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Herz, Hirn und Bilder

Nicht dass es eigentlich von Interesse wäre, wenn eine Ex-Politikerin die grüne Partei verlässt – die Begründung ist aber unglaublich symptomatisch dafür, was bei uns unter Politik verstanden wird. Also twitterte Birgit Hebein bei ihrem Parteiaustritt: "Die Grünen erreichen mein Herz nicht mehr." Das Herz – wirklich? Wie wär’s mit dem Hirn?

Das ist bei vielen Themen die entscheidende Frage.

Die Flüchtlingsfrage etwa wird auf links-gutmenschlicher Seite nur über die Herz-statt-Hirn-Schiene abgehandelt. Das Versagen des hochgelobten alten Mannes im Weißen Haus hat das grausamste Mittelalter nach Afghanistan zurückgebracht – das ist schrecklich. Die Bilder der Fluchtpanik am Flughafen von Kabul aber reichen offensichtlich nicht aus, um Stimmung zu machen: Es muss das Bild sein, wie ein Vater sein Baby einem amerikanischen Soldaten übergibt.

Ja, es schnürt einem das Herz bei diesem Anblick ab, so wie seinerzeit das Bild des toten Bootsflüchtlingskinds am Strand von Italien. Dass das afghanische Baby wieder beim Vater ist, und der Vater des ertrunkenen Kindes selbst für das Überladen des Schlauchboots verantwortlich gewesen war, wird schnell wieder vergessen und hindert keinen Herz-Ansprecher daran, die schrecklich anrührenden Kinderbilder in Endlos-Schleife weiter zu zeigen, um die gewünschte Stimmung zu erzeugen.

Freilich ist gerade in der Flüchtlings-Frage das Herz sicher nicht der beste Ratgeber. Ein Politiker müsste das wissen – und darum ist auch die unaufgeregte, sachliche Argumentation des Sebastian Kurz ein mehr als wohltuender Kontrast: Wir haben schon eine überproportional große Afghanen-Community, die sich aber viel schlechter als andere Asylantengruppen integrieren lässt. Darum keine freiwillige Aufnahme weiterer Flüchtlinge, argumentiert Kurz. Der Unterschied ist fein: "Unfreiwillig" – bezeichnet die vielen illegalen "Schutzsuchenden", die wir in dem Moment aufnehmen müssen, wo sie Asyl einfordern.

Und dazu hat uns die burgenländische SPÖ nun anschauliches Zahlenmaterial geliefert. Kaum packte die Herz-Lobby mit dem Wiener Bürgermeister an der Spitze die Trumpfkarte "Holen wir die armen Burka tragenden Afghaninnen her" aus, ließ Doskozil die Realität durchsickern: Seit Jahresbeginn sind demnach knapp 8000 Personen über die burgenländische Grenze gekommen, 20 Prozent davon aus Afghanistan. Unter den rund 8000 Personen waren aber nur acht Prozent Frauen und zwei Prozent Kinder. Das ist nicht gut fürs Herz.

Ein Politiker mit Hirn weiß aber, dass man weder die eigene Bevölkerung überfordern, noch die Integrationunsfähigkeit mancher Gruppen hinunterspielen darf. Und er weiß vor allem, dass auch die bemitleideten Frauen Anspruch auf Familien-Nachzug haben.

Auch beim Klima-Retten wird gern aufs Herz gesetzt – da kommen dann die rührenden Bilder von den Eisbärenbabies, die alle, alle ertrinken werden, wenn es im Meer keine Eisschollen mehr gibt. Dass das Problem ein ganz anderes ist – nämlich, dass die Eisbären sich anpassen und an Land übersiedeln werden (was für den Menschen ordentlich gefährlich werden kann), weiß jeder Zoologe. Aber das Leid der kleinen kuscheligen Eisbären spricht die Herzen eben mehr an als alle Schauergeschichten über das CO2. Und wenn wir alle demnächst bluten müssen, um uns eine klimaneutrale Heizung, ein E-Auto und nachhaltige Kleidung zu leisten, soll doch wenigstens das Herz auch ein bisschen mitblute n…

Es wird von der Herzlobby auch immer ein anderes Ziel hinter den mitleidtriefenden Bildern versteckt. Da wird das traurige Bild von den frierenden Mindestpensionisten bemüht, um das Versicherungsprinzip auszuhebeln und endlich zu einer Einheitspension zu gelangen. Und vor allem sollen die derart aus gutem Herzen "Beschenkten" dann richtig wählen. Armutsgefährdete Kinder werden immer dann in die Diskussion gebracht, wenn wieder einmal Vermögens- und Reichensteuern durchgesetzt werden sollen. Schon deshalb sollte man bei allen Herz-Schmerz-Anflügen der Politik misstrauisch sein.

Gefühle sind in der Politik immer kontraproduktiv. Wenn sie für einen bestimmten Zweck eingesetzt werden, sind sie sogar gefährlich. Die Menschen wissen das auch – und wollen klare Köpfe an der Staatsspitze, die sich vom Verstand leiten lassen – und deswegen ja weder herz- noch mitleidlos sein müssen. Auch wenn sie das Herz von Frau Hebein nicht ansprechen.

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