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Kickl und die ganz andere FPÖ

Der Weg für Herbert Kickl ist frei. Dass er sich diesen Weg mit einer konsequenten Intrigenstrategie freigeschlagen hat, ist in der österreichischen Innenpolitik nicht ganz ungewöhnlich. Sowohl zur ÖVP wie SPÖ könnte man diesbezüglich ganze Bücher füllen, etwa mit der Überschrift "Von Leopold Figl bis Werner Faymann: Abgänge im Friendly Fire". Viel übler ist jedoch, wie arg die Machtergreifung des freiheitlichen Klubobmanns mit für jeden Österreicher durchschaubaren Unwahrheiten gepflastert ist. Spannend ist allerdings, was diese Neupositionierung der FPÖ eigentlich für die übrigen Parteien bedeutet.

Zuerst die Unwahrheiten, die uns die FPÖ derzeit zumutet:

Kickl über Hofer

Der neue FPÖ-Mächtige wagt allen Ernstes davon zu sprechen, dass sein Verhältnis zu Vorgänger Norbert Hofer ein "ungetrübtes" sei. Ob einer solchen unverfrorenen Unwahrheit wird einem geradezu schlecht. Für wie blöd oder vergesslich hält Kickl eigentlich die Menschen?

Hat doch Hofer erst in der Vorwoche als einzige Begründung für seinen Rücktritt Richtung Kickl erklärt: "ich lasse mir nicht jeden Tag ausrichten, dass ich fehl am Platz bin." Eindeutiger geht es nicht mehr. Ganz Österreich hat auch mitgehört, wie Kickl davor immer wieder öffentlich verkündet hat, dass er selber an die Spitze wolle. Auch die ausgestreuten Bösartigkeiten über Hofers Gesundheitszustand müssen von irgendwoher kommen. Und es ist ganz eindeutig neuerlich niemand anderer als Kickl gemeint, wenn Hofer jetzt sagt: "Ich bin keiner, der lange bös sein kann."

Als Christian Kern Vorgänger Faymann abservierte oder Sebastian Kurz seinen Vorläufer Reinhold Mitterlehner, war das auch ganz schön brutal. Aber die Nachfolger haben uns wenigstens nicht weismachen wollen, dass dabei alles Wonne und Waschtrog gewesen wäre. Kurz etwa hat sich sogar durch eine neue Parteifarbe von der ÖVP seines Vorgängers zu unterscheiden versucht.

Kickl als Erbe Jörg Haiders

Eine Zumutung ist es auch, wenn Kickl jetzt zu seinem Machtantritt ausgerechnet den früheren Parteichef Jörg Haider als einzigen früheren FPÖ-Politiker heraushebt und als seinen Lehrmeister bezeichnet. Diese Usurpation ist mehrfach absurd.

Schon einmal deshalb, weil sich Haider in seinen letzten Lebensjahren durch Neugründung des BZÖ von der FPÖ abgespalten hat, nachdem dort ein radikaler Flügel mit den Haupteinpeitschern H.C. Strache und Kickl die Macht übernommen und ihn de facto hinausgedrängt hat.

Die nächste Absurdität: Auch Haider hat zwar vor seiner Machtübernahme in den Achtziger Jahren längere Zeit öffentlich gegen seinen Vorgänger Nobert Steger intrigiert. Aber der große Unterschied liegt in der politischen Positionierung: Haider hat absolut immer von rechts her gekämpft und Stegers Koalition mit der SPÖ bekämpft. Seine gesamte politische Strategie war vor wie nach Amtsantritt in Übereinstimmung mit seinen Wählern auf eine bürgerliche Koalition mit der ÖVP ausgerichtet – die er dann auch 2000 zusammen mit Wolfgang Schüssel bilden konnte (auch wenn er nicht selber daran teilnahm, sondern als Landeshauptmann in Klagenfurt blieb. Was dann allerdings seinem empfindlichen Ego nicht guttat und den parteiinternen Putsch von Strache&Co ermöglichte ...).

Kickl hat hingegen ein ganz anderes Ziel – ein solches, das um 180 Grad in die Gegenrichtung zeigt: nämlich den totalen Krieg gegen die ÖVP. Er hat zu diesem Zweck in letzter Zeit sogar mehrfach eine Koalition mit den Linksparteien vorgeschlagen.

Mit Abbruch der letzten Brücken zur ÖVP erreicht er freilich nur zweierlei: dass jetzt erstens er als "der" Verräter an der bürgerlichen Sache dasteht, und dass zweitens deshalb immer zumindest eine Linkspartei mit in der Regierung sitzen wird, weil sich sonst keine Mehrheit ausgehen wird. Da muss sich Haider im Grab umdrehen. Auch das hat Kickl sicher nicht bei ihm gelernt.

Selbst in den politischen Inhalten unterscheidet sich Kickl total von seinem angeblichen "Lehrmeister". Zwar kann nur spekuliert werden, ob Haider eine ähnliche Corona-Kampagne gefahren wäre wie Kickl. Auf Grund seiner großen Intelligenz ist das eher unwahrscheinlich.

Aber sicher ist, dass Haider in seiner ganzen Politikerzeit immer ganz andere Themen als Kickl ins Zentrum gestellt hat. An der Spitze stand bei Haider der Kampf gegen die illegale Migration. Der eigentlich heute noch viel wichtiger wäre als zu Haiders Zeiten.

Gewiss war Haider populistisch (siehe etwa seine berühmte öffentliche Verteilung von Euro-Hundertern an die Schlange stehenden Menschen, die massiv an den SPÖ-Populismus erinnert hat; siehe etwa die große Flexibilität in Haiders Haltung zur EU, in der er vom Beitrittsbefürworter zum Beitrittsgegner geworden ist, während sich die SPÖ – deutlich früher – und die Grünen – deutlich später – in der Gegenrichtung bewegt hatten). Aber zum Unterschied von Kickl oder Strache verstand Haider auch sehr viel von Wirtschaft, Verfassung und Recht.

Oder anders formuliert: Haider hat seinen Populismus immer mit interessanten politischen Inhalten gefüllt. Kickl hingegen ersetzt die Inhalte komplett durch Hass. Dieser ist zwar von seiner politischen Biographie her verständlich, für die große Mehrheit der Österreicher aber nur abstoßend.

Haider ist eine international genau beachtete (und von Linken gefürchtete) Zentralfigur des damals europaweit neu entstehenden Rechtspopulismus gewesen. Kickl ist international eher ein Nullum.

Der blaue Wähleraustausch

Mit Kickl an der Spitze macht sich die FPÖ bewusst selbst zu einem Minderheitenprogramm. Das zeigt auch die erste Meinungsumfrage nach dem Abschuss Hofers, welche der FPÖ den Absturz von zuletzt 18 bis 20 auf 15 Prozent und der ÖVP eine Wiedererholung nach der ersten Schockwelle der Attacken durch Korruptionsstaatsanwaltschaft und VfGH bescheinigt.

Wie wird es weitergehen? Auf Grund der persönlichen Ressentiments Kickls nimmt sich die FPÖ jetzt jedenfalls auf lange aus dem Koalitionsrennen. Kickl wird allerdings ein von den Funktionären umjubelter und scharfzüngiger Chef einer Partei der prinzipiellen Opposition werden.

Mit ihm erlebt die FPÖ den nächsten fast totalen Wähleraustausch ihrer Geschichte. Dabei hat die Partei seit ihrer Gründung ja schon mehrere hinter sich:

  1. Anfangs war sie ein Sammelbecken der ehemaligen Nazis, die solcherart eine politische Rehabilitierung erhofften (und durch Bruno Kreisky als Dank für die Mehrheitsbeschaffung 1970 auch erhielten). Aber auch viele nicht belastete Nationalliberale und Großdeutsche fanden in der FPÖ ihre Heimat.
  2. Ab den 80er Jahren erkannte Jörg Haider, dass das eine aussterbende Generation ist. Er sandte ihr im bunten Reigen seiner populistischen Feuerwerke zwar noch hie und da freundliche Signale. Vor allem aber machte er die Partei inhaltlich zu einer liberalkonservativen Alternative für frustrierte ÖVP-Wähler. Deren Hauptzorn galt der großen Koalition, der scheinbar ewigen Bindung der ÖVP an die SPÖ.
  3. Neuerliche Machtkämpfe und Revolten führten dann zur Ära des H.C. Strache. Dieser hatte zwar lange nicht die intellektuelle Brillanz des Jörg Haider, aber er schaffte nicht nur den neuerlichen Regierungseinzug, sondern wandelte die FPÖ auch von einer deutschnationalen zu einer österreichnationalen Partei. Das ist ein bleibendes Verdienst Straches, das allerdings durch die mafiöse Intrige von Ibiza vielfach in Vergessenheit geraten ist.
  4. Nachfolger Hofer konnte in seiner kurzen Amtszeit nie prägend werden. Das war auch Folge seiner Persönlichkeit, der Nachwirkungen des Ibiza-Schocks und des von der ersten Stunde an illoyalen Kickl-Kurses. Dieser hingegen bedeutet eindeutig eine neue Ära. Die Partei verliert – von Oberösterreich abgesehen – jede Attraktivität für über die ÖVP verärgerte Konservative. Sie ist stattdessen zu einer reinen Protestpartei geworden, die vor allem für die unterste soziale Schicht anziehend ist.

Was heißt das alles für die anderen Parteien?

Für die ÖVP bedeutet das Schlechtes und Gutes: Schlecht ist für sie, dass sie keine rechte Koalitionsmöglichkeit mehr hat und daher immer nur vor der Wahl zwischen einem linken Koalitionspartner oder (im Fall einer linken Mehrheit) dem Gang in die Opposition steht. Gut für die ÖVP ist allerdings, dass ihr bei den rechts der Mitte stehenden Wählern jetzt niemand anderer ernsthafte Konkurrenz machen wird. Zumindest vorerst.

Für die anderen Parteien bedeutet Kickls Antritt vorerst wenig. Langfristig böte der blaue Richtungswechsel den Neos zumindest die theoretische Chance, wieder von ihrer gegenwärtigen linksradikalen Position wegzukommen und zu einer klassisch liberalen Linie (a la Hayek, Milton Friedman, Dahrendorf, Erhard) zu wechseln, die ja bis Haider immer einen Teil der FPÖ geprägt hatte. Damit könnten die Neos alle über die ÖVP verärgerten Liberalkonservativen und insbesondere die über die grüne Belastungspolitik verärgerten Wirtschaftstreibenden auffangen, die jetzt keine andere Alternative haben. Das aber ist mit der derzeitigen Führungsmannschaft der Pinken nicht glaubwürdig machbar.

Theoretisch könnte auch die SPÖ erkennen, dass auch für sie eine Neupositionierung signifikante Wiederbelebungschancen haben könnte. Dazu müsste sie aber den derzeit dominierenden Wettbewerb mit Grün und Pink um die relativ kleine Gruppe der städtisch-studentischen Bobos, um Schwule und Feministen aufgeben. Dazu müsste sie etwa im Sinne Jörg Haiders versuchen, eine Partei der "Fleißigen und Anständigen" zu werden. Dazu müsste sie aber nicht nur den Bobo-Wettbewerb, sondern auch noch ihre zweite Hauptidentität aufgeben: Die besteht darin, täglich neue Ideen, neue Forderungen zu präsentieren, wofür das Geld der steuerzahlenden Werktätigen (und der nächsten Generationen) noch zusätzlich hinausgeworfen werden soll.

PS: Noch einmal zurück zu Hofer und dem Hauptgrund, warum er sich jetzt beugt: Das ist neben dem gut dotierten Job im Parlamentspräsidium natürlich die langsam näherkommende Bundespräsidentenwahl. In den letzten Stunden hat man sich offensichtlich geeinigt, dass er dabei wieder als FPÖ-Kandidat antreten wird. Jedoch ist das nach Hofers Zertrümmerung im Trommelfeuer Kickls zweifellos ein aussichtsloses Unterfangen. Denn Hofer wird trotz der uns vorgespielten Versöhnung mit Kickl lebenslang nur noch den Geruch einer politischen Leiche ausstrahlen. Jetzt hat er keine Chance mehr, noch einmal 49 Prozent der Stimmen zu erreichen. Jetzt hat er für viele, die ihn einst gewählt haben, nur noch das Gewicht einer Vogelfeder, die vom Winde hin und her getrieben wird. Jetzt hat er für niemanden mehr das Format eines Pater patriae, eines Ersatzkaisers, den sich die Österreicher leicht naiv in die Hofburg wünschen.

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