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Wenn Teile der Justiz fundamentales Recht brechen

Es kann überhaupt keinen Zweifel geben: Teile der Staatsanwaltschaft, die Justizministerin, eine Reihe von Oppositionsabgeordneten (insbesondere der Neos) und anscheinend auch der VfGH sind massiv rechtsbrüchig. Die Mails und persönlichen Chat-Nachrichten der Herren Schmid, Pilnacek und Brandstetter sind es nicht. Sie geben zwar einen "tiefen Einblick in die Gedanken- und Gefühlswelt" dieser Herren (wie es der "Falter", das Zentralorgan der Linken und Verlautbarungsorgan der WKStA, formuliert hat), sie enthüllen aber keinen einzigen Rechtsbruch. Seit dem Ende des Nazi-Regimes ist die persönliche Gedanken- und Gefühlswelt eines österreichischen Bürgers niemanden etwas angegangen, außer jene, mit denen dieser Bürger seine Gedankenwelt freiwillig geteilt hat.

Als Amtsträger in einem demokratischen Rechtsstaat sollte eigentlich jeder absolut untragbar sein, der an den Inhalt der zu Unrecht in die Öffentlichkeit gelangten Gedankenwelt eines Österreichers Rechtsfolgen knüpft. Und doppelt untragbar wird er, sollte er noch dazu in irgendeiner Weise dazu beigetragen haben, dass diese Äußerungen an die Öffentlichkeit gelangen.

Die Anteile jedes Einzelnen an diesem Rechtsbruch müssten unbedingt durch einen neuen Untersuchungsausschuss, aber auch ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauches geklärt werden.

Denn es ist Tatsache: Es ist ein eindeutiger Widerspruch zur klaren Judikatur des Europäischen Gerichtshofs, dass österreichische Behörden die Inhalte persönlicher Nachrichten ohne ausreichenden Grund an sich gebracht haben. Das ist eine Verletzung der allen Österreichern und Europäern nicht nur auf Verfassungs-, sondern auch Völkerrechtsebene eigentlich garantierten Grundrechte. Schulderschwerend ist, wenn sie daran überdies in einer Weise mitgewirkt haben, bei der von vornherein eindeutig klar gewesen sein musste, dass das direkt oder indirekt auch noch zu einem Öffentlichwerden der persönlichen Gesprächsinhalte führen wird oder kann.

Der Gipfelpunkt des widerlichen Zynismus ist inzwischen durch einen Neos-Exponenten erreicht worden, der frech sagt, dass man halt für die Veröffentlichung vertraulicher Inhalte einen Ordnungsruf in Kauf nehme. Der Ordnungsruf durch den Nationalratspräsidenten ist bekanntlich ein völlig zahnloses Instrument, das sich manche Parlamentarier  insgeheim fast wie Orden stolz an die Brust heften. Wir brechen das Recht und lachen über die Konsequenz.

Wir sehen: Manche Parlamentsparteien benehmen sich wirklich so, wie sich der Hochadel bis ins 19. Jahrhundert über das gewöhnliche Volk und über das Recht erhaben gedünkt hatte. Aber das ist ja nichts Neues.

Das EuGH-Urteil

Zur rechtlichen Präzisierung, warum der Vorwurf des Rechtsbruches stimmt: Dieser basiert vor allem auf der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, der unter Verweis auf mehrere EU-Richtlinien und insbesondere die EU-Grundrechtecharta ausdrücklich festgehalten hat, was europäisches Recht ist. Entscheidungen des EuGH sind nicht nur für jedes Gericht, die Staatsanwaltschaft, aber auch den sich gerne selbst überhöhenden österreichischen Verfassungsgerichtshof bindend.

Dem europäischen Recht, so der EuGH wörtlich, stehen nationale Regelungen entgegen, "die es Behörden zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten ermöglicht, Zugang zu einem Satz von Verkehrs- oder Standortdaten zu erlangen, die geeignet sind, Informationen über die von einem Nutzer eines elektronischen Kommunikationsmittels getätigten Kommunikationen oder über den Standort der von ihm verwendeten Endgeräte zu liefern und genaue Schlüsse auf sein Privatleben zuzulassen, ohne dass sich dieser Zugang auf Verfahren zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder zur Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beschränken würde; dies gilt unabhängig davon, für welchen Zeitraum der Zugang zu den betreffenden Daten begehrt wird und welche Menge oder Art von Daten für einen solchen Zeitraum verfügbar ist." (wer sich selbst durch dieses Urteil durchkämpfen will, sollte beachten, dass beim EuGH im Gegensatz zu heimischen Rechtstexten das Relevante erst ganz am Schluss zu finden ist).

Die Schlüsselstelle ist die ausdrückliche Beschränkung der Beschlagnahme von Chats (von Mails, SMS, Anrufdaten usw.) auf ganz wenige, konkrete Delikte. Solche Beschlagnahmen sind nur dann zulässig, wenn es um "schwere Kriminalität" oder um "ernste Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" gehen sollte. In der juristischen Literatur taucht immer wieder "Terrorismus" als Beispiel dafür auf, was damit gemeint ist.

Das aber können nicht einmal die radikalsten Genossen aus dem Verfassungsgerichtshof behaupten. Dennoch hat der Gerichtshof, der innerösterreichisch eigentlich selbst den Schutz der Grundrechte als seine oberste Pflicht haben sollte, der eigentlich selbst die Grundrechtscharta und die europäischen Richtlinien kennen sollte, den Zugriff auf persönliche Kommunikationsinhalte und insbesondere auch die Weitergabe ans Parlament erlaubt, was de facto trotz aller Geheimhaltungspflichten, wie jeder Österreicher weiß, gleichbedeutend mit dem Aufkleben an öffentlichen Plakatwänden ist! Der VfGH tut dies aber dennoch regelmäßig mit der an George Orwell und Franz Kafka erinnernden absurden Begründung, diese Kommunikationsinhalte könnten "abstrakt relevant" für die diffusen Vorwürfe im U-Ausschuss sein. Was auch immer dieser Schwurbel-Ausdruck bedeuten soll.

Spätestens seit diesem EuGH-Urteil sind fast alle Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen durch die Korruptionsstaatsanwaltschaft, aber auch die Weitergabe der Ergebnisse dieser Handy- und Computer-Beschlagnahmen durch den VfGH an den Ibiza-Untersuchungsausschuss (der alles untersucht, nur nicht Ibiza) eindeutig rechtswidrig. Das alles ist also wohlgemerkt auch schon dann rechtswidrig, wenn die Kenntnis der privaten Chat-Nachrichten nur für den Behördennutzen verwendet würde und diese nicht wider alle Amtsgeheimnis- und Vertraulichkeitspflichten an die Öffentlichkeit gespielt würden.

Und es ist ebenso ganz eindeutig, dass auch Beamte Anspruch auf ein Privatleben haben und auf Gespräche, die nicht (gleichzeitig oder im Nachhinein) belauscht werden.

Im Falle des VfGH ist noch eine dritte eindeutige Rechtsverletzung durch den Präsidenten Grabenwarter selber zu vermerken. Denn dieser hat offensichtlich vom Verfassungsrichter Brandstetter ultimativ den Rücktritt verlangt – einzig auf Grundlage von Chats, die erstens rechtswidrig von der Behörde gegriffen und zweitens rechtswidrig von Abgeordneten an die Öffentlichkeit gespielt worden sind.

Grabenwarter hätte niemals auf solche rechtswidrig gegriffenen Privatkonversationen reagieren dürfen! Es sei denn, es wäre dadurch ein Verbrechen eines Verfassungsrichters bekannt geworden. Brandstetter warf jedoch die Nerven weg und trat unter diesem Druck zurück.

Dabei geht es in seinem Fall nicht einmal um etwas, was Brandstetter selber in dieser widerrechtlich beschlagnahmten und veröffentlichten Privatunterhaltung gesagt hat, sondern um das, was ein anderer dabei gesagt hat. Der einzige "Vorwurf" an Brandstetter: Er hat der Kritik am VfGH und den Beschimpfungen einzelner dortiger Richter in diesem Zweipersonendialog nicht ausdrücklich widersprochen.

Das macht absolut fassungslos, dass das alles passieren hat können. Und jeden Tag weiter passieren kann, weil ja vorerst niemand dem VfGH, der WKStA und den Untaten eines Parlamentsausschusses Einhalt gebieten kann.

Daran ändert der Umstand überhaupt nichts, dass Brandstetters juristische Qualitäten nie sonderlich toll gewesen sind und dass sein direkter Umstieg von einem Ministeramt in den VfGH alles andere als eine saubere Gewaltentrennung widergespiegelt hat – genausowenig wie etwa einige Jahre davor der Umstieg des Kabinettschefs des SPÖ-Kanzlers Gusenbauer in das gleiche Gremium. Aber diese Richterbestellungen waren zwar anrüchig, aber eindeutig rechtens gemäß der Bundesverfassung.

Hingegen ist das, was da jetzt passiert ist, eindeutig und dreifach Unrecht.

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die ÖVP, die ja derzeit hauptsächlich zumindest indirektes Opfer der WKStA und des VfGH ist, rechtlich grottenschlecht vertreten und beraten ist.

Daran ändert es auch nichts, dass viele der Aktionen der WKStA und des VfGH eines Tages – aber meist erst nach Jahren – vom EU-Gerichtshof mit 99,9 Prozent Wahrscheinlichkeit zu Unrecht gestempelt werden (es sei denn, dieser stellt seine Judikatur bis dahin komplett auf den Kopf). Im Fall der WKStA-Umtriebe ist allerdings schon beim Obersten Gerichtshof der Republik ein Ende zu erwarten. Da man ja dort das Recht und die Bindungswirkung europäischer Judikatur zum Unterschied von den genannten Institutionen ernst nimmt.

Wer hätte sich gedacht, dass man eines Tages auf den EU-Gerichtshof setzen muss, wenn man den Glauben nicht ganz verlieren will, dass Österreich wieder zu einem Rechtsstaat wird! Und wenn man hofft, dass der eindeutig von einigen Akteuren Schritt für Schritt an allen demokratischen Entscheidungen vorbei exekutierte Putsch wenigstens im Nachhinein als das entlarvt wird, was er ist.

Dabei gibt es viele anständige Menschen in dieser Republik, denen das alles zutiefst zuwider ist. So bin ich zufällig in einem Sozialen Medium auf Worte von Dennis Beck, einem hohen Beamten der Gemeinde Wien(!), gestoßen; dieser hat dort – auch ohne Kenntnis der EuGH-Judikatur, aber auf offensichtlich gesunder moralischer Basis stehend – geschrieben: "Private Chats und Nachrichten zu veröffentlichen, ist eine sehr heikle Sache. Finde ich nur dann legitim, wenn politische Machenschaften oder Delikte aufgedeckt werden. Ein Sittenbild vorführen zu wollen reicht nicht als Begründung, die Privatsphäre so gröblich zu verletzen."

Was Pilnacek und Schmid im Privatgespräch gesagt haben

Hinter der Empörung über so massive Grundrechtsverletzungen durch mächtige Staatsorgane und hinter dem Aufzeigen der klaren EuGH-Judikatur sind die Inhalte der rechtswidrig an die Öffentlichkeit gedrungenen Mails wirklich nur noch Fußnoten. Aber auch dazu gibt es etliches zu sagen.

  • Aus den Nachrichten des ÖBAG-Vorstandes Thomas Schmid spricht zweifellos üble und unsympathische Präpotenz, wenn er seiner Assistentin etwa schreibt, dass er sich ärgert, weil er jetzt keinen Diplomatenpass hat und sich unter den "Pöbel" mischen muss.

Aber im Vergleich zu Schmids Präpotenz sind alle jene, die sich jetzt darüber erregen, noch viel übler, widerlicher und unsympathischer, wenn sie nicht zugleich das Öffentlichwerden solcher banalen Privatunterhaltungen tadeln, wenn sie dieses nicht als viel skandalöser denn arrogante Worte empfinden.

  • Natürlich widert es an, dass Justizsektionschef Pilnacek beim steirischen Landeshauptmann um Unterstützung gebeten hat, als seine Frau OLG-Präsidentin werden wollte.

Nur: Müssten alle in der Justiz, Diplomatie oder sonstigen Hochbürokratie zurücktreten, für die interveniert worden ist, dann wären viele, viele Botschaften, Sektionschefs-Büros und Obergerichte ziemlich leer. Und ganz besonders leer wäre der Verfassungsgerichtshof (selbst bei mir sind einst köstlicherweise manche dieser Interventionen gelandet, die zwar naturgemäß kein Follow-Up durch mich hatten. Aber niemals hätte ich Inhalte von Privatgesprächen an die Öffentlichkeit getragen, wie es auch die allermeisten anderen um Anständigkeit bemühten Österreicher niemals getan hätten. Selbst wenn man mit der jämmerlichen Logik des VfGH natürlich jedes dieser Gespräche als "abstrakt relevant" bezeichnen hätte können).

  • Natürlich ist der Satz erstaunlich, den Justizsektionschef Pilnacek in seiner Privatunterhaltung mit Brandstetter nächtens voll – inhaltlich verständlichem! – Zorn über die Entwicklung der VfGH-Judikatur in letzter Zeit getippt hat: "Einem vom VfGH fehlgeleiteten Rechtsstaat kann man nicht mehr dienen."

Aber das war eben eine Privatunterhaltung in einer Augenblicksemotion. Am nächsten Morgen hat Pilnacek ja diesem Staat doch weiter gedient. Zweifellos tat er das auch in der Motivation, den Rechtsstaat dieser Republik gegen von ihm schon seit Jahren deutlicher als von vielen anderen gesehene Auswüchse zu verteidigen. Insbesondere auch bei der WKStA, die Pilnacek – mit noch viel mehr Berechtigung als bei seiner Kritik am VfGH – in einem solchen Privatchat als "missraten" bezeichnet hat. Was jetzt ebenfalls allen Ernstes zu einem Hauptvorwurf gegen Pilnacek gemacht wird.

Herr Grabenwarter und Frau Zadic wären erstaunt, wie viele Österreicher solche und noch viel schlimmere Worte für die Entwicklungen mancher Teile der Justiz und einzelne ihrer Akteure verwenden. Auch über Akteure im VfGH.

Unter Metternich, wo an Wirthaustischen die Konversation des Nebentisches belauscht worden ist, aber auch in den totalitären Systemen sind alle, die so despektierlich über die Obrigkeit gesprochen haben, ihren Job und oft auch ihre Freiheit losgeworden.

Fast noch empörender ist: Für den eigentlichen Grund – besser gesagt: Vorwand –, warum überhaupt die Pilnacek- und Brandstetter-Chats beschlagnahmt worden waren, hat sich absolut kein Beweis gefunden! Das war die Verschwörungstheorie der WKStA, Pilnacek hätte an Brandstetter eine bevorstehende Hausdurchsuchung bei einem Klienten Brandstetters verraten.

Aber statt, dass zumindest dann sofort alle Mails und SMS der beiden Herren vernichtet worden wären, als sich der einzig konkrete Vorwurf in Luft aufgelöst hat, kann man diese Chats in einigen linken Medien nachlesen. Dabei war gemäß der Judikatur des EuGH völlig klar, dass da von Anfang an überhaupt kein Grund für die Abnahme von Handys und Computern gegeben war. Selbst wenn Pilnacek da etwas verraten hätte, war das weit weg von Terrorismus.

Eigentlich sollte man glauben, dass das alles in der zweiten Republik undenkbar geworden ist, dass Metternich & Co nicht mehr zurückkehren hätten können.

Welch deprimierender Irrtum!

Frau Zadic und auch die Richterpräsidentin Matejka haben voll (ideologischer) Empörung "gebührenden und gebotenen Respekt" vor dem Gerichtshof, vor "der Justiz" verlangt.

Nein, die Damen! Auch wenn Sie es gerne hätten und alle anderen, die einen demokratischen Rechtsstaat in einen willkürlichen Richterstaat verwandeln wollen: Wir respektieren rechtswidrige Aktionen von Staatsanwälten und Richtern nicht. Wir waren bisher – also bevor die Grünen das Justizministerium übernommen haben und solche Personen zu Richterpräsidenten geworden sind – sogar stolz darauf, dass jeder(!) Österreicher zumindest in Privatgesprächen auch sehr kritische Meinungen frei äußern kann, was natürlich bisweilen auch Kraftausdrücke umfasst. Und auch darauf, dass es noch ein paar anständige Beamte gibt (gegeben hat), die sich nicht speichelleckerisch verbiegen und jede skandalöse Fehlentwicklung buckelnd hinnehmen.

Von denen es in letzter Zeit einfach unerträglich viele gegeben hat.

Der Rechtsstaat ist nicht durch die Kritik an krassen Fehlentwicklungen "im Wanken", wie Frau Matejka behauptet, sondern nur durch die Aktionen von Korruptionsstaatsanwaltschaft, von VfGH und einigen Parlamentariern, insbesondere der Neos. Und durch alle jene, die Kritik für unzulässig stempeln wollen. Obwohl diese Kritik sich im zentralen Punkt eindeutig mit der auch für Österreich, auch für Frau Matejka, auch für Frau Zadic, auch für Herrn Grabenwarter bindende Judikatur des EuGHs deckt. 

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