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Hochrangige österreichische Strafrechtsrichter weisen in Gesprächen gleich auf zwei sehr bedenkliche Aspekte des Agierens der sogenannten Korruptionsstaatsanwaltschaft hin. Der eine ist in der Diskussion um die jüngsten Aktionen dieser WKStA bisher ausgeklammert worden, der andere ist bisher nur am Rande erwähnt worden, aber ebenfalls extrem bedeutsam.
Juristisch am explosivsten ist der Hinweis auf Paragraph 166 der Strafprozessordnung. Denn er macht erstmals wirklich verständlich, warum die Staatsanwälte jetzt so verzweifelt nach echten Beweisen zu suchen begonnen haben; warum auch immer wieder kaum versteckte Lockangebote ausgestreut werden, dass sich doch (endlich) ein "Kronzeuge" finden möge, der echte Beweise liefern könnte; warum ständig düster als offenbares Bedrohungsszenario ausgestreut wird, dass man ja noch gar nicht alle Chats des Thomas Schmid ausgewertet hat (was besonders skurril ist, weil das Lesen von beschlagnahmten Chats höchstens eine Woche dauern kann).
Denn dieser § 166 sieht ausdrücklich die Nichtigkeit bestimmter Beweise vor, also das Verbot, diese in einem Verfahren auch nur zu erwähnen. Als Voraussetzung der Nichtigkeit sieht die StPO (unter anderem) "unzulässige Vernehmungsmethoden" sowie die Verletzung "fundamentaler Verfahrensgrundsätze" vor.
Wie diese Spitzenjuristen betonen, ist diese Bestimmung "infolge der Analogiezulässigkeit im Verfahrensrecht selbstverständlich auf andere illegal produzierte Beweisergebnisse übertragbar. Strategischer Einsatz von bloßen Erkundungsbeweisen ist nichts anderes als illegales Produzieren von Beweismitteln, die unter Nichtigkeitssanktion steht. Eine Ermittlungsstrategie, die auf die Suche nach Zufallsfunden hinausläuft, ist nichts anderes als die Zufluchtnahme zu Erkundungsbeweisen, somit als illegal unzulässig."
Das ist ein ziemlich explosiver Hinweis, der wohlgemerkt unabhängig davon ist, ob bei diesen Erkundungsbeweisen überhaupt noch jemals Beweise für eine Mittäterschaft von Sebastian Kurz bei den mutmaßlichen Taten des Thomas Schmid auftauchen. Denn in der Korruptionsstaatsanwaltschaft dürfte man inzwischen befürchten, dass man auch gegen die anderen derzeit an den Pranger gestellten Personen gar keine rechtlich verwertbaren Beweise in Händen hat, weshalb man verzweifelt nach echten, verwendbaren Beweisen sucht.
Der zweite spannende Hinweis aus den Kreisen von Spitzenjuristen bezieht sich nicht auf den Gesetzeswortlaut, sondern auf die Entstehung der "Korruptionsstaatsanwaltschaft", die diese Staatskrise ja ausgelöst hat. Denn in deren Vorgeschichte gab es ein großes Gemenge von politischen Strafverfahren – und großteils auch Verurteilungen – gegen sozialistische Spitzenfunktionäre: Androsch, Sinowatz, Blecha, Gratz, Stadtrat Braun, parteipolitische Implikationen zu den Fallkomplexen Lucona-Club 45, Konsum, BAWAG, Bank Burgenland etc. etc.
Diese Fälle und die daraus resultierenden Belastungen für die SPÖ führten zu strafprozessualen Strategieüberlegungen der damaligen Parteigranden, um die Justiz an die Zügel zu nehmen. Als geeignetes Instrument kam man auf die Einrichtung einer staatsanwaltschaftlichen Spezialbehörde, die mit besonderer sachlicher Zuständigkeit für Strafverfahren mit Interesse für Politik und Öffentlichkeit ausgestattet werden sollte (wirtschaftliche Großverfahren, Amtsmissbrauch …).
Das Projekt dieser strafprozessualen Neuerung mit einer gezielten Aufwertung der Möglichkeiten politisch motivierter Verfahrensbeeinflussung konnte mit dem Argument einer fachlich qualifizierten Kaderbildung der einschlägigen Sachbearbeiter leicht populär und schmackhaft gemacht werden. Es fand schließlich ab der WKStA-Gründung 2009 und der gesetzlichen "Nachbesserung" 2011 Eingang in die geltende Rechtslage. Das war ganz eindeutig ein Erfolg des 2008 an die Macht gekommenen SPÖ-Bundeskanzlers Werner Faymann, dem auf ÖVP-Seite der juristisch ahnungslose Josef Pröll gegenübergestanden ist, der das SPÖ-Spiel nicht durchschaut hat.
Es verstand sich damals offenbar von selbst, dass die Leitung dieser (nach Ansicht der Strafrechtsexperten) von Anfang an "völlig entbehrlichen Spezialtruppe, die an die Stelle der zuvor strukturmäßig um nichts weniger sachdienlichen staatsanwaltschaftlichen Wirtschaftsgruppe trat", bisher ausnahmslos gesellschafts- oder parteipolitisch eindeutig zuordenbare Personen hatten (Walter Geyer – ein grüner Abgeordneter – beziehungsweise Ilse-Maria Vrabl-Sanda).
Durch die Schlagseite ihres bisherigen Wirkens ist die WKStA eindeutig den – freilich nie offen zugegebenen – strategischen Zielsetzungen ihrer Gründung gerecht geworden, indem sie das ihr gesetzlich zuerkannte Lenkungsinstrument der sogenannten Kompetenzkompetenz mit konsequenter Ausrichtung nützt: Sie kann alle Verfahren an sich ziehen, die sie haben will. Ob es dabei nun um die Einstellung oder die Weiterverfolgung eines Verfahrens geht.
Verdachtskonstellationen zu Lasten "rechter" Verantwortungsträger werden seither penibelst – selbst unter Verwertung von illegal produzierten Ermittlungsergebnissen und Erkundungsbeweisen – aufbereitet. Sinnfällige Verdachtskonstellationen in Richtung potenzieller "linker" Verantwortung werden entweder überhaupt nicht aufgegriffen (siehe den Fall Madoff mit Milliardenimplikation der Bank Medici bzw. UniCredit Bank Austria, siehe die zumindest medial immer wieder berichtete SPÖ-Zahlung eines sechsstelligen Eurobetrages an den Agenten Silberstein für "Dirty campaigning", die ja zwangsläufig widmungswidrig aus öffentlichen Mitteln der Parteienfinanzierung oder aus Mitgliedbeiträgen erfolgt sein muss). Oder es kommt zu Verfahrenseinstellungen ohne Ausschöpfung auf der Hand liegender Beweismöglichkeiten und ohne plausible Begründung (zum Beispiel gegen einen SPÖ-nahen Rechtsanwalt wegen Kooperation mit dem Geheimdienst Kasachstans).
Freilich: All diese Dinge sind zwar für Spitzenjuristen klar. Aber der ÖVP eher nicht. Denn diese hat seit den Zeiten eines Michael Graff, eines Andreas Khol und eines Wolfgang Schüssel absolut keine juristische Kompetenz in ihren Reihen. Sie holt sich auch keine aus den Reihen der vielen hochqualifizierten bürgerlichen Rechtsanwälte. Statt dessen schickt sie den Betriebswirt Hanger und die Immobilienrechts-Spezialistin Steinacker in rechtliche Debatten. Das lässt alle Juristen schmerzlich den Mund zusammenziehen. Sebastian Kurz hat sogar selbst dafür gesorgt, dass der Rechtsanwalt Georg Vetter aus dem ÖVP-Klub fliegt. Kurz hat halt immer bedingungslose Loyalität wichtiger als Kompetenz gereiht.
Dieser Fehler der Berührungsängste gegenüber qualifizierten Juristen (der vielleicht im Unterbewusstsein auch mit seinem nie abgeschlossenen Studium zusammenhängt) fällt Kurz jetzt, wenn auch an unerwarteter Stelle, schwer auf den Kopf. Genausowenig haben freilich auch schon vor ihm die diversen anderen Schüssel-Nachfolger begriffen, dass es dort, wo das Recht erzeugt wird, mehr als sonstwo wirkliche Rechtsexperten brauchen würde.
Andere Parteien haben das besser verstanden. Sie haben in der gleichen Zeit eine ganze Reihe exzellenter Juristen in ihren Reihen gehabt (der Pilz-grüne Alfred Noll, der sich dort im Unterschied zur stets gefügigen Alma Zadic mit Peter Pilz zerkracht hat; der rote Hannes Jarolim, der angeblich freiwillig ausgeschieden ist; und der blaue Harald Stephan beziehungsweise davor Peter Fichtenbauer, der Volksanwalt geworden ist). Freilich sind auch die inzwischen großteils aus der Politik ausgeschieden.
Deshalb ist insbesondere auch die SPÖ in jämmerliche Peinlichkeiten abgestiegen. Sie hatte sich sogar im sogenannten Untersuchungsausschuss vom Abgeordneten Jan Krainer vertreten lassen müssen, dessen Lebenslauf lediglich ein nicht abgeschlossenes Wirtschaftsinformatik-Studium nennt. Dieser Krainer kommentierte nach Medienmeldungen nun bezeichnenderweise den derzeit für Aufsehen sorgenden Komplex so: "Ob das Vorgehen im Kanzleramt legal ist, konnte er nicht sagen, sei er doch kein Jurist: ,Politisch geht es jedenfalls nicht‘."
Womit er ungewollt, aber treffend die Kritik aus Richterkreisen an der WKStA bestätigt: Da wird politisch vorgegangen, nicht juristisch.
Juristen und Philosophen würden das kommentieren mit: "Quod erat demonstrandum."
PS: Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat jetzt eine Entlastungsoffensive unter dem Motto begonnen: Wir brauchen ganz viel mehr Posten. Offenbar will sie damit andeuten: Dann würden wir uns ja auch einmal um linke Korruption kümmern. Irgendwie nett. Dabei weiß die ganze Justiz, wie viel Kapazität die WKStA hätte, hätte sie nicht schon in der Vergangenheit ihre limitierten Kapazitäten in absurde Aktionen investiert. Diese reichen von der De-Facto-Fernpsychiatrierung zur angeblichen "dunklen Rhetorik" des Sebastian Kurz bis zu den zahllosen Verfahren gegen Bezirkshauptleute, weil diese zu früh die Wahlkuverts von Briefwählern aufschlitzen haben lassen - was dann meist zu einem befremdeten Kopfschütteln der befassten Richter oder zu symbolischen Diversionsbeschlüssen geführt hat.
PPS: Eine überaus pikante Geschichte über die WKStA mit ebenfalls potenziell rechtlichen Dimensionen ist hier zu lesen.
PPPS: Bisweilen muss man die Korruptionsstaatsanwälte auch gegen ihre Feinde in Schutz nehmen. Denn unlängst begegnete mir auf der Straße ein Wunschkennzeichen mit den Buchstaben "WKSTA". Das kann sich nur ein bösartiger Feind ausgesucht (und dafür bezahlt) haben. Denn es ist einfach unvorstellbar, dass ein WKSTA-Anwalt selbst so eitel wäre ...