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Das, was sich im Justizministerium in den letzten Tagen, Wochen und Monaten abgespielt hat, könnte angesichts der Schwere der Vorwürfe gegen einen Teil der Staatsanwaltschaft in jedem anderen Land, das sich für einen Rechtsstaat hält, nur zwei mögliche Konsequenzen haben: entweder eine hochnotpeinliche Untersuchung durch eine externe Institution gegen die betreffende Staatsanwaltschaft oder den Rücktritt der Justizministerin. Da beides nicht passiert, liegt nun die Bestätigung dessen vor, was immer mehr hochrangige Juristen befürchten: Hier findet ein schleichender Putsch statt. Und nicht nur die Ministerin, sondern auch Bundeskanzler und Bundespräsident schauen – zumindest bisher – bei einem offenen Bruch der Verfassung untätig zu. Aus Unfähigkeit oder parteipolitischer Ranküne.
Relativ früh ist auch für den neuen Bundeskanzler der Augenblick gekommen, wo es nicht mehr genügt, nette Erklärungen zur Klimakrise abzusondern. Er müsste vielmehr klar handeln und die Ministerin vor die klare Alternative stellen: entweder eine unabhängige Untersuchung zu allen Aspekten der WKStA oder Amtsverlust. Tertium non datur.
Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht, soll Österreich ein Rechtsstaat bleiben. Daran ändert der für Alexander Schallenberg bedauerliche Umstand nichts, dass er mit einem verfassungskonformen Vorgehen ein frühes Ende seiner schönen Tage im Palais Metternich riskieren würde. Aber die Aufgabe eines Regierungschefs besteht halt in etwas mehr als im Halten salbungsvoller Reden.
Der brennende Handlungsbedarf ist spätestens seit dem Zeitpunkt gegeben, da die offizielle Rechtsschutzbeauftragte der Justiz am Ende der Vorwoche den Mut hatte, mit der von zahlreichen Richtern und Anwälten schon in Privatgesprächen geäußerten Kritik an der WKStA nun auch in die Öffentlichkeit zu gehen.
Damit kann künftig niemand mehr die schwachsinnige Phrase wiederholen: Man dürfe doch nicht die "unabhängige Justiz" kritisieren. Ganz im Gegenteil: Die Verfassung – sofern sie noch voll gilt, was freilich nicht mehr ganz sicher ist, – gibt uns sogar das ausdrückliche Recht dazu. Und zugleich kommt die neue Kritik sogar aus dem Herzen der Justiz von einer unabhängigen Persönlichkeit der Justiz an einer (von der Ministerin) abhängigen Unterabteilung der Justiz.
Die Rechtschutzbeauftragte und erste Generalanwältin Gabriele Aicher hat jedenfalls weit länger Erfahrung in der Strafjustiz als die Frau Zadic. Die hat nämlich überhaupt keine. Die glaubt den Gesinnungsgenossen in der Korruptionsstaatsanwaltschaft offenbar ungeprüft jedes Gschichterl. Um nicht noch viel schlimmeren Vermutungen über ein bewusstes ideologisches Zusammenspiel von Zadic und WKStA nachzugehen.
Aichers Vorwürfe gegen die WKStA bewegen sich nicht in der Dimension eines der üblichen Detailstreits unter Juristen. Sie sind vielmehr vom ganz großen rechtlichen Kaliber: Denn, so Aicher, durch das Vorgehen der WKStA "wird das Recht auf den gesetzlichen Richter systematisch unterlaufen".
Bei wem angesichts eines so formulierten Vorwurfes nicht alle Blaulichter gleichzeitig losgehen, der hat die Bundesverfassung nie gelesen. Denn das Recht auf den gesetzlichen Richter ist seit langem ein ganz fundamentales Grundrecht jedes Österreichers!
Dieser Ausdruck "gesetzlicher Richter" klingt zwar juristisch sperrig. Der Sinn und Zweck des Anspruchs auf ihn ist aber ganz eindeutig und auch für Nichtjuristen einleuchtend: Kein Ankläger (und natürlich auch kein Kläger) soll sich aussuchen können, welcher Richter für ein Verfahren zuständig ist. Vielmehr ist der für einen Fall zuständige Richter jeweils von vornherein durch Gesetze und Regeln genau fixiert (etwa über Anfangsbuchstaben und Wohnadresse). Es sind schon zahllose Prozesse allein um die Frage geführt worden, welcher Richter eigentlich der nach dem österreichischen Recht für ein Verfahren zuständige ist.
Der infame Trick der Korruptionsstaatsanwälte für ihren Generalangriff auf alles, was rechts der politischen Mitte ist, begann mit dem Missbrauch der Causa Strache/Ibiza. Die WKStA befasst sich als "Fall Strache" wohlgemerkt nicht mit dem mafiaartigen Lauschangriff auf den Ex-Vizekanzler (der stößt skandalöserweise nirgendwo in der Staatsanwaltschaft auf sonderliches Interesse). Die WKStA geht vielmehr in all ihren politischen Aktionen einzig von Straches Bemerkungen in dem Video aus. Darin hat Strache seine Bereitschaft zur Korruption angedeutet, falls er einmal an die Macht kommen sollte. Das ist ungustiös und widerlich, ist aber inzwischen eindeutig als nicht formal rechtswidrig klassifiziert worden, weil Strache damals noch kein Amtsträger gewesen war.
Dennoch hat die WKStA den "Fall Strache" weiterbetrieben – in Richtungen, wo Strache nicht einmal mehr indirekt vorkommt. Alle ihre spektakulären Aktionen – etwa die gegen Thomas Schmid und Sebastian Kurz – laufen einfach weiter als Annex zu den damaligen Strache-Worten.
Das ist keineswegs ein harmloses Versehen gewesen. Aicher hat nun erstmals den einzigen auffindbaren, aber extrem empörenden Grund öffentlich herausgearbeitet: Die WKStA hat in der Causa Strache einen willigen Untersuchungsrichter gefunden. Dieser hat ihnen offenbar alle gewünschten Maßnahmen wie Hausdurchsuchungen und Handy-Beschlagnahmen fast blind genehmigt (was in der österreichischen Strafjustiz und erst recht im Wiener Landesgericht leider kein Einzelfall ist). Und offensichtlich daher laufen seither absurderweise alle spektakulären Aktionen der WKStA-Staatsanwälte als Anhang zu den einst gegen Strache erhobenen Vorwürfen über diesen Untersuchungsrichter. Dabei könnten nicht einmal die von ihren Verschwörungstheorien trunkensten Hetz-Abgeordneten des einstigen Parlaments-Ausschusses irgendwie erklären, was etwa der Vorwurf gegen den Ex-Beamten Thomas Schmid, dem Finanzministerium Scheinabrechnungen unterjubelt zu haben, mit dem Gelalle von Strache auf Ibiza zu tun haben soll. Einziger erkennbarer Zusammenhang: Offenbar sind alle Schwarzen, Blauen, Türkisen so widerlich, dass jedes Mittel gegen sie recht ist und über der Verfassung steht.
Dadurch, dass praktisch alle politischen WKStA-Aktionen jetzt über diesen einen offenbar problemlos kollaborierenden U-Richter laufen, ist für all die anderen Österreicher, die die Staatsanwälte als Verdächtige vorzuführen versucht haben und noch versuchen werden, ihr verfassungsmäßiges Recht zunichte gemacht worden, einzig durch den für sie zuständigen gesetzlichen Richter beurteilt zu werden. Dabei geht es nicht nur um die Vorliebe der WKStA für diesen einen Richter, sondern auch darum, welcher Senat dann in zweiter Instanz über alle Entscheidungen dieses Richters zu befinden hat. Nämlich ebenfalls immer derselbe.
Wem das alles nicht übel in die Nase stinkt, der hat seinen Geruchs- und Geschmackssinn wohl durch das Corona-Virus verloren.
Alleine dieser gravierende Vorwurf müsste in einem Rechtsstaat den Justizminister ebenso wie den Bundeskanzler in Hochspannung versetzen. Und noch mehr den österreichischen Bundespräsidenten: Kann der doch seit längerem keine Rede halten, in der er nicht voll Ekstase den Weihrauch für die Verfassung schwingt. Jetzt wäre erstmals der Moment gekommen, wo Herr Van der Bellen über die Verfassung nicht nur schwadronieren, sondern sie auch ernst nehmen sollte. Nämlich dort, wo es einer Parteifreundin weh tun könnte.
Ein zweiter Vorwurf der Rechtsschutzbeauftragten ist schon vor etlichen Tagen erstmals hier im Tagebuch zu lesen gewesen. Nämlich der starke juristische Verdacht, dass die Beweise, die das Verfahren gegen Thomas Schmid, Sebastian Kurz und andere erst in Gang gebracht haben, nichtig sein dürften, weil sie aus reinen Zufallserkundigungen stammen.
Naturgemäß noch nicht von der Rechtsschutzbeauftragten beurteilt worden ist der allerjüngste Coup der WKStA-Staatsanwälte: Das ist das jetzt von ihnen über die üblichen nahestehenden Medien ausgestreute Gerücht, dass sie eine Kronzeugin gefunden hätten. Abgesehen davon, dass schon der zeitliche Ablauf total den Eindruck macht, dieses Gerücht wäre eine Ablenkungsaktion, scheint es geradezu grotesk, wenn die Meinungsforscherin Beinschab jetzt zur straffreien Kronzeugin werden sollte (auch wenn es subjektiv völlig verständlich ist, dass ihr Anwalt versucht, ihr auf dieser Weise Straffreiheit zu verschaffen).
Denn die Dame – die mutmaßlich bei den Scheinrechnungen mitgewirkt haben dürfte und die Umfrageergebnisse in betrügerischer Absicht über das Branchenübliche hinaus manipuliert haben könnte – war zwei Tage lang in den Händen der Staatsanwälte und hat unter Druck dieser Freiheitsentziehung offenbar "gesungen". Welches Lied auch immer dabei erklungen ist – an solche Situationen eines unter Druck abgelegten Geständnisses kann der Gesetzgeber niemals gedacht haben, als er die Straffreiheit für "Kronzeugen" beschlossen hatte.
Besonders interessant wäre Beinschabs Festnahme nach 48 Stunden geworden: Denn dann hätten die Staatsanwälte die Dame wieder laufen lassen – oder einen richterlichen Beschluss über die Verhängung einer U-Haft bewirken müssen. Freilich dürfte Beinschab gewusst haben, welcher Richter offenbar auch dafür zuständig gemacht worden wäre ...
Aber das ganze Kronzeugen-Gerede wird wohl sowieso nicht wirklich in einem Prozess relevant werden, sondern war nur ein Ablenkungsmanöver. Im Übrigen scheint vorerst alles, was gegen die Frau – deren berufliche Karriere sowieso zertrümmert ist – bekannt ist, strafrechtlich wohl ohnedies nur für eine Diversion oder eine kurze bedingte Verurteilung zu reichen. Sonst säße wohl schon halb Österreich wegen Scheinrechnungen oder Steuerhinterziehung hinter Gittern.
Mit anderen Worten: Beinschab hat zwar – mutmaßlich – Schuld auf sich geladen, die aber nicht sonderlich schwer zu sein scheint. Ein im Druck einer zweitägigen Festnahme erzwungenes Geständnis kann jedoch dennoch niemals jemanden zum Kronzeugen machen. Es sei denn, Beinschab hätte dort von noch weiteren, bisher völlig unbekannten Untaten berichtet. Wofür es bisher keinerlei Hinweise gibt, nicht einmal in den üblichen Linksgazetten. Was aber auch nie ganz auszuschließen ist.
Eindeutig ist aber jedenfalls: In eine weitere Stellungnahme der Rechtsschutzbeauftragten müssten unbedingt noch andere, erst in den allerletzten Tagen bekanntgewordene Details aufgenommen werden.
Freilich, prozessrechtlich geklärt werden all diese mutmaßlichen Rechtsverletzungen – ebenso wie die ebenfalls von Aicher als unstatthaft kritisierten Hausdurchsuchungen in einem Medienhaus – erst, wenn die Sache vom Obersten Gerichtshof rechtskräftig entschieden worden ist. Damit das aber nicht so bald geschehen kann, werden die Staatsanwälte die Causa wohl wieder in gewohnter Manier über viele Jahre hinweg ausdehnen. Das wird ihnen jedenfalls auf lange ermöglichen, zusammen mit ihren Gesinnungsfreunden den erzielten politischen Triumph zu feiern. Es sei denn, in der Justizministerin, im gegenwärtigen Bundeskanzler, im Bundespräsidenten oder gar im Parlament wäre man mutig und aufrecht genug, die Wahrung der Verfassung über alle parteipolitischen Interessen zu stellen.
Die Hoffnung darauf ist freilich gering. Lieber nehmen sie es alle in Kauf, dass sich der Glaube von immer mehr Österreichern in den Rechtsstaat endgültig in zynischer Verachtung auflöst.
Die letzten Stunden zwingen noch eine andere Analogie auf, die diese zynische Verachtung noch mehr intensiviert: Im Außenministerium ist jetzt ein Botschafter wegen des Verdachts suspendiert worden, dass er einmal eine geheime Unterlage an den damaligen Wirecard-Manager Marsalek weitergegeben habe. Im Justizministerium ist hingegen bisher niemand wegen viel schwerer wiegender Verdachtsmomente einschließlich des von einer unabhängigen Amtsträgerin erhobenen Vorwurfs eines direkten Bruchs der Verfassung suspendiert worden.
Genauer gesagt: Es hat zwar schon Suspendierungen gegeben – aber nur gegen jene beiden Amtsträger, die schon länger den Verdachtsmomenten gegen die WKStA nachgegangen sind, und die deshalb als erste erkannt haben, dass da ein Putsch in Gange sein dürfte.
PS: Ganz unabhängig von diesen allerletzten Entwicklungen wäre schon viel früher eine unabhängige Untersuchung zur WKStA fällig gewesen und zu Umständen, die schon seit Jahren in diesem Tagebuch kritisiert werden:
PPS: Wer noch immer glaubt, dass es eine solche WKStA in einem Rechtsstaat geben dürfte, der sollte den Fall des Verfassungsschutzes BVT anschauen. Da weiß man nicht, welcher der beiden Aspekte des WKStA-Handelns ungeheuerlicher ist:
PPPS: Dieser Hinweis auf das BVT zeigt übrigens auch, was bei gravierendem Behördenversagen Pflicht wäre: strenge Untersuchung, Auflösung und totale Neustrukturierung unter neuer Führung.
PPPPS: Nur zum Vergleich zu den vielen Leaks aus WKStA-Akten: In Salzburg ist jetzt ein Polizist verurteilt worden, weil er im Jahr 2020 einem vorbestraften Freund einmal Informationen aus dem Polizeicomputer zukommen hat lassen. So schnell kann es gehen. Bei einem Polizisten halt. Oder nur in Salzburg?