, dem ORF zu sagen: Gleiches Recht für alle, also keine Gebühren mehr oder Aufteilung der Gebühren auf alle, sofern sie Qualität produzieren.

Jetzt werden manche sagen: Aber der Auftritt der Politikergarde habe doch wenigstens einem guten Zweck gedient, der Werbung für die Impfung. Da müsse man die "Gala" doch anders sehen.

Gewäsch. Denn das Gerede vom guten Zweck ist nichts als verlogenes Talmi des Gebührensenders. Denn die kräftige Zunahme der Impfungen hat schon etliche Tage vor dieser peinlichen Sendung eingesetzt und ist nicht Folge der ORF-"Gala", sondern eindeutig Folge der von der Regierung beschlossenen oder angekündigten Maßnahmen. Also der diversen 2G-Regeln, der Impfpflicht und eines Dauerlockdowns für Nichtgeimpfte. Das hat etliche überzeugt (wenn auch gewiss nicht begeistert ...)

Zu diesem Zeitpunkt noch eine Impf-Werbe-Show anzusetzen, ist ein billiger Schmäh, um den Abgang des Alexander Wrabetz noch ein bisschen mit  pompöser Schminke zu verschönern. Denn die einen Tag lang gefeierte starke Teilnahme am verkündeten ORF-Gewinnspiel ist ja nur durch den Trick erzielt worden, dass man sich auch rückwirkend für dieses qualifizieren konnte, also auch wenn man schon lange vorher gestochen worden ist. Tatsache ist jedenfalls, dass es seit 1. Oktober weit mehr Impfungen gegeben hat, als sich dann Spielteilnehmer im ORF gemeldet haben. Weshalb die Aktion möglicherweise keinen einzigen zusätzlichen Stich bewirkt hat.

Der ORF hätte sich nur dann Verdienste im Pandemiekampf erworben, hätte er schon im Spätsommer ein attraktives Gewinnspiel gemacht, als man merken musste, dass die Impfbegeisterung abflaut. Jetzt ist das hingegen nur billige Trittbrettfahrerei bei jenen Regierungs-Beschlüssen, die ebenso wirksam wie unpopulär sind.

Aber offenbar hat der Gebührenmonopolist inzwischen selbst entdeckt, was für einen peinlichen Schmäh er da produziert hat. Denn sehr rasch sind alle Jubelmeldungen über den angeblichen Erfolg total verschwunden. Weder auf orf.at noch in den diversen Nachrichten werden noch irgendwelche "Erfolgszahlen" gemeldet. Offenbar hat man selbst befunden, dass man mit dieser Skandalsendung nicht mehr identifiziert werden will. Und betont nun ganz die Tanz-Show - mit der sich der ORF zumindest durch die Teilnahme von Zuschauern freilich neuerlich über die für alle anderen geltenden  Regeln brutal hinwegsetzt (indem man die Zuschauer als Schauspieler ausgibt – und kein Gesundheitsminister stellt einen Strafbescheid aus ...).

Aber auch die Regierung, insbesondere die ÖVP-Politiker, wären gut beraten, endlich auf massive und kritische Distanz zum ORF zu gehen, diesem zumindest nicht auch noch den Kasperl und Gebührenbringer zu machen. Wenigstens sollten die Schwarzen endlich einmal mitkriegen, wie infam sie vom ORF und seinen "Experten" ununterbrochen beschädigt werden, wie sie selbst in der Corona-Sache verhöhnt werden. Hat ihnen der Sender doch anfangs Angstmacherei vorgeworfen, um ihnen dann das Gegenteil vorzuhalten, nämlich gundlose Hoffnungmacherei.

Als Gipfelpunkt der Verhöhnung setzt der Herr Wrabetz zum Abschluss seiner Partei-, pardon ORF-Karriere, jetzt noch den alleraggressivsten Anti-ÖVP-Hetzer, nämlich einen Herrn Klien, mit einer eigenen Sendung fix ins Programm, gegen den ja sogar die Herrn Wolf und Filzmaier fast in ihrer hasserfüllten Einseitigkeit verblassen.

Schwarz und Grün haben damit aber auch den Freiheitlichen gleich mehrere Elfmeter aufgelegt. Diese können den Gala-Auftritt jetzt ganz massiv und zu Recht kritisieren. Vor allem kann die FPÖ damit von den wachsenden Aggressionen gegen sie selbst ein wenig ablenken, die sich zuletzt im Lande verbreitet haben, weil die Kickl-Partei für immer mehr Österreicher zur Hauptschuldigen an der niedrigen Impfquote und damit auch an den neuerlichen Lockdown-Einschränkungen geworden ist.

Eigentlich haben die Freiheitlichen ja auch selbst die ganze Zeit genau das begangen, was sie jetzt der Regierung vorwerfen, also öffentliche Auftritte ohne Maske und Abstandhalten. Daher sind sie nicht sonderlich glaubwürdig, wenn sie jetzt der Staats- und Regierungsspitze dasselbe vorwerfen. Dennoch kann kein Zweifel sein: Die FPÖ kann mit dem "Gala"-Thema punkten, weil ja nur die Regierung als heuchlerisch und doppelbödig dasteht, die das eine beschließt und das andere tut, während die FPÖ ja immer gegen alles gewesen ist. Und sie wird das gewiss noch weiter nutzen – bis hin zu Sondersitzungen des Parlaments –, um wieder aus der Corona-Leugner-Sackgasse heraus und in die politische Offensive zu kommen.

Hinter den wahrscheinlich katastrophalen Auswirkungen der Gala sowie den möglichen Folgen der neuen Afrika-Mutationen verblasst leider fast die beste Nachricht dieser Tage: dass auch die Impfung für die Über-5-Jährigen ausgetestet und freigegeben worden ist.

Auch die zweite positive Nachricht aus dieser Schreckenswoche sei erwähnt: Nach (eh schon …) eineinhalb Jahren hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Bürgermeister von Ischgl und andere eingestellt. Zweifellos zu Recht. Denn das damalige Chaos mit all seinen fatalen Folgen war in einer Situation, die für alle völlig neu war, zwar schlimm, aber sicher nicht schuldhaft verursacht, weil es jeden überfordert hat. Jedenfalls war es lange nicht so schuldhaft, wie es einst die wochenlangen chinesischen Vertuschungsversuche gewesen sind und wie es jetzt die fahrlässige Veranstaltung eine sinnlosen Megagala zur Selbst-Beweihräucherung des ORF gewesen ist.

Apropos ORF und apropos die gegenwärtige Entschuldigungs-Mode: Hat irgendjemand gehört, dass sich der ORF für seine zahllosen damaligen Ischgl-Beschimpfungen entschuldigt hätte? Oder braucht das der ORF nicht, auch wenn dessen "Experten" dauernd von anderen Entschuldigungen einfordern?

Ansonsten gibt es ja fast nur schlechte Nachrichten, die man freilich schon aus Selbstschutz zu verdrängen versucht. Erwähnt sei aber dennoch die Ausrufung des nationalen Notstandes in Tschechien. Dieser Beschluss ist nämlich gleich mehrfach interessant:

  • Denn damit wird dort auch die Versammlungsfreiheit befristet aufgehoben, die ja für den österreichischen Verfassungsgerichtshof selbst in Notzeiten die oberste aller heiligen Kühe ist.
  • Damit können dort Medizinstudenten zum Dienst in den Spitälern verpflichtet werden, was hierzulande ebenfalls völlig unmöglich scheint, ja nicht einmal diskutiert wird.
  • Die Tschechen lassen den Notstand auch gleich bis Weihnachten gelten – andererseits dürfen dort Handelsgeschäfte und Restaurants weiterhin offen haben, allerdings mit einer strengen 2G-Regel, also nur für Geimpfte oder Genesene.

Klingt alles  klüger als die österreichischen Maßnahmen. Aber freilich: Wer wird denn in Österreich schon von den Tschechen lernen wollen, wo dort überdies ein Rechtspopulist (noch) regiert, bevor dann ein Konservativer kommt …

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