Ach wie nett: Alexander van der Bellen entschuldigte sich "in aller Form" bei der Bevölkerung. Horcht man näher hin, wie und wofür er sich eigentlich entschuldigt, dann entpuppt sich diese Entschuldigung jedoch gleich in mehrfacher Hinsicht als widerliche Heuchelei. Gleichzeitig verdrängt der Bundespräsident total, was der größte Skandal der letzten Woche ist, und worin die einzige wirklich notwendige gesetzgeberische Erkenntnis aus den Vorgängen bestehen müsste. Von allen fünf Parteien ist es auch nur eine einzige, die dieses Thema wenigstens anspricht. Aber auch sie hat aus Angst vor den Medien die Konsequenzen aus dieser Erkenntnis sofort wieder stark relativiert.
Die zwölf VdB-Ärgernisse im Detail:
- Erstes Ärgernis: Der Bundespräsident entschuldigt sich nicht etwa für etwas, was er selbst getan oder gesagt hat. Nein, er entschuldigt sich nur für die vermeintlichen oder wirklichen Taten anderer. Das ist zwar schon mehrfach von Politikern getan worden, aber es ist und bleibt nichts anderes als ein neues Anpatzen dieser anderen. Es ist eine Heuchelei sondergleichen zu kommunizieren: Ach, wie bin ich im Gegensatz zu den anderen doch gut! Ach, was bin ich doch für Held der Anständigkeit, der selber nie etwas Böses gesagt hat, der sich aber dennoch schuldbewusst hinstellt. Halt der Schuld der anderen bewusst. Und damit dick auf diese angebliche Schuld hinweisend.
- Zweites Ärgernis: Van der Bellen geht nicht darauf ein, wofür er sich eigentlich konkret entschuldigt. Er spricht nur völlig allgemein von einem "Sittenbild", einem Bild, das "die Politik hier abgegeben hat" und zweimal von "Respektlosigkeit". Wo genau, verehrter Herr Bundespräsident, hat "die Politik" hier ein Bild abgegeben? Meinen Sie damit die Mails des Herrn Thomas Schmid? Wissen Sie nicht, dass das eigentlich ein Beamter war, der sich wie eine Schmeißfliege an einen Politiker herangemacht hat? Oder glauben Sie den vagen Vermutungen ihrer offensichtlichen Gesinnungsfreunde in der Korruptionsstaatsanwaltschaft, dass Sebastian Kurz den Thomas Schmid zu seinen – mutmaßlichen – Rechtswidrigkeiten angestiftet hat? Kennen Sie irgendeinen Beweis dafür? Oder hoffen Sie einfach, dass die WKStA einen solchen bei den zahllosen Hausdurchsuchungen gefunden haben könnte, die sie in der Vorwoche veranstaltet hat? Begreifen Sie nicht, dass Sie – wenn Sie keinen solchen Beweis kennen – mit diesen Worten eine ganz üble Vorverurteilung aussprechen, dass Sie sich schon für etwas entschuldigen, was zwar möglich, aber in keiner Weise bewiesen ist? Trifft das üble Wort vom "Sittenbild" dann nicht vor allem für Ihren Auftritt zu?
- Drittes Ärgernis: Was meinen Sie eigentlich genau mit "Respektlosigkeit", also dem anderen, sogar zweifach ausgesprochenen, aber dennoch total nebulos bleibenden Hinweis auf das, wofür Sie sich entschuldigen? Meinen Sie damit die Verwendung eines Schimpfwortes in einem vermeintlich vertraulichen Dialog zweier Menschen über einen anderen, den die Staatsanwälte in eindeutiger Gesetzesverletzung und Verletzung fundamentaler Grundrechte an die Öffentlichkeit gezerrt haben? Halten sie sich für die Obergouvernante der Nation, die uns Österreichern die Verwendung von Kraftausdrücken im privaten Rahmen verbieten will? Begreifen Sie nicht, dass Sie Österreich damit in die Zeit des Vormärzes zurückzustoßen versuchen (um nicht von anderen Epochen unterbundener Meinungs- und Ausdrucksfreiheit zu reden)? Damals ist es auch als "Respektlosigkeit" verfolgt worden, wenn zwei Menschen in vermeintlicher Vertraulichkeit negativ über den Kaiser gesprochen haben. Damals haben halt die Spione des Staates versteckt hinter Paravents im Gasthaus gelauscht; heute schnappen sie sich einfach unter billigen Vorwänden Handys, um auch fünf Jahre alte Dialoge zu belauschen und dann "Respektlosigkeiten" an die Öffentlichkeit spielen zu können.
- Viertes Ärgernis: Herr van der Bellen, wo gibt es auch nur eine einzige "pauschale Verunglimpfung" der Justiz, die Sie in einer weiteren Passage beklagen? Ich habe immer nur sehr konkrete Kritik an einer einzigen Staatsanwaltschafts-Behörde gehört, niemals an "der Justiz" als solcher.
- Fünftes Ärgernis: Dazu kommt die Tatsache, dass viele seriöse Richter empört sind, wenn die Staatsanwälte sich als Teil der Justiz ausgeben. Denn die von Van der Bellen so gerne gepriesene – aber offenbar selten gelesene – Verfassung garantiert einzig und allein den Richtern die Unabhängigkeit, Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit, keinesfalls den (übrigens derzeit einer grünen Justizministerin weisungsunterstellten!) Staatsanwälten. Die Staatsanwälte haben mit den Richtern einzig gemeinsam, dass sie nach einem ähnlichen – aber besseren – Gehaltsschema honoriert werden und dass sie in der gleichen Gewerkschaftsgruppe organisiert sind.
- Sechstes Ärgernis: Unabhängig von der Frage, ob Richter oder Staatsanwälte kritisiert werden, ob die Kritik einer (übrigens von einem grünen Politiker gegründeten!) Behörde gilt oder – angeblich –"pauschal" erhoben wird: Mit welchem Recht bezeichnet der Bundespräsident Kritik sofort mit dem sehr abwertenden Wort "Verunglimpfung"? Fiel da irgendwo ein Schimpfwort? Oder hat die Staatsmacht da beim heimlichen Abhören ein solches gehört? Darf man am Ende die Justiz nicht mehr kritisieren? Steht das in der Verfassung oder den Menschenrechtskatalogen? Weiß er nicht, dass diese Menschenrechte den Bürgern sogar im Gegenteil eindeutig das Recht auf "Urteilsschelte" zubilligen, also auf Kritik sogar an den Entscheidungen eines Richters und natürlich erst recht einer weisungsgebundenen Behörde? Oder übernimmt Van der Bellen wieder einmal nur ohne langes Nachdenken das Wording der Linksparteien, mit denen diese versuchen, jede Kritik an den vielen Fehlern der Korruptionsstaatsanwaltschaft als "pauschale Verunglimpfung der Justiz" unmöglich zu machen?
- Siebentes Ärgernis: Warum gibt es nicht den Hauch einer Kritik Van der Bellens an den eindeutigen Grundrechtsverletzungen durch die Korruptionsstaatsanwälte? Deren letzte und kühnste war jetzt die Veröffentlichung reiner Privatdialoge zweier Menschen, obwohl diese keinerlei rechtliche Relevanz haben. Einziger Zweck der Veröffentlichung war das – erfolgreiche – Anpatzen eines von diesen Staatsanwälten nicht gemochten Politikers.
- Achtes Ärgernis: Bedeutet "Datenschutz" für ihn nur, dass man im Internet dauernd durch irgendwelche Cookie-Hinweise genervt zu werden hat, die man halt ständig ungelesen wegklickt? Bedeutet "Meinungsfreiheit" für ihn nur, dass man die gleiche Meinung wie die Grünen haben darf? Warum empört ihn lediglich die Verwendung des Wortes "Arsch" über einen Vizekanzler im Privatgespräch und nicht viel mehr die massive und öffentliche Verletzung der Grundrechte durch die Staatsmacht?
- Neuntes Ärgernis: Warum "erwartet" der Bundespräsident sich nur, dass die Justiz "ungestört" arbeiten kann – also offenbar ungestört von Kritik? Und nicht, dass sie auch schnell arbeitet, damit der von diesen Staatsanwälten angerichtete Schaden wenigstens nur zu einem befristeten wird? Vor allem sollte sich ein Bundespräsident korrekterweise erwarten, dass nicht viel mehr Bürger verfolgt werden, als dann rechtskräftig verurteilt werden. Was aber leider geradezu ein Markenkennzeichen der Korruptionsstaatsanwaltschaft ist.
- Zehntes Ärgernis: War es nicht der Bundespräsident selber, der ebenfalls Justiz-Entscheidungen kritisiert hat, als diese ihm nicht gefallen haben, als es nämlich um die Abschiebung illegaler Migranten gegangen ist? Ist es dabei nicht sogar um Urteile gegangen und nicht bloße Aktionen von Staatsanwälten?
- Elftes Ärgernis: Begreift der Bundespräsident nicht, dass die Demokratie am Abgrund steht, wenn ein paar – zum Unterschied von einigen anderen Staaten völlig demokratiefern ins Amt gekommene – Staatsanwälte mit ein paar beweisfrei vorgebrachten Anschuldigungen und grundrechtswidrig in die Öffentlichkeit getragenen Privatzitaten einen eindeutig demokratisch ins Amt gekommenen Regierungschef binnen weniger Stunden stürzen können? Oder meint er, dass diese Staatsanwälte über der Demokratie stehen?
- Zwölftes Ärgernis: Warum fällt dem Bundespräsidenten nicht das ein, was zumindest andeutungsweise den Neos eingefallen ist, nämlich der dringende Reformbedarf im Bereich der völlig freihändig und unkontrolliert vergebenen Bestechungsinserate aus öffentlichen Mitteln? Stört den Bundespräsidenten wirklich die Verwendung des Ausdrucks "Arsch" in einem Privatgespräch weit mehr als die skandalöse Verschwendung von Steuermitteln zu dem einzigen Zweck, bestimmte willfährige Medien zu bestechen, damit sie wohlwollend über den diese Mittel verteilenden Politiker berichten? Weiß er nicht, dass da der Haupttäter eindeutig im Wiener Rathaus sitzt? Oder redet er gerade deshalb nicht darüber, um die Grünen zu schützen, die ja mitschuldig geworden sind an diesem Korruptionsskandal, als sie viele Jahre im Wiener Rathaus mitregiert haben, von wo ja die Vergabe der meisten Mittel organisiert wird?
Noch eine Anmerkung zu dem Neos-Vorstoß. So erfreulich ihr Vorstoß prinzipiell auch ist, so deutlich muss man auch sie darauf hinweisen, dass sie beim Einzug in die Wiener Rathauskoalition diesbezüglich keine Änderung verlangt haben. Wobei freilich offen bleiben muss, ob sie als kleinerer Partner zu schwach dafür waren oder ob sie ganz froh sind, jetzt ebenfalls selbst ein bisschen bei der Inseratenvergabe mitnaschen zu dürfen. Wenig erfreulich ist auch, dass die Neos gleichzeitig eine Erhöhung der Presseförderung verlangen.
Zugegeben: Bei der von den Neos angedeuteten Lösung wäre zumindest der skandalöse Kauf der Berichterstattung und Kommentierung einzelner Medien durch Politiker beendet. Das ist positiv – zumindest dann, wenn das Gesetz so klar gemacht werden kann, dass es zur Gänze auch für Länder, Gemeinden und deren Betriebe gilt, dass es auch sonst keinerlei Hintertürchen ermöglicht. Sonst würde ja die Inseratenkorruption nur noch mehr in einen nicht mehr durchschaubaren Nebel verschoben werden. Aber für eine Partei, die sich bisweilen als "liberal" bezeichnet, ist es ziemlich arg, gleichzeitig zu einem Weitergehen der Inserate – das halt nur auf einer irgendwie objektivierten Basis erfolgen soll – auch noch eine Erhöhung der Medienförderung zu verlangen. Und als "liberale" Partei kein Wort zu den ORF-Zwangsgebühren zu sagen.
Warum, liebe Neos, soll es überhaupt eine Medienförderung geben? Warum gibt es keine Brot-, Unterhosen- oder Friseur-Förderung? Nur weil sich die Politik abhängig fühlt von den Medien? Warum können es nicht die Bürger, die Leser, die Seher und Hörer sein, die durch ihren Kauf, ihren Abo-Abschluss selber über die Zukunft der Medien bestimmen? Fürchten sich auch die Neos so sehr vor der Rache der Medien, dass sie diese eigentlich logische Frage nicht anzuschneiden wagen? Wissen sie nicht, dass das Image der Medien so schlecht ist, dass ihnen das eigentlich egal sein kann?
Und warum, bitte, sollen eigentlich ganz besonders die auf Papier erscheinenden Medien gefördert werden? Begreift man nicht, dass das heute nur noch mit der Förderung von Pferdekutschen trotz allgemeiner Automobilisierung vergleichbar ist?
PS: Natürlich muss eine echte Abschaffung der Medienbestechung der Politik auch den Umweg über das öffentliche Eigentum an Medien radikal abschneiden. Solche Medien sind ja noch viel abhängiger von der Politik als mit Inseraten gefütterte. Auch das ist wieder vor allem in Wien ein Riesenproblem, wo die Gemeinde schon zahllose Medien zum Teil oder ganz besitzt. Zuletzt hat sie den Vorwand der Corona-Förderung benutzt, um sich schon wieder bei weiteren Medien einzukaufen, wie etwa bei der Illustrierten "Wiener". Wenn das so weitergeht, braucht das Wiener Rathaus bald keine Bestechungsinserate mehr zu vergeben …
PPS: Köstliche Antworten hat ein Bürger erhalten, als er in der ÖVP-Zentrale angerufen und gefragt hat, warum man nicht diverse offenkundige Gaunereien der SPÖ und Grünen in die Öffentlichkeit bringt. Die Antwort des Mitarbeiters einer derzeit offensichtlich durch die konzentrierten Attacken völlig zerbrechenden Partei: "Na jo, bei uns is jo ah nit ois in Ordnung ..."
zur Übersicht