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Die Koalition verknüpft Unvereinbares - merkt es aber gar nicht

Als im Jänner 2020 in Österreich eine große Mitterechts-Partei mit einer kleinen Linksaußen-Partei eine "Koalition des Besten aus zwei Welten" bildete, fragte sich das ganze Land, wie das denn gehen kann, wie Unvereinbares plötzlich vereinbar werden soll. Jedoch: Es kam völlig anders, als alle gehofft oder befürchtet haben.

Die ersten anderthalb Jahre der schwarz-grünen Koalition brachten zwar keinerlei Klärung der inhaltlichen Inkompatibilität der beiden Parteien. Aber lange redet Österreich kaum darüber. Es war keineswegs nur die Pandemie, welche die vielen Widersprüche übertüncht hat. Diese Periode wurde vielmehr von personellen Problemen der Koalition und einem Krieg zwischen der ÖVP und linksradikalen Staatsanwälten des grünen Justizministeriums dominiert.

Bei der Pandemie-Bewältigung selbst haben ÖVP und Grüne hingegen recht ähnlich getickt. Es gab keine tiefgreifenden ideologischen Unterschiede. Das ließ die Österreicher fast vergessen, dass ansonsten vieles gar nicht zusammenpasst. So insbesondere:

  1. die ablehnende Haltung der ÖVP gegen illegale Einwanderer vs. die überaus immigrationsfreundliche Haltung der Grünen;
  2. die Wirtschaftsorientierung der ÖVP vs. die Wirtschaftsfeindlichkeit der Grünen;
  3. die Budgetdisziplin und Sparsamkeit achtende Linie der ÖVP vs. die Ausgabenfreudigkeit der Grünen;
  4. die Familienfreundlichkeit der ÖVP vs. die LGBTQ-Orientierung der Grünen;
  5. die auf "Klimarettung" konzentrierten Grünen vs. die Rücksicht der ÖVP auf Konsumenten, Autofahrer und Energieversorgungssicherheit.

Die Corona-Krise konsumierte zwar den weitaus größten Teil der Koalitionsarbeit. Inhaltlich gab es in diesem Themenkreis jedoch nur geringe Kontroversen. Die ÖVP betonte ein wenig mehr die individuelle Freiheit, während die Grünen meistens den Akzent eher auf strenge Lockdown-Regeln legten. aber letztlich fand man sich immer.

Für Paukenschläge sorgten hingegen gleich zwei überraschende und eher peinliche Ministerrücktritte nach wenigen Monaten im Amt. Arbeits- und Familienministerin Christine Aschbacher von der ÖVP musste über Nacht gehen, als eine Plagiatsaffäre wegen ihrer Dissertation platzte, die sie – obwohl auf deutsch – auf einer Fachhochschule ausgerechnet in der Slowakei vorgelegt hatte.

Der zweite Rücktritt war der des grünen Gesundheitsministers Rudolf Anschober. Er wurde zwar offiziell mit Gesundheitsproblemen begründet, hing aber vor allem mit der massiven Überforderung Anschobers zusammen. Der gelernte Volksschullehrer Anschober scheiterte (wie viele internationale Kollegen) in dieser Jahrhundertkrise sowohl an den medizinischen wie organisatorischen wie grundrechtlichen Fragen.

So unterschiedlich die Gründe beider Rücktritte auch waren, so ähnlich war die jeweils getroffene Nachfolgeregelung. Denn beide Male folgten nicht Politiker auf Politiker, sondern Sach-Experten. Ins Arbeitsministerium kam der Wirtschaftsforscher Martin Kocher und ins Gesundheitsministerium der Arzt Wolfgang Mückstein.

Das wurde eine Zeitlang von allem Medien laut bejubelt. Sachexperten sind auch für die anderen Parteien viel weniger als Angriffsziel geeignet denn Persönlichkeiten, die aus einem Parteiapparat kommen. Kocher gelang es dementsprechend bisher, ohne sonderliche Kontroversen und Fehltritte durchzukommen. Mückstein hingegen lieferte gleich eine Doppelpanne (nachdem seine provokanten Tennisschuhe bei der offiziellen Angelobung noch vielfach beklatscht worden waren).

Mückstein warf Bundeskanzler Sebastian Kurz nämlich vor, "Luftschlösser" zu bauen, während er selbst für eine "Orientierung auf der Basis von Fakten" stünde. Kurz hatte davor eine Lockerung der Corona-Maßnahmen ab dem 17. Juni in Aussicht gestellt, was Mückstein wie etliche andere Ärzte für verfrüht hielt. War diese öffentliche Verhöhnung des eigenen Regierungschefs schon ungewöhnlich genug, so war dann Mücksteins weiteres Verhalten noch viel eigenartiger. Denn zwei Tage nach seinem Vorstoß gegen allzu rasche Lockerungen marschierte Mückstein plötzlich selbst in die Gegenrichtung.

Dies geschah offensichtlich auf Druck seines eigenen Parteichefs, des Vizekanzlers Werner Kogler. Dieser erkannte als gelernter Politiker, dass es für die Grünen brandgefährlich ist, sich zu sehr als Verbots- und Einsperrpartei zu profilieren. Jedenfalls plädierte Mückstein plötzlich selbst für Lockerungen – und zwar sogar schon ab 10. Juni. Was die ÖVP sofort begierig aufgriff, weshalb dann schon ab diesem Datum die nächsten Lockerungen kamen.

Diese doppelte Panne Mücksteins zeigt: Reines Expertentum reicht halt nicht aus. Ein Ministerjob braucht vielmehr mindestens genauso Fingerspitzengefühl, Vorsicht und politische Erfahrung. Seither hält sich der Gesundheitsminister mit Alleingängen ganz eindeutig zurück.

Umgekehrt kam aber auch die ÖVP heftig unter Druck und zwar durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft des grün geführten Justizministeriums. Nach der Reihe nahm diese einst von einem grünen Ex-Abgeordneten gegründete Behörde Strafverfahren gegen ÖVP- (und auch FPÖ-)Politiker auf. So gegen Kurz wegen Falschaussage (durch einen missverständlichen Satz vor einem parlamentarischen Ausschuss). So gegen Finanzminister Blümel wegen Bestechung (weil ein Unternehmer in einem SMS an Blümel "Spende" geschrieben hatte). So gegen eine ÖVP-Abgeordnete (weil sie in ihrem Hauptberuf zu wenig und für die ÖVP zu viel gearbeitet hätte). Zugleich hat die grüne Justizministerin zwei ÖVP-nahe Spitzenbeamte suspendiert.

Was die ÖVP besonders empört: Zahllose mindestens ebenso gravierende Vorwürfe gegen SPÖ-Politiker haben diese Korruptionsstaatsanwaltschaft bisher überhaupt nicht interessiert. Von ÖVP-nahen Juristen fiel sogar der Vorwurf, dort sei ein "Putsch" in Gange. Die anderen Parteien warfen der ÖVP hingegen vor, die Unabhängigkeit der ganzen Justiz in Frage zu stellen (obwohl immer nur diese Spezialstaatsanwaltschaft kritisiert worden ist).

Damit ist jetzt plötzlich ein dramatisches Justiz-Match in Gang, dessen Ausgang völlig offen ist. Es überdeckt aber jedenfalls die eigentlichen Probleme des Landes und lässt die fünf aufgezählten zentralen Dissenspunkte völlig ungelöst und unbehandelt. 

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