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Unfassbar. Das war der Olympiasieg der niederösterreichischen Radfahrerin Anna Kiesenhofer. Unfassbar toll gleich in mehrerlei weit über den Sport hinausgehenden Hinsicht, aber auch unfassbar peinlich in einer anderen.
Überaus begeisternd am Sport ist es immer, wenn ein totaler Außenseiter gewinnt. Das macht Sport nicht nur spannend. Das macht ihn auch zum Hoffnungsträger für alle vermeintlich ewigen Loser. Millionen Kinder und Jugendliche können aus Kiesenhofers Sieg die wichtige Botschaft mitnehmen: Du hast immer eine Chance, wenn du dich anstrengst, wenn du die Zähne zusammenbeißt, wenn du dich nicht in wehleidiges Opfergetue verkriechst und alle anderen anklagst, sondern selbst zeigst, dass du besser bist.
Dieser Sieg eines Underdogs sollte auch eine Lehre für alle sich überlegen Dünkenden sein, die im Glauben jubeln, sie hätten schon gewonnen, die bisweilen – so wie bei diesem Radrennen in Japan – gar nicht mitbekommen, dass da ein solcher Außenseiter, den man überhaupt nicht beachtet hat, schon lange vorher im Ziel angekommen ist. Und noch dazu mit einem solchen Vorsprung, dass die stolzen Favoriten ihn aus dem Auge verloren haben.
Fast noch unfassbarer toll und wichtig ist die Tatsache, dass die Goldmedaillensiegerin auch eine hochqualifizierte Wissenschaftlerin ist. Offenbar hat sie auch dort die Zähne zusammengebissen und sich angestrengt: Ich kann es, wenn ich nur will.
Das ist vor allem deshalb besonders wichtig, weil sie das in einer der MINT-Disziplinen ist, weil wir ja an allen Ecken und Enden erkennen, dass wir gerade dort gute und ehrgeizige Wissenschaftler so dringend brauchen. Dass wir mehr MINT-Wissenschaftler (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) brauchen, wenn wir im internationalen Wettbewerb nicht zurückfallen wollen. Dass Mathematik kein (Ab-)Schreckensfach ist, sondern die faszinierende Urmutter der Logik, des Denkens. Dass es keinesfalls um ein Absenken der Leistungsanforderungen gehen darf (und schon gar nicht mit dem Argument: "Na, ja bei Mädchen darf man ja nicht so streng sein", wie es immer wieder von manchen Schulen und sogar Fachhochschulen zu hören ist), sondern um eine Steigerung der Anforderungen – wenn auch verbunden mit Förderung und Motivierung.
Noch begeisternder ist, dass die Goldmedaille UND der gleichzeitige Aufstieg in die internationale Wissenschaftselite von einer jungen Frau geschafft worden ist, während die österreichischen Männer bei Sommerspielen weiterhin auf einen solchen Erfolg warten müssen. Sie hat mit absoluter Sicherheit den Weg zum Sieg von der ersten Startminute an durchgezogen und geschafft. Und sie hat in den letzten Jahren den Weg an und über internationale Spitzenuniversitäten geschafft, weil sie als Person und Mathematikerin Spitze ist, und nicht weil sie dort einen Frauenbonus gehabt oder gar als Quotenfrau von irgendeinem Prozentsatz profitiert hätte.
Noch in mehreren anderen Richtungen ist Kiesenhofer ein Schlag ins Gesicht des modischen Zeitgeistes:
Wenn der österreichische Wissenschaftsminister klug ist, engagiert er Frau Kiesenhofer schon morgen als Role Model, als Vorbild, das durch Schulen und Jugendklubs tourt, um die Botschaft drüberzubringen:
Ja, ihr schafft es! Ihr könnt auch die Doppelbelastung schaffen, gleichzeitig top zu sein, top in der wissenschaftlichen Karriere und top im Sport (oder top in der Familie)! Ihr müsst euch nur von der ersten Minute an anstrengen und den Erfolg wirklich wollen! Und dabei – wenn ihr Mädchen seid – nicht auf Quoten oder irgendeinen sonstigen Genderscheiß zu setzen, weil euch das ja nur abwerten würde, wenn ihr Erfolg habt! Oder in Kiesenhofers eigenen Worten: "Wenn ich an den Start gehe, will ich gewinnen!"
Wenn man so eingestellt ist, dann darf man nach dem Erfolg auch unglaubliche Emotionen zeigen, darf gleichzeitig weinen, lachen und Schmerz empfinden.
All die Assoziationen, die die Olympiasiegerin auslöst, sind lauter unglaublich positive Aspekte dieses Tages. Das darf aber nicht dazu führen, dass man die unfassbare Peinlichkeit des ORF übergeht. Denn der Gebührenfunk war stundenlang nicht imstande, Substanzielles über die Radfahrerin zu vermitteln, außer dass sie irgendetwas Komisches mit Mathematik macht und aus Niederösterreich kommt. Dabei hat sich der Gebührensender in den letzten Tagen ununterbrochen selbst berühmt, dass er 500 Stunden von den Olympischen Spielen sendet.
Dabei hat er jedoch nicht das getan, was für journalistische Profis das Selbstverständlichste gewesen wäre, wenn man sich auf ein solches Ereignis vorbereitet: Das wäre natürlich die Pflicht gewesen, auf zumindest zwei A4-Blättern alle harten und weichen Fakten über jeden einzelnen der teilnehmenden Österreicher zusammenzutragen, und über jeden von ihnen ein Filmchen zu machen, das ihn auch als Persönlichkeit und Mensch vorstellt. Es sind ja ohnedies nur ganze 75 Sportler, die für die Republik in Tokio antreten. Das ist im Verhältnis zu den 500 Stunden durchaus machbar, vor allem, weil man es lange vorher machen kann. Aber dazu ist man im ORF zu hochmütig oder faul. Das wäre ja harte Arbeit und Vorbereitung in Verbindung mit einigen leeren Kilometern gewesen.
Womit wir eigentlich schon wieder bei Frau Kiesenhofer sind.