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Es ist eine der erstaunlichsten Entwicklungen der europäischen Zeitgeschichte. Viele Jahre lautete einer der häufigsten Kritikpunkte an der EU: Diese sei undemokratisch, weil das EU-Parlament als einzige direkt vom Volk gewählte Institution der EU viel zu wenige Rechte habe. Inzwischen hat es zwar deutlich mehr Macht – jedoch hat sich das aufgewertete EU-Parlament mehr denn je von den Bürgern entfernt; und zugleich ist das Image von Union und Parlament schlechter denn je geworden. Das hat vier Ursachen und eine klare Folge: Es besteht keinerlei Chance – man könnte auch sagen: Gefahr – mehr, dass es bei den schon wieder laufenden Versuchen einer Reform der EU zu einer weiteren Stärkung des EU-Parlaments kommt.
Seit der Gründung von EWG/EU/EG gibt es ja bezeichnenderweise ununterbrochen solche Versuche einer Reform. Diese sind jedes Mal auf einen Kampf der europäischen Institutionen um Machtausweitung auf Kosten der Mitgliedsländer hinausgelaufen. Dieses wahre Ziel wurde zwar meist durch viel Kosmetik wie einer Namensänderung der ganzen Gemeinschaft getarnt.
Aber letztlich haben die ständigen Versuche, die EU angeblich zu verbessern, meist eine Verschlechterung einer an sich grandiosen Grundkonstruktion gebracht. Und sie haben gezeigt: Die Europäische Union ist nach wie vor alles andere als eine gefestigte Institution, deren Bürger und Institutionen eine konstante, positive und gemeinsame Selbstsicht auf die EU hätten.
Gäbe es die, bräuchte nämlich nicht ununterbrochen über eine EU-Reform geredet zu werden. Gäbe es die, würde die EU nicht geradezu neurotisch ständig Meinungsumfragen veranstalten, um herauszufinden, ob die Bürger Europas nicht vielleicht doch endlich etwas mehr Vertrauen zur EU gefunden haben.
Man vergleiche nur mit Österreich: Dort ist die Identität und Zustimmung zur Republik heute absolut selbstverständlich. Ich erinnere mich nur an einen einzigen ernsthaften Versuch der letzten Jahrzehnte, die Konstruktion der Republik grundlegend zu ändern: Das war der Verfassungskonvent in der Ära Schüssel. Der ist gescheitert, weil es keinen Konsens gegeben hatte. Darauf ist es wieder völlig ruhig geworden. Denn die Österreicher sind im Grund zufrieden mit ihrem Staat, auch wenn es da und dort holpert, mit der internen Machtverteilung und ihrer nationalen Identität. Sie sehen daher kaum Verbesserungsdarf bei der Grundkonstruktion der Republik.
Als Einschub sei daran erinnert, dass das auch im Falle Österreichs nicht immer so gewesen ist: So sind vor hundert Jahren noch alle drei großen Lager ganz massiv für den Anschluss der Überreste der Monarchie an Deutschland eingetreten. Dieses Ziel haben zuerst die christdemokratischen Schwarzen angesichts der Machtergreifung Hitlers aufgegeben; nach dem zweiten Weltkrieg verschwanden auch bei den Sozialisten die letzten Sehnsüchte nach dem großen Bruder im Norden; und selbst bei der FPÖ, die am längsten großdeutsch gewesen ist, werden seit der Ära H.C. Straches nur noch rot-weiß-rote Fahnen geschwungen (übrigens ein Verdienst Straches, das bei objektiver Bewertung nicht ganz im Skandalstrudel seiner sonstigen Dummheiten untergehen sollte).
Kleines Beispiel für die Entwicklung des heutigen Österreich zu einer allgemeinen Selbstverständlichkeit: In meiner Jugend hat im Stadion bei Länderspielen niemand die österreichische Bundeshymne mitgesungen. Heute hingegen tun das voll Inbrunst alle (obwohl die Hymne leider keineswegs so melodisch und rhythmisch schwungvoll ist wie die vieler anderer Länder, wie etwa die antiösterreichische Hasshymne Italiens, oder wie die Hymnen Deutschlands und der EU, die ja beide pikanterweise Meisterwerken der Wiener Klassik entnommen worden sind, während sich das Nachkriegs-Österreich eine langweilige Freimaurermelodie mit umstrittenem Ursprung ausgesucht hat). Die Stadionsänger tun das keineswegs nur, um durch das lautstarke Singen des ursprünglichen Textes von der "Heimat großer Söhne" gegen das feministische Diktat zu protestieren. Sie zeigen vielmehr damit auch ihr selbstverständlich gewordenes Österreichertum.
Dem steht weit und breit kein ebenso selbstverständliches Europäertum gegenüber. Ein solches hat sich bestenfalls in den sechs Gründungsländern entwickelt – aber das sind eben nur 6 Staaten von heute 27.
Was sind aber nun die mit diesem Identitätsdefizit eng verquickten Wurzeln der Imageprobleme des EU-Parlaments? Die relative Jugend der europäischen Integration kann es ja nicht sein, vor allem auch, weil die EWG in ihren Gründungsjahrzehnten ein eindeutiger Erfolg gewesen ist.
Die erste Wurzel der Parlamentskrise ist der Umstand, dass die EU-Abgeordneten die meiste Energie darauf ausrichten, noch mehr Macht und Kompetenzen für sich zu erringen. Das stößt ab.
In vielen Ländern gibt es zwar auch Konflikte und Machtkämpfe zwischen Parlament und Regierung – man denke nur an die unerquicklichen Untersuchungsausschüsse des österreichischen Parlaments. Aber beim EU-Parlament kommt dramatisch verschlimmernd hinzu: Es will nicht nur EU-intern aufgewertet werden, sondern es will auch (so wie der EU-Gerichtshof) der Union ständig neue Kompetenzen auf Kosten der Mitgliedsländer zuschanzen, die dadurch immer mehr in den Status einer bloßen Provinz gedrängt werden.
EU-intern hat die Aufwertung des Parlaments dazu geführt, dass die mühsame Suche nach Kompromissen zwischen EU-Kommission und dem die Mitgliedsländer vertretenen EU-Rat nun auch noch die Notwendigkeit umfasst, gleichzeitig auch einen Konsens mit dem Parlament zu erzielen. Das kommt letztlich bei den Bürgern meist als abstoßende Streiterei zwischen den Institutionen an, die dadurch verschlimmert, dass Abstimmungsergebnisse im EU-Parlament oft völlig unvorhersehbare Zufallsergebnisse bringen. Während es in nationalen Parlamenten übersichtliche Fraktionen, Mehrheiten und Koalitionen gibt, die sich dann nach der nächsten Wahl wieder ändern, wirkt das Agieren des EU-Parlaments chaotisch. Überdies ist sein Kollektivverhalten durch Wahlergebnisse nicht wirklich beeinflussbar. Es scheint im Gegensatz zu von Wahlen abhängigen nationalen Parlamenten immer absolut das Gleiche zu wollen: Mehr Macht für sich und die EU.
Hingegen haben die Bürger vieler Nationen den klaren Wunsch, dass sich die EU nur auf das beschränkt, wo sie gut und erfolgreich ist – also auf die Vermehrung des Wohlstandes durch einen gemeinsamen Binnenmarkt. Den Ambitionen der meisten EU-Abgeordneten genügt das überhaupt nicht. Sie wollen in ihrer Regelungsgier ständig noch mehr Aspekte des individuellen wie des nationalen Lebens regeln, die mit dem ursprünglichen Zweck der Brüsseler Gemeinschaft überhaupt nichts zu tun haben, die bisher gar nicht oder nur national geregelt gewesen sind.
Mehr Macht und mehr Kompetenzen für die EU bedeuten immer auch mehr Macht für das EU-Parlament. So ist fast logisch, dass der einzige relevante Widerstand gegen die schlimmste Fehlentwicklung der EU der letzten Jahre nicht im EU-Parlament artikuliert worden ist, sondern im sogenannten Rat. Dort haben sich einige Länder, darunter auch Österreich, dagegen aufzulehnen versucht, dass die EU durch Aufnahme eines eigentlich laut Vertrag verbotenen Großkredits nun auch (neben der EZB) Schuldnerstaaten finanziert.
Österreich & Co haben beim Widerstand dagegen zwar verloren, aber sie haben es immerhin versucht. Im EU-Parlament hat es keinen relevanten Widerstand gegeben.
Die zweite Wurzel der Imageprobleme des EU-Parlaments liegt in der Tatsache, dass praktisch keine Partei dorthin Spitzenleute entsandt hat. Dort sitzen fast nur Abgeordnete der zweiten Garnitur, aus der Riege der Ehemaligen und solche, die dorthin abgeschoben worden sind (Motto: Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa). Gibt es etwa noch irgendjemanden, der glaubt, dass ein Othmar Karas in Österreich noch jemals etwas werden könnte – obwohl er sich im EU-Parlament ununterbrochen mit Wortmeldungen zu profilieren versucht? An seiner Irrelevanz würde sich auch dann nichts mehr ändern, würde sich der Inhalt der Karas-Wortmeldungen nicht ständig gegen die eigene Partei richten.
Ein einziges Mal hat eine größere Partei in den letzten Jahren versucht, einen EU-Parlamentarier, der sogar ein früherer Parlamentspräsident ist, als nationalen Spitzenkandidaten aufzustellen. Sie ist kläglich damit gescheitert und hat mit dem Mann aus der EU das schlechteste Ergebnis der ganzen Nachkriegszeit erzielt. Das war die SPD beim letzten Mal mit Martin Schulz – während sie bei den jetzigen Bundestagswahlen mit dem Fast-Namensvetter Olaf Scholz an der Spitze viel bessere Chancen hat. Dieser ist bezeichnenderweise nie im EU-Parlament gesessen – ebenso wie sämtliche andere Spitzenkandidaten in Deutschland (oder Österreich).
Die dritte Wurzel der Qualitätsprobleme des EU-Parlaments ist die ideologische Haltung seiner ständigen Mehrheit, und zwar nicht nur beim Dauermotto: "Wir wollen noch mehr zentralisierte Macht". Das EU-Parlament steht auch in vielen anderen Fragen deutlich linker als die meisten nationalen Parlamente. Deswegen fordert nicht nur der ungarische Regierungschef, dass wieder die nationalen Parlamente gegenüber dem Straßburg-Brüsseler Wanderparlament aufgewertet werden sollen.
Wie ist diese politische Schlagseite im EU-Parlament zustandegekommen? Eindeutig damit, dass sich ein Teil der rechten Parteien Europas zum Teil sogar heftig als EU-Kritiker positioniert hat. Das hat die logische Folge, dass ihre Wähler viel weniger Lust haben als die Wähler anderer Parteien, an EU-Wahlen teilzunehmen. Diese fragen sich: Warum soll ein antieuropäisch gesinnter Mensch überhaupt an europäischen Wahlen teilnehmen? Viele von ihnen wollen der EU ihre Verachtung dadurch zeigen, dass sie EU-Wahlen ignorieren. Und vergessen, dass sie dadurch erst recht den Linken die EU überlassen.
Interessant ist dabei aber auch der Wechsel vieler Linksparteien von ihrer einstigen EU-Gegnerschaft zur flammenden Befürwortung. So war die SPÖ bis 1989 stets gegen einen Beitritt Österreichs. So waren die österreichischen Grünen noch beim EU-Beitrittsreferendum 1994 vehemente Gegner eines Beitritts. Heute hingegen treten beide so auf, als ob sie die Europäische Union erfunden hätten.
Was waren die Ursachen dieses Haltungswechsels?
Vierte Wurzel: Die bürgerlichen, konservativen, rechtsliberalen, christdemokratischen Parteien hingegen, die in den Anfangsjahrzehnten die EU (EG, EWG) geprägt haben, haben oft gar nicht richtig mitbekommen, dass sie selbst in ihrer Europabegeisterung der schrittweisen Verwandlung der EU rund um die Jahrtausendwende in ein linkes Instrument ermöglicht haben. Sie waren über das Proeuropäisch-Werden vieler Linker so froh, dass sie der Umwandlung der EU in eine Agentur des linken Lifestyle-Liberalismus zugestimmt haben.
Überdies teilen heute auch viele bürgerliche EU-Exponenten die Überheblichkeit, ja Verachtung der Linken gegenüber jenen Ländern, die mutig und tapfer nach 40 Jahren durch nationale Erhebungen den Kommunismus abgeschüttelt hatten. Dabei haben damals die bürgerlichen Politiker Westeuropas wesentliche Hilfe für den Freiheitkampf der Ostnationen geleistet. Es sei an die Namen Kohl, Genscher und Mock erinnert. Die Linken haben diesen Freiheitskampf nie unterstützt – und zeigen jetzt den Osteuropäern ihre Ablehnung.
Einige konkrete Beispiele aus dem Wirken des heutigen EU-Parlaments seien noch zitiert, um diese Analyse eines Linksrucks und eines geradezu fanatischen Kampfes für eine europäische Machtzentralisierung gegen den Willen der Mitgliedsländer zu untermauern:
Kein Zweifel: Das EU-Parlament ist das zweifellos linksradikalste Parlament ganz Europas, das gleichzeitig einen massiven Überlegenheitsradikalismus gegenüber den Osteuropäern praktiziert, den man auch als neuen Anti-Ostrassismus bezeichnen könnte.